Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Rationaler Umgang mit der prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft

Marks, Howard (2013):

The Most Important Thing Illuminated

Uncommon Sense for the Thoughtful Investor

Columbia University Press (New York, Chichester); 226 Seiten; 24,12 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 16.01.2019

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Eines der gescheitesten Bücher zum Thema – Top-Empfehlung für (Value) Investoren, aber auch für Risikomanager, Strategen, letztlich für alle, die Entscheidungen treffen müssen, die mit der prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft behaftet sind.

Der Titel des Buchs ist feine Selbstironie: Im Vorwort erzählt Howard Marks, der Vorsitzende und Mitbegründer von Oaktree Capital Management und einer der scharfsinnigsten Denker auf diesem Feld, wie er sich selbst bei verschiedenen Gelegenheiten zu Kunden sagen hörte: "The most important thing is …" – und dabei auf ganz unterschiedliche Dinge aufmerksam machte. In diesem Buch hat er nun in 21 Kapiteln "The Most Important Thing(s)" zusammengestellt – wobei es ganz so viele auch wieder nicht sind, weil er sich mit manchen Schlüsselfragen wie Risiko, Preis und Marktzyklen in mehreren Kapiteln befasst.

Auf dem Weg zum Klassiker

"The Most Important Thing" ist das gescheiteste Buch zu diesem Themenfeld, das ich bislang gelesen habe. Die Gedanken und, noch wichtiger, analytischen Ansätze, die man daraus lernen kann, beschränken sich keineswegs auf das Themenfeld Kapitalanlage und Investieren; sie sind anwendbar auf alle Entscheidungen, die unter der prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft getroffen werden müssen.

Das rätselhafte "Illuminated" ("er- bzw. beleuchtet") im Titel bezieht sich darauf, dass Marks' Text in dieser Ausgabe von vieren seiner Kollegen, nämlich von Christopher C. Davis, Joel Greenblatt, Paul Johnson und Seth A. Klarman, mit kurzen eingestreuten Kommentaren versehen sind.

Was sich bei näherem Hinsehen als zweifelhafte Idee erweist, denn es steht natürlich nicht zu erwarten, dass sich die Kommentatoren kritisch mit dem Text auseinandersetzen. Also bleibt ihnen eigentlich nur, einzelne von Marks' Aussagen zu bekräftigen, sie um die eine oder andere Facette zu ergänzen oder sonstwie "Herr Lehrer, ich weiß was!" zu rufen. Insgesamt fügen diese Kommentare der Strahlkraft von Marks‘ Aussagen relativ wenig an zusätzlicher Lichtstärke hinzu. Wer die unilluminierte Ausgabe kauft, versäumt wenig: Die wirklichen Erleuchtungen liefert der Autor selbst.

Unabhängig davon ist "The Most Important Thing" eines jener Bücher, von denen man mit Fug und Recht sagen kann: Wenn jemand nur ein Buch zu diesem ganzen Themenfeld lesen möchte, dann dieses. Nach meiner Überzeugung ist es auf dem Weg zum zeitlosen Klassiker, gleichrangig neben der "Bibel der Value Investoren", Benjamin Grahams "The Intelligent Investor". Und es ist es wert, es nicht nur einmal zu lesen, sondern es immer wieder einmal zur Hand zu nehmen, um sich wichtige Gedanken und Prinzipien in Erinnerung zu rufen.

Brillante Analyse des Risikobegriffs

Eine Lehre fürs Leben ist etwa, wie Marks das Konzept des Risikos vom Kopf auf die Füße stellt. In der "Modernen Portfolio-Theorie" wird ja Volatilität, also die Schwankungsbreite einer Anlage, als Maß für ihr Risiko verwendet – aber das ergibt, wie er überzeugend darlegt, bei genauerem Nachdenken wenig Sinn: Die Quantifizierbarkeit, die man mit dieser Gleichsetzung gewinnt, wird um den Preis eines weitgehenden Substanzverlusts erkauft. Schon Warren Buffett hat ja gespottet, Volatilität beinhalte auch das Risiko, dass der Wert eines Investments stark steigt – und dieses Risiko trüge er jederzeit gern.

Marks ergänzt Warren Buffetts aphoristische Brillanz um eine präzise analytische Begründung: Das wirkliche Risiko einer Anlage besteht eben nicht darin, dass ihr Wert schwanken kann – damit könnten wohl die meisten Anleger leben –; es besteht in einem dauerhaften Verlust. Doch dieses Risiko ist nicht quantifizierbar, weil jede exakte Bestimmung ein Wissen um die Zukunft voraussetzen würde: Man kann es lediglich qualitativ und mit aller menschlichen Fehlbarkeit abzuschätzen versuchen.

Nicht einmal ex post lasse sich das Risiko einer Entscheidung bestimmen: Aus der Tatsache, dass sich sie als Volltreffer erwiesen hat, folgt keineswegs, dass sie zu dem Zeitpunkt, als sie getroffen wurde, eine kluge Wahl war. Und aus der Tatsache, dass sich eine Entscheidung als völliger Flop erwiesen hat, folgt ebenso wenig, dass sie falsch war. Denn die Qualität einer Entscheidung muss auf der Basis des Informationsstandes beurteilt werden, der vorlag, als sie getroffen wurde, also in Unkenntnis dessen, welche von vielen möglichen Zukünften sich entfalten würden.

Die Unvorhersehbarkeit künftige Entwicklungen macht es auch so schwierig, fähige Investoren von "lucky idiots" zu unterscheiden: "Randomness alone can produce just about any outcome in the short run." (S. 165) Nur über lange Zeiträume ist es möglich, die Spreu vom Weizen zu trennen; kurzfristige Gewinne und Verluste legen allzu leicht voreilige Schlussfolgerungen nahe.

Risiko ist tückisch

Ein ausgesprochen wichtiger Hinweis ist, dass das Risiko tückisch ist: Es macht sich in guten Zeiten quasi unsichtbar, weil sowohl Unternehmen als auch private Kreditnehmer gut verdienen und deshalb uneingeschränkt solvent wirken, doch im Abschwung tritt es plötzlich in voller Größe hervor, wenn sicher geglaubte Aufträge und Jobs wegbrechen und die Fähigkeit zur Bedienung der eingegangenen Zahlungsverpflichtungen austrocknet.

Deshalb droht genau dann die größte Gefahr, wenn alle sorglos sind: "The risk-is-gone myth is one of the most dangerous sources of risk and a major contributor to any bubble." (S. 62)

Den Irrglauben vieler Anleger, sie müssten, um höhere Gewinne zu erzielen, einfach ein höheres Risiko eingehen, pulverisiert Marks mit einem einzigen trockenen Satz: "If riskier investments reliably produced higher returns, they wouldn't be riskier." (S. 41) Riskantere Anlagen können höhere Erträge bringen, wenn sich die Umstände als günstig erweisen, aber eben auch schlechtere und sogar Verluste; ihre Streubreite ist einfach größer: "Riskier investments are those for which the outcome is less certain. (…) Uncertainty about the return and the possibility of loss increases as risk increases." (S. 43)

"Wissende" und "unwissende" Investoren

Marks unterscheidet zwei Typen von Investoren: Die von der "I know-School", die genau zu wissen glauben, was die Zukunft bringt, und die von der "I don't know-School", die mehrere mögliche Entwicklungen für denkbar halten und unsicher sind, welche eintreffen wird.

Die Investoren der "I know-School" stehen vor einer vergleichsweise simplen Aufgabe: Sie müssen nur ihr Portfolio mutig und konsequent auf den von ihnen vorgesehenen Fall ausrichten. Falls sie Recht behalten, sind ihnen reiche Gewinne und die Titelseiten der einschlägigen Magazine sicher. Falls nicht, werden sie zu unfreiwilligen Beispielen für Marks' hübschen Mengenlehre-Übungssatz: "There are old investors, and there are bold investors, but there are no old bold investors." (S. 171)

Wer sich dagegen zu der "I don't know-School" zählt, hat es ungleich schwerer: Er muss sich nicht nur mit der Ungewissheit der Zukunft herumschlagen, sondern auch ein Portfolio zusammenstellen, das, wenn schon nicht auf alle, so doch auf eine Vielzahl möglicher Entwicklungen vorbereitet ist – was zugleich heißt, dass es für keine der eintretenden Entwicklungen optimal aufgestellt sein kann.

Deshalb wird sein Portfolio nie so triumphal abschneiden wie das jener Vertreter der "I know-School", die gerade richtig geraten haben. Aber es wird auch nie so heillos unter die Räder kommen wie das jener, deren erwartete Zukunft nicht eingetreten ist. Mark Twain hat dazu treffend gesagt: "It ain't what you don't know that gets you in trouble. It's what you know for sure that ain't so." (S. 150)

Konsequente Risikovermeidung ist keine Option

Tatsache ist nun einmal: Auch extrem unwahrscheinliche Ereignisse kommen von Zeit zu Zeit vor – und lassen diejenigen zerstört zurück, die darauf vertraut haben, dass sie zu unwahrscheinlich sind, um einzutreten. "Risk means more things can happen than will happen", zitiert Marks Elroy Dimson (S. 39).

Andererseits kann man sich nicht auf jede mögliche Entwicklung vorbereiten – nicht nur, weil manche vermutlich außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens liegen, sondern auch, weil sonst die Kosten der Absicherung jeden Ertrag aufzehren würden. Wer der "I don't know-School" anhängt, muss daher nicht nur die Lähmung überwinden, die aus dem Bewusstsein der Risiken unterschiedlichster Entwicklungen entsteht, er muss zusätzlich abwägen, für welche Risiken er Vorkehrungen treffen will und für welche nicht. Was zugleich heißt: Ein Rest Risiko bleibt – auch für risikobewusste Value-Investoren.

Konsequente Risikovermeidung ist keine Option: "You can't run a business on the basis of worst-case assumptions. You wouldn't be able to do anything. And anyway, a 'worst-case assumption' is really a misnomer; there's no such thing, short of a total loss." (S. 38) "You can't prepere for the worst case. (…) Risk avoidance is likely to lead to return avoidance as well." (S. 79) Er zitiert den Komiker Will Rogers: "You've got to go out on a limb sometimes because that's where the fruit is." (S. 80)

Trotzdem hat für ihn Sicherheit Vorrang: "It's more important to ensure survival under negative outcomes than it is to guarantee maximum returns under favorable ones." (S. 169) Deshalb geht es vor allem darum, keine schwerwiegenden Fehlentscheidungen zu treffen: "Because ensuring the ability to survive under adverse circomstances is incompatible with maximizing returns in good times, investors must chose between the two." (S. 177)

Die Sicherheitsmarge

Umso wichtiger ist, sich der bestehenden Risiken bewusst zu sein und sie zu verstehen. Marks listet eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Risiken auf, aber letztlich ist das größte von allen, dass man für eine Anlage zu viel bezahlt: Je höher der Preis, den man in Relation zu ihrem inneren Wert entrichtet, desto geringer ist zwangsläufig der mögliche Gewinn, und desto höher das Risiko eines Verlustes: "No asset is so good that it can't become a bad investment if bought at a too high price." (S. 29)

Das höchste Verlustrisiko besteht dementsprechend nicht in schlechten Marktphasen, sondern in Boomzeiten, wenn die Kurse hoch sind – es manifestiert sich nur erst im nachfolgenden Abschwung. "The worst loans are made in the best of times." (S. 83)

Das beste Risikomanagement besteht infolgedessen – da ist Marks ganz Value-Investor der Graham-Dodd-Schule – in einer ausreichenden Sicherheitsmarge ("margin of safety"): Wenn man den Gegenwert eines Dollars für 70 Cent gekauft hat, trifft es einen nicht so hart, wenn sich der tatsächliche innere Wert später nur als 85 Cent entpuppt. Hat man dagegen 1,20 Dollar bezahlt, kann man zwar immer noch auf einen "greater fool" hoffen, der einem die Anlage für 1,50 Dollar abkauft, aber das Verlustrisiko steigt. "The greater fool theory works only until it doesn't." (S. 33)

Wie Marks immer wieder betont, kann eine erstklassige Firma ein miserables Investment sein, wenn der Preis zu hoch ist; umgekehrt kann eine schwache Firma ein ausgezeichnetes Investment sein, wenn der Preis stimmt – vorausgesetzt, sie bleibt nicht auf der Strecke. Deshalb sind Value-Investoren wie er viel nicht auf der Suche nach besonders erfolgreichen oder vielversprechenden Unternehmen, sie suchen nach übersehenen, unterschätzten, links liegen gelassenen, heruntergeprügelten oder gar (bei Investoren) verhassten Firmen: "Low price is the ultimate source of margin for error." (S. 179)

Aber um die Sicherheitsmarge zu kennen, muss man den inneren Wert ("intrinsic value") einer Anlage wissen bzw. schätzen, was eine Menge an Fleißarbeit und sauberen Analysen erfordert. Das Ziel ist dabei, Wertpapierezu identifizieren, die deutlich unter ihrem inneren Wert gehandelt werden. Auf die Methodik dafür geht Marks nicht ein, weil der Gegenstand seines Buchs nicht das technische Handwerkszeug ist, sondern der Denkansatz. Aber er liefert schon mal die Warnung mit, "unterbewertet" sei keineswegs ein Synomym für "demnächst steigend".

Mitschwimmen oder den Markt schlagen

Vom Grundsatz her haben Investoren zwei Möglichkeiten: Die eine ist, sich mit der Marktrendite zufriedenzugeben – dann ist das Erfolgsrezept einfach: Dann müssen sie nur an der allgemeinen Marktentwicklung teilnehmen, am einfachsten, indem sie sich einen oder mehrere Indexfonds kaufen. In diesem Fall können sie eigentlich nur noch einen groben Fehler machen, nämlich zu einem Zeitpunkt einsteigen, an dem der Markt insgesamt, so wie derzeit, sehr hoch steht – und auf diese Weise erst einmal am nachfolgenden Abschwung teilnehmen, bevor sich der Markt wieder erholt.

Aber prinzipiell erfordert das Erzielen der Marktrendite weder viel Arbeit noch besondere Fähigkeiten. Deshalb ist diese Option gerade für Privatanleger mehr als nur eine Überlegung wert. Denn die Marktrendite ist erstens gar nicht schlecht und zweitens mit wenig Arbeit und Kosten zu haben. Jede Alternative dazu ist mit wesentlich mehr Aufwand (= Kosten) und in der Regel auch mit einem höheren Risiko verbunden.

Wer dagegen mit der Marktrendite nicht zufrieden ist, muss versuchen, den Markt zu schlagen. Um das zu erreichen, muss nicht nur anders agieren als der Markt – um dauerhafte Überrenditen zu erzielen, muss er schlauer agieren als der Markt. Da Märkte in vielen Fällen aber relativ gut funktionieren, kann man das systematisch nur dann, wenn er (oder sein Berater) Marktineffizienzen erkennt und für sich nutzt. Was immer mit dem Risiko einhergeht, dass nicht der Markt, sondern man selbst einer Fehleinschätzung erlag.

Auf der zweiten Ebene denken ("Second-Level Thinking")

Um den Markt zu schlagen, ist eine Denkweise erforderlich, die Marks als "Second-Level Thinking" bezeichnet. Sie richtet sich nicht auf die Wertpapiere selbst, sondern auf deren derzeitige Bewertung durch den Markt, und zwar in Relation zu ihrem inneren Wert. First-Level Thinking wäre etwa: "Apple ist eine tolle Firma, also kaufe ich Apple!" Second-Level Thinking wäre: "Es haben so viele Leute Apple gekauft, dass die Bewertung weit über dem inneren Wert liegt. Also kaufe ich Put-Optionen auf Apple."

Wer so denkt und handelt wie die anderen, kann auch nicht besser abschneiden als die anderen – er geht allenfalls ein höheres Risiko ein, weil er sein Portfolio nicht ausreichend diversifiziert. Das heißt, er wäre besser beraten, sich mit der Marktrendite zufriedenzugeben und Indexfonds zu kaufen, die das Verhalten des Marktes mit perfekter Diversifizierung widerspiegeln.

Zudem reicht es nicht, es anders zu machen als die anderen: Damit würde man zwar wahrscheinlich anders abschneiden als der Markt, aber nicht notwendigerweise besser. Denn wie Marks im zweiten Kapitel erläutert, so ineffizient sind die Märkte auch wieder nicht, dass sie mühelos zu schlagen wären. Zwar gibt es nach seiner Überzeugung Marktineffizienzen, aber es ist nicht trivial, ihnen auf die Schliche zu kommen und sie auszunutzen.

Denn die allermeisten Informationen stehen (im Prinzip) allen Investoren zur Verfügung. Und da professionelle Anleger auf Basis der verfügbaren Fakten ähnliche Analysen machen, kommen sie zu ähnlichen Ergebnissen. Deshalb ist die wichtigste Frage bei neuen Informationen nicht, was aus ihnen für Schlüsse folgen – das wäre First-Level Thinking –, sondern, was die anderen daraus für Schlüsse ableiten. Um nicht voreilig loszupreschen, hilft die Frage: "And who doesn't know that?" (S. 13)

Trotzdem gibt es zuweilen Marktineffizienzen. Das erklärt sich zum einen daraus, dass an den Marktbewegungen Menschen beteiligt sind, die auf Veränderungen mit Emotionen reagieren und dabei zu Übertreibungen neigen, insbesondere zu Euphorie, wenn die Gier überwiegt, und Depression, wenn die Angst überwiegt. Hier passt das plakative Bild Benjamin Grahams von dem manisch-depressiven Mr. Market, der seine Aktien je nach aktueller Stimmung mal verschleudert, mal zu Mondpreisen anbietet.

Zum anderen gibt es technische Gründe für Marktineffizienzen: zum Beispiel die Ab-Teilungen in Wertpapierhäusern, die mühelosen Portfolioumschichtungen etwa von Aktien in Renten oder Rohstoffe entgegenstehen. Zudem lassen sich manche Übertreibungen nicht so einfach ausbeuten, weshalb sie über längere Zeit fortbestehen können: Leerverkäufe zum Beispiel sind etwas für Profis. Und schließlich gibt es diese Ineffizienzen nicht ständig, sondern nur in besonderen Marktphasen, sodass sich allein auf den gelegentlichen Übertreibungen kein tragfähiges Geschäftsmodell aufbauen lässt.

Die Zyklizität der Märkte nutzen

Sehr sympathisch ist mir bei alledem Marks' Ansatz, der lautet: Wir wollen den Markt gar nicht ständig schlagen, wir wollen nur seinen gelegentlichen Einbrüchen, so gut es geht, entgehen. In guten Zeiten sind wir mit der Marktrendite zufrieden, denn wenn der Markt 12 Prozent Rendite abwirft, ist es den Aufwand und das Risiko nicht wert, vielleicht auf 14 Prozent zu kommen bzw. nach Abzug der Kosten auf 12,5 Prozent. Deshalb konzentriert sich Oaktree darauf, drohende Markteinbrüche vorherzusehen und sie durch rechtzeitige Umschichtungen abzufangen oder zumindest zu dämpfen.

Aber wie soll das möglich sein, wo es doch unmöglich ist, die Zukunft vorherzusehen? Marks borgt sich dazu den Slogan einer Versicherung: "You can't predict. You can prepare." (S. 81) Auch wenn wir die Zukunft nicht vorhersehen können, wissen wir doch, dass sich fast alles im Leben in Zyklen bewegt: "Rule number one: most things will prove to be cyclical. Rule number two: some of the greatest opportunities for gain and loss come when other people forget rule number one." (a.a.O.)

In der Tat neigen Menschen dazu, diese Zyklizität zu ignorieren und die gegenwärtige Entwicklung mehr oder weniger linear in die Zukunft zu extrapolieren. Deshalb entstehen an bzw. kurz nach den Wendepunkten des Zyklus' die größten Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der Marktteilnehmer und dem weiteren Verlauf. (Das ist strenggenommen natürlich auch eine Vorhersage, aber eine, die relativ generisch ist und zudem auf langjähriger Bestätigung der Zyklizität basiert.)

Die genaue Entwicklung der Zukunft lässt sich nicht vorhersagen, wohl aber die prinzipielle Wiederkehr bestimmter Muster: "Investors will overvalue companies when they're doing well and undervalue them when things get difficult. And yet, every decade or so, people decide cyclicality is over." (S. 86) Dafür gibt es einen klassischen Merksatz, den Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff als Titel ihres Buchs über Schuldenkrisen verwendet haben: "This time it's different." Dieser Satz kann als Frühwarnsignal dienen: Wenn er fällt, ist es bald wieder soweit.

Das gilt übrigens nicht nur in Blasen, sondern auch im Crash: Die Erfahrung sagt, dass es bislang nach jedem Crash wieder nach oben gegangen ist, doch könnte die Lage inzwischen ja so verfahren sein, dass beim nächsten Mal wirklich ein kompletter Zusammenbruch bevorsteht: "This time it's different." Ja, könnte sein. Es kann aber auch sein, dass der Krise auch diesmal wieder eine Erholung folgt, so wie bislang immer. Das prinzipielle Dilemma ist, dass sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit kein Rechtsanspruch für die Zukunft ableiten lässt. Ja, bislang war das immer so. Und?

Risiken managen – ängstlich investieren

Eine von Warren Buffetts lakonischen Investmentweisheiten lautet schlicht: "Don't lose." Das gelingt selbst ihm, dem Großmeister nicht immer, aber das macht den Grundsatz nicht falsch: Man braucht einfach zu hohe Gewinne, um einen größeren Verlust zu kompensieren. Deshalb ist es wirklich gescheiter, Verluste zu meiden wie der Teufel das Weihwasser, selbst wenn einem dabei interessante Chancen entgehen. Sprich, man sollte riskante Wetten vermeiden, auch wenn sie noch so vielversprechend erscheinen. Fehler zu vermeiden, ist wichtiger als, geniale Spielzüge zu machen. Marks nennt das "investing scared".

Er zieht hier eine lehrreiche Analogie zum Tennis und führt eine nützliche Unterscheidung ein, nämlich die zwischen Gewinner- und Verlierer-Spielen ("winners vs. losers games"). Professionelles Tennis ist ein "Gewinnerspiel": Die Profis beherrschen ihr Gerät, ihre Motorik und damit den Ball so souverän, dass sie beinahe beliebig bestimmen können, was ihr Schlag auslöst und mit welchem Effet ihr Ball wo landet. Um ihr Spiel zu gewinnen, müssen sie aktiv Punkte machen, das heißt, den Ball so platzieren, dass der Gegner nicht mehr herankommt.

Wenn dagegen Laien spielen, spielen sie ein "Verliererspiel" – das heißt, es gewinnt, wer weniger Fehler macht. Für Laien besteht die Herausforderung deshalb nicht darin, den Gegner auszuspielen, sondern darin, den Ball überhaupt zurückzubringen. Sie müssen keine Punkte gewinnen, sie müssen vermeiden, welche zu verlieren.

Investieren ist für Marks ein Verliererspiel: Es geht nicht darum, möglichst spektakuläre Bälle zu schlagen, es geht darum, möglichst wenige ins Netz bzw. ins Aus zu schlagen. Aus seiner Sicht gibt es dabei zwei Risiken, zwischen denen man abwägen muss: "The risk of losing money, and the risk of losing opportunity. It's possible to largely eliminate either one, but not both." (S. 91) Am gefährlichsten ist freilich, mit dem Markttrend zwischen beiden hin- und herzulaufen, so wie es viele Anleger tun, weil ihre Risikobereitschaft entgegen aller Theorie variiert: "The academics consider investors' attitude towards risk a constant, but certainly it fluctuates greatly." (S. 90)

Skepsis ist nicht das Gleiche wie Pessimismus

Statt den Fehler zu machen, Trends zu folgen und sich prozyklisch zu verhalten, empfiehlt Marks ein gesundes Maß an Skepsis. Dabei macht er die wichtige Feststellung, dass Skepsis nicht das Gleiche ist wie Pessimismus: "Skepticism and pessimism aren't synonyms. (…) We must be skeptical of the optimism that thrives at the top, and skeptical of the pessimism that prevails at the bottom." (S. 119f.)

Das gilt gerade auch in Krisen: "During the crisis, a lot of bad things seemed possible, but that didn't mean they were going to happen. In times of crisis, people fail to make that distinction." (S. 118) In einer Krise müsse man auch mal den Mut aufbringen zu sagen: "No, that's too bad to be true." (S. 120) Entgegen der Investoren-Weisheit, man solle nicht versuchen, fallende Messer aufzufangen, stellt er fest: "It's our job as contrarians to catch falling knives, hopefully with care and skill. That's why the concept of intrinsic value is so important." (S. 121)

Insgesamt rät Marks zu geduldigen Opportunismus: "An opportunist buys things because they are offered at bargain prices." (S. 132) Dazu zählt auch, zu jedem Zeitpunkt zu akzeptieren, dass der Markt so ist wir im Augenblick ist, und nicht zu versuchen, bessere Erträge zu erzwingen als sie der Markt derzeit hergibt: "Wishing won't make it so." (S. 137) Die größte Gefahr ist "too much money chasing too few deals." (S. 155)

Deshalb ist ein verhängnisvoller Fehler, was er "reaching for yield" nennt (s. 135): "You want to take risk when others are fleeing from it, not when they are competing with you to do so." (S. 138) Je höher die allgemeine Risikobereitschaft, desto geringer ist die Prämie, die für das Eingehen von Risiken bezahlt wird, und desto höher dementsprechend das Verlustrisiko. Genau umgekehrt ist es, wenn die allgemeine Risikoaversion steigt: Die besten Gelegenheiten kommen, wenn die anderen im Panik davonlaufen. Oder wenn sie gezwungen sind zu verkaufen.

Es gibt immer wieder einmal Zeiten, in denen die Preise stark vom inneren Wert abweichen – mal in die eine, mal in die andere Richtung. Aber es gibt auch Zeiten, in denen es keine markanten Marktineffizienzen gibt. In diesen Zeiten ist es oft das Klügste, gar nichts zu tun und Geduld zu haben. Denn der Markt ist nicht sehr hilfsbereit: Nur weil man dringend höhere Erträge braucht, gibt er sie einem noch lange nicht: "Return expectations must be reasonable. Anything else will get you into trouble, usually through the acceptance of greater risk than is perceived." (S. 209)

Absolut einleuchtend, aber nicht leicht umzusetzen

Das ist alles absolut einleuchtend, noch dazu wenn es ein so scharfsinniger Profi wie Howard Marks erklärt, aber dennoch wahnsinnig schwer umzusetzen. Wie Marks völlig zu Recht feststellt, ist das entscheidende Hindernis nicht die rationale Einsicht, vielmehr sind es die eigenen Emotionen in ihrer Bandbreite von der Angst, großartige Gewinne zu versäumen und wie ein Idiot dazustehen, über Starrsinn und Rechthaberei bis hin zu der Panik vor dem bevorstehenden Weltuntergang.

Deshalb finde ich auch seinen Hinweis so wichtig, dass die menschliche Risikobereitschaft keine Konstante ist, sondern das innere Echo der Geschehnisse und der Stimmung auf dem Markt. Aus diesem Buch kann man lernen, dass Geldanlage mindestens ebenso sehr eine Frage der Selbstdisziplin und insbesondere der Beherrschung der eigenen Emotionen ist wie eine analytische Herausforderung.

Wobei genau genommen beides zusammenhängt: Man muss verstehen, was sich auf den Märkten abspielt, und man muss verstehen, was sich in einem selbst abspielt – und man muss dann die Nerven und die Disziplin haben, sich an die eigenen Erkenntnisse zu halten. "The Most Important Thing" ist dabei eine überaus wertvolle Hilfe. Trotzdem muss man das, was man aus diesem Buch gelernt hat, auch noch konsequent umsetzen – aber wer das nicht hinbekommt, kann es kaum auf das Buch schieben.

Schlagworte:
Risikomanagement, Value Investing, Zufall, Zufälligkeiten, Risikoerkennung, Ungewissheit, Marktzyklen

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