Ich kann die positive Bewertung dieses Buchs leider nicht aufrecht erhalten, weil ich die ihm zugrunde liegende "Moderne Portfolio-Theorie" (MPT) inzwischen erstens für fragwürdig und zweitens für Privatanleger sogar für gefährlich halte.
Eine zentrale Behauptung der MPT ist, die Risiken einer Aktienanlage ließen sich durch eine breite internationale Diversifizierung erheblich reduzieren ließen. Das ist dann und nur dann richtig, wenn Branchen- und Länderrisiken weitgehend unkorreliert sind. Doch wie die jüngste Krise gezeigt hat, sind sowohl Branchen als auch Länder bzw. Weltregionen mittlerweile so eng verflochten, dass sie bei Krisen mehr oder weniger synchron in die Knie gehen. Damit ist der "Trick" der MPT, durch eine breite Diversifizierung das Risiko eines Aktienportfolios zu senken, leider hinfällig.
Weiterhin gilt die MPT nur auf lange Sicht. Privatanleger haben aber nicht immer beliebig lange Zeit, vor allem dann nicht, wenn ihr Portfolio der Alterssicherung dient, sondern brauchen ihre Erträge zu einer ganz bestimmten Zeit und nach Möglichkeit auch noch mit einiger Regelmäßigkeit. Es nützt ihnen daher nichts, wenn die Märkte in einigen Jahren wieder nach oben gehen, wenn sie gezwungen sind, heute mit Verlust zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Fragwürdig ist auch die Hypothese von den effizienten Märkten, nach der sämtliche derzeit verfügbaren Informationen über ein Unternehmen in Sekundenschnelle "eingepreist" werden, sodass es keine Chance gäbe, schlauer zu sein als der Markt. Interessanterweise gibt es aber immer wieder deutliche Preisänderungen, ohne dass neue Informationen bekannt geworden sind, wie die Wirtschaftspresse jeweils verdutzt konstatiert. Sollte das etwa bedeuten, dass "die Märkte" den richtigen Preis auch nicht so genau kennen?
In Wirklichkeit spiegelt der Preis wohl nicht so sehr den "wahren Wert" einer Aktie, das heißt die von ihr rationalerweise zu erwartenden künftigen Gewinnströme, sondern richtet sich schlicht nach Angebot und Nachfrage (was ja in Märkten gar nicht so ungewöhnlich wäre). Da aber niemand den "wahren Wert" kennt, kann es durchaus sein, dass der Preis mal höher und mal niedriger ist. Das gilt erst recht, als die Investoren ja die Preisbewegungen beobachten können und dadurch Schlussfolgerungen über die "Wertschätzungen" der anderen Anleger ableiten.
Das jedoch führt fast unweigerlich zu Selbstverstärkungseffekten sowohl im Positiven wie im Negativen: Im einen Fall steigt eine Aktie die von Apple schlicht, weil sie steigt – im anderen Fall liegt sie wie Blei oder fällt immer weiter, weil alle sehen, dass sie stagniert oder fällt. Mit Börsenweisheiten wie "Never catch a falling knife" halten sich die Investoren dann noch gegenseitig dazu an, mit der Folge, dass sich die "Irrational Exuberance" immer weiter hoch- oder herunterschaukelt. Wenn dann irgendwann der "Boden gebildet" bzw. die "Blase geplatzt" ist, geben alle ihre Ex-Post-Prognosen ab und haben es schon immer gewusst.
In solchen Märkten sollte es sehr wohl möglich sein, unterbewertete Aktien zu finden bzw. gegen überbewertete Papiere zu wetten. Allerdings sollte man dabei einen langen Atem haben, denn: "Die Märkte können länger irrational bleiben als deine Liquidität reicht."
Hier meine ursprüngliche Rezension vom 20.5.2006:
Nach einem geflügelten Wort kann es klüger sein, einen Tag über Geld nachzudenken als einen Monat hart zu arbeiten. Doch wenn es um Vermögensaufbau und private Geldanlage geht, handeln Menschen, die im Beruf durchaus kluge und bedachte Entscheidungen treffen, zuweilen völlig konzeptionslos. Die einen wollen jedes Risiko vermeiden und legen ihr Geld infolgedessen so sicherheitsorientiert an, dass ihnen nach Abzug der Inflationsrate kaum eine reale Verzinsung übrig bleibt. Die anderen lassen gelegentlich ihre Gier über ihren Verstand siegen, wenn ihnen ein cleverer "Vermögensberater" ein angeblich lukratives Investment verspricht, ohne sich auch nur die Frage zu stellen, aus welchem vernünftigen Grund ihnen jemand exorbitante Zinsen bezahlen sollte, wenn er sich das Geld bei jeder Bank günstiger beschaffen könnte. Viele ansonsten vernünftige Menschen glauben, dass sie, wenn sie nur die richtigen Aktien und Fonds herauspicken, schlauer sein könnten als der Markt – ohne es auch nur für möglich zu halten, dass jene heißen Informationen, die sie irgendwo gelesen oder gehört haben, längst "eingepreist", das heißt im Marktpreis der entsprechenden Anlage enthalten sind.
In diesem Buch erklärt Gerhard Kommer, der bereits mehrere lesenswerte Bücher über Geldanlage geschrieben hat und ein überzeugter "Indexer" (d.h. Anhänger von Indexfonds) ist, wie man langfristig eine ordentliche Rendite erzielen kann, ohne unkalkulierbare Risiken einzugehen (und ohne einen genialen Vermögensberater zu besitzen). In vier Schritten arbeitet er heraus, wie eine rationale Strategie der Geldanlage aussieht, die mit geringem Zeitaufwand zu realisieren ist und keine Spezialkenntnisse oder das ständige Studium von Unternehmensdaten oder Anlegermagazinen voraussetzt. Im ersten Schritt erläutert er, nach welchen Gesetzen Wertpapiermärkte tatsächlich funktionieren; dabei stützt er sich auf die "Moderne Portfoliotheorie" (MPT), nach seinen Worten die "einzige Investmenttheorie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt" (S. 10). Im zweiten Schritt werden "die 13 wichtigsten Irrtümer erläutert, die ein großer Teil der Finanzbranche verbreitet" und die viele Anleger ein Vermögen kosten. Im dritten Schritt unterstützt Kommer den Leser, seine gegenwärtige Anlagestrategie und sein Investmentwissen auf Fehler und Unstimmigkeiten zu überprüfen. Im vierten Schritt schließlich schlägt er eine leicht umsetzbare Anlagestrategie vor, welche "nicht auf Hoffnung und Gier, sondern auf wissenschaftlich gesicherten Einsichten gründet" (S. 11) Diese Strategie bietet keine Chance, den Markt zu schlagen, aber die Sicherheit, nicht hinter den Markt zurückzufallen, und dies zu äußerst geringen Kosten. Langfristig ist auf diese Weise eine Rendite von 10 – 12 Prozent zu erreichen.
Eine bahnbrechende Einsicht des amerikanischen Finanzwissenschaftlers Charles Ellis vermittelt Kommer gleich im 2. Kapitel, nämlich dass Geldanlage ein "Verliererspiel" ist. Diese aus der Sportwissenschaft stammende Einordnung bedeutet nicht, dass man dabei nur verlieren kann, sondern dass nicht, wie bei einem "Gewinnerspiel", diejenigen gewinnen, die die meisten richtigen Spielzüge machen, sondern diejenigen, welche die wenigsten Fehler machen. Bei "Gewinnerspielen" sind gelungene Einzelaktionen, kurzzeitige Spitzenleistungen, geniale Spielzüge und Risikofreude erfolgsentscheidend; bei Verliererspielen sind es Ausgeglichenheit, Kontinuität, Aufwandsminimierung und die Vermeidung von Fehlern. "Anleger investieren mehrheitlich so, als ob die Börse ein Gewinnerspiel sei. Diesen Irrtum bezahlen sie mit Langfristrenditen, die beträchtlich unter dem Wert eines korrekt ausgewählten Vergleichsindex liegen, und mit deutlich höheren Risiken (Wertschwankungen) als notwendig. Würden Anleger hingegen die Erfolgstechniken eines Verliererspiels verwenden, wären ihre Langfristrenditen höher und ihr Risiko geringer." (S. 12) Zwei Seiten später bringt er die praktische Konsequenz aus diesen Erkenntnissen auf den Punkt: "Diese Anlagestrategie lässt sich in Schlagworten wie folgt beschreiben: low cost, buy-and-hold, systematisch diversifiziert." (S. 14)
Eigentlich ist es das schon – der Rest des Buches sind eigentlich nur Erläuterungen und Vertiefungen dieser zentralen Aussage. Doch das rechtfertigt durchaus noch die folgenden rund 250 Seiten. In dem umfangreichen Kapitel "Wie die Wertpapiermärkte wirklich funktionieren" konfrontiert Kommer seine Leser mit zwei bitteren Forschungsbefunden. Erstens: Nur zwischen 5 und 40 Prozent aller aktiv gemanagten Fonds schlagen nach Kosten den jeweils relevanten Index. Und zweitens, noch schlimmer: Das sind fast jedes Mal andere – "es gibt praktisch keinerlei Performance-Konstanz und es ist unmöglich, 'Gewinnerfonds' im Voraus mit einer Treffsicherheit, die nennenswert über dem statistischen Zufall liegt, zu identifizieren." (S. 22) Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Trend zur Underperformance leisten die Transaktionskosten, die typischerweise bei etwa 2 – 3 Prozent des Anlagevolumens liegen und damit keineswegs zu vernachlässigen sind. Kommer gibt in diesem Kapitel eine ebenso schlüssige wie leicht nachvollziehbare Einführung in die "Modern Portfolio Theory" sowie in die "Efficient Market Theory". Letztere besagt, "dass Wertpapierkurse zu jedem Zeitpunkt alle verfügbaren Informationen über dieses Wertpapier enthalten." (S. 34) Neue Informationen werden binnen Minuten "eingepreist"; das gilt auch für Vermutungen, die er prägnant als "wahrscheinlichkeitsgewichtete Informationen" definiert. Der Versuch, klüger als der Markt zu sein, wird damit zu einem "glückspielartigen Unterfangen" (S. 34)), das, wie alle Glücksspiele, seinen Preis hat.
Die wichtigste Erkenntnis der MPT ist jedoch, dass Risiko und Rendite untrennbar gekoppelt sind und dass es nur eine Möglichkeit zur Risikoreduzierung gibt, die nicht auf die Rendite durchschlägt: Diversifikation. Der theoretische Idealfall für eine optimale Diversifikation wären Anlagen, die hoch negativ korrelieren, denn deren Schwankungen würden sich gegenseitig aufheben. Doch schon Anlagen, die nicht allzu hoch positiv korrelieren, senken das Risiko, ohne die Rendite zu belasten, deshalb ist Diversifikation in jedem Fall eine kluge Strategie. Entscheidend ist dabei nicht die Diversifikation innerhalb einer Asset-Klasse (also zum Beispiel innerhalb deutscher Aktien), sondern die zwischen verschiedenen Asset-Klassen (z.B. amerikanische vs. japanische Aktien): Nach gesicherten Forschungsbefunden bestimmt sie über 90 Prozent der Rendite!
"Dreizehn Irrtümer über Wertpapierinvestments" versucht Kommer in Schritt 2 auszuräumen. Das Spektrum reicht von "Die Transaktionskosten sind von untergeordneter Bedeutung" über "Die Renditeangaben der Finanzindustrie sind verlässlich" und "Ein gutes Unternehmen ist eine gute Aktie" bis zu "Fondsbewertungen (Ratings) haben einen Nutzen" und "Fondsmanager erbringen einen Mehrwert". Das ist harter Tobak aus der Feder eines aktiven Bankers, aber die Begründungen sind erschreckend schlüssig. Eilige Leser können dieses Kapitel selektiv lesen und sich vorerst auf diejenigen Irrtümer konzentrieren, die ihnen besonders plausibel erscheinen.
Im Kapitel "Überprüfen Sie Ihre derzeitige Anlagestrategie" geht Kommer sofort zum Frontalangriff auf gängige Glaubenssätze über: "Es gibt keine aktive Anlagestrategie, die funktioniert" (S. 128). Dem folgt "Den Markt schlagen zu wollen, ist keinen Versuch wert" (S. 138). In gleicher Weise zertrümmert er auch manch andere verbreitete Hoffnungen: "Mit Zukunftsbranchen kann man den Markt nicht outperformen" (S. 142), "Mit Neuemissionen (IPOs) ist kein Geld zu verdienen" (S. 144), "Einzelanlagen in Aktien sind für Privatanleger ungeeignet" (S. 148). Und, vielleicht am wichtigsten: "Langfristig sind mehr als 12 Prozent Bruttorendite bei vertretbarem Risiko nicht erreichbar." Vermutlich hätten viele Leute viel Geld sparen können, wenn sie diese nüchternen Gedanken nachvollzogen hätten, statt sich von selbsternannten "Money-Coaches" in ihrer Gier anstacheln zu lassen.
Im vierten Schritt geht es schließlich darum, "Wie man das Verliererspiel gewinnen kann". Auch hier kommt Kommer ohne lange Umschweife zur Sache und empfiehlt: "Passiv investieren mit Indexfonds" (S. 180). Dem folgt "Ein konkreter Vorschlag für ein Weltportfolio" (S. 185), das sich, soweit möglich, aus Indexfonds zusammensetzt, aber dort, wo es nicht anders geht (bzw. zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nicht anders ging), auch aktiv gemanagte Fonds enthält. Das mag verwundern, nachdem Kommer an den aktiven Fonds zuvor kein gutes Haar gelassen hat. aber es ist schon konsequent: Diversifikation ist nun einmal wichtiger als die Auswahl innerhalb ein- und derselben Asset-Klasse. Trotzdem lohnt es sich, statt der gedankenlosen Übernahme von Kommers Weltportfolio die Augen offen zu halten: In einigen Asset-Klassen sind mittlerweile neue Indexfonds hinzugekommen, und in den nächsten Jahren werden mit Sicherheit weitere folgen, da Indexanlagen stark im Kommen sind.
Den Schluss bilden "Zwanzig Gebote für rationale Anleger". Hierin fasst Kommer die zentralen Gedanken seines Buchs noch einmal prägnant und handlungsorientiert zusammen. Der Anhang enthält zahlreiche Informationsquellen für Privatanleger sowie ein umfangreiches Glossar. Obwohl sich das Buch mit Kommers früheren Werken "Weltweit investieren mit Fonds" (2001) und "Indexfonds und -zertifikate für Einsteiger (2000) überschneidet, kann es allen empfohlen werden, die bei ihren Geldanlagen weniger den Reiz des (Glücks)Spiels suchen als eine respektable Rendite mit möglichst wenig (unnützer!) Arbeit. Schade nur, dass die Anleitungen zur Umsetzung nicht den Konkretisierungsgrad seiner früheren Bücher haben, wo er zum Beispiel die kleinen, aber wichtigen Unterschiede zwischen Indexzertifikaten und Indexfonds herausarbeitet und zahlreiche praktische Tipps zum Vorgehen gibt. Nur deshalb vergebe ich nicht die Spitzennote.
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