Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Wettbewerbsstrategie zwischen Konkurrenz und Kooperation

Brandenburger, Adam M.; Nalebuff, Barry J. (2008):

Coopetition: Kooperativ konkurrieren

Mit der Spieltheorie zum Geschäftserfolg

Rieck (Eschborn) 1996, 2. vollständig überarbeitete Auflage 2008; 385 S.; 25,00 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 01.09.2010

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Wer Business als Krieg versteht, hat es nicht verstanden. Dass Kooperation für den Erfolg ebenso wichtig ist wie Konkurrenz und dass es darum geht, die beiden optimal auszutarieren, legt sehr anschaulich dieses Buch über angewandte Spieltheorie dar.

Im richtigen Leben folgt die Marktwirtschaft, wenn man genau hinschaut, keineswegs der sozialdarwinistischen Maxime vom "Survival of the Fittest". Wer beispielsweise in Bamberg durch die historische Altstadt schlendert, dem fällt auf, dass sich hier auf kleinstem Raum unzählige hochwertige Antiquitätengeschäfte versammeln – weit mehr, als sich mit der Kaufkraft der Stadt und ihres Umlandes erklären lassen. Wie kann das sein, wo diese Händler doch Konkurrenten sind, die um den gleichen – und nicht allzu großen – Kuchen kämpfen? Wären sie nicht klüger beraten, sich andere Standorte zu suchen, wo der Konkurrenzdruck geringer und die Kaufkraft höher ist? Offensichtlich nicht, denn sonst würden sie sich nicht in der Bamberger Altstadt ballen – aber warum eigentlich nicht? Wieso setzen sich nicht die wettbewerbsfähigsten Händler durch und verdrängen die schwächeren vom Markt?

Selbstverständlich sind diese Händler Konkurrenten, denn sie kämpfen um das Geld derselben Kunden. Andererseits sind sie keineswegs nur Konkurrenten. In gewisser Weise sind sie auch Partner: Jeder von ihnen profitiert von der ungewöhnlichen Ballung hochwertiger Antiquitätengeschäfte im Umkreis von ein paar hundert Metern, denn sie erhöht die Anziehungskraft für Kunden aus nah und fern. Das romantische, aber auch etwas verschlafene Bamberg ist auf diese Weise zu so etwas wie dem "deutschen Antiquitäten-Mekka" geworden. Auch für die Kunden ist diese "Coopetition" von Vorteil, denn erstens haben sie auf diese Weise mehr Auswahl, und zweitens sorgen die direkten Vergleichmöglichkeiten für Qualität und faire Preise – weit mehr, als sie bei einem Antiquitätenhändler in lokaler Alleinstellung gewährleistet sind. Selbst für Münchner, Stuttgarter und Frankfurter lohnt sich daher, in das vergleichsweise kleine Bamberg zu reisen, wenn sie nach hochwertigen Antiquitäten zu fairen Preisen suchen – und genau das tun die Kenner auch.

Das Beispiel zeigt: Wer Business nur als Wettbewerb – oder gar als "Krieg" – versteht, hat etwas ganz Wesentliches nicht verstanden: Dass im Geschäftsleben eben nicht darum geht, einen oder mehrere Konkurrenten, koste es, was es wolle, in die Knie zu zwingen, sondern darum, dauerhaft gute Erträge zu erzielen. Das geht am besten, wenn man den Wettbewerb nicht als Nullsummenspiel versteht, bei dem jeder nur so viel vom Kuchen bekommt, wie er den Konkurrenten abjagt, sondern als ein Spiel, bei dem die Größe des Kuchens je nach Vorgehen vergrößert oder verkleinert werden kann. Natürlich konkurrieren auch die Bamberger Händler um ihren Kuchen, vor allem aber haben sie es verstanden, den in Bamberg zur Verteilung stehenden Kuchen erheblich zu vergrößern.

Manchen "Strategen" gelingt das genaue Gegenteil: Sie schaffen es durch ein unbedacht-aggressives Vorgehen, den Kuchen, von dem sie sich ein größeres Stück sichern wollen, insgesamt zu verkleinern: Indem sie ihren Wettbewerbern beispielsweise mit Kampfpreisen Kunden abjagen, zwingen sie diese Wettbewerber dazu, ihre Marktanteile mit Kampfpreisen zu verteidigen – mit dem Resultat, dass das Preisniveau sinkt und am Ende alle mit einem kleineren Kuchen dastehen. Die Auslöser für solche strategischen Fehlleistungen sind teils drückende Überkapazitäten, teils Übermut, oft aber auch ein falsches, einseitig auf Kampf oder Krieg verengtes Bild von Wettbewerb.

Das Instrumentarium, über solche und andere Wettbewerbsstrategien geordnet nachzudenken, liefert die Spieltheorie, und den beiden amerikanischen Professoren Adam Brandenburger und Barry Nalebuff gelingt es in diesem Buch, ihre zentralen Gedanken sehr anschaulich und praxisnah darzustellen. Sie gehen dabei meist induktiv vor, das heißt, sie entwickeln ihre Erkenntnisse aus zahlreichen Fallbeispielen. Die stammen natürlich überwiegend aus dem amerikanischen Markt, sodass sie für deutsche Leser nicht ganz so erfahrungsnah sind wie für amerikanische, aber das ist in einer Übersetzung kaum zu vermeiden, und es schadet auch nicht wirklich, weil die Beispiele in der Regel ausführlich genug beschrieben sind. Zuweilen hat man beim Lesen aber das klassische Problem eines induktiven Vorgehens: Man hat das Beispiel gelesen und es leuchtet ein, aber man ist sich nicht ganz darüber klar, wofür das Beispiel eigentlich ein Beispiel war, das heißt, welches "Prinzip" es verdeutlichen sollte. Da helfen die Zwischenzusammenfassungen, die allerdings recht arg knapp ausgefallen sind.

Im ersten Teil erklären Brandenburger und Nalebuff, weshalb es sinnvoller ist, das Geschäftsleben als Spiel zu verstehen statt als Krieg: "Geschäft ist Zusammenarbeit, wenn es um das Backen des Kuchens geht; es ist Wettbewerb, wenn es um seine Aufteilung geht. Mit anderen Worten: Geschäft ist Krieg und Frieden. Aber nicht wie in Tolstois Roman – endlose Zyklen von Frieden gefolgt von Krieg. Es ist gleichzeitig Krieg und Frieden. (…) Sie müssen gleichzeitig konkurrieren und kooperieren." (S. 23) Verbissene Aggressivität ist daher ebenso wenig ein Erfolgsrezept wie naive Kooperation; man muss vielmehr sehr genau verstehen, wann man kämpfen und wann man kooperieren sollte – und vor allem, mit welchen Strategien und Taktiken man beides angehen sollte, um zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen.

Das titelgebende Konzept der "Coopetition" erläutern die Autoren im zweiten Kapitel. Dafür ist es wichtig, in Komplementen zu denken. Die Definition lautet: "Ein Spieler ist Ihr Komplementär, wenn Kunden Ihr Produkt höher bewerten, sofern sie das Produkt des anderen Spielers haben (das Komplement), als wenn sie nur Ihr Produkt allein haben." (S. 43) Sie sind damit das genaue Gegenteil von Konkurrenten: Das sind Spieler, bei denen die Kunden "Ihr Produkt geringer bewerten, sofern sie das Produkt des anderen Spielers haben, als wenn sie nur Ihr Produkt allein haben." Klassische Beispiele für Komplementäre sind Computer und Software, CDs und CD-Spieler, Autos und Parkhäuser, etc. Vor allem in neuen Märkten ist der eigene Erfolg nur über den Erfolg der jeweiligen Komplementäre möglich: Wo es keinen Strom gibt, ist auch der Absatz von Elektrogeräten ernsthaft beeinträchtigt. Doch auch in bestehenden Märkten kann das Komplement zum Engpass werden: Wenn es nicht genügend Parkplätze gibt, verliert das Auto an Attraktivität. – Analoges gilt auf der Lieferantenseite, denn nicht nur bei den Kunden gibt es sowohl Konkurrenz als auch Komplementarität, sondern auch dort.

Aus diesen Elementen spannen Brandenburger und Nalebuff ihr Wertenetz: In dessen Mittelpunkt steht das eigene Unternehmen; darum ranken sich Kunden, Konkurrenten, Komplementäre und Lieferanten. Dieses Wertenetz gilt es so zu managen, dass ein möglichst gutes Ergebnis herauskommt. Dafür ist es nützlich, sich bewusst zu machen, dass es für jeden der vier Mitspieler ebenfalls ein solches Wertenetz gibt, und das Spiel auch aus deren Perspektive zu durchdenken. Denn nicht allein vom eigenen Handeln hängt es ab, ob man erfolgreich ist, sondern maßgeblich auch vom Handeln der Mitspieler. Deshalb ist es nützlich zu verstehen, wie sie das Spiel sehen und welche Spielzüge aus ihrer Sicht sinnvoll sein könnten. Dabei ist wichtig, was die Autoren (oder der Übersetzer?) "Allozentrismus" nennen: Sich in die anderen Spieler zu versetzen, um zu verstehen, welchen Wert der mögliche eigene Beitrag für sie besitzt, an welchen Regeln sie sich orientieren und wie sie das Spiel wahrnehmen. (Rupert Lay hat vor Jahren dafür den Begriff "Alterozentrismus" eingeführt.)

Die Analyseinstrumente hierfür stellt der zweite Teil des Buches dar. Es orientiert sich dabei an dem etwas gequälten Akronym SMaRTS; das steht für die fünf konstituierenden Elemente eines jeden Spiels: Spieler, Mehrwerte, Regeln, Taktiken und Spielraum. Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autoren dabei dem Mehrwert (Added Value), den jeder einzelne Mitspieler in das Spiel einbringt – das heißt jenem Teil des Gesamtnutzens, der nur durch sein Mitwirken zustande kommt. Dabei kommen sie immer wieder zu überraschenden und lehrreichen Erkenntnissen. Wie etwa, dass manchmal der größte Mehrwert eines potenziellen Spielers für den Kunden in seinem Eintritt in das Spiel und damit im Schaffen von Konkurrenz liegt – sodass er gut beraten ist, sich dafür in geeigneter Weise honorieren zu lassen. So kennt wohl jeder Lieferant die Erfahrung, dass er nur deshalb angefragt wird, um die Preise von Konkurrenten zu überprüfen und gegebenenfalls zu drücken. Wenn er dabei einfach mitspielt, kann er ziemlich sicher sein, außer nutzloser Arbeit nichts von seinem Angebot zu haben. Zwar kann man für ein Angebot in aller Regel keine Bezahlung verlangen, sehr wohl aber andere "Gegenleistungen", wie zum Beispiel besseren Zugang zu Informationen über das Geschäft des Kunden, Gespräche mit maßgeblichen Entscheidern oder Ähnliches.

Brandenburgers und Nalebuffs Analyse des Mehrwerts macht sehr plastisch, wie die Knappheit eines Guts – und damit den Mehrwert des betreffenden Akteurs – die Preise beeinflusst. Als Illustration verwenden sie ein Spiel, bei dem man sich mit jeweils einem Pärchen von roten und schwarzen Karten 100 Dollar verdienen kann. Dabei hält ein Spieler alle 26 roten Karten, während die 26 schwarzen Karten auf ebenso viele Mitspieler verteilt sind, die aber nicht miteinander kommunizieren dürfen. Zu welchem Preis werden die Spieler Karten kaufen oder verkaufen, um an die 100 Dollar zu kommen? Da keiner der Spieler zu Geld kommt, wenn sie nicht handeln, sind die Mehrwerte gleich verteilt, und der typische Handelspreis sollte bei ungefähr 50 Dollar liegen. Ganz anders, wenn der "Monopolist" nur 23 rote Karten hat: Dann sinkt der Mehrwert der Mitspieler, die jeweils eine Karte besitzen, stark ab, weil der Monopolist auch ohne jeden Einzelnen von ihnen Ergänzungen zu seinen 23 Karten bekommen kann. Infolgedessen sollten sich die Preise stark zu seinen Gunsten verschieben. Nicht das Monopol per se treibt also die Preise, sondern die Knappheit des Angebots.

Das hilft, zyklische Preisschwankungen in den verschiedensten Märkten zu verstehen: Die hohen Preise, die aus einem knappen Angebot resultieren, ziehen zusätzliche Anbietet an. So entsteht allmählich ein Überangebot, das, wenn es eingetreten ist, die Preise schlagartig zusammenbrechen lässt – was zum Ausscheiden mancher Anbieter und damit zum Abbau des Überangebots führt. Dies erklärt nicht nur die berühmten "Schweinezyklen", wie es sie nicht nur bei landwirtschaftlichen Produkten, sondern etwa auch bei Hotels und Seeschiffen gibt. Es erklärt sogar, weshalb Finanzmärkte so plötzlich umkippen können: Selbst ein knapper Nachfrageüberhang lässt die Preise noch steigen, doch sobald ein geringer Angebotsüberhang einsetzt, sinken sie. Und dann reicht es, um den Angebotsüberhang zu vergrößern und damit den Preisabsturz zu beschleunigen, dass sich einige Akteure zurückhalten. Sie müssen also gar nicht verkaufen; es reicht, dass sie das vorhandene Angebot nicht abnehmen. Daher ist gar keine Massenpanik für einen Crash erforderlich; es reicht eine relativ geringe Verschiebung von Angebot und Nachfrage. Die Panik ist vermutlich oft erst die Folge des einsetzenden Crashs, nicht seine Ursache. Was Crashs zwar verständlicher macht, aber zugleich auch beunruhigender. Denn offenkundig reagieren Märkte überschießend auf geringe Nachfrageschwankungen; es gehört also gar nicht so viel dazu, einen Crash – oder einen Boom – auszulösen, und die Realität spielt dabei ohnehin eine nachgeordnete Rolle.

 Insgesamt ein Buch, das sich zu lesen lohnt, ganz besonders für Unternehmer sowie Marketing- und Vertriebsmanager. Aber natürlich gelten diese Gedanken nicht nur im Außenverhältnis, sondern auch intern, daher lohnt es sich auch für Personaler und – ganz besonders – Change Manager, "mit verschiedenen Köpfen gleichzeitig denken zu lernen", also Spielwahrnehmungen und Spielstrategien aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren. Auch wenn viele Gedanken und Konzepte der Spieltheorie inzwischen in den Geschäftsalltag eingeflossen sind, erhält man sie selten in so kompakter und systematischer Form aufbereitet. Und das eine oder andere Aha-Erlebnis dürfte dabei auch für gestandene Profis noch herausschauen. Der Text ist gut lesbar und flüssig geschrieben, die Übersetzung trotz einiger kleiner Eigenwilligkeiten insgesamt gelungen. Nur dass die Quellenangaben für Beispiele und Literatur 1995 enden, obwohl es sich bei dem Werk um die 2008 erschienene "2. vollständig überarbeitete Auflage" handelt, ist ein wenig irritierend: Die Erstauflage ist 1996 erschienen; zumindest was die Beispiele und Quellen betrifft, ist von einer "vollständigen Überarbeitung" wenig zu spüren. Nur gut, dass schon die erste Auflage von hoher Qualität war …

 

Schlagworte:
Spieltheorie, Kooperationstheorie, Unternehmensführung, Rationalität, Strategie, Taktik, Mehrwert

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