Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Verantwortlicher Umgang mit von Entlassung Betroffenen

Steiner, Andreas; Maier, Gerald; Eisenbach, Dieter (2004):

Vor der Trennung ins Training: Chancen nach der Kündigung

Die Pfleiderer AG fördert die berufliche Neuorientierung und eventuelle Rückkehr von ausscheidenden Mitarbeitern

Personalführung 6/2004; 4 S. (54 – 57)


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 09.06.2006

Dass man auch bei Personalabbau anständig und sogar fürsorglich mit Mitarbeitern umgehen kann, zeigt dieser kurze Artikel: Die Pfleiderer AG bot den entlassenen Mitarbeitern mit großem Erfolg ein Trainingsprogramm zur beruflichen Neuorientierung an.

Wer an diesem Ansatz etwas zu mäkeln finden möchte, muss sich nicht verausgaben: Er könnte mit dem vielzitierten "sozialen Feigenblatt" beginnen und sich dann darüber ereifern, dass ein Unternehmen nicht nur Arbeitsplätze in Deutschland abbaut, sondern damit auch noch Marketing macht – und dass eine namhafte Fachzeitschrift im Personalwesen sich dafür hergibt, dies zu unterstützen. Doch wer immer hier zu einer Erektion des moralischen Zeigefingers neigt, möge bedenken, dass es für die betroffenen Mitarbeiter durchaus ein Unterschied ist, ob ihr Nicht-Mehr-Arbeitgeber sie einfach auf die Straße kippt oder ob er ihnen hilft, aktiv mit der Situation umzugehen und sich neu zu orientieren.

Dass die Pfleiderer AG dabei nicht von blankem Altruismus getrieben war, daran lässt der Artikel keinen Zweifel. Als Ziele des Programms nennt er unter anderem die "Senkung der Wiedereintrittsbarriere der Mitarbeiter bei einem eventuellen späteren Vertragsangebot", "proaktive Kommunikation nach innen und außen" und die "Vermeidung von Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten" (S. 55). Doch das scheint mir – auch in dieser Offenheit – eher positiv zu bewerten: Ein Unternehmen, das auf diese Weise Verantwortung beweist, handelt im Sinne eines "aufgeklärten Eigeninteresses": Es geht in Vorleistung, in der Hoffnung, dafür auch einen Nutzen zurückzubekommen: das Ansehen in der Öffentlichkeit, den Respekt der entlassenen Mitarbeiter, die Loyalität der verbleibenden Mitarbeiter. Auch wenn der Effekt kaum in Geld zu quantifizieren ist, dürfte dies den Interessen sämtlicher Betroffenen und Beteiligten sehr viel besser entsprechen als die verbreitete Haltung: "Was die Leute machen, wenn sie nicht mehr auf unserer Lohnliste stehen, ist ihre Sache."

Für diese Deutung spricht auch, dass das Projekt "Chancen" nach anfänglicher Skepsis auch vom Betriebsrat der Pfleiderer AG aktiv unterstützt wurde, was wiederum wesentlich zur Akzeptanz und dem Erfolg des Vorhabens beitrug. Die Umsetzung des Konzepts erfolgte in fünf Schritten. Im ersten wurde aus dem Basiskonzept für jeden Standort ein Feinkonzept entwickelt. Im zweiten wurden Mitarbeiter und Führungskräfte mit einem Flyer, unterschrieben vom Personalvorstand und Betriebsratsvorsitzenden, über die Maßnahme informiert und zu einem Informationstag vor Ort eingeladen. Der dritte Schritt bestand darin, dass die Berater den Teilnehmern bei diesen regionalen Informationstagen den Nutzen des Angebots vorstellten – beispielsweise Bewerbungsunterlagen vor und nach einem Bewerbertraining. Im Anschluss konnten "alle Anwesenden mit den Beratern in Einzelgesprächen ihre persönliche Situation als erste Standortbestimmung besprechen und sich erste geeignete Folgemaßnahmen empfehlen lassen." (S. 56) Auf diese Weise wurde auch bei anfangs skeptischen Teilnehmern eine sehr hohe Teilnahmequote erreicht.

Die Schritte 4 und 5 waren der eigentliche Kern des Programms. Schritt 4: "Das zielgruppenspezifische auf gewerbliche und kaufmännische Mitarbeiter ausgerichtete Bewerbertraining wird an zwei Tagen im Abstand von einer Woche durchgeführt, um einen Lernprozess zu initiieren und Eigeninitiative zu fördern. Führungskräften werden in der Regel Einzelcoachings angeboten. Thema des ersten Tages ist die Erstellung einer optimalen Bewerbungsmappe auf der Basis einer differenzierten Analyse des eigenen Werdegangs mit den bisherigen Aufgaben und Erfolgen. Durch vertiefende Hausaufgaben bereiten sich die Mitarbeiter auf das zweite Training vor, in dem sie sich durch Rollenspiele auf Vorstellungsgespräche einstimmen (...). Darüber hinaus können die Teilnehmer Termine für persönliche Beratungsgespräche vereinbaren" (S. 56).

In Schritt 5 wurden "regionale Job-Center" eingerichtet: "voll ausgestattete Büroräume, in denen die betroffenen Mitarbeiter mit modernem DV-Equipment Internetrecherchen betreiben, Bewerbungsunterlagen erstellen oder Jobbörsen einrichten können, sich in der einschlägigen Presse über den Arbeitsmarkt informieren oder Beratung und Unterstützung bei laufenden Bewerbungen erhalten. Hierfür steht einmal wöchentlich ein Berater für persönliches Coaching zu Verfügung." (S. 56) In Kurz-Workshops konnten spezielle Themen vertieft werden, wie zum Beispiel die Erschließung des verdeckten Arbeitsmarkts. Ein interessanter Ansatz ist auch der "Aufbau einer 'Kontakt-AG' mit bis zu 50 Personen aus dem eigenen Umfeld, die bei der Suche nach einer passenden Stelle unterstützen können." (S. 56) Integriert wurden auch Vorträge "von regionalen Arbeitsamtsexperten zur Job-Situation, von Referenten der BfA zum Thema Vorruhestand oder von Gründern einer Ich-AG, die mit pragmatischen Herangehensweisen Mut machen können, ähnliche Schritte zu gehen." (S. 57)

Einzeln für sich genommen ist keine dieser Maßnahmen besonders innovativ: Das allermeiste davon zählt zum Standard-Repertoire von Transfergesellschaften und Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose. Doch für die betroffenen Mitarbeiter kommt es ja nicht darauf an, an einer einzigartigen und hochinnovativen Maßnahme teilzunehmen, sondern schnell und pragmatisch Anleitung und Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Job bzw. einer Neuorientierung zu erhalten. Dabei scheint mir die unmittelbare zeitliche Nähe große Bedeutung zu haben: Die Betroffenen werden aktiv, schon bevor sie arbeitslos oder in eine Transfergesellschaft ausgegliedert werden. Das Feedback der Teilnehmer war denn auch ausgezeichnet.

Etwas arg bedeckt halten sich die Autoren allerdings, was den Erfolg ihres Programms betrifft: "Etliche Mitarbeiter haben bereits trotz des schwierigen Arbeitsmarktes noch innerhalb der Kündigungsfrist eine neue Tätigkeit gefunden. Und sie behalten ihr ehemaliges Unternehmen so gut in Erinnerung ..." (S. 57) So erfreulich das für jeden Einzelnen ist, der einen neuen Job gefunden hat, so sehr hätte ich mir hier doch konkrete Zahlen zu Vermittlungsquoten oder noch besser eine Verbleibsanalyse gewünscht, wie sie etwa die Stiftung Berufliche Bildung (www.sbb-hamburg.de) in Hamburg regelmäßig für ihre Teilnehmer erstellt.

Schlagworte:
Personalabbau, Entlassungen, Massenentlassungen, Arbeitssuche, Unterstützung, Trennungsmanagement

Plagiate dieser Website werden automatisiert erfasst und verfolgt.