Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Mitbestimmung: Zehn Länder im Vergleich

Wilpert, Bernd; Rayley, Jörg (1983):

Nationale Mitbestimmungssysteme und ihre Wirkung auf das Partizipationsverhalten



Psychologie und Praxis – Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 1983; S. 3 – 12


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 01.03.1983

Nicht die Branche, nicht das Betriebsklima oder die Ertragslage sagen am meisten über den Einfluss der Arbeitnehmer auf betriebliche Entscheidungen - ausschlaggebend ist das Land, in dem er angesiedelt ist, und das dort geltende Mitbestimmungsrecht.

Einiges zusätzliche Gewicht kommt daneben nur noch dem Anteil gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer im jeweiligen Unternehmen zu. Gleichwohl, die meiste Macht liegt überall beim Top Management - mit einer Ausnahme: Im ehemaligen Jugoslawien waren es die Arbeiterräte, die das Sagen hatten. Zu diesen Ergebnissen kamen die Psychologen Professor Bernhard Wilpert und Jörg Rayley, Technische Universität Berlin, im Rahmen des Forschungsprojekts "Industrial Democracy in Europe (IDE)", bei dem sowohl die rechtliche als auch die tatsächliche Lage der Mitbestimmung in acht westeuropäischen Ländern sowie in Jugoslawien und Israel vergleichend untersucht wurde.

Um die rechtlichen Ausgangsbedingungen in den zehn Ländern zu ermitteln und sie einander gegenüberzustellen, dienten als Quellen nicht nur Gesetze und Verordnungen, sondern darüber hinaus alle Bestimmungen, die im Falle eines Rechtsstreits um die Beteiligung einzelner Gruppen von Bedeutung wären: tarifvertragliche Regelungen, Betriebsvereinbarungen, formale Regelungen der Arbeitgeber wie Gesellschaftsverträge, Arbeitsverträge und Führungsrichtlinien, gewohnheitsrechtliche Übung und Gerichtsentscheidungen in Präzedenzfällen. Die Forscher beschränkten sich dabei nicht auf die traditionellen juristischen Methoden der Rechtsvergleichung, vielmehr stuften sie auf einer sechsteiligen Skala - beginnend von "Nicht-Beteiligung" bis hin zu "Alleinentscheidungsrecht" - ein, welche Mitbestimmungsrechte die verschiedenen betrieblichen Gruppen bei 16 wichtigen betrieblichen Entscheidungen haben.

Dabei kamen charakteristische Unterschiede zwischen den zehn Ländern zutage. Am häufigsten fanden sie, wie die Forscher in der Fachzeitschrift "Psychologie und Praxis - Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie" (1/83) berichten, das "hierarchische Zweigipfel-Muster", nämlich in Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Italien, Israel und der Bundesrepublik Deutschland. Hier gibt es gewissermaßen zwei Machtzentralen im Betrieb: Auf der einen Seite das Top Management beziehungsweise die Ebene darüber, Eigentümer, Aufsichtsrat etwa, auf der anderen den Betriebsrat beziehungsweise die Arbeitnehmervertretung. Das Übergewicht hat jedoch in all diesen Fällen die Unternehmensleitung; am ehesten stellen noch die deutschen Betriebsräte ein nennenswertes Gegengewicht dar, während zum Beispiel in Finnland die Rechte der Arbeitervertretung kaum noch ins Gewicht fallen. Noch schwächer stehen sich die Arbeitnehmer in den drei Ländern, in denen die Forscher ein "hierachisches Eingipfel-Muster" fanden: In Schweden, Norwegen und Frankreich liegt praktisch alle - juristische - Macht bei den Unternehmensleitungen. Genau umgekehrt verhält es sich in Jugoslawien, wo die gewählten Arbeiterräte mit deutlich höheren Beteiligungsrechten ausgestattet sind als alle anderen betrieblichen Gruppen. Für Großbritannien und Belgien schließlich sprechen die Psychologen von einem "Niedrigprofil-Muster": Dort stehen nach der Rechtslage keiner Gruppe besondere Mitbestimmungsrechte zu. Unterteilt man nach kurz-, mittel- und langfristigen Entscheidungen, kommt man zu einer weiteren interessanten Feststellung: Praktisch in allen Ländern, so die Forscher, wird der Einfluß der Beschäftigten der untersten hierarchischen Ebene und der Arbeitnehmervertretungen mit zunehmender Reichweite der Entscheidungen geringer, der Einfluß des Top Managements nimmt dagegen zu.

Um nun zu prüfen, wie weit die tatsächlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten mit der rechtlichen Lage übereinstimmen, interviewten die IDE-Forscher in 134 Groß-, Klein- und Mittelbetrieben insgesamt 7 832 Belegschaftsangehörige; zusätzlich wurden 997 "Schlüsselpersonen", die von Betriebsräten, Gewerkschaften und Unternehmensleitungen benannt worden waren, ausführlich befragt. Das Ergebnis zeigt, daß die Wirklichkeit sich recht gut aufgrund der formalen Beteiligungsregeln vorhersagen läßt. Vor allem der Einfluß der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen auf mittel- und langfristige Entscheidungen hängt offenbar stark von der Rechtslage ab: Je weniger Rechte, desto weniger Mitbestimmung - Mitbestimmung über den rechtlichen Rahmen hinaus gibt es kaum.

Als durchschlagendster Faktor unter den besonderen Merkmalen des einzelnen Unternehmens, wie Personalstruktur, Technologie, Organisationsform, Unternehmenserfolg, wirtschaftliches Umfeld, für das Maß der Mitbestimmung erwies sich der Mobilisationsgrad: Je höher der Anteil von Gewerkschafts- und vor allem Betriebsratsmitgliedern ist, desto höher ist auch der Einfluß der untersten Hierarchieebenen und der Arbeitnehmervertretung, desto geringer aber der Einfluß des Top Managements. Entgegen einer verbreiteten Annahme ist hingegen das Zahlenverhältnis von männlichen zu weiblichen Beschäftigten bedeutungslos. Auch die Größe des Unternehmens, die Anzahl der Hierarchie-Ebenen und die Strenge und Häufigkeit von Kontrollen spielt keine Rolle. Umfangreiche schriftlich festgehaltene Reglementierungen kommen verblüffender-weise sogar mehr den Arbeitnehmern als ihren Chefs zugute - sie binden sich mit ihren Regeln selbst und können nicht mehr frei entscheiden.

Je stärker die Produktion automatisiert ist, um so schlechter steht es um die Mitbestimmung - vielleicht ist das der Grund dafür, weshalb Dienstleistungsunternehmen aus der Sicht der Arbeitnehmer im Schnitt etwas besser dastehen als Betriebe der Metallverarbeitung. Der Unternehmenserfolg wirkt sich hingegen nicht aus, und das wirtschaftliche Umfeld auch kaum, nur ist bei einer besseren Wettbewerbsposition der Einfluß der Arbeitnehmer und des Betriebsrats ein bißchen höher und der des Top Managements etwas geringer. Unklar ist allerdings, ob sich da die Wettbewerbsposition auf die Einflußverteilung auswirkt oder umgekehrt.

Schlagworte:
Mitbestimmung, Arbeitsrecht, Vergleich, Internationaler Vergleich

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