Auf gerade mal 100 Seiten gibt der Bostoner Wirtschaftsrechtsprofessor Lawrence Cunningham eine kompakte, sehr praxisnahe und verständliche Einführung in das Value Investing nach Graham, Dodd und Buffett. Eine sehr gute Basis für Einsteiger.
Die Anlagestrategie des Value Investing geht davon aus, dass (Finanz-)Märkte, entgegen der Efficient Market Theory, eben nicht effizient sind, sondern sowohl zu Über- als auch zu Untertreibungen neigen, und dass daher beträchtliche Gewinnchancen darin liegen, unterbewertete Aktien (und andere Wertpapiere) zu identifizieren und langfristig zu halten. Voraussetzung dafür ist freilich, dass man weiß, wie man solche Unterbewertungen erkennt – und das erfordert mehr Denk- und Fleißarbeit und vor allem mehr Disziplin als manchem Anleger lieb sein dürfte. In 14 kurzen Kapiteln stellt Cunningham sowohl die Logik als auch die operative Methodik dieser Investitionsstrategie vor.
Value Investing geht auf die amerikanischen Finanzprofessoren Benjamin Graham und David C. Dodd zurück, die dazu vor der Mitte des letzten Jahrhunderts die bahnbrechenden Werke "Security Analysis" (1940) und "The Intelligent Investor" (1949) veröffentlicht haben. Beide Bücher wurden seither immer wieder nachgedruckt und haben längst den Status von Bibeln des Value Investing erworben. Dessen prominentester und erfolgreichster Vertreter ist Warren Buffett, der mit seinem Konglomerat Berkshire Hathaway nicht nur selbst zu einem der reichsten Männer der Welt geworden ist, sondern auch viele seiner Investoren reich gemacht hat, indem er seit 1965 eine jährliche Rendite von durchschnittlich knapp 20 Prozent erzielt und damit sämtliche Aktienindizes des bisher bekannten Universums um Längen hinter sich gelassen hat.
Diese und einige andere Protagonisten des Value Investing stellt Cunningham im zweiten Kapitel vor, nachdem er im ersten einen Überblick über "Today's Investing Styles" gegeben hat. Weiter geht es mit einem Gedanken, der für Benjamin Graham und seine Jünger noch weit vor allen quantitativen Methoden der Bilanzanalyse steht, nämlich den, dass man das Geschäftsmodell der Firmen, in die man zu investieren erwägt, verstanden und durchdrungen haben muss. Zu den schwierigsten Herausforderungen zählt, die Grenzen der eigenen "Circles of Competence" (Kapitel 3) zu erkennen – und die Disziplin aufzubringen, sich strikt an sie zu halten.
In den folgenden Kapiteln geht es um das Handwerkszeug des Value Investing: "Financial Analysis" (Kap. 4) einschließlich einer Übersicht wichtiger Kennzahlen, "Compounding Principles" (Kap. 5), "Value Measurements" (Kap. 6), "Discount Rates" (Kap. 7) und "Market Prices" (Kap. 8). Dass Value Investing aber nicht bloß aus stumpfsinnigen Kennzahlenanalysen besteht, machen die folgenden Kapitel klar: "Frauds and Fantasies" (Kap. 9), "Chronic Reporting Problems" (Kap. 10) und "Future Reporting Problems" (Kap. 11). Spätestens danach hat man verstanden, dass es naiv wäre, einfach an die Zahlen glauben, weil sie die beruhigende Illusion von "Hard Facts" ausstrahlen. Es folgen zwei Kapitel "Ways to Buy Equities" (Kap. 12) und "Alternatives to Equities" (Kap. 13), bevor das Buch mit einer Zusammenfassung seiner Kernaussagen ("Summary of Tenets", Kap. 14) schließt.
Nach genau 103 Seiten (der Rest ist Index) hat der Einsteiger eine exzellente, sehr dichte Einführung in das Value Investing erhalten, der Fortgeschrittene eine kompakte Zusammenfassung. Sie ist nicht nur klar strukturiert, sondern auch, gemessen an der naturgemäß etwas trockenen Materie auch gut verständlich geschrieben. Um konzentriertes Lesen kommt man dennoch nicht herum, aber zumindest lässt sich der Inhalt bei konzentriertem Lesen gut verstehen – was man keineswegs von allen einschlägigen Fachbüchern sagen kann.
Ein Meister des Value Investing ist man damit natürlich noch lange nicht, aber man hat zumindest das Rüstzeug dafür, die ersten eigenen Schritte auf diesem Gebiet zu machen. Und man wird zum Beispiel auch die jährlichen "Letters to the Investors" von Warren Buffett, die wegen ihrer sprachlichen und gedanklichen Brillanz zu Recht Kultstatus genießen, weit besser einordnen und mit anderen solchen Rechenschaftsberichten vergleichen können. Noch nie zuvor zum Beispiel habe ich zum Beispiel so klar gesehen, dass etwa die schonungslose Deutlichkeit, mit der Buffett nicht nur seine Handlungsprinzipien, sondern auch seine eigenen Fehler offenlegt, nicht bloß ein bewundernswerter persönlicher Charakterzug ist, sondern ein zentrales Prinzip des Value Investing. Denn nur wer seine Investoren mit vorbehaltsloser Ehrlichkeit und Redlichkeit informiert, verdient ihr Vertrauen.
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