Die Stimmung, in der wir sind, wenn wir eine Entscheidung treffen, beeinflusst wesentlich, welche Entscheidung wir treffen. Wer es also schafft, uns also in die "richtige" Stimmung zu bringen, bestimmt unsere Entscheidungen maßgeblich mit. Lesenswert
Bei diesem Nachnamen ist man unwillkürlich geneigt, dem Vornamen ein "o" anzufügen, aber der Autor ist Amerikaner – und ein recht namhafter dazu: Ein mittlerweile emeritierter Professor für Psychologie und Marketing der Arizona State University und Verfasser des besten Buchs, das ich zur "Psychologie des Überzeugens" kenne (siehe Rezension).
Wer dieses Vorgängerwerk kennt, der wird sich voller Neugier auf die neue Publikation des Autors stürzen, zumal seit dem ersten Erscheinen von "Influence: The Psychology of Persuasion" im Jahr 1984 mehr als 30 Jahre verstrichen sind. Cialdini wurde sehr bekannt durch dieses Buch, von dem über 3 Millionen Exemplare verkauft wurden und das in 30 Sprachen übersetzt wurde – umso gespannter darf man sein, was er jetzt Neues zu sagen hat.
Die Stimmung steuern, die Entscheidungen beeinflusst
Einleitend positioniert Cialdini „Pre-Suasion“ quasi als Appendix zu seinem Bestseller „Influence“. Damals war er, so schreibt er, auf der Suche nach den Erfolgsprinzipien überzeugender Kommunikation – und fand sechs davon: „Reciprocation – Liking – Social Proof – Authority – Scarcity – Consistency“ (S. 10). Mit seinem neuen Buch trägt er ein siebtes Erfolgsprinzip nach, das er damals noch nicht entdeckt hatte, und zwar ein besonders wirksames, nämlich Pre-Suasion, die Voreinstimmung.
„Persuasion“ heißt übersetzt bekanntlich Überredung und Überzeugung – wobei die englische Sprache zwischen diesen im Deutschen so unterschiedlich belegten Begriffen nicht differenziert. Das Wortspiel „Pre-Suasion“ ist nicht ins Deutsche übersetzbar, sein Inhalt aber sehr wohl, auch wenn sich die Übersetzer der deutschen Ausgabe (Campus) davor gedrückt haben und bei „Pre-Suasion“ geblieben sind. Aber „Einstimmung“ bzw. „Voreinstimmung“ trifft exakt, was gemeint ist.
Tatsächlich sind unsere Entscheidungen immer von unserer Stimmung und damit von unserer Voreinstimmung beeinflusst, gleich ob diese Voreinstimmung gezielt herbeigeführt wurde oder nicht. An sonnigen Tagen beurteilen Menschen ihre Lebenssituation positiver als an regnerischen – außer, man lenkt ihre Aufmerksamkeit bewusst auf das Wetter, dann verblasst der Effekt.
Fällt unsere Aufmerksamkeit mehr oder weniger zufällig auf eine große Zahl oder wird sie gezielt dorthin gelenkt („Bistro 97“), sind wir bereit, höhere Preise zu akzeptieren, als bei einer niedrigen Zahl. Das ist der sogenannte Ankereffekt. Er wirkt auch, wenn man ihn kennt. Das lässt sich natürlich wunderbar verkäuferisch nutzen: „Auch mit dieser Sonderausstattung werden wir ganz gewiss unter einer Million bleiben …“ Absurd? Klar. Aber der Anker ist gesetzt – und wirkt. Die einzige Chance ist, ihn zu erkennen.
Positive Teststrategie
Die Bereitschaft, ein neues Produkt zu testen, steigt sprunghaft an, wenn wir zuvor gefragt wurden: „Sind Sie ein experimentierfreudiger Mensch, der gerne mal etwas Neues ausprobiert?“ Nach dieser Frage sind viele Leute sogar bereit, einem Werber auf der Straße ihre E-Mail-Adresse zu überlassen, was sie unter normalen Umständen wohl kaum täten.
Wie kommt das? Wie und warum wirken solche Voreinstimmungen? Cialdini erklärt das damit, dass sie eine „positive test strategy“ aktivieren. Nach unserer Experimentierfreude gefragt, suchen wir in unserer Erinnerung nach Beispielen, die sie belegen – und finden mit hoher Wahrscheinlichkeit welche. Offenbar wirkt der „Confirmation Bias“ (Daniel Kahneman), also die unbewusste Tendenz, nach Bestätigung zu suchen, nicht nur bei Meinungen und Überzeugungen, sondern auch bei Fragen.
Hätte man uns stattdessen gefragt, ob wir ein vorsichtiger Mensch sind, hätten wir dafür dank der positiven Teststrategie mit Sicherheit auch Beispiele gefunden – und wären vermutlich zurückhaltender mit unserer E-Mail-Adresse gewesen. Aber vielleicht wäre diese Frage die richtige Voreinstimmung für den Verkauf einer überflüssigen Versicherung gewesen.
Die optimale Ausgangsbasis schaffen
In drei Teilen mit insgesamt 14 Kapiteln dröselt Cialdini die Geheimnisse der Voreinstimmung auf. Im ersten „Pre-Suasion: The Frontloading of Attention“ beschreibt er die Grundmechanismen, im zweiten Teil „Processes: The Role of Association“ arbeitet er die psychologische Feinmechanik heraus, und der dritte „Best Practice: The Optimization of Pre-Suasion“ handelt, etwas widersprüchlich, davon, wie man die Voreinstimmung am wirksamsten gestaltet und weshalb man sie nicht für unredliche (unethical) Zwecke verwenden sollte.
Der entscheidende Trick der „Pre-Suasion“ ist ganz einfach, und Cialdini verrät ihn bereits im einführenden ersten Kapitel: Während andere Menschen sich darüber den Kopf zerbrechen, wie sie ihr Anliegen möglichst überzeugend und erfolgversprechend formulieren könnten (oder nicht einmal das), überlegen sich die wahren Profis, die „Pre-Suader“, wie sie ihre Adressaten, bevor sie ihr Ansinnen vortragen, in eine Stimmung bringen könnten, die sie ihrem Wunsch gewogen macht. Sie bringen ihr Anliegen erst vor, nachdem sie den Boden dafür optimal bereitet haben.
Bei der Pre-Suasion kommt es, wie Cialdini im zweiten Kapitel „Privileged Moments“ erläutert, entscheidend darauf an, den richtigen Augenblick zu erwischen bzw. ihn durch einen geeigneten „Opener“ zu schaffen: „Do you consider yourself a helpful person?“ (S. 25) Wenn man auf diese Weise eine günstige Voreinstimmung geschaffen hat, gilt es, den privilegierten Moment beherzt nutzen.
Kausal ist, was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht
Besonderes Gewicht hat dabei immer, was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht: „The Importance of Attention … Is Importance“ (Kapitel 3). Schon wenn es gelingt, ein Thema überhaupt zum Thema zu machen, hat man dessen Bedeutung angehoben – und zwar in der Regel über dessen wahre Bedeutung hinaus, wie der Nobelpreisträger Daniel Kahneman treffend festgestellt hat: "Nothing in life is as important as you think of it while you are thinking about it." (S. 33) Deshalb ist das Kanalisieren der Aufmerksamkeit der halbe Erfolg: „Channeled attention leads to pre-suasion.“ (S. 15)
„What’s Focal Is Causal“, ist das vierte Kapitel überschrieben: Wir neigen dazu, das, was im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht, nicht nur für besonders wichtig zu halten, sondern auch für die Ursache dessen, was zu erklären steht.
Vermutlich trägt das dazu bei, dass wir eine Erklärung für umso wahrscheinlicher halten, je länger wir uns mit ihr beschäftigen. Aber es hat auch zur Folge, dass wir bei einem Gespräch denjenigen für den bestimmenden Part halten, auf den unser Blick gerichtet ist. Das geht so weit, dass zwei Beobachter, die ein Zwiegespräch aus verschiedenen Perspektiven miterlebt haben, systematisch zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, wer von beiden den Verlauf und das Ergebnis stärker bestimmt hat.
Dieser Effekt kann gefährlich werden, wenn man durch irgendeinen blöden Zufall als Beschuldigter vernommen wird und die Vernehmung aufgezeichnet wird. Wie empirische Untersuchungen und reale forensische Beispiele zeigen, werden spätere Beobachter, einschließlich Richter und Geschworene, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem Urteil kommen, dass der auf dem Video gezeigte Beschuldigte tatsächlich der Täter ist – und sie werden kaum wahrnehmen, wie suggestiv die Fragen waren und wie viel Druck die Vernehmenden gemacht haben.
Cialdini nimmt diese Gefahr so ernst, dass er eindringliche Empfehlungen gibt, wie man sich in einer solchen Situation verhalten solle: Erstens, herausfinden, wo die Kamera ist. Zweitens, den eigenen Stuhl so verschieben, dass der Vernehmer und man selbst als Vernommener gleichermaßen im Bild sind. Drittens, bei irritierten Reaktionen sich auf ihn, Cialdini, berufen.
Die Steuerung der Aufmerksamkeit
Was die Steuerung der Aufmerksamkeit betrifft, stellt Cialdini im fünften Kapitel drei sogenannte Attraktoren vor, nämlich das Sexuelle, das Bedrohliche und das Neue, und im sechsten Kapitel drei „Magnetizers“, nämlich die Relevanz für die eigene Person, das Unvollendete und das Mysteriöse.
Am spannendsten sind die beiden letzten: Unvollendetes ruft nach Vollendung – der aus der Gestaltpsychologie der Dreißigerjahre bekannte Zeigarnik-Effekt (benannt nach der lettischen Psychologin Bluma Zeigarnik, einer Schülerin Kurt Lewins). Und das Mysteriöse schreit nach Aufklärung.
(So sehr, dass Cialdini seine Geschichten immer wieder und mit großem Erfolg als Rätsel konstruiert: Das schafft Spannung und erleichtert und beschleunigt das Lesen ungemein. Und das Beste: Er liefert in diesem Kapitel ein „Drehbuch“ dafür mit. Um nicht gemein zu sein und dieses Rätsel ohne Auflösung stehen zu lassen, folgt sie am Ende der Rezension.)
Im mittleren Teil des Buchs befasst sich Cialdini damit, wie Pre-Suasion eigentlich funktioniert. Dabei kommt wie der Titel schon signalisiert, der Rolle der Assoziation eine besondere Bedeutung zu. Das liegt einfach daran, dass Gehirntätigkeit im Wesentlichen aus Assoziationen besteht: Neuronale Entladungen aktivieren andere neuronale Aktivitäten, die auf diese Weise im wörtlichen Sinne „assoziiert“ werden.
Worte erzeugen Assoziationen
„Association can be called the building blocks of thought.“ (S. 99) Das wirft auch ein neues Licht auf die Rolle und Funktionsweise der Sprache: „The main purpose of speech is to direct listeners‘ attention to a selected sector of reality.“ (S. 100)
Der „Wahl der rechten Worte“ kommt daher weit größere Bedeutung zu als gemeinhin angenommen wird. Gleich zweimal zitiert Cialdini in diesem Zusammenhang den Schriftsteller Joseph Conrad: „He who wants to persuade should put his trust not in the right argument, but in the right word.“ (S. 102) und: „If you want to change the world, change the metaphor.“ (S. 105)
So betrachtet macht es vielleicht doch einen Unterschied, ob man von „Bullet Points“ oder von „Information Points“, von „Schnittstellen“ oder von „Verbindungsstellen“ spricht. Als Nicht-Muttersprachler assoziierte ich bei „Bullet Points“ zwar keine (Gewehr- oder Pistolen-)Kugeln, aber das mag bei Natives anders sein. Aber Schnitt- vs. Verbindungsstellen – ja, stimmt, das ist ein Unterschied.
Aber Assoziationen darf man auch noch wörtlicher verstehen: Alle(s), was mit uns durch irgendeine Verbindung assoziiert ist – den gleichen Geburtstag, die gleiche Herkunftsstadt oder -region, das gleiche Studienfach –, erhält einen Vertrauensvorschuss. Namensübereinstimmungen oder -ähnlichkeiten schaffen ebenso sehr eine Verbundenheit (und damit eine positive Voreinstimmung) wie eine gemeinsame Sprache.
Kleine Impulse aus der Umgebung
Aber es geht noch weiter: Unsere Voreinstimmung wird auch von Orten und Räumlichkeiten bestimmt, schreibt Cialdini im achten Kapitel „Persuasive Geographics“: Die äußeren Rahmenbedingungen, unter denen wir beispielsweise einen Text verfassen, beeinflussen den Inhalt und die Gestalt dieses Textes. Am eigenen Beispiel beschreibt Cialdini, dass er an der Universität, ohne es zu bemerken, deutlich akademischer schreibt als im Home Office mit Blick auf die Straße.
Wie die gefürchteten Huster in klassischen Konzerten zeigen, können kleine Impulse aus der Umgebung reichen, um die Aufmerksamkeit anderer auf ihren eigenen latenten Hustenreiz zu lenken und so eine Kettenreaktion auszulösen. Diese hohe Suggestibilität macht uns auch anfällig für alle möglichen eingebildeten Krankheiten, bis hin zu dem „Medizinstudenten-Syndrom“ mit der jeweils durchgenommen „Krankheit der Woche“.
Aber man kann diese Suggestibilität auch nutzen, um sich selbst in eine bessere Stimmung zu bringen, indem man seine Aufmerksamkeit auf die positiven Aspekte des eigenen Daseins lenkt. In Anlehnung an die Forscherin Sonya Lyubomirsky hat Cialdini dafür drei konkrete Empfehlungen:
- „Count your blessings and gratitudes at the start of every day (…)
- Cultivate optimism by choosing beforehand to look on the bright side of situations, events, and future possibilities.
- Negate the negative by deliberately limiting time spent on dwelling on problems and on unhealthy comparisons with others.“ (S. 125)
Das klingt recht amerikanisch, aber wenn die innere Voreinstimmung in solchem Maße unsere Realitätswahrnehmung prägt, wären wir eigentlich bescheuert, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen.
Ähnliches gilt für unsere Leistungsfähigkeit, die ebenfalls in erheblichem Maß durch selbst gewählte und von außen kommende Voreinstimmungen beeinflusst wird: Wenn wir an einschlägige Erfolge denken (oder erinnert werden), bringen wir bessere Leistungen als wenn wir an unsere Schwierigkeiten und Misserfolge mit dem jeweiligen Aufgabengebiet denken (oder erinnert werden).
Erhöhte Reaktionsbereitschaft
Wie das neunte Kapitel „The Mechanics of Pre-Suasion“ unterstreicht, funktioniert die Voreinstimmung so, dass der „Opener“ das betreffende Assoziationsfeld aktiviert und damit eine positive Reaktionsbereitschaft für den Folgereiz schafft. Gleichzeitig unterdrückt dies andere Assoziationsfelder. Das geschieht automatisch und ständig, weil es die Reaktionsschnelligkeit und -qualität des Organismus verbessert. Aber diese nützliche biologische Funktion lässt sich eben auch als Angriffspunkt für strategische Kommunikation nutzen.
Doch kann man sie sich auch für eigene Zwecke zu Nutze machen, zum Beispiel mit sogenannten „Wenn-dann-Plänen“. Wenn man sich etwa etwas emotional Anstrengendes vorgenommen hat, kann man die Wahrscheinlichkeit, es tatsächlich zu realisieren, erheblich erhöhen, wenn man es sich nicht bloß fest vornimmt, sondern einen „Wenn-dann-Plan“ dafür erstellt: „Wenn ich vom Mittagessen zurückkomme, dann mache ich als erstes …“ Auf diese Weise stimmen wir uns selbst auf die gewünschte Handlung ein: „We become prepared, first, to notice the favorable time or circumstance and, second, associate it automatically and directly with the desired conduct.“ (S. 140)
Im dritten Teil „Best Practices: The Optimization of Pre-Suasion“ rekapituliert Cialdini zunächst die sechs Methoden überzeugender Kommunikation, die er in seinem früheren Buch „Influence“ herausgearbeitet hatte (Kapitel 10). Im ersten Moment stutzt man da und fragt sich, was das mit Voreinstimmung / Pre-Suasion zu tun hat. Aber diese sechs Prinzipien lassen sich in der Tat auch für diesen Zweck einsetzen. Wenn der Verkäufer uns informiert: „Am häufigsten wird XY gekauft“, dann nutzt er damit die soziale Beweisführung als Voreinstimmung.
Ergänzend zu seinem früheren Buch nennt Cialdini hier neue Forschungsergebnisse zum optimalen Timing der sechs Überzeugungsmethoden in unterschiedlichen Gesprächsphasen. Danach eignen sich „Liking“ und „Reciprocity“ am besten, wenn es um den Aufbau einer guten Beziehung geht, „Social Proof“ und „Authority“ helfen, Unsicherheit zu reduzieren, und „Consistency“ sowie „Scarcity“ sind am besten geeignet, um zum Handeln zu motivieren.
Zusammengehörigkeit als wirksame Voreinstimmung
Einen siebten Einflussfaktor stellt Cialdini in den beiden folgenden Kapiteln vor, nämlich „Unity“, und zwar in zwei Varianten, zum einen als „Being Together“ (Kapitel 11), zum anderen als „Acting Together“ (Kapitel 12). Unity bedeutet, wörtlich übersetzt, Einheit, aber es trifft den Sinn besser, es hier als Zusammengehörigkeitsgefühl zu übersetzen. Mit wem wir uns verbunden fühlen, bei dem sind wir von vornherein geneigter, seinen Wünschen und Vorschlägen zuzustimmen als sie abzulehnen. Insofern ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit tatsächlich eine – starke und dauerhafte – Voreinstimmung.
Cialdini unterscheidet zwei Spielarten: Zum einen (langjähriges) Zusammensein, wie es sich aus Verwandtschaft, häusliche Gemeinschaft, Nachbarschaft oder Gemeindezugehörigkeit ergibt, zum anderen gemeinsame Aktivität, gleich ob sie in einer beruflichen Zusammenarbeit, gemeinsamem Sport, Ausflügen oder gemeinsamem Musizieren besteht.
Die positive Voreinstimmung gegenüber Menschen, mit denen wir ständig zusammen sind, ist soziobiologisch gut zu erklären mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit eines „reziproken Altruismus‘“ (Robert Trivers), also damit, dass unter dem Strich alle profitieren, wenn man sich gegenseitig hilft. Aber es ist erstaunlich, dass man sich auch Menschen verbunden fühlt, bei denen die Gemeinsamkeit eher abstrakt ist, weil sie etwa zufällig in der gleichen Stadt aufgewachsen sind, an derselben Universität studiert haben oder auch nur die gleiche Sportart ausüben.
Eine besonders stark verbindende Aktivität, die Gefühle von Zusammengehörigkeit und Sympathie sowie die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung weckt, ist übrigens gemeinsames Musizieren: Vermutlich, weil es über das Aufeinander-Hören und die synchronisierte Aktivität ein besonders starkes Gemeinschaftserleben auslöst.
Auch das lässt sich natürlich präsuasiv nutzen. So erzeugen Religionsgemeinschaften Verbundenheit, indem sie von Brüdern, Schwestern, Müttern und Vätern sprechen. Und Musik ist das ideale Vehikel für Ideologen – oder, wie Voltaire sagte: „Anything too stupid to be spoken is sung.“ (S. 199)
Die (Un)Ethik der Prä-Suasion
Nachdem er in seinem ganzen bisherigen Buch detailliert beschrieben hat, wie Prä-Suasion funktioniert, behandelt Cialdini im 13. und vorletzten Kapitel „Ethical Use: A Pre-Pre-Suasive Consideration“. Denn natürlich lassen sich all die Techniken und Methoden, die er in den bisherigen Kapiteln beschrieben hat, auch für ziemlich üble Manipulationen einsetzen.
Diese Missbrauchsmöglichkeiten entstehen zwar nicht erst durch deren Beschreibung und Erforschung, sie bestanden auch schon vorher und wurden auch schon vor ihrer systematischen Untersuchung genutzt. Aber natürlich verleitet ein solches Buch dazu, sie noch gezielter und systematischer einzusetzen – und man darf bezweifeln, dass ein Kapitel über Ethik daran viel ändern wird.
Cialdini warnt zwar vor einem Missbrauch der Prä-Suasion, untersucht aber nicht, wann deren Einsatz überhaupt unethisch ist. Da Voreinstimmung aber ständig und durch alles, was wir tun und lassen, stattfindet, haben wir jedoch gar nicht die Option, auf ihren Einsatz zu verzichten, selbst wenn wir wollten – und es ist fraglich ob wir wollen sollten.
Ob Prä-Suasion bewusst eingesetzt wird, kann dabei kein Kriterium sein, denn eine unanständige Einflussnahme wird ja nicht dadurch anständig, dass sie sich auf die Unschuld des Unbewussten beruft – zumal unbewusst etwas anderes ist als unbeabsichtigt. Das ist unbefriedigend: Solange man nicht angeben kann, welches Handeln eigentlich verwerflich ist, nützt es auch wenig, zum Verzicht darauf zu ermahnen.
Cialdini glaubt, dass die Angst, mit Manipulationen aufzufliegen, keine ausreichende abschreckende Wirkung hat. Dies wäre zwar ein erhebliches Risiko für die eigene Glaubwürdigkeit – aber nur, wenn man die Wahrscheinlichkeit, ertappt zu werden, als relativ hoch einschätzt.
Sein Argument ist ein anderes: Gestützt auf empirische Untersuchungen sagt er, unethisches Handeln brächte erhebliche Risiken für die innere Verfassung eines Unternehmens mit sich, wie „poor employee performance, high employee turnover, and prevalent employee fraud and malfeasance.“ (S. 214f.) Er bringt das so auf den Punkt: „Those who cheat for you will cheat against you.“ (S. 219) Sein Wort in Gottes Ohr.
Voreinstimmungen stabilisieren und verankern
Nachdem das mit der Ethik erledigt ist, geht es Cialdini im letzten Kapitel noch darauf ein, wie man die Effekte der Voreinstimmung, die ihrer Natur nach oft recht kurzlebig sind, stabilisieren und dauerhaft verankern kann. Eine Möglichkeit – sozusagen der Vertriebsklassiker – ist, die Adressaten zu einem Commitment zu bewegen, also beispielsweise zu einer Anzahlung oder sonst einem aktiven Schritt. Das kann im einfachsten Fall auch nur eine Notiz sein: Die Termintreue von Patienten steigt messbar, wenn sie, statt einen Zettel mit dem Folgetermin überreicht zu bekommen, den Termin selbst aufschreiben.
„The implication for effective pre-suasion is plain: pre-suasive openers can produce dramatic, immediate shifts in people, but to turn those shifts into durable changes, it’s necessary to get commitments to them, usually in the form of related behavior. (…) The most effective commitments reach into the future by incorporating behaviors that affect one’s personal identity. They do so by ensuring that the commitment is undertaken in an active, effortful and voluntary fashion.“ (S. 226f., Hervorhebung im Original)
Auch die bereits erwähnten Wenn-dann-Pläne wirken in diese Richtung: Hier geht man das Commitment halt gegenüber sich selbst ein. In ähnlicher Weise können wir uns selbst pre-suaden, in dem wir uns gezielt mit Reizen umgeben, die uns in die für unser jeweiliges Vorhaben optimale Voreinstimmung bringen. Um uns selbst zu Höchstleistungen anzuspornen, helfen laut Cialdini geeignete Sportfotos. Wenn wir uns optimal auf eine bestimmte Zielgruppe einstimmen wollen, hilft es, uns mit Bildern und Accessoires dieser Zielgruppe zu umgeben.
Das rückt zum Schluss eine interessante „dritte Option“ ins Blickfeld: Es gibt nicht nur die zufälligen Voreinstimmungen, mit denen uns das Leben in seiner Vielfalt ständig übergießt, und die strategischen Voreinstimmungen, mit denen uns geschickte Kommunikatoren in die für ihre Zwecke richtige Stimmung versetzen wollen – die dritte Option ist, dass wir das Heft unserer Voreinstimmungen wenigstens zum Teil selbst in die Hand nehmen und bewusst (mit)bestimmen, in welche innere Verfassung wir uns bringen.
Nachdrückliche Denkanstöße
Was ist mein Fazit am Ende des Buchs? Die wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass die Voreinstimmung wesentlich einflussreicher ist als ich sie bislang wahrgenommen habe. Was sich von innen als autonome, kaum durch äußere Impulse beeinflusste Entscheidung anfühlt, ist wohl weit mehr, als ich mir das eingestehen möchte, von teils zufälligen, teils strategischen Impulsen mitbestimmt. Die bewusster wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und unter Umständen aktiv (mit) zu gestalten, ist wohl Voraussetzung für mehr Autonomie.
Aber auch die aktive, strategische Nutzung der Voreinstimmung zum Beispiel im Change Management ist jede Menge zusätzlicher Überlegungen wert. An manchen Stellen, so wurde mir bewusst, nutze ich das auch jetzt schon. Wenn es zum Beispiel darum geht, mit einem Vorstand die Ziele einer Kulturveränderung zu erarbeiten, dann ist es, wie ich herausgefunden habe, nicht klug, direkt mit dieser Frage zu beginnen. Wesentlich bessere und relevantere Ziele entstehen, wenn man zuvor als Einstimmung (a) die Stärken und Schwächen der bestehenden Kultur und (b) die Chancen und Bedrohungen erarbeitet, vor denen das Unternehmen in den nächsten Jahren steht.
Aber dieser Ansatz gibt ohne Zweifel noch wesentlich mehr her.
In Summe liefert das auch eine klare Antwort auf die Frage, ob sich die Lektüre gelohnt hat. Ja, das hat sie eindeutig, zumal das Buch dank Cialdinis Mystery-Stories auch gut und unterhaltsam zu lesen ist – und zumal es mit netto 233 Seiten auch deutlich kürzer ist als es scheint: Rund 90 der brutto 413 Seiten sind (ein sehr großzügig bedrucktes) Literaturverzeichnis, 70 sind Endnoten und 20 Register – mit anderen Worten, immerhin 180 von gut 400 Seiten muss man gar nicht lesen, um das Buch gelesen zu haben. Wenn das kein Angebot ist!
PS: Hier die versprochene Auflösung des Rätsels, wie man ein didaktisches Rätsel (Mystery) aufbaut:
- „Pose the Mystery.
- Deepen the Mystery.
- Home In on the Proper Explanation by Considering (and Offering Evidence Against) Alternative Explanations.
- Provide a Clue to the Proper Explanation.
- Resolve the Mystery.
- Draw the Implications for the Phenomenon Under Study.“ (S. 92ff.)
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