Das "Vermächtnis" der erfahrenen Change Managerin Jeanie Daniel Duck: Zehn Lektionen, mit denen sich jeder Change Manager auseinandersetzen sollte, auch wenn sie auf den ersten Blick zum Teil selbstverständlich klingen.
Nach beinahe 20 Jahren als Change Managerin bei der Boston Consulting Group ist Jeanie Daniel Duck nun in den Ruhestand gegangen. In ihren aktiven Jahren war sie, wie der Vorspann dieses Artikels nicht ganz ambivalenzfrei lobt, "known for mixing Southern charm and sass with business insight and acumen." Was auf deutsch wohl heißen soll, dass ihre beherzte, direkte Art bei den immer auf Harmonie mit den Kunden bedachten BCG-Kollegen wohl so manches Mal blankes Entsetzen ausgelöst hat und überhaupt nur dadurch zu entschuldigen war, dass es meistens funktionierte.
Zu ihrem Abschied hat Jeanie ihren Kunden und Kollegen zehn "Lessons from Three Decades with the Change Monster" hinterlassen (der Titel nimmt auf ihr 2001 erschienenes Buch Bezug, das ich leider immer noch nicht rezensiert habe). Sie lohnen sich schon deshalb zu lesen, weil sie die Erfahrungsbilanz einer überdurchschnittlich mutigen, pragmatischen und erfolgreichen Change Managerin sind. Schon die Tatsache, dass sich Jeanie Duck als Seiteneinsteigerin mit einem vermeintlich "weichen" Kompetenzschwerpunkt in dem intellektuell-analytischen Umfeld von BCG behauptet hat, lässt ihre Qualitäten erahnen. (Vermutlich war das sogar die größere Herausforderung als das Change Management bei ihren Kunden …)
Man muss nicht allen ihren "Lessons" und Argumenten zustimmen, aber es lohnt sich allemal, über sie nachzudenken. Da der Artikel für Nicht-BCG-Alumni nur schwer zugänglich ist, fasse ich ihn hier kommentierend zusammen.
Jeanie Ducks erste Lektion lautet: "Sei mutig!" (Be bold). Das untermauert sie mit dem trockenen Argument: "Any change effort requirres resources and management attention. Why waste them on timid initiatives?" Wer meint, dass das doch ziemlich banal sei und hart an der Grenze zum Gemeinplatz, der könnte, bevor er abschließend urteilt, das Handeln unserer Politiker in der Euro-Krise dagegenhalten. Oder auch seine Erfahrungen mit den letzten drei Veränderungsinitiativen im eigenen Haus und deren Umsetzung. Wie viele davon sind denn wirklich in aller Konsequenz und mit dem erforderlichen Mut zu unangenehmen Entscheidungen durchgezogen worden?
So besehen verliert auch Ducks zweite Lektion viel von ihrer vermeintlichen Banalität: "Be utterly obvious" – auf deutsch, rede Klartext: "Spell out your messages, expectations, and reasonings as bluntly, clearly, and frequently as possible." Und zeige deutlich, dass das nicht nur Rhetorik ist, sondern sich in Entscheidungen, Zielen, Maßnahmen und Messsystemen widerspiegelt. Abermals: Wie offensichtlich. Und wie selten.
"Be careful what you promise", fordert sie weiter, und auch das klingt selbstverständlich. Aber wie viele Vorstände habe ich schon in der Euphorie des Aufbruchs Dinge ankündigen hören, die sich später – oft aus guten Gründen – als nicht einlösbar erwiesen! Und: "Make commitments stick" – sorge für Verbindlichkeit! Denn spätestens wenn klar wird, dass die Veränderungen nicht nur andere betreffen, sondern auch die eigene Interessensphäre, lässt die Begeisterung der Helden oft spürbar nach. "I believe in carrots and sticks", bekennt Duck, und: "I want to be able to use every possible lever available. I want to close all escape hatches. I want clear rewards, and I want clear negative consequences." Auf diese Weise wird Veränderung zur Konditionierungsübung, mit einer harten Dichotomie zwischen denen, die Veränderung erzwingen, und denen die gezwungen werden. Und damit potenziell zum Machtkampf. (Witzigerweise der Punkt, an dem wir auch schon vor 20 Jahren den größten Dissens hatten.)
"Forget happy" mahnt sie weiter, und dann folgen ein paar Sätze, die "typisch Jeanie" sind (und gar nicht zu dem niedlichen Vornamen passen): "If it doesn't hurt at some point, you're not changing. Trying to make people happy during a transformation is tough, if not impossible. Focus on what employees are doing rather than thinking or feeling. (…) At work, we rent behavior. Figure out what behaviors will create the win and then require those behaviors. Feelings follow behavior."
Die nächste Lektion lautet etwas vage: "Take culture seriously and work on it explicitly". Aber Jeanie meint mit Kultur Verhalten und mit Kulturveränderung Steuerungsinstrumente: "You need to translate a new vision and new values into specific behaviors and actions using many different tools–-job design, compensation, metrics, rewards, and evaluations, just to name a few. These tools must reinforce one another in order to reach a tipping point."
Nur dick unterstreichen kann ich auch ihre nächste Lektion: "Be responsible and stay responsible". Denn: "The kiss of death is the belief that implementation is somebody else's responsibility." Tatsächlich glauben immer noch viele Top Manager, sie könnten die Drecksarbeit der Implementierung an das Bodenpersonal delegieren. Doch bis sie bemerkt haben, dass die mittleren und unteren Ebenen längst bemerkt haben, dass die Oberen sich anderen Themen zugewandt haben, ist die Sache gelaufen.
"Stay connected", fordert Duck als achte Lektion und meint damit, im engen Kontakt mit der Organisation zu bleiben: "It's hard to be a leader if you don't know where the followers are. Many organizations are too big for top executives to talk to everyone, but it's usually possible to connect with the critical 10 percent. I would often ask leaders to name their 20 most critical people–-those who shape the opinion of others and whom they count on to make things happen." Zu diesen Meinungsführern sollten sie einen engen Draht halten, um sicherzustellen, dass sie informiert, involviert und in ihren Sichtweisen ernstgenommen sind.
Typisch Jeanie, und vorbildhaft für Change Manager, ist, dass sie es nicht bei Appellen an die Einsicht belässt, sondern bei diesen 20 Multiplikatoren regelmäßig per Fragebogen abfragt: "Is your boss committed to marking this change successful? Do you know what is expected of you Do you think the change initiative will work? What three things could your boss do to become a more effective leader?" Ich kann mir gut vorstellen, dass die Begeisterung bei ihren Kunden (und den beteiligten BCG-Vizepräsidenten) nicht vorbehaltlos war, wenn sie dies vorschlug – aber ich bin sicher, dass es ausgesprochen hilfreich ist. Denn Top Manager bekommen in aller Regel viel zu wenig (ehrliches) Feedback; sie müssen aber wissen, was ihre Leistungsträger denken, tun und – anderen erzählen.
Eine wichtige Führungsaufgabe ist weiterhin: "Provide interpretation and meaning". Zu Recht sagt sie, dass Organisationen auf ihre Führer schauen, um Ereignisse zu interpretieren. Wenn das unterbleibt, schießen rasch die Spekulationen ins Kraut, und die Mitarbeiter füllen das Vakuum mit Katastrophenphantasien. Schließlich erinnert sie in der zehnten und letzten Lektion an etwas, was oft vergessen wird: "Celebrate the accomplishments along the way". Was freilich voraussetzt, dass man zuvor dafür gesorgt hat, dass es solche "early wins" überhaupt gibt.
So erfrischend diese zehn Lektionen zugespitzt und auf den Punkt gebracht sind, wenn man sie mit etwas Abstand betrachtet, fällt natürlich auf, dass das meiste davon so oder so ähnlich schon öfter gesagt worden ist – und dass man auf vieles davon mit ein bisschen Nachdenken auch hätte selber kommen können. Das stellt den Wert des Artikels nicht in Frage, aber es wirft mit hoher Dringlichkeit eine andere Frage auf. Nämlich, wie es kommt, dass gegen diese naheliegenden, plausiblen und allgemein bekannten Regeln wohl häufiger verstoßen wird als sie eingehalten werden. Was zum Teufel hindert Top Manager daran, es so zu machen wie es Jeanie Duck und viele andere beschreiben? Um das zu verstehen und möglicherweise zu verändern, müsste man sich wohl mehr, als es bislang geschieht, mit den Gedanken und Emotionen der für Change-Prozesse Verantwortlichen befassen. Denn eine bloße Wiederholung der immer gleichen Botschaften wird die Welt der Veränderung nicht verändern.
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