Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Das Missverständnis von der (fast) gleichen Kultur überwinden

Küng, Thomas (2005):

Gebrauchsanweisung für die Schweiz

Unter Mitarbeit von Peter Schneider

Piper (München, Zürich) 1996, überarb. Neuausgabe 2002, 5. Aufl. 2005; 206 S.; 12,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 17.04.2005

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Schweizer und Deutsche tun sich schwerer miteinander als es die gemeinsame Sprache und die verwandte Kultur erwarten ließe. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, sich einmal näher mit den kulturellen Eigenheiten unserer Nachbarn zu befassen.

Bedarf es wirklich einer "Gebrauchsanweisung für die Schweiz"? Ist das nicht schon vom Ansatz her eine groteske Übertreibung der Unterschiede zu diesem Land, das mit uns Deutschen (fast) die gleiche Sprache und Kultur teilt und sich von uns scheinbar nur durch den k-chehligen Dialekt, das hochheilige Bankgeheimnis und – historisch – durch das Unterlassen des Anzettelns von Kriegen unterscheidet (was sich für sie sowohl ökonomisch als auch denkmalschützerisch als vorteilhaft erwiesen hat)? Ein guter Grund, sich doch einmal mit den kulturellen Unterschieden zwischen beiden Ländern zu befassen, ist die bestehende "Sympathie-Asymmetrie": Wir Deutschen mögen die Schweizer viel mehr als sie uns. Das hat nicht nur mit dem Verhältnis eines kleinen Staats zu seinem großen und dominierenden Nachbarn zu tun, das wohl überall auf der Welt von einer gewissen Spannung geprägt ist. Manch zusätzliche Komplikation zwischen Schweizern und Deutschen resultieren wohl auch aus unserer Tendenz vor "voreiligen Vereinnahmung". Und es entspricht der schweizerischen Art, es nicht offen zu artikulieren, wenn wir Deutsche uns wieder einmal "vorurteilskonform" verhalten haben, sondern sich dann verstimmt zurückzuziehen – mit der Folge, dass wir nur selten erfahren, welches Fettnäpfchen wir gerade wieder kraftvoll durchquert haben.

Gerade bei engen Nachbarn neigt man dazu, vorhandene Unterschiede zu unterschätzen – noch dazu, wenn sie die gleiche Sprache sprechen. So geht es uns "Dütsche" auch und besonders mit den Schweizern: Gut, sie mögen etwas bedächtiger, fleißiger, konservativer, "korrekter" sein als wir – aber das finden wir ja als Trend auch schon in den deutschen Südstaaten. Der graduelle Übergang der Kulturen – die Südbadener sind den Nordschweizern ja tatsächlich wesensverwandter als ihren nord-, west- oder ostdeutschen Brüdern und Schwestern – verleitet uns zu genau jener Überschätzung der Ähnlichkeit, die hinterher zu mancherlei Komplikationen führt. Da es aber im Alleingang schwierig ist, sich ein treffendes Bild zu machen, und weil man nicht alle Fehler selbst ausprobieren muss, lohnt es sich durchaus, zur besseren Einstimmung ein paar Lesestunden zu investieren – noch dazu, wenn einem das so leicht gemacht wird wie im vorliegenden Fall. Wer Thomas Küngs "Gebrauchsanweisung" gelesen hat, wird in der Schweiz manches besser verstehen und einordnen können – auch wenn das Cover mit Matterhorn, Schweizerfahne und strahlend blauem Himmel zunächst so daherkommt, als handelte es sich um einen Schnellkurs in Vorurteilsbekräftigung.

Küngs Buch bezieht sich nicht speziell auf geschäftliche Kontakte, sondern bringt uns die schweizerische Mentalität insgesamt näher. In der Zusammenarbeit einer "internationalen Managementelite" werden kulturelle Unterschiede zwar generell weniger spürbar als im normalen Alltagsleben, doch manche Friktionen im internationalen Geschäft können durchaus mit den unterschiedlichen kulturellen "Eichungen" der beteiligten Personen und den daraus entstandenen unhinterfragten Selbstverständlichkeiten zu tun haben. Deshalb ist eine gewisse Vertrautheit mit den Spielregeln eines Landes nicht nur dann vorteilhaft, wenn man länger in einem Land leben möchte, sondern auch, wenn man nur mit einzelnen dortigen Firmen geschäftlich zusammenarbeiten möchte. Je nach beabsichtigter Eindringtiefe kann man dann sicher einige Abschnitte in diesem Buch überblättern: etwa die Einführung in das "Jassen" (ein beliebtes Schweizer Kartenspiel) und manche anderen landesüblichen urig-derben Wettspiele. Auch das Kapitel über den Kanton Jura kann man ohne bleibende Schäden überspringen, wenn man nicht ausgerechnet dort zu tun hat.

Unbedingt lesenswert, und zwar auch für Geschäftsleute mit gänzlich zivilen Absichten, sind hingegen die Ausführungen Küngs zum schweizerischen Militär. Es eignet sich noch weitaus weniger für humoristisch gemeinte Apercus als die meisten anderen Themen von nationaler Bedeutung. Da praktisch jeder männliche Schweizer im wehrfähigen Alter aktiver und in der Regel auch überzeugter Reservist ist, der regelmäßig seine Wiederholungs- und Ergänzungskurse absolviert, sind grobe Scherze wie der von Küng zitierte, dass das Schweizerische Militär schon in der Bibel erwähnt sei ("Sie hüllten sich in Lumpen und irrten ziellos umher") selbst für Einheimische riskant; bei Ausländern enden sie in der sicheren und dauerhaften Einsamkeit. Auch Küngs Hinweise zum (automobilen) Verkehr können Fahrern mit ausländischen Kennzeichen viel Zeit, Geld und Nerven sparen, vor allem wenn sie sie beachten. Nützliche Hintergrundinformation zum besseren Verständnis des Landes und seiner Bewohner liefern die Kapitel über die Sprachregionen, die Medien und die Schweizerische Politik. Gerade aus den letztgenannten kann man ersehen, dass die Schweizer wirklich ein grundlegend anderes Verständnis von der Gesellschaft und der Rolle des Einzelnen haben.

Obwohl Küng die schweizerische Mentalität facettenreich, mit Sorgfalt und Sympathie, aber auch mit Humor und Selbstironie beschreibt, darf man bezweifeln, ob er von seinen Landsleuten viel Zustimmung für sein Buch ernten würde. Denn er spart auch kritische Aspekte nicht aus, wie etwa den Hang zur Kleinlichkeit, Rechthaberei und Oberlehrertum, das in der Schweiz auch nach meinem Eindruck noch ausgeprägter ist als bei uns. (Was einiges heißen will.) Als Beispiel seine Anmerkungen zu der in Mietshäusern üblichen Gemeinschaftswaschmaschine: "Doch wie zum Vorteil aller das Waschküchenproblem organisiert scheint, so schwierig gestaltet es sich in der Praxis. Man wird nämlich den Eindruck nicht los, dass die Schweizer es nicht genießen können, wollen, dürfen, dass sie es so einfach haben. Das fängt beim Waschküchenschlüssel an. Der ist beileibe kein einfaches Schließgerät (...), sondern der Schlüssel zur schweizerischen Volksseele. Natürlich ist es ökologisch sinnvoll, dass sein Haus sich mit einer gemeinsamen Waschküche begnügt, statt dass jeder Haushalt eine eigene Waschmaschine laufen lässt. Aber der im Vergleich zum sonstigen Ausrüstungsstandard von Schweizer Haushalten anachronistische Tanz um den gemeinsamen Waschküchenschlüssel entspringt keineswegs ökologischer Rationalität, sondern einem eisernen Festhalten an komplizierten Waschküchenbenutzungsplänen, Waschküchenschlüsselübergabereglements und Waschküchensäuberungsritualen. Jede Verletzung dieser Regeln – die unausweichlich ist, wenn man nicht bereits als Zwangsneurotiker schlimmsten Zuschnitts auf die Welt gekommen ist – zieht endlose Belehrungen und Streitereien nach sich, die jedoch zum unabdingbaren Sozialgefüge einer Schweizer Hausgemeinschaft zu gehören scheinen. Wir möchten darum wetten, dass die Scheidungsrate von Eheleuten, die in Einfamilienhäusern leben, die von jenen in Mehrfamilienhäusern aus dem einfachen Grunde erheblich übersteigt, weil ersteren das probate Aggressionsentlastungsventil der Waschküchenordnung fehlt." (S. 113f.)

Wie das Beispiel zeigt, bringt Küng entgegen der landesüblichen Tendenz zur Harmonisierung, Beschönigung und Konfliktverschleierung durchaus pointiert und manchmal geradezu bissig zum Ausdruck, was ihm an seinen Landsleuten "auf den Senkel geht". So viel Deutlichkeit ist in der Schweiz nicht unbedingt gerne gesehen; das wird leicht als Nestbeschmutzung verstanden und kann entsprechend wütende Reaktionen auslösen. Doch gerade das zeigt paradoxerweise, dass Küng mit der Charakterisierung seiner Landsleute nur teilweise Recht hat: Dass es in diesem unserem Nachbarlande eben nicht nur jene Glorifizierung des Schweizertums gibt, die selbst um den Preis der intellektuellen Selbstaufgabe Alles und Jedes bewahrens- und verteidigungswert findet, sondern auch eine nicht ganz kleine, aber umso sympathischere Minderheit, die sich mit ihrem Land und ihren Landsleuten zuweilen auch süffisant und sarkastisch auseinandersetzen – und sie trotzdem lieben. Ihnen schließe ich mich gerne an.

Schlagworte:
Interkulturelles Management, Interkulturelle Kommunikation, Schweiz, Deutsche

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