Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Ungereimter Dogmatismus statt den Naturgesetzen der Führung

Cube, Felix von (2006):

Lust an Leistung

Die Naturgesetze der Führung

Piper (München) 1998, Sonderausgabe 2006; 169 S.; 9,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 2 / 7

Rezensent: Winfried Berner, 17.12.2006

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Die "Naturgesetze der Führung" verspricht vollmundig ein Autor, der sich als "Verhaltensbiologe" ausgibt, aber nur oberflächliche Kenntnisse von Biologie und Verhaltensforschung erkennen lässt. Ein biologisch verbrämtes Vorurteils-Potpourri.

Bei diesem Buch fällt es mir schwer zu entscheiden, ob ich lachen oder weinen soll. Sein Autor gibt sich als "Verhaltensbiologe" aus, ist aber in Wirklichkeit ein mittlerweile emeritierter Pädagogik-Professor, der in den sechziger Jahren ein paar Bücher über Lernen und programmierten Unterricht geschrieben hat, was damals der letzte Schrei war (und sich heute als Vorläufer des "Computer-Based Training" einordnen lässt). In den siebziger Jahren scheint er sich, möglicherweise auf der Suche nach einer wissenschaftlich begründbaren Gegenposition zur Studentenbewegung, in Konrad Lorenz verliebt zu haben, der damals ja ein wortgewaltiger Kämpfer des wertkonservativen Lagers war. Und ähnlich wie Lorenz nimmt er es mit der Trennung von wissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Bekenntnis nicht allzu genau, doch anders als Lorenz fehlt von Cube nicht nur der bewundernswerte, ewig-neugierige Forscherdrang, der Konrad Lorenz noch mit weit über Achtzig auszeichnete – ihm fehlt auch das biologische und/oder ethologische Fundament für seine weitreichenden Behauptungen. Stattdessen neigt von Cube zu einem begrifflich wie gedanklich unsauberen Dogmatismus, der sich wenig darum schert, wie er einige Seiten oder Zeilen zuvor noch argumentiert hat; Hauptsache, es kommt die richtige Schlussfolgerung heraus.

Nun kann man zum Biologen oder Verhaltensforscher natürlich nicht nur durch ein formales Studium werden – aber eines gewissen Studiums (im Sinne einer sorgfältigen und umfassenden Einarbeitung in das jeweilige Fachgebiet) bedarf es halt schon. Und da wirkt es etwas ärmlich, wenn die Literaturverzeichnisse der Cube-Bücher hauptsächlich aus populären Sachbüchern der sechziger bis achtziger Jahre bestehen, ergänzt nur um ein paar neuere, hauptsächlich gesellschaftspolitische Werke, aber praktisch ohne Verweise auf wissenschaftliche Originalliteratur. Weder angrenzende Disziplinen der Biologie noch neuere Entwicklungen der Verhaltensbiologie scheint er zur Kenntnis genommen zu haben; zumindest findet sich davon nichts in seiner Argumentation wieder. Und obwohl er sich gern auf Konrad Lorenz beruft, vermittelt er nicht den Eindruck, dessen anspruchsvollere Werke wie "Die Rückseite des Spiegels" wirklich durchdrungen zu haben. Es scheint, dass er nach der Lektüre einiger früher Sachbücher zur Verhaltensforschung genug "wusste", um ein wenigstens ihn selbst zufriedenstellendes Fundament für seine Argumentation zu haben. Da hat der Herr Professor, der sonst (zu Recht!) nicht müde wird, vor den Gefahren der Verwöhnung zu warnen, offenbar selbst einen recht verwöhnten Weg gewählt, sich "Lust (des Expertenstatus) ohne Leistung" zu verschaffen!

Im Zentrum von Cubes privater "Verhaltensbiologie" stehen die Triebe. Auf sie baut er sowohl seine Erziehungs- als auch seine Führungslehre auf. Zwar bedürfte es einer Begründung, weshalb die Triebe eine so zentrale Rolle haben und weshalb sie alleine als Fundament ausreichen – aber prinzipiell ist das legitim und einen (Denk)Versuch wert. Leider ist er dabei sowohl sprachlich als auch gedanklich ausgesprochen ungenau. Zwar unterscheidet er fünf Kriterien, an denen er festmacht, ob etwas ein Trieb ist, doch grenzt er Triebe weder von anderen Motivationsquellen ab noch prüft er bei dem von ihm selbst identifizierten Trieben, ob sie all seine fünf Kriterien erfüllen. So kommt er zu so kuriosen Trieben wie dem "Bindetrieb" – ohne auch nur die Frage zu diskutieren, ob zum Beispiel das Kriterium der "lustvollen Endhandlung" erfüllt ist, das er wenige Seiten zuvor zum Wesensmerkmal jeden Triebs erklärt hat. Keinerlei Beachtung schenkt er der Frage, ob denn in diesem Fall das schlagartige Nachlassen der Triebspannung nach Vollzug der Endhandlung zu beobachten ist oder eine Refraktärphase, in der dieser Trieb nicht ansprechbar ist.

Ebenfalls sehr eigenwillig ist seine Theorie, den "Neugiertrieb", den er befremdlicherweise mit dem Sportklettern in Verbindung bringt: Wer klettert denn aus Neugier?!, mit dem "Sicherheitstrieb" zu erklären – und anschließend Mihaly Csikszentmihalyi, den er vielfach zitiert, gönnerhaft zu belehren: "Er beschreibt das 'Flow-Erleben' sehr ausführlich, aber er kann keine Erklärung dafür geben. Dies gelingt mit Hilfe der Verhaltensbiologie: Das Flow-Erlebnis ist die Lust des Sicherheitstriebes!" (S. 29) Dass er die gesamte Triebtheorie durcheinander bringt mit seiner Idee, den einen Trieb auf einen anderen zurückzuführen, fällt ihm offenbar nicht einmal auf. Auch bei der Neugier kann man fragen, worin denn die lustvolle Endhandlung und die Refraktärphase bestehen. Wie auch immer: Die Freude am Klettern oder anderen exzellent beherrschten Leistungen entspringt wohl kaum der Neugier, sondern eher dem, was die alte Psychologie schlicht als "Funktionslust" bezeichnet hat, bevor Csikszentmihalyi dafür den Begriff Flow einführte. Bei all diesen Motiven mag man trefflich darüber streiten, ob es sich dabei um Triebe im biologischen Sinne handelt. Ich werde mich aus diesem Streit heraushalten, bis mir jemand erklärt, für welchen praktischen Zweck diese Unterscheidung nützlich ist.

Wie wenig von Cube mit neueren Erkenntnissen der Biologie vertraut ist, zeigt sich etwa, wenn er in beinahe schon bewundernswerter Selbstherrlichkeit die gesamte Soziobiologie vom Tisch fegt: "Damit findet die Behauptung der Soziobiologen, Tiere verhielten sich so, dass sich ihre Gene maximal verbreiteten, eine viel einfachere Erklärung: Den Tieren geht es (selbstverständlich) nicht um die größtmögliche Verbreitung ihrer eigenen Gene – das sind metaphysische Vorstellungen –, sie versuchen schlicht, den Sexualtrieb möglichst häufig und möglichst lustvoll zu befriedigen. Diejenigen, die dies besonders gut können, bekommen logischerweise die meisten Nachkommen." (S. 24) Nun nützt es nichts, viele Nachkommen zu haben, wenn diese das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreichen. Deshalb gilt Cubes Behauptung allenfalls für Überflusssituationen, nicht für den biologischen Normalfall knapper Ressourcen. Genau deshalb verzichten sowohl Menschen als auch Tiere unter bestimmten Umständen auf eigene Fortpflanzung und unterstützen stattdessen ihre Geschwister und deren Nachkommen – und zwar entsprechende dem Verwandtschaftsverhältnis genau dann, wenn deren Überlebenswahrscheinlichkeit mehr als doppelt so hoch ist als es die eigener Nachkommen wäre. Auch ohne jede Metaphysik und ohne bewusst-rationales Kalkül des Individuums erringen einfach diejenigen Lebewesen den höchsten Marktanteil im Genpool, die sich so verhalten, dass sich ihre Gene optimal verbreiten.

Gedankliche Schludrigkeiten häufen sich in diesem Buch in einer Dichte, dass weitere Aufzählungen nichts bringen würden. Das müsste bei jedem Sachbuch zu deutlichen Abschlägen in der Bewertung führen – besonders inakzeptabel ist aber es bei einem Buch, das in ausgesprochen rigider, unduldsamer Diktion den Anspruch erhebt, die "Naturgesetze der Führung" zu begründen. Nachsicht ist hier nicht am Platz: Wer den Anspruch erhebt, das naturwissenschaftliche Fundament der Führung zu liefern, muss sich auch an diesem Anspruch messen lassen.

Damit will ich keineswegs sagen, dass alles Unsinn ist, was Felix von Cube in diesem Buch schreibt. Mit etlichen seiner praktischen Empfehlungen zum Thema Führung würde ich, und würden vermutlich viele Experten übereinstimmen. Insbesondere die Kapitel 2 "Irreführung in Herrschaftssystemen: Lustversprechen und Diktatur" und 3 "Irreführung in der Demokratie: Massenverwöhnung und Egogesellschaft" liefern trotz aller Ungereimtheiten allerhand Stoff zum Nach- und Weiterdenken. Aber der Grad der Übereinstimmung – Michael Löhner würde charmant formulieren: der Vorurteilskongruenz – kann ja kein Kriterium für die Besprechung eines Werkes sein, das den Anspruch wissenschaftlicher Fundierung erhebt. Das zentrale Problem dieses Buches ist und bleibt, dass das Fundament nicht trägt, auf dem das gesamte Gebäude aufbaut. Alles, was darauf aufbaut, scheitert an dem formallogischen Problem, dass aus einer unzutreffenden Prämisse beliebige Schlüsse abgeleitet werden können, falsche wie richtige. Was hilft es da, wenn manche Aussagen plausibel klingen?

Auf die "Naturgesetze der Führung" müssen wir also weiter warten. Bis dahin halten wir uns am besten an die tiefe Weisheit hinter der Frage unserer Edeka-Kassiererin: "Haben Sie's nicht etwas kleiner?"

Schlagworte:
Führung, Verhaltensbiologie

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