Finanzielle Anreize bergen die Gefahr, die innere ("intrinsische") Motivation zu beschädigen – diese verbreitete Befürchtung erhält durch diese Meta-Metaanalyse neue Nahrung. Doch die Schlussfolgerungen müssen weiter differenziert werden.
Bei der Studie, die der Kölner Privatdozent Dr. Matthias Graumann und der Unternehmensberater Christoph Sieger in der "Personalführung" vorlegen, handelt es sich um eine Auswertung von Metaanalysen, also gewissermaßen um eine Meta-Metaanalyse. Das so etwas möglich und nötig ist, spiegelt das hohe Forschungsinteresse (und auch die hohe Praxisrelevanz) der Streitfrage wieder, wie sich intrinsische und extrinsische Motivation zueinander verhalten und ob es tatsächlich empirisch belegt ist, wie zahlreiche Forscher seit Beginn der 70-er Jahre behaupten, dass von außen kommende Motivationsmaßnahmen die Gefahr mit sich bringen, die von innen kommende Motivation von Mitarbeitern zu schwächen oder gar zu verdrängen.
Nach einem kurzen Überblick über die Forschungsgeschichte stellen Graumann und Sieger die zentralen Ergebnisse von sieben Metaanalysen vor. Unbestritten unschädlich für die intrinsische Motivation sind demnach im Grunde nur Lob, Anerkennung und positives Feedback: Sie verstärken nach allen Studien die intrinsische Motivation – was auch nach der Alltagserfahrung hochgradig plausibel ist. Relativ klar scheint auch, dass finanzielle Anreize die Motivation bei uninteressanten Aufgaben verstärken – auch plausibel. Pauschal gewährte Belohnungen hingegen verdrängen die innere Motivation. Unklar ist die Befundlage bei leistungsabhängigen Belohnungen: Ausgerechnet hier kommen die Metaanalysen erstaunlicherweise zu widersprüchlichen Ergebnissen.
In ihrer Zusammenfassung machen die Autoren zunächst die mäßig aufregende Feststellung, "dass noch keine endgültige Klarheit über die Wirkung extrinsischer Anreize auf die intrinsische Motivation vorliegt. Daher ist vor pauschalen Aussagen zum Verdrängungseffekt zu warnen." (S. 94) Aber sie können auch präziser und fassen den derzeitigen Stand der Forschung in drei Kernaussagen zusammen. Erstens: "Die individuelle Wahrnehmung eines extrinsischen Anreizes hat einen starken Einfluss auf seine Wirkung. Unabhängig von sonstigen Anreizeigenschaften verdrängt eine Belohnung, die als Mittel zum Zweck der Fremdkontrolle wahrgenommen wird, die intrinsische Motivation." Zweitens "lässt sich eine vorhandene intrinsische Motivation durch verbale Belohnungen (vor allem Kompetenz-Feedback) verstärken. Dieser Effekt ist besonders groß, wenn der Mitarbeiter seine Tätigkeit als uninteressant einstuft." Und drittens: "Für den Fall, dass eine nicht als Instrument der Fremdkontrolle empfundene Belohnung von Mitarbeitern erwartet werden darf, gibt es keinen Konsens über die Wirkung auf die intrinsische Motivation." (S. 95)
Nun gut, man kann es nicht den Berichterstattern vorwerfen, dass ausgerechnet zu dem dritten und entscheidenden Punkt keine klare Antwort der Forschung auf die Fragen der Praxis zu bekommen ist. man kann ihnen aber vorhalten, dass sie die Befundlage von einer benachbarten Großbaustelle der Sozialpsychologie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, nämlich aus der Psychologie des Überzeugens. Dort weiß man mittlerweile ziemlich sicher, dass Menschen umso überzeugter von ihren eigenen Argumenten sind, je weniger sie eine wirtschaftliche Belohnung für ihre Argumentation zu erwarten haben. Das würde ja immerhin heißen, dass finanzielle Anreize dem Entstehen von Identifikation entgegenwirken (vergl. Cialdini 2004), und Identifikation und intrinsische Motivation scheinen doch recht eng benachbart zu sein. Aber hier schlägt offenbar die Fragmentierung der Wissenschaft zu: Erkenntnisse aus anderen Forschungszweigen werden selbst bei "Überblicksartikeln" kaum berücksichtigt, wenn sie sich unter einem anderen Suchstichwort mit der gleichen Thematik befassen.
Allzu schnell gesch(l)ossen sind auch die "Folgerungen für die Personalarbeit", die Graumann und Sieger alsdann vorschlagen. Denn beim Aufbau eines variablen Vergütungssystems genügt es keineswegs, wenn man begründet der Überzeugung sein kann, dass es der intrinsischen Motivation nicht schade. Selbst wenn dies tatsächlich nicht der Fall sein sollte, kann ein Incentive-System fatale Folgen haben, wenn es dazu führt, dass sich die Mitarbeiter "hochmotiviert" nur noch auf ihre eigenen Ziele konzentrieren, unabhängig davon, ob ihr Handeln dem Unternehmen tatsächlich nützt, und/oder wenn ihre Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen, absinkt, weil jeder nur noch seine eigenen Ziele verfolgt. Denn in einer Arbeitswelt, in der die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte brauchbare Ergebnisse nur dann erreichen können, wenn sie die Unterstützung zahlreicher interner und externer Stellen erhalten, ist die Unschädlichkeit von Anreizen für die intrinsische Motivation keineswegs hinreichend. So betrachtet, ist "vor pauschalen Aussagen", die sich lediglich aus dem Verhältnis von intrinsischer und extrinsischer Motivation ableiten, dringend zu warnen.
Hochinteressant finde ich hingegen ein differenzialpsychologisches Konzept von Bruno S. Frey, das Graumann und Sieger zitieren. Frey unterscheidet fünf unterschiedliche Motivationstypen, nämlich "Einkommensmaximierer, Statusorientierte, Loyale, Formalisten und Selbstbestimmte" (S. 96) – eine Typologie, die mir erfrischend lebensnah erscheint. Es wäre sehr plausibel, dass diese unterschiedlichen Persönlichkeitstypen auch völlig unterschiedlich auf finanzielle Anreize reagieren: "Einkommensmaximierer und Statusorientierte werden ausschließlich [naja ...] durch extrinsische Anreize motiviert. Im ersten Fall muss es sich bei dem Anreiz um Feld handeln, das dem Einkommensmaximierer für Konsumzwecke zu Verfügung steht; im zweiten Fall fungieren sichtbare Erfolgssymbole als Anreize, die es dem Statusorientierten gestatten, sich von einem Vergleichskollektiv deutlich abzuheben. Im Unterschied zu diesen beiden Mitarbeitertypen sind Loyale, Formalisten und Selbstbestimmte vor allem durch intrinsische Anreize motiviert. Der Loyale will durch sein Handeln die Ziele des Unternehmens fördern, der Formalist will den im Unternehmen oder in der Branche etablierten Verfahrensregeln genügen, und der Selbstbestimmte richtet seine Handlungen an eigenen, selbst gewählten Zielen und Verfahrensregeln aus." (S. 96)
Das legt nicht nur die Vermutung nahe, dass sich die ganze Kontroverse möglicherweise diffenzialpsychologisch auflösen lässt. Es wirft auch die Frage auf, in welchem Umfang diese Kontroverse einschließlich der Widersprüchlichkeit ihrer Befunde auch davon geprägt ist, welchem Motivationstypus die einzelnen Forscher angehören. In jedem Fall sollten wir wohl eines in unsere künftigen Überlegungen einbeziehen: Jede Aussage darüber, was Menschen motiviert und wie die Motivation von Menschen funktioniert, ist immer auch eine Selbstauskunft. Und solange dieser projektive Anteil nicht reflektiert ist, läuft die gesamte Aussage Gefahr, kaum verwertbar zu sein.
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