Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Lebensraum Totholz – von neuem Leben im Vergehen

David, Werner (2010):

Lebensraum Totholz

Gestaltung und Naturschutz im Garten

pala (Darmstadt); 180 S.; 14,00 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 10.09.2010

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Die Beschäftigung mit dem Lebensraum Totholz lohnt sich sowohl in der Theorie als auch praktisch, weil sie uns hilft, die Zusammenhänge des Lebens besser zu verstehen – und dazu anregt, Konsequenzen im eigenen Garten daraus zu ziehen.

Totholz: Was im gedankenlosen Jargon mancher Manager und Berater eine Beschimpfung für unproduktive Mitarbeiter und Funktionen ist, ist in Wirklichkeit ein Hort blühenden Lebens: Im vermeintlichen totem Holt abgestorbener Bäume ist weit mehr Vitalität als im zum größten Teil toten Holz eines gesunden Baumes. "To cut out dead wood" ist also eine ausgesprochen verkorkste Metapher, die nur hoffen lässt, dass ihre Nutzer von ihrem eigenen Metier mehr Ahnung haben als von jenem, bei dem sie da Anleihen machen. Aus biologischer Sicht ist das Beseitigen von "Totholz" im Wald wie im Garten, auch wenn es überkommenen Ordnungsvorstellungen entspricht, keine Qualitätsverbesserung, sondern im Gegenteil ein rabiater Eingriff, der die biologische Vielfalt mildert. 

Erst im letzten Kapitel ab Seite 123 kommt Werner David, ein gelernter Biologie- und Chemielehrer, tatsächlich zum Totholz im Garten. Davor erklärt er ausführlich und mit viel Liebe zum Detail, wie Zersetzungsprozesse funktionieren und wie viel Lebensräume sie unterschiedlichen Artengemeinschaften bieten – von Pilzen und Moosen über Schnecken und Insekten bis zu Vögeln und Kleinsäugern. Natürlich ist darunter auch manch Getier, dessen Sympathiewerte deutlich geringer sind als die von Spechten, Kleibern und Eichhörnchen, wie etwa Asseln, Milben und Ohrwürmer. Aber es hilft ja nichts: Da die einen von den anderen Leben, ist Artenvielfalt nur als Ganze zu bekommen – eine gute Gelegenheit, zu lernen, dass es keine guten und schlechten Arten gibt, sondern nur mehr oder weniger vielfältige Lebensräume, in denen eins ins andere greift. 

Doch auch wenn man Davids lebendige Erläuterungen zum Totholz (Kapitel 1) und seinen vielbeinigen Bewohnern (Kapitel 2) mit Interesse und Sympathie gelesen hat, ist es noch mal eine erhebliche Hürde, diesem Thema auch im eigenen Garten bewusst Raum zu geben. Denn das Gärtnern, auch wenn es ohne Chemie auszukommen sucht, ist ja Intensivbewirtschaftung, bei der es immer darum geht, Abgeblühtes und Abgetragenes zu entfernen und durch neue Pflanzen zu ersetzen; es ist zutiefst geprägt von der Unterscheidung zwischen Kraut und Unkraut, zwischen Schädlingen und Nützlingen. Gar nicht so einfach also, im eigenen kleinen Paradies eingriffslose Inseln zuzulassen und "Natur Natur sein zu lassen". 

Als erstes nimmt sich David die Zäune vor: Warum sie nicht aus unbehandeltem Holz herstellen und ihre allmähliche Verrottung als Teil des Gartenlebens akzeptieren? Totes Holz sind sie – sofern überhaupt aus Holz – sowieso; muss man sie also wirklich mit Kesseldruckimprägnierung oder diversen Anstrichen (von denen sich etliche im Laufe der Jahre als krebserregend erwiesen haben) noch lebensfeindlicher machen? Allerdings dürfte es im wirklichen Landleben gar nicht so einfach sein (und auch nicht billig), die erforderlichen Teile aus Laubholz statt der allgegenwärtigen Fichte aufzutreiben. Fichte hingegen verrottet relativ schnell, sodass ein unbehandelter Zaun viel Reparaturaufwand bedeutet. Wenn man damit einmal angefangen hat, führen die Überlegungen daher rasch wieder zu ganz anders gestalteten Zäunen, etwa zu Staketen oder Schwartlingen. David regt außerdem an, die Zaunpfosten mehrfach anzubohren, um so den "Rohbau" für Nisthöhlen von Wildbienen zu schaffen. Nach seinen Worten beeinträchtigt das die Lebenserwartung kaum. Auch diverse andere Nisthilfen für Insekten stellt er vor. 

Wer das Glück hat, ein paar alte Bäume in seinem Garten zu haben, kann schon viel für die Artenvielfalt tun, indem er nicht zu viel tut. Wenn wir es uns verkneifen, in unangebrachtem Ordnungssinn abgestorbene Äste zu entfernen, lassen wir Lebensräume entstehen, ohne den Bäumen im Mindesten zu schaden. (Schließlich sind sie Jahrmillionen ohne menschliche Hilfe ausgekommen.) Warum nicht auch einen abgestorbenen Baum stehen lassen, sofern das ohne Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung möglich ist? Da sich in Sturmnächten ohnehin nicht allzu viele Leute in unseren Gärten aufhalten, sollte das in größeren Gärten durchaus möglich sein. Allerdings, warnt David, stoßen wir damit möglicherweise an die Schmerzgrenze unserer Umgebung. "Baumleichen" gehören weg – wer sich diesem ungeschriebenen Gesetz verweigert, wird zum Provokateur. Und nicht bei allen Menschen provoziert solch ein sichtbares Denkmal der Vergänglichkeit nur Nachdenklichkeit – ähnlich moderner Kunst können tote Bäume Irritation, Verstörung und sogar heftige Aggressionen auslösen. 

Eine interessante Idee ist, Wege sowie Sitz- und Spielplätze im Garten 20 bis 30 Zentimeter tief auszuheben und sie mit Hackschnitzeln aufzufüllen – und so einen Lebensraum für Großkäfer und anderes Getier zu schaffen. David berichtet von mehreren Fällen, in denen sich in solch einem "Biotop" nach ein paar Jahren größere Mengen von Hirsch- und Nashornkäfern fanden, und zwar auch dann, wenn die Wege regelmäßig begangen und die Plätze "bespielt" wurden. Hackschnitzel sind, weil sie für gleichmäßige Feuchtigkeit sorgen, auch eine gute Grundlage für Reisighaufen sowie für Holzmieten, jedenfalls sofern letztere nicht als Brennstoffvorrat dienen sollen, sondern als multikulturelles Mehrfamilienhaus für Insekten, Käfer und Pilze.

Und noch etliche weitere Anregungen enthält das locker geschriebene Buch von Werner David. Nicht jede wird in den eigenen Garten passen, und sicherlich wird man auch nicht jede mit gleicher Begeisterung aufgreifen. Aber darauf kommt es auch gar nicht an: Der größte Nutzen ist wohl, dass dieses Buch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem "Lebensraum Totholz" und seiner Rolle und Bedeutung anregt. Nach 170 Seiten hat man nicht nur eine Menge gelernt, sondern auch eine etwas andere Sichtweise gewonnen – und findet im Anhang gleich zahlreiche Quellen für eine in jeder Hinsicht vertiefende Betrachtung, von Internetquellen bis zu real existierenden Naturparkreservaten.

Schlagworte:
Totholz, Garten, Wald, Lebensräume, Ökologie, Biologie

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