Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Kooperation ist sowohl der Konkurrenz als auch der Einzelarbeit überlegen

Johnson, David W.; Maruyama, Geoffrey; Johnson, Roger; Nelson, Deborah; Sko (1981):

Effects of Cooperative, Competitive, and Individualistic Goal Structures on Achievement

A Meta-Analysis

Psychological Bulletin Vol. 89, S. 47 - 62


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 25.11.2007

Eine methodisch sehr sorgfältige Metaanalyse über 122 Studien aus den Jahren 1924 bis 1980, aus der hervorgeht, dass Kooperation beinahe unabhängig von den Rahmenbedingungen sowohl der Konkurrenz als auch der Einzelarbeit überlegen ist.

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir glauben, hat vor beinahe 150 Jahren der britische Philosoph William Kingdon Clifford (1845 – 1879) postuliert – und damit Tumulte in der ehrwürdigen Londoner Metaphysical Society ausgelöst. Laut Clifford handelt, wer leichtfertig und ohne es überprüft zu haben, Falsches glaubt, nicht weniger verwerflich als jemand, der vorsätzlich Schaden anrichtet. Dieser Gedanke klingt heute kaum weniger revolutionär als vor 150 Jahren. Wir scheinen es geradezu als Grundrecht zu betrachten, unter Berufung auf die Meinungsfreiheit ungeprüft beliebigen Unsinn glauben und äußern zu dürfen. Doch gibt es auch Gegenbewegungen, wie etwa das Toyota Production System (TPS): Dort gibt es das Prinzip des genchi genbutsu, das heißt die Verpflichtung, sich persönlich und aus erster Hand ein Bild von der Sachlage zu machen, bevor man sich äußert, und nur auf der Basis geprüfter Fakten zu entscheiden.

Doch gerade bei fundamentalen Fragen, die die Tragpfeiler ganzer Führungssysteme und Wettbewerbsstrategien sind, ist es oft leichter gesagt als getan, sich durch Überprüfung der Fakten ein eigenes Bild von der Realität zu machen. Wie soll zum Beispiel ein Vertriebsmanager überprüfen, ob Wettbewerb zu besseren Leistungen führt oder Kooperation? Er kann seinen Vertrieb ja schlecht in eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe unterteilen und dann nach ein paar Wochen oder Monaten die Ergebnisse vergleichen.

In dieser Situation kann man für eine Fleißarbeit wie die vorliegende nur dankbar sein. Die Forschergruppe von der University of Minnesota hat insgesamt alle 122 Studien analysiert, die zwischen 1924 und 1980 in den USA erschienen sind, und ihre Ergebnisse mit aufwändigen statistischen Verfahren verglichen. Neben der "voting method", bei der sie einfach die signifikanten statistischen Befunde der einzelnen Untersuchungen auszählten, verwendeten sie die "effect-size method", mit der sie auch die Stichprobengröße und die Effektstärke der einbezogenen Untersuchungen berücksichtigen konnten, sowie die "z-score method", welche die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmt, dass die Ergebnisse sämtlicher Untersuchungen dem Zufall zu verdanken sind. Das klingt zunächst etwas bizarr, hat aber bei näherem Hinsehen durchaus etwas für sich. Denn der Grad an kumulierter Unwahrscheinlichkeit, der auf diese Weise errechnet wird, ist ein gutes Maß für die Verlässlichkeit und Stabilität der getroffenen Aussagen. Allerdings waren nicht allen Studien die für diese Berechnung erforderlichen Angaben zu entnehmen, sodass die errechneten Zahlen die tatsächliche Aussagekraft noch unterschätzen.

Metaanalysen bringen es prinzipbedingt mit sich, dass Äpfel mit Bananen verglichen werden: Sie subsumieren durchaus unterschiedliche Fragestellungen und Forschungsansätze unter eine abstrakte Problemstellung: in unserem Fall unter einen Effektivitätsvergleich kooperativer, kompetitiver und individualistischer Vorgehensweisen. In den Originalarbeiten ging es im einen Fall um das Lösen von Anagrammen, im anderen um das Erlernen mathematischer Fähigkeiten, in einem dritten um akademische Leistungen und in einem vierten um Sport – könnte es da nicht sein, dass in manchen dieser Fälle Kooperation das überlegene Prinzip ist, in anderen Wettbewerb und in wieder anderen individuelles Arbeiten? Doch, das könnte sein – und wenn es so wäre, würde sich das in der Metaanalyse in diffusen Ergebnissen niederschlagen. Dann würde sie kein einheitliches Bild liefern, sondern eine Bilanz widersprüchlicher Befunde, die nach der Erklärung durch zusätzliche Variablen – wie etwa dem Aufgabentypus – schreien. Wenn die Ergebnisse hingegen trotz unterschiedlichster Aufgabenstellungen und experimenteller Designs relativ homogen wären, spräche das dafür, dass das abstrakte Prinzip durchgängig gilt, weitgehend unabhängig von dem jeweiligen experimentellen Setting.

Und genau das scheint bei der vorliegenden Fragestellung der Fall zu sein. In kompetitiven Kategorien gesprochen, ist Wettbewerb klar der "Loser" gegenüber der Kooperation. Nach der Voting Method schlägt Kooperation den Wettbewerb mit 65 zu 8, gemessen an der Zahl der Studien, in denen sich das jeweilige Vorgehen als überlegen erwies; 36 Studien stellten keinen signifikanten Unterschied fest. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gesamtergebnis durch Zufall zustande gekommen ist, ist extrem gering: Um dieses Ergebnis zu neutralisieren, wäre es erforderlich, dass 7.859 Studien keinen signifikanten Unterschied erbringen. Eine höhere Verlässlichkeit kann in der Metaanalyse lediglich der Vergleich von kooperativem und individualistischem Vorgehen verbuchen: Hier gewinnt die Kooperation mit 108 zu 6 (bei 42 Unentschieden). Und es wären 27.998 Untersuchungen ohne signifikantes Ergebnis erforderlich, um diesen Vorsprung zu neutralisieren. In beiden Fällen lag der durchschnittliche Vorsprung der Versuchspersonen in der kooperativen Bedingung bei 0,75 Standardabweichungen – das sind Welten, wenn man weiß, wie gering statistisch (gerade noch) signifikante Differenzen in psychologischen Untersuchungen zuweilen sind.

Alle übrigen Vergleiche, die David Johnson und Kollegen anstellten, sind von deutlich geringerer Durchschlagskraft. Kooperation in Konkurrenz zu anderen Gruppen ist effektiver als individualistisches Arbeiten: Das Voting endet 20 zu 1 bei 10 Unentschieden; der typische Leistungsunterschied ist eine halbe Standardabweichung, und es wären 1.356 ergebnislose Untersuchungen notwendig, um den Befund zu neutralisieren. Kooperation in Konkurrenz zu anderen Gruppen ist mit 19 zu 3 effektiver als individuelle Konkurrenz; die typische Leistungsdifferenz sind 0,4 Standardabweichungen, und es wären "nur" noch 430 ergebnislose Untersuchungen erforderlich, um diese Aussage hinfällig zu machen. 380 insignifikante Untersuchungen würden reichen, um den Vorsprung des individualistischen Vorgehens gegenüber dem kompetitiven auszulöschen (Voting: 12 zu 9). Wie die Voting-Zahlen allerdings zeigen, wurden die beiden zuletzt genannten Konstellationen nur in wenigen Untersuchungen erfasst. Keine signifikante Differenz erbrachte die Metaanalyse schließlich für den Vergleich von rein kooperativen Strategien und der Kooperation bei Konkurrenz zwischen Gruppen. Auch hier sind die Fallzahlen gering: Nur 13 der 122 Studien erfassten diese Konstellation überhaupt.

Trotz der beachtlichen Homogenität der Ergebnisse ist eine spannende Frage die nach Moderator¬variablen: Gibt es Einflussfaktoren, die den Effizienzvergleich von Kooperation, Wettbewerb und Alleingang beeinflussen? Gibt es Bedingungen, unter denen Wettbewerb trotz seiner unbestreitbaren Niederlage im Einzelfall doch überlegen ist? Und wenn ja, was wären diese? Das jeweilige Anwendungsgebiet ist es jedenfalls nicht: "Subject area (...) was found to be unrelated to each of the dependent variables" (S. 52). Eher scheint es die "task interdependance" zu sein: Sie korreliert hochsignifikant positiv mit dem Vorsprung der Kooperation gegenüber dem Wettbewerb. Das ist plausibel, denn bei hoher gegenseitiger Abhängigkeit dürfte es sich besonders fatal auswirken, wenn die Mitspieler ihr Ziel nur zu Lasten ihrer Kollegen erreichen können. Auch der Aufgabentypus und die Gruppengröße weisen signifikante Korrelationen aus: "The smaller the group, the greater the superiority of cooperation over competition" (S. 53). Aufmerksamkeit verdient der "Type of task (concept attainment, verbal problem solving, catagorization, spatial problem solving, retention and memory, motor, guessing-judging-predicting, and rote decoding and correcting). The significant effects, although relatively week, indicate that simple rote decoding and correcting tasks do not favor cooperation (compared with competitive and individualistic effort)." (S. 54)

Obwohl für das Aufgabengebiet keinerlei signifikante Effekte festgestellt werden konnte, hinterlässt ein Blick auf die untersuchten Anwendungsfelder doch ein gewisses Unbehagen, wenn man über die Übertragung auf berufliche Zwecke nachdenkt. Als untersuchte Subject Areas zählen die Autoren auf: "Language arts, reading, math, science, social studies, psychology, and physical education" (S. 54). Es fällt schmerzlich auf, dass hier keinerlei im engeren Sinne beruflichen Anwendungsfelder genannt werden: weder administrative Tätigkeiten noch Produktion (Akkordarbeit!) noch Verkauf, der ja ein klassisches Feld für wettbewerbsorientierte Anreizgestaltung ist. Zwar kann man mit hoher Plausibilität vermuten, dass die allgemeine Gesetzmäßigkeit, die diese Metaanalyse identifiziert hat, auch hier gilt. Doch bleibt das eine Vermutung – es fehlt der empirische Beweis. Doch dieses Manko ist am wenigsten den Autoren dieser Metaanalyse vorzuwerfen: Es weist auf einen blinden Fleck der ganzen Forschungslandschaft hin. (Denkbar wäre, dass es solche Untersuchungen sehr wohl gibt, weil sie ja von größtem praktischem Interesse sind, dass sie aber von Firmen finanziert wurden und unter Verschluss gehalten werden, weil die daraus gewonnenen Erkenntnisse ja das Potenzial für langfristige Wettbewerbsvorteile haben könnten.)

Die wesentlichen Erkenntnisse ihrer Metaanalyse fassen die Autoren wie folgt zusammen:

1. "Cooperation is superior to competition in promoting achievement and productivity.
2. Cooperation is superior to individualistic effort in promoting achievement and productivity.
3. Cooperation without intergroup competition promotes higher achievement and productivity than cooperation with intergroup competition.
4. There is no significant difference between interpersional competitive and individualistic goal structures on achievement and productivity." (S. 56f.)

Was lernen wir daraus? Vor allem sicherlich, dass die Kraft der Kooperation weitaus stärker ist als sie gerade in vielen Wirtschaftsunternehmen gesehen wird. Immerhin erweist sie sich in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle als überlegen, und dies mit deutlichem Vorsprung. Trotzdem ist es nach wie vor populär, Teamarbeit als Rückzugsgebiet für Drückeberger und Minderleister zu desavouieren: "Was bedeutet TEAM? – Toll, Ein Anderer Machts!"

Trotzdem bleibt eine Restunsicherheit, erstens weil es völlig an berufsbezogenen Fragestellungen fehlt, zweitens weil immerhin in acht Fällen der gegenteilige Effekt festgestellt wurde und weil in weiteren 36 Fällen kein signifikanter Unterschied nachgewiesen wurde. Zwar wäre denkbar, dass hier ein "Versuchsleitereffekt" wirksam war, dass also ein "wettbewerbsfreudiger" Versuchsleiter die Ergebnisse unbeabsichtigt im Sinne seiner Theorie beeinflusst hat. Doch könnte dieser Effekt in anderen Untersuchungen in umgekehrter Richtung gewirkt haben, sodass beide in Summe nur zu einem höheren "Rauschpegel" in der Datenlage geführt hätten. Gravierender erscheint mir die Möglichkeit, dass die gegenläufigen Ergebnisse eine systematische Ursache haben könnten: Es ist nicht restlos auszuschließen, dass hier eine unentdeckte Moderatorvariable dazwischenfunkt. Dieser Verdacht wäre nur durch eine erneute Analyse derjenigen Originalstudien liefern, die insignifikante oder gegenläufige Befunde erbracht haben. Da die Metaanalyse jedoch keine Angaben darüber macht, welche Studien das waren, ist das selbst für außergewöhnlich fleißige Naturen kaum leistbar – zumal die Wahrscheinlichkeit groß ist, nicht mehr herauszufinden als die Metaanalyse auch, die ja immerhin 16 Moderatorvariablen mit analysiert und einige weitere wegen unzureichender Angaben in den Originalarbeiten ausgeklammert hat.

Insgesamt ist dies eine Arbeit, an der ich nicht weiß, was ich mehr loben soll: Den großen Fleiß und die methodische Sorgfalt, mit der sie erstellt wurde, oder den enormen praktischen Nutzen, den sie ihren Lesern bietet. Immerhin nimmt sie ihnen nicht nur die Syssiphusarbeit ab, sich durch die Originalarbeiten zu lesen, sondern reichert die dokumentarische Fleißarbeit zudem mit erheblicher eigener Wertschöpfung an, indem sie sowohl die nach Stichprobengröße gewichteten Effektstärken ermittelt als auch die kumulierte Stabilität und Verlässlichkeit der Ergebnisse. Bedauerlich nur, dass sie schon mehr als ein Vierteljahrhundert alt ist: Auch wenn sich an der Natur des Menschen in der Zwischenzeit wohl nichts Grundlegendes geändert hat, wäre durchaus denkbar und zu hoffen, dass neuere Untersuchungen zusätzliche Einsichten in das Verhältnis von Kooperation und Wettbewerb gebracht haben.

Schlagworte:
Kooperation, Konkurrenz, Wettbewerb, Einzelarbeit, Vergleich, Metaanalyse, Empirische Forschung

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