Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Vor uns liegt der schmerzhafte Abbau einer Schuldenkrise

Rhodes, David; Stelter, Daniel (2010):

Collateral Damage

In the Eye of the Storm: Ignore Short-Term Indicators. Focus on the Long Haul

The Boston Consulting Group; May 2010


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 31.07.2010

Düstere Aussichten verbreiten die beiden BCG-Berater im neuesten Artikel ihrer Collateral Damage-Serie: Solange die bestehende Schuldenblase nicht abgebaut ist, ist eine Rückkehr zu einer ruhigeren ökonomischen Entwicklung nicht zu erwarten.

Angeblich ist die Krise vorbei. Medien, Politiker und Aktienmarkt bejubeln täglich aufs Neue eine "überraschend starke" Erholung; von möglichen Nachwirkungen der Krise oder gar einem erneuten Einbruch ("Double-Dip") will niemand mehr etwas wissen. Das gilt besonders für Deutschland, das in der Tat besser durch die Krise gekommen ist als manche – darunter auch ich – erwartet haben. Insbesondere sozialstaatliche Instrumente wie die verlängerte Kurzarbeit haben dazu beigetragen, dass nicht allzu viele Arbeitsplätze verloren gegangen sind, aber auch das beherzte Krisenmanagement vieler Unternehmen. Derzeit profitieren gerade die deutschen Unternehmen von dem schwachen Euro; er ermöglicht es ihnen, aus ihrer technischen Stärke zusätzliches Kapital zu schlagen. Infolgedessen sind bei vielen Firmen die Auftragsbücher gut gefüllt, und die Arbeitslosenquote ist auf dem tiefsten Stand seit langem. 

Aber sind wir tatsächlich über den Berg? Die beiden BCG-Berater David Rhodes und Daniel Stelter, die sich mit ihrer "Collateral Damage"-Serie einen Namen gemacht haben, gießen einen ganzen Eimer Wasser in den Wein der Konjunktureuphorie, und sie stützen sich dabei auf eine Befragung von 440 Top Managern aus sieben Industriestaaten vom März 2010, aber auch auf eigene ökonomische Überlegungen und Analysen. Nur 10 bzw. 34 Prozent der Befragten rechnen mit einer V- oder U-förmigen Erholung, mehr als die Hälfte geht dagegen von einem L-förmigen (52%) oder W-förmigen Verlauf (4%) aus, also von einer sehr schleppenden Erholung oder einem zweiten Einbruch. Entsprechend vorsichtig steuern sie auch ihre Firmen: "The belt tightening we have witnessed over the last 18 months is set to continue", fassen Rhodes und Stelter ihren Eindruck zusammen (S. 14). 

Entsprechend skeptisch ist auch der ökonomische Ausblick der eigentlich von Berufs wegen zum Optimismus verpflichteten Berater: "We face many years of economic uncertainty because the economic and financial crisis is coinciding with the acceleration of a once-in-a-lifetime passing of the economic baton: the shift in economic power from West to East. This shift may be only beginning, but hopes for an orderly transition are likely to prove unfounded. The extraordinary upheavals of the Great Recession will make it a bumpy ride." (S. 15) 

Der Grund für so viel Skepsis ist, dass wir nach Ansicht von Rhodes und Stelter noch geraume Zeit mit dem Abbau einer Kreditblase zu tun haben werden, die in den letzten Jahrzehnten aufgebaut wurde – und das hieße per se eher Kontraktion als Wachstum: "Since the early 1980s, credit has been growing much faster than income in many Western economies. (…) This credit boom was only possible because debitors were able to provide collaterals" (S. 10). Doch dummerweise stammten diese Sicherheiten zum einen Teil aus Vermögensblasen wie zum Beispiel überproportional gestiegenen Häuserpreisen, zum anderen Teil aus unrealistischen Gewinnprognosen. Doch als sich die als nicht nachhaltig erwiesen, war das schlecht für die Haltbarkeit der Blasen und leitete ein gewaltiges "De-Leveraging" ein, das immer noch in vollem Gange ist. Denn, wie Rhodes und Stelter trocken feststellen: "Credit cannot grow faster than income forever." (S. 10)

Wegen der Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme haben die westlichen Industriestaaten keinen Spielraum für die Aufnahme neuer Schulden mehr. Die Unmöglichkeit, die Schuldenkrise durch die Aufnahme neuer Schulden zu lösen, bedeutet jedoch unweigerlich eine Begrenzung des Wachstums. Die größten Sorgen machen Rhodes und Stelter dabei nicht Griechenland, Portugal und Spanien, sondern die USA. Nach einer Prognose des Congressional Budget Office wird deren Verschuldung bis 2020 auf 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Für die Neuaufnahme und Refinanzierung dieser Schulden werden 5 Billarden Dollar erforderlich sein. Die jährlichen Zinszahlungen werden die Größenordnung des Verteidigungsbudgets erreichen, was erstens den staatlichen Handlungsspielraum stark einschränken, zweitens private Investitionen verdrängen und drittens Reaktionen des Kapitalmarkts auslösen dürfte, insbesondere eine Zinserhöhung, die die ganze Schuldenlast noch erdrückender und zugleich instabiler machen wird. 

Rhodes und Stelter diskutieren diverse Möglichkeiten, wie sich die USA aus diesem Schuldturm befreien könnten – von rigorosen Sparprogrammen über wachstumsfördernde Strukturreformen bis zu einseitigen Kürzungen der Rückzahlungen. Doch bei den meisten würden die positiven Effekte erst mittel- bis langfristig eintreten, während die kurzfristigen Schmerzen und negativen Wachstumseffekte erheblich wären – kein attraktives Programm für Politiker, die wiedergewählt werden wollen. Sie halten es daher für wahrscheinlich, dass die Politik zu einer "kontrollierten Inflation" Zuflucht nehmen wird. Allerdings dürfte es gar nicht so einfach sein, in einem wegen Schuldenabbau und Überkapazitäten deflationären Szenario eine Inflation herbeizuführen – geschweige denn, sie zu "kontrollieren". Auch der unbegrenzte Nachdruck von grünen Zetteln wird die Unternehmen nicht veranlassen, bei unausgelasteten Kapazitäten weiter zu investieren, und er wird es Privatleuten nicht erlauben, Schulden aufzunehmen, die über ihre Sicherheiten hinausgehen. Der vorhergesagte "bumpy ride" dürfte sich also bestätigen. 

An dieser Stelle wissen die Berater auch keinen wirklichen Rat. Sie wiederholen zwar ihre schon vor einem Jahr erhobene Forderung, der (amerikanische) Staat müsse den Häusermarkt mit einer massiven Intervention stabilisieren, um so dessen Durchschwingen nach unten und die dadurch ausgelöste ökonomische Kettenreaktion zu verhindern. Das klingt schlüssig, aber dafür dürfte es inzwischen zu spät sein. Irgendwie werden wir also durch das ökonomische Tal der Tränen hindurch müssen, das unweigerlich folgt, wenn man in der Vergangenheit mehr Schulden gemacht hat als man dauerhaft tragen kann. Wie sprach schon der weise Yogi Berra (seines Zeichens Baseballcoach): "If something cannot go on forever, it will end."

Schlagworte:
Weltwirtschaft, Weltfinanzkrise, Weltwirtschaftskrise, Schuldenkrise, Inflation, Deflation

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