Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Praxisnaher, im Detail anfechtbarer Ermutigungsratgeber

Losoncy, Lewis E. (1977):

Turning People On

How to Be an Encouraging Person

Prentice Hall (New York); 150 Seiten (vergriffen)


Nutzen / Lesbarkeit: 7 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 06.07.2019

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Schmaler, sehr praxisorientierter, leicht verständlicher Ermutigungsratgeber, der aber daran krankt, keine klare Zielgruppe zu haben, und etliche bedauerliche konzeptionelle Ungenauigkeiten aufweist.

Lewis E. Losoncy, ein Motivationspsychologe, der sich auf seiner Website als "The Dr. of Encouragement" vermarktet, ist offenbar ein Schüler des Individualpsychologen Don Dinkmeyer, der gemeinsam mit Rudolf Dreikurs den auch heute noch lesenswerten Longseller "Encouraging Children to Learn" (deutsch: "Ermutigung als Lernhilfe", siehe Rezension) veröffentlicht hat. Jedenfalls hat Dinkmeyer ein kurzes Vorwort zu diesem Büchlein beigesteuert, und Losoncys Argumentationslinie bewegt sich sehr nahe an dessen gemeinsam mit Dreikurs verfasstem Buch. Er hat auch keinen weitergehenden theoretischen Anspruch, sondern will vor allem eine Lern- und Praxisanleitung liefern.

Losoncy war offenkundig mit den psychologischen Bücher und Lehrmeinungen vertraut, die in den siebziger Jahren angesagt waren: Virginia Axline, Albert Ellis, Leon Festinger, Abraham Maslow, Fritz Perls, Carl Rogers, B. F. Skinner. Anscheinend hat gerade die Lerntheorie, die damals dominierend war, bei ihm tiefe Spuren hinterlassen: Während die Individualpsychologie betont, dass es immer die Entscheidung des Einzelnen ist, was er aus den Impulsen und Reaktionen der Umgebung macht, beschreibt Losoncy Er- und Entmutigung allzu oft so, als ob es sich dabei um eine Konditionierung handele, die mehr oder weniger deterministisch in die eine bzw. die andere Richtung wirkt. Das ist nicht vereinfacht – es ist theoretisch wie empirisch falsch und geht an einem Kerngedanken der IP vorbei.

Was Entmutigung ist und wie sie entsteht

Im ersten Teil des Buchs "The Turning-Off Process" beschreibt Losoncy in Kapitel 1 "The Discouraged Person: Symptoms" und in Kapitel 2 "The Subtle Process of Discouragement". Für Einsteiger ist das eine gute Einführung, für Fortgeschrittene eine nützliche Wiederholung. Als Merkmale mutloser Menschen zählt er auf:

  • "Excessive need for attention
  • Need for power and control
  • Need for revenge
  • Dishonesty
  • Need for perfection
  • Closed-mindedness
  • Avoidance of competition
  • Avoidance of responsibility
  • Lack of confidence
  • Thoughts of worthlessness" (S. 10)

In den ersten drei Punkten erkennt man unschwer Rudolf Dreikurs' "Irrtümliche Nahziele" wieder. Doch ich finde das eine sehr nützliche Zusammenstellung, weil sie zeigt, dass Entmutigung erheblich über mangelndes Selbstvertrauen hinausreicht und auch Aspekte einschließt, die man in diesen Zusammenhang vermutlich nicht eingeordnet hätte, wie zum Beispiel Unehrlichkeit, Perfektionismus oder Engstirnigkeit. Auf den zweiten Blick ist es völlig schlüssig, denn Unehrlichkeit einschließlich Lügen erklären sich ja aus dem mangelnden Mut, zur Wahrheit zu stehen; Engstirnigkeit ist der mangelnde Mut, sich auf Neues bzw. auf bisher unbekannte Aspekte einzulassen; und Perfektionismus ist ein unerfüllbar hoher (und damit zwangsläufig entmutigender) Anspruch an sich selbst (und andere).

Im zweiten Kapitel unterscheidet Losoncy verschiedene Arten der Entmutigung – eine Unterscheidung, die ich noch nicht kannte: Entmutigung durch "Domination", "Insensitivity", "Silence" sowie "Intimidation" (S. 43). Sehr individualpsychologisch ist das allerdings nicht, es ist eher technisch-deterministisch gedacht und ignoriert den internen Bewertungs- und Entscheidungsprozess der Adressaten – und macht sie so zu wehrlosen "Opfern" entmutigender Verhaltensweisen Dritter.

Interessanter – und deutlich individualpsychologischer – werden die Erklärungen eine Ebene tiefer. Beim Dominieren etwa unterscheidet Losoncy zwei Arten: Zum einen Bevormunden (zum Beispiel durch das Abnehmen von Aufgaben oder durch unerbetene Hilfe), zum anderen Beschützen und Behüten. Das liegt letztlich nahe beieinander; in beiden Fällen entsteht die Entmutigung durch das implizite Feedback "Du kannst das nicht – lass es besser mich machen".

"Insensitivity" steht für das mangelnde Ernstnehmen von Menschen und für das Wegwischen von Anliegen, die für die Betreffenden eine hohe emotionale Bedeutung haben – was sie zu der entmutigten Schlussfolgerung verleiten kann: "Dann sage ich eben gar nichts mehr!" "Silence" ist nicht bloß Schweigen – gemeint ist vor allem mangelnde Anerkennung und Würdigung von Leistungen und Erfolgen. Und "Intimidation" kommt in den Varianten Besserwisserei, Perfektionismusansprüche und Übertrump(f)en daher. Einschüchternd wirken sie alle, weil sie den Betroffenen kaum eine Chance lassen, ein Ergebnis abzuliefern, das Bestand hat und "gut genug" ist.

Von der Entmutigung zu Ermutigung

Teil 2 behandelt dann den "Turning-On Process". Kapitel 4 "The Art of Encouragement: Some Guidelines" lässt erkennen, was herauskommt, wenn man die Individualpsychologie mit dem amerikanischen Verständnis von Individualismus verschneidet:

  1. "Only individuals, not groups, are important to the encouraging person
  2. The individual exists as a social being
  3. The individual functions as a whole, complete person, not as a series of parts
  4. The individual has goals, purposes, and values that motivate his or her behavior
  5. The individual acts according to the way he or she views the world" (S. 76, Hervorhebungen im Original)

In den jeweils zweiten Satzhälften der vier letzten Punkte erkennt man zentrale individualpsychologische Gedanken wieder, aber warum es notwendig ist, hier das Individuum so hervorzuheben, erschließt sich nicht. Man kann nur staunen, was in den USA als Alfred Adlers Sozialpsychologie geworden ist, deren zentrale Prämisse der einst war: Der Mensch ist ein soziales Wesen – alles was Menschen denken, fühlen und tun, ist auf andere Menschen bezogen und niemals ein rein individuelles Ereignis.

Der erste Satz ist zudem fragwürdig, denn natürlich sind Gruppen – die Familie, die Schulklasse, der Kollegenkreis – und das in ihnen herrschende Klima ein wesentliches Element der Ermutigung oder können es zumindest sein. Aus gutem Grund haben schon die frühen Individualpsychologen im Wien der 1920er Jahre Erziehungsberatung und psychologische Behandlung in öffentlichen und halböffentlichen Settings durchgeführt. Der Gedanke und das Signal dahinter war, dass persönliche Probleme immer auch soziale Probleme sind und deshalb auch als soziale Probleme behandelt werden müssen.

Ermutigung als schrittweiser Prozess

Kapitel 5 "The Art of Encouragement: A Systematic Approach" ist das Herzstück dieses kleinen Buchs. Darin stellt Losoncy "six main phases in the turning-on process" vor (S. 87). Er will sie allerdings flexibel und überlappend verstanden wissen, nicht als starres Programm:

  • "Creating the ideal encouraging relationship
  • Deciding what to focus on in the discouraged person
  • Facilitating decision-making
  • Encouraging action
  • Encouraging self-evaluation
  • Encouraging self-encouragement" (S. 88)

Leider sagt Losoncy dabei nicht, an welche Art von Beziehungen er bei alledem denkt. Ein systematischer Ermutigungsprozess setzt eine Dauerbeziehung voraus, und zwar tendenziell eine hierarchische, und davon gibt es neben Familie, Schule und Ausbildung, Beruf, Coaching und Therapie nicht allzu viele. Im Freundeskreis oder in gesellschaftlichen oder politischen Beziehungen gibt es zwar wechselseitige Ermutigung, aber ein systematischer, asymmetrischer Ermutigungsprozess ist dort schwer vorstellbar. Für das Vorgehen dürfte es aber ein gravierender Unterschied sein, ob der Ermutigungsprozess die eigenen Kinder, die Nachbarin oder den eigenen Chef als Adressaten hat.

Schritt 1 ist dabei noch unkritisch, weil es hier in erster Linie um den Aufbau (oder die Wiederherstellung) einer tragfähigen Beziehung geht. Leitlinien sind hier in Losoncys Worten "unconditional positive regard" (S. 88), "nonblaming attitude" (S. 90), "empathy" (S. 91), "confidence" (S. 92), "enthusiasm" (S. 93) und "nonevaluative listening" (S. 95).

Leider sagt er hier nichts darüber, wie man dabei mit bestehenden Beziehungen umgehen soll: Gleich ob es Kinder, Freunde und Bekannte, Mitarbeiter oder Kollegen sind, die Beziehungen beginnen ja in aller Regel nicht bei Null, sondern haben eine Vorgeschichte – und die ist meist mit recht gemischten Erfahrungen bestückt. Angesichts bestehender Altlasten dürfte daher in der Beziehung nicht selten eine Neuausrichtung erforderlich sein, damit ein Ermutigungsprozess überhaupt greifen kann.

Ein vom Ermutiger gesteuerter Prozess

Schritt 2 "Deciding what to focus on in the discouraged person" ist nicht mehr ganz so trivial. Das beginnt schon mit der Frage, wer hier die Schwerpunkte setzt, auf die die Weiterarbeit fokussiert werden soll. Ohne es ausdrücklich zu sagen, hat Losoncy dafür offenbar den Ermutiger im Auge: "Your next logical step is to try to understand the self-defeating person better. To do this, you will have to focus on certain aspects of that person so you can decide what his/her discouraged behaviors are and how you can best help him/her to effect a change." (S. 103)

Das wirft natürlich die Frage auf, wie partnerschaftlich das gesamte Vorgehen angelegt ist. Losoncy geht hier offenkundig von einem Prozess aus, bei dem der Ermutiger das Heft in der Hand hat und den Entmutigten mit kundiger Hand durch sein Ermutigungsprogramm führt. Wieviel Mitsprache der Ermutigende bei den Zielen und dem Ablauf hat, bleibt unklar – was vor dem Hintergrund des individualpsychologischen Ideals einer gleichwertigen Beziehung zumindest problematisch ist.

Allerdings scheint er dabei weniger an inhaltliche als an methodische Schwerpunktsetzungen zu denken, denn er diskutiert hier, wo innerhalb des individualpsychologischen Dreischritts von Denken, Fühlen und Handeln ("Thoughts, Actions, and Feelings (TAF)", S. 103 – falsche Reihenfolge, weil die Gefühle natürlich der Handlung vorausgehen!) der Ermutiger mit seinen Interventionen am besten ansetzen sollte. Beispielsweise könnte sich der Ermutiger dafür entscheiden, die mitschwingenden Emotionen hinter den Äußerungen seines Klienten anzusprechen – womit er sich dann dem "Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte" Gesprächspsychotherapie nach Rogers näherte.

Weiter geht es ihm hier darum, "Past Identities" (S. 107) zu erkennen, also herauszufinden, wie sich der zu Ermutigende bislang gesehen hat. Allerdings ist der Begriff "Past Identities" insofern irreführend, als er so klingt, als hätte er diese Sichtweisen bereits hinter sich gelassen, was aber in der Regel nicht der Fall ist. Treffender wäre wohl, von einem negativen Selbstbild zu sprechen, das überwunden werden muss, um zu neuen Ufern vorzustoßen, von dem die Betreffenden sich aber trotzdem nur schwer lösen können, weil es ihnen zumindest Halt und Orientierung bietet. Hilfsmittel dazu sind für Losoncy der "Claim to Fame" (S. 111), das (Wieder-)Entdecken von Quellen des Stolzes und das Erkennen der "Present Strengths" (S. 112).

Von der Ermutigung zur Selbstermutigung

Schritt 3 ist "Facilitating decision-making". Hier stellt Losoncy immerhin fest: "The responsibility for changing their lives lies solely with discouraged people themselves." (S. 115). Eine wertvolle Unterstützung kann die Ermutigerin hier liefern, indem sie ihre Adressaten dazu anhält, das Spektrum ihrer Handlungsmöglichkeiten zu erweitern – "to encourage them to think about all the possible alternatives" (S. 117). Um Risikoscheu zu überwinden, empfiehlt er, für sämtliche Alternativen die Vor- und Nachteile aufzulisten. So wird sichtbar, dass beherztes Handeln zwar mit dem Risiko einhergeht, sein Ziel nicht zu erreichen, dass das Nichterreichen des Ziels aber sicher ist, wenn man es gar nicht versucht.

Dann geht es Schlag auf Schlag: Die Schritte "Encouraging Action", "Encouraging Self-Evaluation" und "Encouraging Self-Encouragement" werden jeweils nur noch auf wenigen Seiten beschrieben und enden mit dem beinahe erleichtert wirkenden Ausruf in Großbuchstaben: "SELF-ENCOURAGEMENT IS THE ULTIMATE!" (S. 128) (Was vermutlich nicht gemeint ist im Sinne von: "… ist das Letzte!", sondern eher im Sinne von "… das höchste" oder "das Endziel".)

Insgesamt ein Buch, das man auch als engagierter Ermutiger nicht unbedingt gelesen zu haben braucht, das aber dennoch einige Anregungen zu bieten hat. Am interessantesten finde ich, den Ermutigungsprozess in Phasen zu untergliedern: vom Beziehungsaufbau über die schrittweise Ermutigung zu neuen Entscheidungen und mutigeren Handlungen bis hin zur Begleitung auf diesem Weg und der Ermutigung zur Selbstermutigung.

Schlagworte:
Ermutigung, Encouraging, Personalentwicklung, Motivation

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