Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Halbstarker Auftritt mit geringem Erkenntnisgewinn

Sirkin, Haraold L.; Keenan, Perry; Jackson, Alan (2005):

The Hard Side of Change Management



Harvard Business Review; 2005 October; 10 S. (109 – 118)


Nutzen / Lesbarkeit: 2 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 30.11.2005

Die präpotent präsentierte "harte Seite des Change Management" entpuppt sich als eine Mischung von Projektmanagement-Basics und einer Paraphrase altbewährter, gesicherter, aber keineswegs neuer Kernaussagen des Change Managements.

Als BCG-Alumnus bin ich geneigt, die Veröffentlichungen meiner ehemaligen Kollegen mit kritischem Wohlwollen aufzunehmen – auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß, dass selbst bei den Top-Beratern nicht alles Gold ist, was glänzt. Wenn in diesem Fall die Kritik das Wohlwollen deutlich überwiegt, dann deshalb, weil ich die vorliegende Verbindung von anmaßend-anbiederndem Auftritt und inhaltlicher Überraschungsarmut wirklich ärgerlich finde.

Gleich einleitend machen die drei BCG-Vizepräsidenten klar, dass die Welt dank ihrer bahnbrechenden Arbeit alles vergessen kann, was zum Thema Change Management bislang veröffentlicht und geschwätzt wurde: "Managing change is tough, but part of the problem is that there is little agreement on what factors most influence transformation initiatives. Ask five executives to name the one factor critical for the success of these programs, and you'll probably get five different answers. (...) In recent yerars, many change management gurus have focused on soft issues, such as culture, leadership, and motivation. Such elements are improtant for success, but managing these aspects alone isn't sufficient to implement transformation projects. Soft factors don't directly influence the outcomes of many change programs. For instance, visionary leadership is often vital for transformation projects but not always. The same can be said about communication with employees..." (S. 110)

Wer so breitbeinig daherkommt, der legt sich die Latte hoch: Wenn er nicht als Großmaul erscheinen möchte, sollte er nun Erkenntnisse abliefern, die tatsächlich alles Bisherige verblassen lassen. Doch zunächst geht es im gleichen Stil weiter: "What's missing, we believe, is a focus on the not-so-fashionable aspects of change management: the hard factors." (S. 110) Das ist nun ein Tritt unter die Gürtellinie – und zugleich eine peinliche Anbiederung an jene Top-Manager, die mit den angeblich "weichen" Themen nichts anfangen können. Sirkin, Keenan und Jackson unterstellen den "Change Management Gurus" kurzerhand, dass sie nur um die modischen weichen Themen herumtanzten und zum Nachteil ihrer Kunden um die – sehr viel wichtigeren – harten Themen einen Bogen machten. Herumspielen mit unnützen, verweichlichten Modethemen statt der notwendigen harten Arbeit, das ist die Assoziation, die sie mit ihrem Ausfall wecken – und zu der sie sich selbst als pflichtbewusstes, nicht an Moden interessiertes Gegenmodell andienen. Derartige verdeckte Fouls hatte ich bislang für unter dem Niveau von BCG gehalten.

Nach dem Auf-die-Brust-Trommeln nun also die Weltformel. Sie lautet "DICE" – wahre Größe ist eben einfach. DICE steht für die vier Faktoren "Duration", "Integrity", "Commitment" und "Effort". Verwundert reibt sich der Leser die Augen: Sollte es hier nicht um "The Hard Side of Change Management" gehen? Und nun ist auf einmal von Dingen wie "Integrity" und "Commitment" die Rede, also von Faktoren, die bekanntermaßen leicht zu quantifizieren und zu messen sind. Man darf gespannt sein, wie die Autoren das operationalisieren werden. Denn operationalisiert muss werden, damit am Ende ein "DICE Score" berechnet werden kann, und zwar nach der Formel: "DICE Score = D + (2 x I) + (2 x C1) + C2 + E" (S. 114)

Ihre vier Faktoren erläutern Sirkin und Kollegen wie folgt: Unter "Duration" verstehen sie die Dauer "until a change program is completed if it has a short life span; if not short, the amount of time between milestones". "Integrity" definieren sie recht überraschend als die Fähigkeit des Projektteams "to complete the initiative on time. That depends on members' skills and traits relative to the project's requirements". "Commitment" definieren sie gar nicht, sondern unterteilen es lediglich in das des Top Managements (C1) und das der betroffenen Mitarbeiter (C2). Das "E" schließlich steht "the effort over and above the usual work that the change initiative demands of employees", also für Zusatzbelastung (alle Zitate S. 111).

All diese Punkte sind plausibel – und haben eine überzufällige Übereinstimmung mit dem, was wir "Change Management Gurus" seit langem lehren. Die Häufigkeit von Lenkungsausschusssitzungen oder "Milestone Reviews" dürfte in der Tat ein guter Indikator für die Erfolgschancen eines komplexen Veränderungsvorhabens sein – auch wenn man ein Projekt wohl eher lähmen würde, wenn man es damit übertriebe und die "average time between milestones" (S. 114) von sechs Wochen auf eine Woche reduzierte. Zugleich ist die Regelmäßigkeit formaler Meilensteine eine clevere Operationalisierung für – ja, für was eigentlich? – für die Ernsthaftigkeit, mit der das Top Management das Vorhaben anpackt. Denn wenn keine regelmäßigen Reviews stattfinden, ist das entweder ein Zeichen von schweren Defiziten im Projektmanagement oder, häufiger, von – mangelndem Commitment des Top Managements.

Ähnlich verhält es sich mit der Qualität und Leistungsfähigkeit des Projektteams, auch wenn ich es befremdlich finde, in diesem Zusammenhang von "integrity" zu sprechen. Aber selbstverständlich sind die Kompetenz und das Ansehen des Projektleiters sowie die Qualität des Projektteams und die Sorgfalt, mit der es zusammengestellt wurde, gute Indikatoren für die Erfolgsaussichten eines Projekts. Denn wenn ein Projekt mehr oder weniger zufällig und nach Verfügbarkeit besetzt wird, setzt dies natürlich ein anderes Signal, als wenn das Management dafür genau jene Mitarbeiter loseist, die auch an anderer Stelle kaum zu entbehren sind. Auch dies ist bei genauerem Hinsehen ein Indikator für das Commitment des Top Managements. Nachdem sie also bereits zweimal (unbeabsichtigt?) das Commitment des Top Managements operationalisiert haben, erstaunt, welche Operationalisierung sie wählen, wenn sie den Faktor C1 "offiziell" operationalisieren: "Do senior executives regularly communicate the reason for the change and the importance of its success? Is the message convincing? Is the message consistent (...)?" (S. 114) Einverstanden – aber hatte sich da nicht wenige Seiten zuvor jemand über den "soft factor" Kommunikation mokiert?

Letztlich besteht die Wunderformel von Sirkin, Keenan und Jackson also aus drei verschiedenen Operationalisierungen des Top Management-Commitments. Ihre "DICE formula" lässt sich daher wie folgt umformen und vereinfachen:

DICE Score = D + (2 x I) + (2 x C1) + C2 + E (S. 114)
= C1 + (2 x C1) + (2 x C1) + C2 + E
= (5 x C1) + C2 + E.

Zur allgemeinen Überraschung der Fachwelt haben der "Global Operations Practice Leader" von BCG und seine Kollegen also herausgefunden: Das Commitment des Top Managements ist für den Erfolg von Veränderungsvorhaben von überragender Bedeutung. Eine gewisse, aber nach ihrer Meinung nachgeordnete Rolle spielen außerdem das Commitment des "Bodenpersonals" und die Zusatzbelastungen, die ihnen die Veränderungen aufbürden. Dass deren Haltung vielleicht doch etwas wichtiger ist als jene zwei Siebtel, die ihnen obige Formel zuweist, bestätigen Sirkin und Kollegen mit souveräner Distanz zu ihrer eigenen Lehre: "Companies often underestimate the role that managers and staff play in transformation efforts. By communicating with them too late or inconsistently, senior executives end up alienating the people who are most affected by the changes." (S. 112)

Mit einem Schuss Sarkasmus könnte man resümieren: Schön, dass der zentrale Stellenwert des Top Management Commitment und einer guten Kommunikation jetzt auch von der Boston Consulting Group bestätigt wird – aber für den Nobelpreis wird das nicht reichen.

Schlagworte:
Change Management, Erfolgsfaktoren, Commitment

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