Selbst die Politik, die sonst um schwierige Zukunftsthemen einen weiten Bogen macht, sieht den Klimawandel mittlerweile als ernstes Problem an. Doch nun treten "Klimaskeptiker" auf den Plan, die teils das Problem, teils den Handlungsbedarf bestreiten
Als Laie, der unvermeidlich jeder von uns auf den meisten Fachgebieten ist, hat man kaum die Möglichkeit, sich ein belastbares eigenes Urteil zu allen wichtigen Fragen unserer Zeit zu bilden. Auf den meisten Gebieten sind wir darauf angewiesen, auf das zu vertrauen, was uns die Medien als Resultate der Diskussion der jeweiligen Fachwissenschaft widerspiegeln. Wenn Entscheidungen von großer Tragweite anstehen, ist von besonderem Interesse, ob die Fachwelt übereinstimmt oder ob es zur jeweils "herrschenden Meinung" begründete abweichende Sichtweisen gibt. Der vierhundertste Wissenschaftler, der sich der Mehrheitsmeinung anschließt, ist daher für die Medien und ihre Leser von weit geringerem Interesse als der oder die ersten, die eine Gegenposition vertreten. Genau dies schafft leider einen fatalen Anreiz, dem sowohl viele Journalisten als auch etliche Wissenschaftler erliegen: Es nutzt der eigenen Auflage bzw. Bekanntheit weit mehr, eine "Gegenmeinung" zu vertreten, als sich dem Mainstream anzuschließen – und zwar unabhängig davon, wie eindeutig die jeweilige Beweislage ist und wie gut die eigenen Argumente sind.
Auch in der aktuellen Klimadiskussion scheinen dieser Verführung etliche Wissenschaftler und Journalisten erlegen zu sein. Wie einer der Leitautoren des 4. IPCC-Berichts (2007), der Potsdamer Physikprofessor Stefan Rahmstorf, in diesem Artikel ebenso flüssig wie überzeugend darlegt, handelt es sich bei der momentanen Debatte, ob es einen menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt und ob er eingedämmt werden muss, um eine Scheindebatte, die ziemlich wenig mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Daten, Ansätzen und Theorien zu tun hat, sondern aus Vermarktungsmechanismen heraus in den Medien, für die Medien und durch die Medien inszeniert wird. Bei wissenschaftlichen Debatten geht es um Daten und Zusammenhänge, um Fakten, die Theorien untermauern oder widerlegen: Sie sind es, die den Fortschritt der Wissenschaft treiben. Nutzlos bis schädlich hingegen sind Debatten, die entstehen, weil manche der Beteiligten gesicherte Fakten entweder hartnäckig nicht zur Kenntnis nehmen oder sie sogar aktiv so verfälschen, dass sie zu anderen Schlussfolgerungen führen würden, wenn sie denn zuträfen. Rahmstorf vergleicht diese gewerbsmäßigen Klimaskeptiker mit den amerikanischen Kreationisten: "Wer einmal versucht hat, sachlich mit 'Klimaskeptikern' zu diskutieren, der weiß, dass sie keineswegs einen gesunden Skeptizismus pflegen, sich also (wie die meisten Wissenschaftler) nur durch gute Belege von etwas überzeugen lassen. Im Gegenteil: Ähnlich wie Kreationisten haben sie eine festgefahrene Meinung zum Thema, die sich durch kein Sachargument erschüttern lässt. Sie klammern sich an jeden argumentativen Strohhalm, mit dem sich das Klimaproblem verleugnen und die Öffentlichkeit verwirren lässt." (S. 898)
Rahmstorf nimmt sich in diesem Artikel einige prominente "Klimaskeptiker" vor und zerpflückt ihre Argumente. Der Journalist Dirk Maxeiner zum Beispiel versteht es nach seinen Worten glänzend, Dinge so darzustellen, dass die Aussagen formal korrekt sind, den Leser aber zu falschen Schlussfolgerungen führen: "97 Prozent der jährlichen Kohlendioxidemissionen entstammen der Natur, etwa drei Prozent der Verbrennung fossiler Rohstoffe durch den Menschen." (S. 900) Die Zahl suggeriert, dass die Öl-, Gas- und Kohleverbrennung nahezu unbedeutend sei gegenüber dem natürlichen CO2-Umschlag. Ist sie aber keineswegs, denn der natürliche Kohlendioxid-Umschlag ist für das Klima ohne Bedeutung, weil er "keine Netto-Emission darstellt, sondern einen geschlossenen Kreislauf" (S. 900). Doch Maxeiner schreckt auch vor objektiv falschen Aussagen nicht zurück, wenn er sie braucht, um seine Argumentation zu stützen: "Der beobachtete globale Erwärmungstrend (…) bewegt sich damit seit drei Jahrzehnten im unteren Bereich der von Klimamodellen für die Zukunft prognostizierten Werte." (S. 899) Klingt beruhigend, ist aber leider nicht wahr: Wie Rahmstorf anhand neuester Zahlen zeigt, bewegen sie sich im oberen Bereich der angenommenen Szenarien.
Ähnlich unbesorgt um die Fakten präsentiert sich der "Zukunftsforscher" Matthias Horx, der das alte Argument wiederholt: "Das Klima hat sich schon immer geändert." (S. 903) Dazu Rahmstorf: "Das stimmt, aber die Fakten von Horx stimmen großenteils nicht oder sind irreführend dargestellt. So schreibt er, vor 500 Millionen Jahren habe die CO2-Konzentration sensationelle 28 Prozent betragen (tatsächlich waren es 0,7 Prozent), und vor 300.000 Jahren sei die Sauerstoffkonzentration 30 Prozent gewesen (in Wahrheit ist das tausendmal länger her." (S. 903) Man mag das als Flüchtigkeitsfehler eines Laien milder beurteilen, doch es zeigt nebenbei, wie abenteuerlich der Anspruch mancher selbsternannter Zukunftsforscher ist, auf der Basis eines "soliden Halbwissens" Aussagen über die Zukunft – oder auch nur über mögliche Zukünfte – machen zu wollen. Zugespitzt, aber durchaus treffend führt Rahmstorf das "Hat es schon immer gegeben"-Argument ad absurdum: "Wenn die Polizei einen Brand untersucht und handfeste Beweise für Brandstiftung vorlegt, könnte man diese auch kaum mit dem Argument entkräften: Feuer hat es auch schon gegeben, bevor es Menschen gab." (S. 903)
Ein prominentes Mitglied im Club der "Klimahysterie-Durchschauer" ist der Biologie-Professor Josef Reichholf von der TU München. Auch ihm weist Rahmstorf einen sehr eigenwilligen Umgang mit Fakten nach, etwa, wenn er die bekannte "Baur'sche Reihe", eine langjährige Zeitreihe über die Klimaentwicklung auf Basis der Wetterstationen Basel, Utrecht, Potsdam und Wien, eigenhändig mit regionalen Daten verlängert und auf diese Weise zu einem grob irreführenden Ergebnis kommt. "Trotz ausführlicher Korrespondenz konnte Reichholf die Entstehung dieser Kurve nicht nachvollziehbar erklären. Sie beruhe auf einer Tabelle aus einem Buch aus dem Jahr 1982, ergänzt durch neuere Daten vom Hohenpeißenberg. Auf meine Frage, wieso Reichholf den Hohenpeißenberg benutze und nicht einfach durchgehend die gleichen Stationen zeige, antwortete er mir, das sei ihm 'zu zeitaufwendig' gewesen. Der korrekte Verlauf der Baur'schen Reihe ist in Abb. 2 gezeigt – sie ähnelt in keiner Weise der Reichholf'schen Grafik." (S. 909) Bei einer zweiten Darstellung weist Rahmstorf nach, dass Reichholf sie gegenüber der Originalquelle deutlich im Sinne seiner Behauptungen verfälscht hat, indem er den ursprünglich bis 1955 reichenden Kurvenverlauf bis zum Jahr 2000 streckte und die die dargestellten C14-Daten aus Baumringen in einen "Wärme-Index" verwandelte. Weiter wirft er Reichholf vor, mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit gegangen zu sein, ohne sich zuvor der kritischen Fachdiskussion gestellt zu haben: "Reichholf behauptet nun in den Medien einfach das Gegenteil [zum IPCC-Bericht], ohne jedoch in der Fachliteratur selbst dazu etwas publiziert zu haben. Es gehört zum guten Stil seriöser Wissenschaftler, sich nicht mit Thesen an ein Laienpublikum zu wenden, die man nicht zuvor in der begutachteten Fachliteratur publiziert und damit Fachkollegen zur kritischen Diskussion gestellt hat." (S. 908f.)
Enttäuscht und desillusioniert zeigt sicht Rahmstorf über die "Liebe der Medien zu provokanten, aber haltlosen Behauptungen statt zu solider Arbeit", die etwa dazu führte, dass Reichholf für seine Thesen mit Interviews im "Spiegel" und "Fokus" belohnt wurde. Seine Bitte an die "Welt", einige nachprüfbar falsche Aussagen richtigzustellen, löste in der Redaktion "Befremden" aus: "Sie könne sich doch nicht 'von den eigenen Autoren distanzieren', schrieb mir die stellvertretende Chefredakteurin Andrea Seibel." (S. 910) Lediglich die FAZ korrigierte laut Rahmstorf wesentliche Falschaussagen, ohne dies freilich als Korrektur kenntlich zu machen – und gab dem ursprünglichen Autor wenig später die Gelegenheit, weitere Falschaussagen nachzuschieben. "Wenn ein Journalist einen Artikel einreicht, der das Gegenteil dessen behauptet, was Stand der Wissenschaft ist – hat die Redaktion dann nicht die Verantwortung, kritisch zu prüfen, ob die Fakten überhaupt stimmen?" (S. 899)
Rahmstorf macht glasklar, dass es ihm bei dieser Kritik an Fehlinformationen keineswegs darum geht, abweichende Meinungen zu unterdrücken oder eine breite Diskussion zu verhindern: "Kein Wissenschaftler hat etwas gegen kontroverse Diskussionen, sie gehören zum Alltag der Wissenschaft und machen gerade einen guten Teil des Spaßes an der Forschung aus. (…) Doch bringt eine Diskussion nur dann Erkenntnisgewinn, wenn sie intellektuell redlich und auf Basis korrekter Fakten geführt wird. Dies unterscheidet fundamental die in den Medien geführten Scheinkontroversen von den Diskussionen unter seriösen Wissenschaftlern." (S. 910f.) Und genau hier liegt für uns Laien das Gespenstische und Beunruhigende solcher Scheindebatten: Sie liefern keine Orientierung, sondern tragen nur zur Verunsicherung bei, indem sie denjenigen ein pseudowissenschaftliches Alibi liefern, die die Klimaveränderungen nicht wahrhaben und/oder die notwendigen Korrekturen – allen voran massive Energieeinsparungen – verhindern oder verzögern wollen. Man kann und darf von der Wissenschaft sicher nicht erwarten, dass sie der Öffentlichkeit eine einheitliche Meinung präsentiert. Aber man kann und muss von seriösen Wissenschaftlern erwarten, dass sie redlich mit den Fakten umgehen.
Möglich werden solche Scheindebatten freilich nur, weil auch vermeintlich seriöse Medien wie FAZ, Zeit und Spiegel unter Vernachlässigung ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht Behauptungen Raum geben, deren Fehlerhaftigkeit sie mit geringem Rechercheaufwand hätten herausfinden können, und auch wenig Bereitschaft zeigen, nachweisliche Fehler auf der Faktenebene zu korrigieren. Es ist ein Skandal, dass selbst die großen und hochqualifizierten Redaktionen offenkundig nicht genügend Mühe machen, die Quellen und Qualifikationen ihrer Gastautoren zu überprüfen. Dies stärkt den Verdacht, dass ihnen Schlagzeilen wichtiger sind als fachliche Verlässlichkeit. Doch damit graben sie sich langfristig selbst das Wasser ab. Denn wozu soll man regelmäßig Spiegel und FAZ lesen, wenn man sich darauf vertrauen kann, dass sie sich um größtmögliche Sorgfalt bemühen? Wenn der Leser sich auf ihre Seriosität nicht verlassen kann, kann und muss er sich bei den Themen, die ihm wichtig sind, gleich aus Internetquellen informieren.
PS: Die von Rahmstorf Kritisieren haben sich zusammengetan und auf seine Kritik geantwortet (http://www.faz.net/s/RubC5406E1142284FB6BB79CE581A20766E/Doc~EAE5A892E63B34A00A0D89F0186EA3247~ATpl~Ecommon~Scontent.html). Ihre Replik besteht jedoch im Wesentlichen darin, Rahmstorf persönlich anzugreifen, ihm totalitären Fanatismus zu unterstellen und über "Apokalyptizismus" und "Klimakatastrophe als säkulare Religion" zu schwadronieren. Eine inhaltliche Stellungnahme zu Rahmstorfs Verfälschungsvorwürfen vermisst man indes; auch auf der verlinkten "Seite mit Richtigstellungen" im Internet habe ich lediglich eine patzige Polemik von Maxeiner gefunden, mit der bezeichnenden Überschrift: "Herr Rahmstorf bastelt sich eine Verschwörung". Vermutlich ist es ein naiver Wunsch, zu hoffen, dass die Beteiligten ihre beleidigt-aggressive Selbstbehauptungsrhetorik zurückfahren und zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung finden. Dennoch würde die Korrektur falscher Darstellungen und Behauptung en den Betreffenden vermutlich mehr Respekt einbringen als aggressive Polemik und beleidigende Unterstellungen.
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