Wer dieses Buch gekauft hat, um aus den Erfahrungen erfolgreicher Vorreiter zu lernen, wie er Reengineering erfolgreich umsetzen kann und auf welche Fallstricke es zu achten gilt, wird enttäuscht: stattdessen Eigenlob und makellose Erfolgsstories.
An sich ist es durchaus eine gute Idee, einige mustergültige Beispiele für "erfolgreiche Reengineering-Praxis" zusammenzustellen auf diese Weise, wie der Untertitel in schöner Bescheidenheit verheißt, "die Vorbildunternehmen" vorzustellen. Das Problem dabei ist dabei nicht nur die Identifikation und Beurteilung dieser Vorbildunternehmen, sondern auch und vor allem die Tendenz zur Glorifizierung, die diesem Ansatz innewohnt – und die damit verbundene Gefahr der Hofberichterstattung.
Auch wenn der Text darüber keine Auskunft gibt, scheinen die Autoren den insgesamt 13 Firmen, die in diesem Buch portraitiert werden, erhebliche Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt zu haben. Jedenfalls sticht die Tendenz ins Auge, nicht nur auf Kritikpunkte, sondern selbst auf die Beschreibung kritischer Projektphasen möglichst zu verzichten und das Objekt der Berichterstattung in bestmöglichem Licht erscheinen zu lassen. So verständlich dies aus Sicht der teilnehmenden Firmen ist – wer möchte seine Firma schon öffentlich als abschreckendes Beispiel portraitiert sehen?! –, so unergiebig und langweilig sind solche Lobpreisungen für den Leser. Auch wenn er den Kollegen ihre Erfolge durchaus gönnt, lässt sich aus solchen "fehlerbereinigten" Erfolgsstories doch herzlich wenig lernen.
Zum Beleg einige Zitate, etwa aus dem Porträt einer sächsischen Kosmetikfabrik: "Florena war der erste Kosmetik-Betrieb in ganz Deutschland, der seine Zertifizierung nach ISO 9001 erhielt: Die Qualitätssicherung ist mustergültig. (...) das Reengineering der Organisation lief parallel zum Neuaufbau der Technik. Eine Leistung, die das Adjektiv 'außergewöhnlich' verdient hat. (...) Zu den Aktivposten gehörte eine qualifizierte, willige und motivierte Belegschaft, die hinter dem Konzept des Management Buy-Out (MBO) stand ..." (S. 112 f.)
Über die Gebr. Happich GmbH lesen wir: "Den strategischen und organisatorischen Wandel bei der Wuppertaler Happich-Gruppe als vorbildlich zu bezeichnen, ist nicht übertrieben. In sehr kurzer Zeit wurde der traditionsreiche Automobilzulieferer (...) in einen schlanken und schlagkräftigen Konzern umgebaut, der sich heute mit Fug und Recht einen Systempartner für die Automobilindustrie nennen kann." (S. 127) Nach längeren Ausführungen über diese strategische Neuausrichtung wird ein Dr.-Ing. Gerd Siekmann fettgedruckt zitiert mit der bahnbrechenden Aussage: "Nur mit einem kontinierlichen Verbesserungsprozess kann es gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu verstärken." (S. 135) Wenig später wird derselbe bis dato unbekannte Guru noch einmal hervorgehoben zitiert mit dem Satz: "Unser Maßnahmenkatalog kann nicht als vorübergehende Zusatzaufgabe aufgefasst werden. diese grundsätzlichen Veränderungen bedeuten neues Denken. Das muss von jedem Mitarbeiter positiv angenommen werden." (S. 139) Aber wer ist dieser Dr.-Ing. Gerd Siekmann? Erraten: Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Gebr. Happich GmbH.
Einige der Fallstudien geben wenigstens ein bisschen Einblick in Methodik und Vorgehensweise, doch selten geht das tief genug, um daraus für allfällige eigene Veränderungsvorhaben lernen zu können. Daher würde ich diesen Titel im Resümee nicht der Rubrik Sachbücher zuordnen, sondern eher der Kategorie Imagebroschüren. Offen bleibt lediglich, weshalb man so etwas lesen sollte.
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