Nicht wirklich eine Einführung in die Behavioral Economics, wie der Untertitel verspricht, eher ein Forschungsbericht, aber ein lohnender. Wessen Erinnerungsreste die mathematische Beweisführung überfordert, der kann sie fast schadlos überspringen.
Beim ersten Durchblättern war ich etwas erschrocken: Stellenweise seitenlange mathematische Beweisführungen – wollte ich mir diese Anstrengung wirklich zumuten? Beim Hineinlesen legte sich der Schreck: Man kann aus dem schmalen Büchlein eine Menge herausziehen, auch wenn man die Passagen, die in Formelsprache gehalten sind, überspringt. Trotzdem kann als "Einführung" allenfalls das 27 Seiten umfassende erste Kapitel "Are Financial Markets Efficient?" durchgehen. Darin stellt der Harvard-Ökonom Andrei Shleifer sehr klar, aber hochkonzentriert die "Efficient Market Hypothesis" (EMH) sowie ihre Kritik vor und liefert damit gewissermaßen die Exposition des Buches.
Die Theorie der effizienten Märkte von Eugene Fama besagt, dass Märkte insofern effizient sind, als die Preise von Wertpapieren immer die gesamte verfügbare Information vollständig reflektieren und damit die "richtigsten" zu diesem Zeitpunkt möglichen Preise sind. Wenn das stimmt, folgt daraus zwingend, dass es unmöglich ist, durch die gezielte Auswahl von Wertpapieren eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen – woraus wiederum folgen würde, dass es die einfachste und zugleich billigste Methode, an einem Markt zu partizipieren, wäre, einfach – zum Beispiel über Indexfonds – in ein diversifiziertes Portfolio des jeweiligen Marktes zu investieren. Diese Theorie fußt auf drei Prämissen, schreibt Shleifer: "First, investors are assumed to be rational and hence to value securities rationally. Second, to the extent that some investors are not rational, their trades are random and therefore cancel each other out without affecting prices. Third, to the extent that investors are irrational in similar ways, they are met in the markets by rational arbitrageurs who eliminate their influence." (S. 2)
Leider lässt Shleifer das erkenntnistheoretische Problem hinter der ersten Prämisse unbeachtet, nämlich, wie denn Investoren, und seien sie auch noch so rational, aus der Vielzahl der verfügbaren Informationen den angemessenen Preis eines Wertpapiers bestimmen. Denn wenn niemand angeben kann, nach welcher Methodik man diesen Preis rational aus den verfügbaren Informationen ableitet, hat die Annahme, dass die Märkte dies im Kollektiv dennoch vermöchten, etwas Mythisches. Der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage stellt ja lediglich den gewichteten Durchschnitt subjektiver Annahmen über die künftige Ertragsentwicklung dar. Diese Verteilung individueller Schätzungen mag unter Ausschöpfung und subjektiver Bewertung aller Informationen bestmöglich sein, eine zwingende Logik steht nicht dahinter, und den gewichteten Mittelwert zur "Rationalität" zu erklären, weckt den Verdacht, dass die EMH auf ein recht irrationales Verständnis von Rationalität aufbaut.
Wie anfechtbar das ist, wird besonders deutlich, wenn die Märkte, ohne dass wesentliche neue Informationen vorlägen, vom einen auf den anderen Tag stark steigen oder fallen: Welcher Preis ist dann der Richtige? Der alte? Der neue? Beide? Keiner von beiden? Jeder "Tagespreis" am jeweiligen Tag? Die vermeintliche Rationalität wird so zur Beliebigkeit, mit eingebautem Verfallsdatum, aber ohne jeglichen Erklärungswert.
In den drei folgenden Kapitel demontiert Shleifer die dritte Prämisse der EMH, nämlich, dass professionelle Arbitrageure dafür sorgen würden, jegliche Abweichungen der Märkte von dem "richtigen" Preis eines Wertpapiers, die durch irrationale Investoren – die sogenannten "Noise Trader" – zustande gekommen sein mögen, sofort und eigennützig zu eliminieren. Im fünften Kapitel stellt Shleifer sein "Model of Investor Sentiment" vor – und ihm gleich im sechsten Kapitel ein alternatives Erklärungsmodell gegenüber, nämlich "Positive Feedback Investment Strategies". Es basiert auf der überaus spannenden Idee, dass rationale Akteure sowohl ein Interesse als auch die Fähigkeit haben können, Abweichungen vom "wahren Preis" eines Wertpapiers zu forcieren, statt sie durch Arbitrage zu eliminieren. Im siebten und letzten Kapitel beschreibt Shleifer alsdann "Open Problems".
Der Text ist dicht, aber sehr klar geschrieben und mit Ausnahme der mathematischen Passagen auch für interessierte Laien lesbar. Am Ende hat man mindestens zwei Dinge gelernt: Erstens, dass Märkte neue Nachrichten nicht, wie es die EMH behauptet, sofort absorbieren und vollständig im Preis abbilden, sondern dass der ersten Preisreaktion auf eine neue Nachricht in aller Regel ein längerer Nachlauf in die gleiche Richtung folgt – was die Behavioral Economics mit dem psychologischen Konstrukt des "Konservativismus" erklären, das heißt mit der Neigung, an seiner Meinung erst einmal festzuhalten, auch wenn ihr widersprechende Fakten bekannt werden. Und zweitens, dass die Märkte zumindest am oberen und am unteren Rand zu Verzerrungen neigen, die sich ebenfalls nicht mit der EMH vertragen: Bei den sogenannten "Glamour Stocks", also den in der Vergangenheit (!) besonders erfolgreichen Firmen neigen sie dazu, deren künftige Erträge zu überschätzen; bei Firmen, die schlecht performt haben, unterschätzen sie dagegen die künftigen Erträge. Shleifer erklärt beides mit dem psychologischen Konzept der "Overconfidence" von Tversky und Kahneman.
Das ist nicht nur theoretisch spannend, weil es zeigt, dass die (Finanz-)Märkte weit weniger effizient sind als ihre Nobelpreis-gekrönten Apologeten behaupten, sondern auch von praktischem Nutzen, weil es eine Möglichkeit eröffnet, die die Efficient Market-Theorie explizit für ausgeschlossen erklärt, nämlich mit guten Erfolgsaussichten auf künftige Marktentwicklungen zu spekulieren. Die riskantere Variante dazu ist, Glamour Stocks leerzuverkaufen – auf die Gefahr, dass die Märkte nach Keynes' berühmten Wort länger irrational bleiben als die eigene Liquidität reicht. Sicherer ist, in ein Portfolio heruntergeprügelter Aktien mit niedrigem Kurs-Buchwert-Verhältnis zu investieren – und dann einfach zu warten, bis sich die Erträge und in deren Folge die Bewertungen normalisieren.
Aber das ist noch nicht alles. Für rationale Investoren gibt es sehr viel sicherere und profitablere Möglichkeiten, von dem "Rauschpegel" der Märkte zu profitieren, als das riskante Spiel der Arbitrage zu spielen. Denn wenn noch mehr Investoren auf den "falschen" Preis aufspringen und den "irrationalen" Trend verstärken, haben sich die Arbitrageure geschnitten. Wie Shleifer im Kapitel "Positive Feedback Investment Strategies" zeigt, ist es für sie sehr viel lohnender, Abweichungen vom optimalen Preis zu verstärken, statt sie durch Arbitrage zu beseitigen. Wenn sie auf den Zug aufspringen und den "irrationalen" Trend mit ihrem Geld verstärken, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Investoren angelockt, die ihr Geld in den vermeintlichen Wachstumswert stecken – und dafür mit weiter steigenden Kursen belohnt werden. Entscheidend ist dann, mit hohen Erträgen auszusteigen, bevor sich der Kurs "normalisiert".
Besonders bemerkenswert ist daran, dass das rationale Verhalten der Akteure keineswegs zu einem effizienten Markt führt – im Gegenteil: Genau weil sich die Akteure aus ihrer Interessenlage völlig rational verhalten, verhält sich der Markt insgesamt ineffizient, das heißt, er weicht noch weiter vom "angemessenen" Preis ab, statt schnellstmöglich zu ihm zurückzukehren. Shleifer zeigt, wie sich die drei Phasen solcher Entwicklungen ("accumulation, distribution, and liquidation", S. 169) in vielen Marktblasen wiederfinden lassen, von der Tulpenblase des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Und dass diese Phasen sogar in die Charttechnik eingezogen sind, die in diesem Fall also doch mehr zu sein scheint als Kaffeesatzleserei.
Im Schlusskapitel "Open Problems" diskutiert Shleifer drei bislang ungelöste Problemkreise: "What determines security prices?", "Does it matter?" und "Is there a role for authorities?" – alles Fragen, die in effizienten Märkten hinfällig sind, in ineffizienten hingegen elementar. Geradezu peinlich kommt dabei zum Vorschein, dass die Ökonomie, geblendet von der EMH, kein Erklärungsmodell dafür hat, wie Wertpapierpreise entstehen und welche Rolle dabei so unterschiedliche Faktoren wie die (subjektive" Risikowahrnehmung und institutionelle Investoren haben. Großunternehmen scheinen, wie er zeigt, bei ihrer Finanzierung und Kurspflege mit diesen Einflussvariablen zu spielen, die es laut EMH gar nicht geben dürfte. Abschließend umreißt Shleifer ein ganzes Paket von Forschungsfragen, das zeigt, wie wenig wir auf diesem Gebiet bislang wissen – aber auch, dass es hier wirklich noch etwas zu entdecken gibt.
|