Ein nachdrücklicher Aufruf, unsere "Culture of Do and Tell" zu überwinden, mehr in die Beziehungspflege zu investieren und mehr aus echtem Interesse zu fragen, statt unseren Mitmenschen ungefragt zu erklären, was sie tun sollen.
Wenn Ed Schein, der Nestor der Unternehmenskultur, mit Mitte 80 noch einmal zur Feder greift und ein Büchlein über "die freundliche Kunst, zu fragen statt zu sagen" verfasst, scheint ihm das Thema wirklich ein Herzensanliegen. Und dann lohnt es sich allemal, hinzuhören, was seine Botschaft ist. Auch wenn die in Buchform notwendigerweise eher den Charakter von "Telling" statt von "Asking" hat.
"To tell" ist ein vieldeutiger Begriff, der sich kaum verlustfrei ins Deutsche übersetzen lässt. Seine Bandbreite reicht von (eine Geschichte oder ein Märchen) "erzählen" bis "eine Anweisung erteilen", mit Zwischenstufen von "informieren" über "empfehlen" bis "auffordern". All diesen Bedeutungen gemeinsam ist eine Asymmetrie der Beziehung: Da gibt es immer einen, der "weiß", und einen, der – jedenfalls aus Sicht des "Wissenden" – der Belehrung bedarf. Kein Wunder, dass die Adressaten solcher Ansagen zuweilen unwillig und mit Widerstand reagieren, wenn sie die Belehrung als entbehrlich empfinden und die mitschwingende Überordnung nicht akzeptieren. Das "Telling" wird so, da hat Schein ohne Zweifel einen Punkt, leicht zur Beziehungsbelastung. Und in hierarchischen Strukturen lässt es der Hierarchie-Niedrigeren verstummen.
Weil diese einseitige Kommunikation ebenso unbefriedigend wie unergiebig ist, stellt Schein die Frage nach der Alternative: "How does one produce a climate in which people will speak up, bring up information that is safety related, and even correct superios or those of higher status when they are about to make a mistake?" (S. 3) Und gibt zur Antwort: "What builds a relationship, what solves problems, what moves things forward is asking the right questions. In particular, it is the higher-ranking leaders who must learn the art of Humble Inquiry as a first step in creating a climate of openness." (S. 4)
Schon früh in seiner Beraterkarriere, schreibt Schein, sei ihm bewusst geworden, dass es wichtiger ist, die richtigen Fragen zu stellen, als Empfehlungen zu geben. Doch erst im Laufe der Jahre habe er erkannt, wie wichtig interessierte Fragen generell für die Qualität menschlicher Beziehungen sind: "I now realize that the issue of asking versus telling is really a fundamental issue in human relations, and that it applies to all of us all the time. What we choose to ask, when we ask, what our underlying attitude is as we ask – all are key to relationship building, to communication, and to task performance." (S. 4)
Das klingt überzeugend, und so war ich gespannt auf den Rest des Buchs, auch wenn schon auf den ersten Seiten für meinen Geschmack etwas arg viel von "humble(ness)" und "humility" (Demut, Bescheidenheit) die Rede war. Aber das bleibt auch so und entpuppt sich als ein zentrales Denkmuster von Ed Schein – was bei mir wachsendes Befremden ausgelöst hat. Er erläutert diesen seinen Schlüsselbegriff so: "Humility, in the most general sense, refers to granting something else a higher status than one claims than one claims for oneself. To be humilated means to be publicly deprived of one's claimed status, to lose face." (S. 10) Damit ist zumindest die Übersetzungsfrage geklärt: Hier sind eindeutig Demut (und demütigen) gemeint, nicht bloß Bescheidenheit (und sich bescheiden).
Schein unterscheidet drei Arten von Demut: (1) "Basic humility" – die Ehrerbietung gegenüber Menschen von höherer Geburt oder sozialem Rang; (2) "Optional humility" – in Gesellschaften, in denen sozialer Status über das Erreichte errungen wird, das Unterlegenheitsgefühl gegenüber Menschen, die es eindeutig zu mehr gebracht haben als wir selber; (3) "Here-and-now humility" – die freiwillige und situative Anerkenntnis der Tatsache, von anderen Menschen abhängig zu sein: "Here-and-now Humility is how I feel when I am dependent on you. My status is inferior to yours at this moment because you know something or can do something that I need to accomplish some task or goal that I have chosen. You have the power to help or hinder me in the achievement of goals that I have chosen and have committed to. I have to be humble because I am temporarily dependent on you." (S. 12)
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir hier und in den folgenden Sätzen mehr über das Menschenbild von Ed Schein erfahren als über die Kunst des richtigen Fragens: "Here, I also have a choice. I can either not commit to tasks that make me dependent on others, or I can deny the dependency, avoid feeling humble, fail to get what I need, and, thereby, fail to accomplish the task or unwittingly sabotage it. Unfortunately people often would rather fail than to admit their dependency on someone else." (S. 12) Offensichtlich ist für Schein das Wissen um die Abhängigkeit von anderen untrennbar mit dem Gefühl von niedrigerem sozialem Status gekoppelt. Da wir Menschen als soziale Wesen aber ständig voneinander abhängig sind, wäre demnach das ganze Leben ein Dauerbad in Humility.
Aber wieso muss man sich in eine Position von Unterlegenheit und Demut begeben, um die Auskünfte oder Unterstützung zu erhalten, auf die man angewiesen ist? Gleich ob man einen Fremden nach dem Weg zum Bahnhof fragt oder eine Hotline anruft, ob man einen Kollegen um Unterstützung oder einen Mitarbeiter um ein Feedback bittet: Erfordert das wirklich, freiwillig und ad hoc einen niedrigeren sozialen Status einzunehmen? Würde es nicht genügen, auf den jeweiligen Ansprechpartner mit Freundlichkeit und Achtung zuzugehen? Aus individualpsychologischer Sicht geht es hier schlicht darum, dem jeweiligen Partner mit Respekt und auf der Basis sozialer Gleichwertigkeit ("auf Augenhöhe") zu begegnen, also ohne den anderen klein zu machen, aber auch ohne sich selbst klein zu machen. Merkwürdig, dass Scheins Denken nur Über- und Unterordnung zu kennen scheint, keine Gleichwertigkeit.
Als Beispiel, wohin dies führt, soll eine Studie von Amy Edmondson dienen, die Schein zitiert. Danach arbeiten chirurgische OP-Teams erfolgreicher, wenn sie gemeinsam in die Kantine gehen, als wenn sie ihre Mahlzeiten getrennt nach Kasten einnehmen: Beeindruckend, aber nicht unplausibel. Mindestens ebenso erstaunlich ist Scheins Erklärung dafür: "The point is that a small change – whom one eats lunch with – has huge symbolic implications for relationship building in that the senior doctor is humbling himself by sitting with his subordinate staff, thereby empowering them to be more open with him." (S. 79)
Das musste ich mehrfach lesen: "… the senior doctor is publicly humbling himself …" Ich habe alle verfügbaren Wörterbücher zu Rate gezogen, ob "to humble" möglicherweise noch eine andere Bedeutung hat als "demütigen, erniedrigen". Aber das scheint nicht der Fall zu sein. Also geht Schein offenbar tatsächlich davon aus, dass ein Chefarzt sich erniedrigt, wenn er mit dem Pflegepersonal zu Mittag ist und ihm gar interessierte Fragen stellt, statt ihm die Welt zu erklären.
Bei allem Respekt vor Altmeister Schein: Diese Sichtweise kann ich nicht nachvollziehen. Kein Problem habe ich mit der zweiten Satzhälfte, dass der Chefarzt die Mitarbeiter auf diese Weise ermutigt (lieber als "ermächtigt"), offener mit ihm zu reden. Aber weshalb er damit an Status einbüßt, das will mir nicht in den Sinn. Aber auch vom Empfinden her kann ich nicht nachvollziehen, weshalb man durch Fragen, wie Schein unerschütterlich behauptet, seinen Status mindert. Vergibt sich denn der Arzt etwas, wenn er den Patienten nach seinen Beschwerden oder nach den Wirkungen eines Medikaments fragt? Vergibt sich der Handwerker etwas, wenn er seinen Kunden nach einer genauen Problembeschreibung fragt? Vergibt sich der Kunde etwas, wenn er sich bei dem Handwerker nach dem Ablauf und den Kosten der Reparatur erkundigt?
Im Grunde fällt mir nur eine Konstellation ein, in der man durch Fragen seinen Status mindert – nämlich dann, wenn man nach etwas fragt, was man als Experte eigentlich wissen müsste. Wenn der Chirurg die OP-Schwester fragt, wo er denn nun schneiden oder wie er mit den Blutungen umgehen soll, oder wenn der Mechaniker den Kunden fragt, wie er den Motor reparieren soll, dürfte dies das Vertrauen in seine Kompetenz und damit sein Ansehen tatsächlich beeinträchtigen. Ähnliches gilt wohl für die Imponierspiele unter Pseudo-Experten: Wenn man unter selbsternannten Wirtschaftsexperten einräumen müsste, mit Begriffen "Asset Inflation" oder "Gamma Hedge" nichts anfangen zu können, kann das ebenfalls peinlich sein, sprich, als Statusverlust empfunden werden.
Natürlich gibt man mit Fragen ein Stück Kontrolle aus der Hand – das ist sicherlich richtig. Denn es liegt nicht in der eigenen Hand, wie der Gefragte auf die Frage reagiert. Andererseits gewinnt man mit Fragen auch Kontrolle, wie der etwas platte, aber trotzdem nicht falsche Spruch "Wer fragt, der führt" suggeriert. Denn mit Fragen lenkt man damit die Aufmerksamkeit des Gefragten in eine bestimmte Richtung und beeinflusst damit maßgeblich, wie sich das Gespräch weiterentwickelt. (Was ja auch das Geheimnis jeder Moderation ist.) Zwar kann der Gefragte sich dieser Beeinflussung entziehen und den routiniert-suggestive Frager mit unerwarteten Antworten aus dem Tritt bringen ("Wollen Sie nicht auch Steuern sparen?" – "Nein, bloß nicht. Der Staat braucht das Geld!"). Aber bringt sich der Fragende deswegen in eine unterlegene Position? Oder zeigt das Beispiel nur, dass sich der Antwortende mit etwas Geschick der mit der Frage möglicherweise beabsichtigten Manipulation entziehen kann?
Trotz alledem kann ich vielen Aussagen Scheins vorbehaltlos zustimmen. Natürlich ist es gut, "asking questions across cultural and status boundaries" (S. 18), und es ist optimal, wenn dies aus einer "attitude of interest and curiosity" (S. 19) geschieht. Nur wozu die Komplikation mit der Selbsterniedrigung, die mit interessierten Fragen angeblich verbunden ist? Man sage nicht, der alte Schein sei eben in einer anderen Zeit aufgewachsen: Der Individualpsychologe Rudolf Dreikurs, auf den das Konzept der sozialen Gleichwertigkeit zurückgeht, war Jahrgang 1897 und damit 31 Jahre älter als Schein.
Unabhängig von diesen Einwänden enthält das Büchlein eine Fülle von Anregungen und Hinweisen zum Thema "Fragen statt Sagen". Das beginnt mit der berechtigten Frage, was uns eigentlich daran hindert, mehr zu fragen, zumal wenn wir uns damit nichts vergeben (würden), und reicht über den wertvollen Hinweis "Slow down and vary the pace" (S. 101), um ein offenes und lernfreudiges Klima zu schaffen, über Achtsamkeit und "After-Action Reviews" (S. 106) bis hin zu einer Schlüsselfrage der Führung, die alleine den Kauf und das Lesen des Büchleins wert ist: "If I am about to make a mistake, will you tell me?" (S. 108)
Das ist in der Tat eine Frage, die jeder Vorgesetzte und erst recht jeder Top Manager seinen Mitarbeitern stellen sollte: "Wenn ich dabei bin, einen Fehler zu machen, kann ich mich darauf verlassen, dass Sie es mir sagen?" Das setzt keine Demut voraus, wohl aber ein wechselseitiges Grundvertrauen, das auf Respekt und Gleichwertigkeit auch und gerade im Dissens basiert. Denn wie Offenheit nicht funktioniert, macht Schein mit einem hübschen Zitat aus dem New Yorker deutlich: "I want you to tell me exactly what you think of me – even if it costs you your job." (S. 87)
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