Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Geplauder um so genannte Patend-Lösungen u.a.

Watzlawick, Paul (1986):

Vom Schlechten des Guten

Oder Hekates Lösungen

München: Piper; Neuaufl. 1991; 124 S.; 7,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 5 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 01.12.1993

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Für eine beiläufige Plauderei zu umfangreich, für eine gewichtige Arbeit zu leichtgewichtig (wobei der Umfang hier noch das kleinste Problem wäre) – in diesem Dilemma bleibt das Büchlein stecken.

Nett zu lesen ist er ja immer (noch), der Watzlawick. Sein gefälliger Plauderton wäre in einem kürzeren Text ausgeprochen amüsant. Doch über 122 Seiten (wenn auch nur à 27 Zeilen mit 45 - 50 Anschlägen, also künstlich auf Buchformat "gestreckt") trägt das Geplänkel nicht – das Geplauder wird ermüdend.

Ebenso unentschieden der Inhalt: Watzlawick hält den Leser im Zweifel, ob er nur ein paar amüsante Sprach-, Wort- und Gedankenspielereien vorführen oder doch eine ernsthafte Aussage bezweckt. So lässt er auf der einen Seite die Schicksalsgöttin Hekate nebst nachgeordneten Hexen und allerlei andere fiktive Personen auftreten. Auf der anderen zum Beispiel diverse Zitate und Referenzhinweise im Text, die durchaus den Verdacht eines ernst gemeinten Anspruchs erwecken, und ein Literaturverzeichnis mit 19 Positionen zwischen Wissenschaft und gehobener Belletristik. Das soll wohl "spielerisch, aber durchaus mit ernsthaftem Hintergrund" erscheinen – man kann sich förmlich vorstellen, auf welche Rezensenten-Bemerkungen der Autor schielt. Auch von "Denkanstößen, die weiteres Nachdenken lohnen", wäre da wohl die Rede.

Noch schöner wäre es freilich, wenn Watzlawick es nicht dem Leser überlassen würde, sich auf seine "Denkanstöße" einen Reim zu machen und seine Message aus dem netten Geplauder herauszupräparieren. Denn er hat durchaus eine Message – schade also, dass er sie nur halb ausarbeitet und nur halbherzig vertritt. Aber was wäre diese Message? – Das Wortspiel der "Patendlösung", die Watzlawick früh einführt und immer wieder benutzt, liefert ein Indiz: Nach seiner Meinung neigen Menschen erstens dazu, ihre Wahrnehmung für die (einzig mögliche) Realität zu halten (also, im Sinne von Lay / Löhner, Wahrheit und Gewissheit zu verwechseln), zweitens, von anderen selbstverständlich zu erwarten, dass sie gemäß derselben Realitätsdefinition handeln (klar, wenn / weil es keine andere gibt), und drittens, auf der Basis dieser ihrer Konstruktionen endgültige Patentlösungen (eben "Patendlösungen") zu konstruieren. Oder, in Watzlawicks Conference-Lyrik: Hekate & Co. haben das Hobby, Menschen irgendwelche felsenfesten Überzeugungen einzureden, die sie dazu bringen, sich schnurstracks und mit unerschütterlicher Gewissheit in ihr eigenes Verderben zu stürzen.

Das sind nun Grundthesen des Konstruktivismus. Wozu also das Versteckspiel? Das ist weder so neu, dass man es in kleinen Schritten didaktisch einführen müsste, noch so kontrovers, dass ein Weg über die Hintertür nötig wäre. Für diese seine (mutmaßliche) Kernthese bringt Watzlawick nun eine Fülle von Beispielen - überwiegend in Form von fiktiven Geschichten, in denen sich der Leser wohl wieder erkennen soll. Ich lasse die Geschichten weg und nenne nur die Muster:

* Blindes Sich-Verlassen auf scheinbar eindeutige Informationen

* Suche nach (absoluter) Gewissheit

* Mehr von demselben ("Zweimal soviel ist doppelt so gut", S. 23)

* Das kompromisslose Streben nach dem höchsten Gut um jeden Preis – Selbstermächtigung zur Gewalt" i. S. von Hermann Lübbe (S. 37)

* Denken in Gut-Böse-Polarisierungen – "Wenn etwas schlecht ist, muss das Gegenteil davon gut sein" (S. 31) – "Der Verdacht, dass das Gegenteil von schlecht nicht notwendiger weise gut ist, sondern noch schlechter sein kann." (S. 39)

* Einengung des Denkens auf (nur) zwei Alternativen – "Tertium non datur"; "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich"

* Nullsummenspiele / Schwarz-Weiß-Denken – Enge gedankliche Verbindung zwischen eigenem Erfolg und dem Misserfolg anderer herstellen, und vice versa, die zwangsläufig in eine Kampfposition zu ihrer sozialen Umgebung bringt

* Leugnen der begrenzten Fähigkeit, sich in die Denkweise des anderen hineinzuversetzen – "Ich weiß, was Du denkst"

* Ignorieren von Wechselwirkungen – H2O vs. 2 x H + 1 x O; analog Paarkonflikt – "Gestalt"

* Die Gewissheit, aus dem Besitz der Wahrheit heraus zu allem berechtigt zu sein, inkl. Gewalt und Terror – "Wie können wir unsere politischen Einrichtungen so aufbauen, dass auch unfähige und unredliche Machthaber keinen großen Schaden anrichten können?" (S. 104, Popper-Zitat)

Nebenbei liefert Watzlawick auch einige Andeutungen, wie Auswege aus der destruktiven Logik der Nullsummenspiele und dem Absolut-Setzen der eigenen Gewissheiten aussehen könnten. Kennzeichnenderweise lässt er sie alle sich zufällig ereignen: etwa so, dass jemand eher versehentlich aus der Logik der Nullsummenspiele ausbricht und andere mit einer positiven "Beitragsquote" überrascht. Offenbar glaubt Watzlawick nicht daran, dass ein solcher Schritt durch bewusste Anstrengung herbeizuführen werde. Charakteristisch ein ausführliches und wichtiges Glasersfeld-Zitat, das er kurz vor Schluss bringt: "... Das heißt, dass die 'wirkliche' Welt sich ausschließlich dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Da wir das Scheitern aber immer nur in eben jenen Begriffen beschreiben und erklären können, die wir zum Bau der scheiternden Strukturen verwendet haben, kann es uns nie ein Bild der Welt vermitteln, die wir für das Scheitern verantwortlich machen könnten." (S. 116) Demnach wären wir also unentrinnbar in unseren Konstruktionen gefangen, selbst dann, wenn sie ihre mangelnde Eignung in der Praxis bewiesen hätten - eine recht pessimistische Perspektive. Vielleicht liegt es daran, dass Watzlawick so um den heißen (?) Brei herumredet.

Alles in allem hinterlässt das kleine Buch einen sehr zwiespältigen Eindruck: Je mehr man sich die intensive Mühe macht, den Gehalt des Textes zu erarbeiten, desto mehr stößt man auf wertvolle Anregungen und Gedanken – wird aber mit ihnen alleine gelassen. Solange man das Buch nur so liest, wie man halt normalerweise liest, bleibt der Eindruck einer oberflächlichen Plauderei, die – bitteschön! – durchaus einen ernsthaften Hintergrund haben könnte, und Denkanstöße liefert, die weiteres Nachdenken wert wären. Wären!

Schlagworte:
Psychologie, Konstruktivismus, Komplexität

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