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Rezensionen

Landschaft im Wandel – und in Gefahr

Küster, Hansjörg (1999):

Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa

Von der Eiszeit bis zur Gegenwart

Beck (München) 1995, Sonderausgabe 1999; 424 S.; 19,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 11.03.2008

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Ein großartiges Buch, das dem ausdauernden Leser viele neue Einsichten vermittelt – am wichtigsten wohl die, dass Landschaft keine Konstante ist, sondern sich in ständiger Entwicklung befindet. Und daher auch nicht zum Museum gemacht werden sollte.

Wir Menschen, und keineswegs nur Naturschützer, neigen dazu, die Landschaften, in die wir hineingeboren werden, so wie sie sind, für "ewig" zu halten. Wir sind nur sehr begrenzt dazu in der Lage, langsame Entwicklungen wahrzunehmen. Nichts liegt uns ferner als die Vorstellung, dass die Gestalt, in der wir die Landschaft heute erleben, nur eine Momentaufnahme in einem historischen Prozess ist. Das führt zu der Tendenz, Landschaft so, wie sie (momentan) ist, konservieren zu wollen – wie etwa die Lüneburger Heide, die heute eigentlich über weite Strecken keine Heide mehr ist, weil die Böden über die Jahrhunderte einfach nährstoffreicher geworden sind und infolgedessen nicht mehr nur Heidekraut und Birken ernähren können, sondern ganz normale Kiefern- und Buchenwälder. Oder wie in unseren Mittelgebirgen, wo die künstlich angepflanzten Fichtenwälder, mit denen wir groß geworden sind, dem Druck von Stürmen und Borkenkäfern nicht mehr standhalten, mit der Folge, dass sie absterben und zunehmend von Buchen- und, falls die Rotwildbestände nicht zu hoch sind, Tannen verdrängt werden. Mal sind es Naturschützer, mal Tourismusmanager, mal Waldbauern und "Einheimische", welche die Landschaft so, wie sie sie als Kinder kennengelernt haben, bewahren und erhalten wollen. Und vor allem ältere, naturverbundene Menschen verzweifeln manchmal geneigt, an der Entwicklung unserer Welt: "Alles wird verändert, alles wird kaputt gemacht!"

Gegen diese bedrückende Wahrnehmung einer fortschreitenden Zerstörung ist es ein entlastender und belebender Impuls, dass es eine "Geschichte der Landschaft" gibt, dass unsere vermeintliche Konstante also in Bewegung ist – wenn auch in einer so langsamen, dass sie sich unserem Auge und unserer Wahrnehmung weitgehend entzieht. Was wir heute für Naturlandschaft halten, ist in Wirklichkeit Kulturlandschaft. Es ist einerseits schon "Natur", als die Natur die Fähigkeit besitzt, sich fast jeden Zustand der Welt, den sie vorfindet, neu anzueignen und wieder zu beleben, aber es ist andererseits keineswegs "ursprünglich", sondern ein natur- und kulturhistorischer Zwischenstand, der bei uns in Mitteleuropa allenfalls ein paar Generationen alt ist.

In 33 sorgfältigen, detailreichen und wirklich liebevoll ausgestalteten Kapiteln erläutert der Biologe und Forstwissenschaftler Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Universität Hannover, wie sich die Landschaft Deutschlands seit der Frühgeschichte der Erde bis in die Gegenwart entwickelt hat. Seinen Ansatz beschreibt er im ersten Kapitel so: "Die Landschaftsgeschichte ist eine Geschichte ohne konkret erfassbaren Anfang. In vielen Büchern beginnt die Darstellung mit dem Zeitpunkt, zu dem Nachrichten über die Landschaft und ihren Wandel erstmals historisch registriert, also aufgeschrieben wurden, meist im frühen oder hohen Mittelalter. Das Bild und der Wandel der Landschaft waren aber nebensächliche Themen in den frühen Aufzeichnungen. Aus jüngeren Epochen gibt es mehr Nachrichten darüber, aber auch heute werden viele Wandlungen der Landschaft nicht historisch registriert, beispielsweise das Abholzen eines Feldgehölzes oder die Drainage einer Wiese. Feldgehölze und Wiesen bestimmen aber das Bild der Landschaft! Mit diesen Landschaftsstrukturen wird oft verständnislos umgegangen, vielleicht deswegen, weil nichts über sie geschrieben wurde und der Mensch ihren Sinn und ihre Entstehung nicht begriffen hat." (S. 10)

Trotzdem ist in einem Punkt Kritik angebracht: So sehr dieses Buch die "Geschichte der Landschaft" umfassend, anschaulich und nachvollziehbar beschreibt, so wenig gibt es tatsächlich die "Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa" wieder. Im Grunde behandelt es nur die Geschichte der Landschaften Deutschlands. Nun macht Deutschland zwar den Löwenanteil von Mitteleuropa aus; dennoch ist nachvollziehbar, dass sich weder die Bewohner Luxemburgs noch die der Schweiz, Österreichs oder Tschechiens in der Darstellung wiederfinden. Wenn etwa im 30. Kapitel über das Aufkommen der Badeorte von "Baden-Baden, Bad Ems, Wiesbaden, Bad Nauheim, Bad Homburg, Bad Pyrmont und Bad Kissingen" (S. 336) die Rede ist, verwundert, gerade wenn es um die Treffpunkte der "Hautevolee" geht, das Fehlen von Karlsbad und Marienbad sowie der ganzen "westlichen" Bäder. Auch die Fotos, so gelungen und ausdrucksstark sie sind, geben ausschließlich Landschaften im heutigen Deutschland wieder. Das erweckt den Verdacht, dass das Buch zunächst auf Deutschland bezogen war, das der Titel aber nachträglich auf Mitteleuropa "erweitert" wurde, ohne dass der Inhalt dem noch zu folgen vermochte.

Die Geschichte unserer Landschaft beginnt in grauer Vorzeit. Infolgedessen sind die ersten Kapitel geprägt von Geologie, Gesteinsentstehung, Erdzeitaltern und Eiszeiten. Doch schon hier rückt Küster unser Bild zurecht, indem er deutlich macht, dass diese Entwicklungen erstens nicht säuberlich voneinander getrennt abliefen, wie sie oft dargestellt werden, sondern zeitgleich oder doch zumindest mit gewaltigen Überschneidungen. Und dass es sich dabei zweitens keineswegs um abgeschlossene Kapitel der Erdgeschichte handelt, sondern um – wenigstens zum Teil – um fortlaufende Prozesse. Dass das nicht bloß abstraktes Wissen bleibt, erreicht Küster, indem er mit Fotos, Grafiken und Text die Brücke zu vertrauten Landschaftsbildern schlägt. In der Tat sieht man etwa die in Württemberg verbreiteten, zunächst steil abfallenden und dann langsam auslaufenden Hügelabhänge mit anderen Augen, wenn man sie als "Schichtstufen des Keuper" und Teil der "südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft" erkannt hat (S. 24 f.). Oder wenn man lernt, dass der Wettersteinkalk der Zugspitzregion seine steile Karriere als Sediment auf dem Meeresboden begonnen hat.

Nach dem Rückgang der eiszeitlichen Gletscher breitete sich Vegetation in Mitteleuropa aus, wenn auch zumeist noch auf sehr kargen, humusarmen Böden. Viele Pflanzen, die wir heute als endemisch ansehen, sind in Wirklichkeit Zuwanderer aus dem Mittelmeerraum, die sich über Generationen östlich und westlich an den Alpen vorbeimogelten. Überraschend ist, dass die "Urform" der mitteleuropäischen Landschaft und Vegetation relativ jung ist; sie fällt zeitlich mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Mesopotamien zusammen: "So aber waren vor 8000 Jahren schon fast alle der heute natürlicherweise häufig in Mitteleuropa vorkommenden Baumarten vertreten. Es fehlten nur noch Tanne, Buche und Hainbuche. Die Tanne wuchs damals aber schon in der Nähe Mitteleuropas, nämlich in den Westalpen, die Buche am Südrand der Alpen und die Hainbuche im Umkreis der Karpaten. Sie drangen langsam gen Mitteleuropa vor; dabei konnten sie sich nur sehr allmählich gegen die dort schon fest etablierten Waldgemeinschaften durchsetzen, die für einen 'Neuankömmling' wenig Platz boten." (S. 66) Mit anderen Worten, gerade die Bäume, die wir für den Inbegriff der heimischen Vegetation halten, sind auch ist vor ein paar tausend Jahren hier heimisch geworden: Landschaft im Wandel, in ständiger natürlicher Veränderung!

In den damals endlosen Wäldern Mitteleuropas gab es durchaus schon Menschen, aber sie hatten auf das Erscheinungsbild der Landschaft zunächst kaum mehr Einfluss als etwa der Biber: Auch wenn sie mit ihren Steinbeilen einzelne Bäume fällten, waren ihre Einwirkungen marginal. Das änderte sich ganz allmählich ab dem 5. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, als die neumodische Sitte von Ackerbau und Viehzucht vom Nahen Osten auch nach Mitteleuropa einzog und von hier weiter nach England, Skandinavien und Russland. Für den Ackerbau mussten Rodungen angelegt werden, weil Getreide auch in einem lockeren Wald nicht reifen konnte. So entstanden Siedlungsinseln mit einem Radius von vermutlich etwa einem Kilometer. In diese Zeit datiert auch die "Erfindung" eines landschaftsgestaltenden Elements, das mehr als alles andere unser heutiges Landschaftsbild prägt: der Waldrand als klare Trennlinie zwischen Wald und menschengeschaffener Freifläche.

Im Laufe der Jahrhunderte nahmen die Eingriffe des Menschen in die Landschaft zu. Dank Ackerbau und Viehzucht konnte das Land eine wachsende Zahl von Menschen ernähren, und die wiederum nutzten immer mehr Fläche zur Nahrungs- und Brennstoffproduktion. Es kam zu ersten menschenbeeinflussten Hochwasserspitzen und zur Erosion fruchtbaren Ackerlands. Die Aufgabe von Siedlungs- und Ackerflächen unterstützte den Wandel des Waldes in Buchen- und Eichenwälder. Mit der Bronzezeit um 1800 v.Chr. verbesserten sich die Werkzeuge und damit die Möglichkeiten, den eigenen Lebensraum zu gestalten und zu erweitern: Bronzeäxte waren effizienter als Steinbeile. Bereits damals begann die Bewirtschaftung karger Mittelgebirgslandschaften wie der schwäbischen Alb sowie die Nutzung von Almen.

Der nächste Innovationsschub war das Aufkommen des Eisenerzbergbaus und der Eisenverhüttung ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. Er hatte dramatische Auswirkungen auf die Landschaft – nicht nur, weil Eisenpflüge die Erschließung immer weiterer Böden für den Ackerbau erlaubten, sondern weil für dessen Gewinnung gewaltige Mengen von Holz bzw. Holzkohle erforderlich waren. In diese Zeit datiert auch eine erste große Welle menschengemachter Umweltzerstörung mit großflächigen Kahlschlägen und lokaler Schwermetallbelastung der Böden. Trotz dieses Raubbaus, der immer wieder die Standortverlagerung der Eisenhütten wegen Holzmangels erzwang, war die eisenzeitliche Wirtschaftsweise eine nahezu perfekte Kreislaufwirtschaft, und sie blieb es – mangels Masse – auch bis in die frühe Neuzeit. Was dem Land über den Getreidebau an Nährstoffen entzögen wurde, gab man ihm über das Ausbringen von Stallmist wieder zurück. Nur die ökologischen Kosten, die mit der Herstellung des Werkzeugs verbunden waren, störten das harmonische Bild – aber sie störten es nicht so sehr, dass das Gleichgewicht ernsthaft in Gefahr kam.

In der Römerzeit wuchs der Bevölkerungsanteil, der seinen Nahrungsbedarf nicht mehr selber produzierte – und damit der Bedarf für Infrastruktur. Das waren in erster Linie Transportwege und deren Versorgung und Absicherung: Straßen, Brücken, Furten, Schiffsländen, Häfen. Aber es entstanden auch Kastelle und städtische Siedlungen, die aus dem Umland versorgt werden mussten. Nach dem Abzug der Römer sank die Bevölkerungszahl in Mitteleuropa deutlich; viele ortsfesten Siedlungen wurden aufgegeben – was vor allem die Buche begünstigte, welche rasch die Birken verdrängte, die als erste die aufgegebenen Wirtschaftsflächen überwucherten.

Der endgültige Übergang zu ortsfesten Siedlungen nach der Völkerwanderungszeit trug weiter dazu bei, die Landschaft zu verändern. So wurden immer wieder dieselben Waldparzellen zur Gewinnung von Brenn- und Werkholz genutzt, sobald die Gehölze weit genug nachgewachsen waren. Das ging zu Lasten der Buche, die diese Rückschnitte nicht verträgt; in den so entstehenden "Niederwäldern" dominierte die robuste Hainbuche. Und während in manchen Gegenden mit der Dreifelderwirtschaft eine nachhaltige Wirtschaftsform entstand, wurde anderswo der Boden mit Heidesoden gedüngt, was an den Entnahmestellen zur Entstehung kleiner "Wüsten" mit vom Wind verwehten Wanderdünen führte.

Wesentlichen Einfluss nahm der Mensch auch auf die Küstenlandschaft. Während in den Jahrtausenden zuvor die Grenzen zwischen Land und See im wahrsten Sinne des Wortes fließend waren, sodass sinnvolle Angaben über den genauen Küstenverlauf kaum möglich sind, trennte im frühen Mittelalter nicht Gott, sondern der Mensch das Wasser vom Lande, indem er Deiche baute. Ging es zunächst nur darum, die Ackerfluren der Dörfer vor sommerlicher Überflutung zu schützen, war das Ziel später Landgewinnung – und der Schutz vor der Überflutung durch bei Sturmfluten zurückgestaute Flüsse. Immer wieder wurde Land eingedeicht, das den Großteil des Jahres trocken lag. Weil dieses Land nicht mehr vom Schlick überspült wurde und austrocknete, sank es ab; zugleich sammelte sich vor den Dämmen zusätzlicher Schlick an, was im Laufe der Jahre weitere Eindeichungen ermöglichte. Doch war das kein friedlicher Prozess, sondern ein harter und zäher Kampf zwischen Mensch und Natur. Immer wieder kam es bei schweren Sturmfluten zu Deichbrüchen, bei denen tiefe "Kolke" aufgerissen wurden, die der Mensch damals nicht mehr schließen konnte. Auf diese Weise entstanden unter anderem der Jadebusen und der Dollart. Das Ergebnis: "Eine amphibische Landschaft war entweder zu Land oder zu Wasser geworden; der Mensch hatte eine künstliche Küstenlinie als strikte Grenze zwischen Land und Wasser gezogen." (S. 220f.)

Mit dem Heraufziehen der Neuzeit beschleunigte sich auch die menschengemachte Veränderung der Landschaft: Infolge von Städte- und Schlösserbau, aber auch einer immer intensiveren Weidenutzung veränderte sich die Landschaft: "Vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert sank der Waldanteil in den meisten deutschen Landschaften auf einen Tiefstand ab." (S. 233) Wären nicht die jagdbegeisterten Adeligen gewesen, die in den "Forsten" rund um ihre Schlösser "Wildparke" und "Thiergärten" anlegen ließen, wäre der Wald vielerorts wohl vollends verschwunden. Während mancherorts Parks und "Englische Gärten" angelegt wurden, wurden anderenorts die Mühlen zum Kristallisationskern früher Industrialisierung. Denn sie mahlten keineswegs nur Getreide, sondern entwickelten sich zur Urform mechanischer Fertigungs- und Verarbeitungsprozesse, indem sie lange vor der Erfindung von Benzin- und Elektromotoren die Energie des Wassers (und seltener: die des Windes) nutzten, um auf mechanischem Weg zu schleifen und zu polieren, zu sägen und zu hämmern, zu schmieden und zu bohren, zu walken und sogar Münzen zu prägen. Verarbeitet wurden nicht nur Holz und Getreide, sondern auch Tabak, Kupfer, Ölsaaten, Erze, Seide, Gerb- und Farbstoffe und vieles andere mehr.

Rund um die Mühlen entstanden erste Manufakturen (sprich: Fabriken), die Anfänge industrieller Massenfertigung. Damit stieg auch der Personalbedarf, sodass die Fürsten begannen, den Zuzug von Arbeitskräften zu fördern, etwa durch die "großherzige" Aufnahme von Glaubensflüchtlingen. Dass jeder nach seiner Façon selig werden möge, war demnach nicht nur eine aufklärerisch-liberale Aussage, sondern auch eine wirtschaftspolitische. Das hatte auch ökologische Folgewirkungen, denn die wachsende Bevölkerung musste ja ernährt und am Leben gehalten werden – was der Landwirtschaft nicht nur eine Ausweitung der Flächen, sondern auch eine höhere Produktivität abverlangte.

Im 17. Jahrhundert begann auch die "Kultivierung" der Moore, das heißt streng genommen, deren Zerstörung, um Dünger, Brennstoff und zusätzliches Acker- und Weideland zu gewinnen. Sie wurden mit Kanalsystemen durchzogen, die sowohl deren Entwässerung als auch dem Abtransport des gewonnenen Torfs dienten. Die Moore, die noch für Tacitus und andere "Auswärtige" ein prägendes Element der Landschaft Germaniens waren, verschwanden, und die Moorkolonisten, die in der Phase der Moorausbeutung eine kurze Blütezeit erlebt hatten, verarmten. Erst als im 19. Jahrhundert die "Deutsche Hochmoorkultur" entwickelt wurde, wurden die ausgezehrten Flächen mit Tiefpflügen, Drainagen und Mineraldünger wieder nutzbar gemacht, und viele Moorflächen wurden zu Ackerland, das für Laien heute nur noch an den besonders schwarzen Böden zu erahnen ist. Andere Moore wurden zu Wiesen und Weiden.

In der frühen Neuzeit setzte auch eine stärkere – und landschaftsprägende – Spezialisierung in der Landwirtschaft ein. So trennten sich Getreidebau-, Obstbau-, Hopfen- und Weinbauregionen; anderswo spezialisierte man sich auf Gurken, Meerrettich oder Knoblauch, auf Korbweiden oder auf Flachs und Lein. Seit dem 18. Jahrhundert kam auch die Kartoffel hinzu. Auch die Viehwirtschaft begann sich zu spezialisieren, etwa auf Milchwirtschaft oder als Gestüte, aber auch auf Teichwirtschaft. Die Spezialisierung wiederum verstärkte die Notwendigkeit für Handel und Transport und damit für die erforderliche Infrastruktur. Eine erste Konsequenz war, dass viele Straßen befestigt wurden. Während die Fuhrleute davor, um Schlamm und Morastlöchern auszuweichen, auf parallele "wilde" Fahrspuren auswichen und dabei zum Teil erhebliche Flurschäden anrichteten, wurden nun vielerorts gepflasterte "Fahrdämme" eingerichtet, die beiderseits mit tiefen Gräben gegen Ausweichmanöver gesichert und zudem mit Mikroklima-fördernden Alleebäumen umsäumt wurden.

Kaum der Rede wert erscheinen die Landschaftseingriffe früherer Jahrhunderte im Vergleich zu dem, was seit Beginn der Neuzeit geschah. Die Weiterentwicklung der Technik, allen voran technische Antriebssysteme wie Dampfmaschine und Wasserturbine, ermöglichte es sowohl im Bergbau als auch in der Produktion, in völlig neue Größenordnungen vorzustoßen – was auch immer radikalere Eingriffe in die Landschaft nach sich zog. Es entstanden "dreckige" Industriereviere mit gewaltigen Abraumhalden und zu Kloaken verkommenen Flüssen, im Vergleich zu denen das Landleben plötzlich wie eine Idylle erschien. Infolge des steigenden Arbeitskräftebedarfs wucherten die Städte ohne Beachtung landschaftlicher Strukturen buchstäblich über Berge und Täler hinweg. "Die Städte des Ruhrgebiets expandierten aufeinander zu, sowohl die Industriebetriebe als auch die Wohnviertel, bildeten schließlich eine Megalopolis, die von Duisburg im Westen bis nach Dortmund im Osten reicht. Sie umfasst alte Städte wie Recklinghausen, Bochum, Essen und Mülheim, von denen zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine mehr als 20 000 Einwohner hatte. Die Einwohnerzahl ehemaliger kleiner Bauerndörfer vermehrte sich innerhalb weniger Jahre noch viel stärker …" (S. 297). In diese Zeit datiert auch ein gewaltiger Aufschwung der Binnenschifffahrt, die durch große "Flussregulierungen" wie die Tullasche "Rheinkorrektur" unterstützt wurde.

Bis in die Neuzeit hatten sich die Menschen um die ökologischen Folgen des eigenen Handelns kaum Gedanken gemacht – vielleicht, weil sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass es ihnen möglich sein könnte, ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht zu bringen (was ja in der Tat in der früheren Menschheitsgeschichte außerhalb jeder Möglichkeit lag). Nachdem aufgrund der Waldverwüstungen im 18. Jahrhundert jedoch eine "totale Energie- und Rohstoffkrise" (S. 312) drohte, weil es kein Holz mehr gab, wurde mit umfangreichen Wiederaufforstungen begonnen. In den neu entstandenen forstwirtschaftlichen Fakultäten der Universitäten wurde das "Prinzip der Nachhaltigkeit" entwickelt und gelehrt – ein zentrales Prinzip, das heute ebenso häufig wie falsch im Sinne von " langfristig, dauerhaft" verwendet wird, das aber eigentlich besagt, maximal so viel Holz (oder andere Rohstoffe) zu entnehmen wie neu nachwuchs. Diesen Aufforstungen verdanken wir das Erscheinungsbild der Wälder, mit denen wir aufgewachsen sind, einschließlich des hohen Bestands an Koniferen und vor allem Fichten, wobei Küster darauf hinweist, dass sie nicht nur aus ökonomischen Gründen gepflanzt wurden, sondern auch deshalb, weil auf den ausgelaugten Böden anspruchsvollere Pflanzen kaum gedeihen konnten. Auch der aufkommende Mineraldünger half dem Wald indirekt, weil durch die erhöhte Flächenproduktivität karge Lagen aufgegeben und wieder bewaldet werden konnten. Aufmerksame Wanderer können heute noch in der Bodenstruktur vieler Wälder die Spuren früherer landwirtschaftlicher Nutzung entdecken.

Mit der Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten wurden im 20. Jahrhundert auch die Landschaftseingriffe immer radikaler. Riesige Staudämme schufen neue Seen und verwandelten zahlreiche Fließgewässer vor allem in Süddeutschland in stufenweise Stehgewässer, was zugleich die Grundwasserströme und die Auwälder fundamental veränderte, weil die an wechselnde Wasserstände und Strömungen samt regelmäßiger Überflutungen angepasst sind. Spannbetonbrücken und schwere Baumaschinen erlaubten die Abkoppelung der Verkehrsinfrastruktur von den Landschaftsgegebenheiten; immer mehr wurde die Landschaft an die Verkehrsplanungen angepasst, statt wie bisher umgekehrt. Großprojekte wie der Rhein-Main-Donau-Kanal verwandelten ganze Täler in eine Kunstlandschaft. Neue Autobahnen und ICE-Strecken zerstückeln gewachsene Landschaften. Aber auch im Detail verändert sich die Vegetation: "Die Salzstreuung gegen Glatteis hatte aus Straßenrändern Standorte der Salzvegetation gemacht." (S. 350) Industrie- und Kfz-Abgasen, vor allem aber die ungefilterte Braunkohleverbrennung im Osten führten zu einem großflächigen Waldsterben, das besonders die Höhenlagen der Mittelgebirge betraf und das erst durch den Zusammenbruch der Ostblock-Industrie sowie die Einführung von Katalysatoren und neuer Filtertechniken gestoppt werden konnte.

Die Ausweisung immer neuer Bau- und Gewerbegebiete führt zum Verlust wertvollen Ackerlands vor allem im Umgriff der Städte, und früher abwechslungsreiche bäuerliche Landschaften verwandeln sich in Mais-Monokulturen. Die immer effizienter gewordene Landwirtschaft führte phasenweise zu einer Überproduktion, der unter anderem mit Flächenstilllegungen begegnet wurde, welche wiederum zu Rückzugsräumen für bedrohte Pflanzen- und Tierarten wurden. In jüngster Zeit werden diese Flächen reaktiviert, um sie zur Produktion sogenannter "Biokraftstoffe" zu nutzen – eine weitere Eskalationsstufe auf dem Weg, unseren heimatlichen Lebensraum und letztlich die gesamte Biosphäre in den Dienst des Menschen zu stellen. "In der Umgebung von Industrie- und Verkehrsanlagen entstanden und verschwanden neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Immer mehr ging man dazu über, die Umgebung von neuen Bauten nach Plan zu bepflanzen: Auf die Böschungen kamen ausgewählte Grasmischungen, die das Abrutschen der Hänge am ehesten verhinderten. …" (S. 353)

Am Ende der 370 Textseiten (es folgen noch 50 Seiten Literatur und Register) steht ein gemischtes Resümee – nicht über das Buch, das unglaublich lehrreich, imposant und großartig ist, sondern über den heutigen Stand seines Untersuchungsobjekts, der Landschaft Mitteleuropas. Auf der einen Seite empfinde ich es als wertvoll, begriffen zu haben, dass Landschaft nichts Statisches ist, sodass der Versuch, sie partout so zu erhalten, wie sie (mehr oder weniger zufällig) heute sind oder gestern waren, ein Sich-Sperren gegen die Entwicklung des Lebens ist. Auf der anderen Seite entsetzt mich die Beschleunigung und Radikalisierung, die die menschengemachte Landschaftsveränderung in den letzten Jahrhunderten und vor allem in den letzten 50 Jahren erfahren hat. Mein Eindruck ist, dass wir Menschen uns schwer tun, unsere Macht zu begreifen. Über etliche Jahrtausende haben die Eingriffe des Menschen, auch wenn sie die Landschaft verändert haben, letztlich keine kritische Rolle gespielt. Doch in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten führen wir unsere natürliche Umwelt immer radikaler an die Grenzen dessen, was sie noch abpuffern kann. Dies nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern einfach so zu tun, als ob sie unsere großflächigen Eingriffe genauso selbstverständlich aushalten würde wie jungsteinzeitliche Besiedelungen und den Straßenbau der Römer, das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Es vernichtet Schritt für Schritt und Baugebiet für Baugebiet sowohl die Schönheit unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft als auch unsere künftigen Lebensgrundlagen.

Schlagworte:
Landschaftsgeschichte, Mitteleuropa, Deutschland, Ökologie, Landschaftsökologie, Mensch und Umwelt

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