Nützliches und praktikables Analyseraster für Fehlfunktionen in Teams. Es eignet sich auch und insbesondere für die Teamentwicklung im Top-Management, weil die fünf Kriterien an den Maßstäben von Top-Managern andocken.
Gerade erst habe ich mich in einer Rezension darüber beschwert, dass ein Buch bis zum Überdruss – jedenfalls bis zu meinem Überdruss – von Fallbeispielen überquoll. Und nun empfehle ich ein Buch, dessen erste 184 Seiten aus einer einzigen langen Fallstudie bestehen, noch dazu aus einer, die mit "The Fable" überschrieben ist. Was wohl auf Deutsch heißt, dass es sich nicht einmal um einen echten Fall handelt, sondern um eine erfundene Geschichte. Wie konsistent ist das eigentlich?
Konsistenter, glaube ich, als es in der Gegenüberstellung scheint. Aber erklärungsbedürftig ist es, das gebe ich zu. Warum mal so und mal so?
Eine ausführliche "Fabel"
Erst einmal, weil ich ja durchaus kein Gegner von Fallstudien bin. Ich habe ja selbst ein Buch mit 20 Fallstudien zum Thema Change verfasst und auch in meinen anderen Büchern und Artikeln immer wieder reichlich von Fallstudien und Fallbeispielen Gebrauch gemacht, wo es – nach meiner Meinung – dem besseren Verständnis und der Nachvollziehbarkeit der gemachten Aussagen zuträglich war.
Meine Kritik an dem Narrativ von Adam Grant richtete sich keineswegs grundsätzlich gegen Fallstudien, sie richtete sich dagegen, dass er seine Beispiele oft in einem Detailliertheitsgrad erzählt, der – jedenfalls nach meinem Dafürhalten – nichts zur Sache tut.
Gut, auch Patrick Lencioni schreibt seinen Protagonisten, der besseren Einprägsamkeit wie Unterscheidbarkeit zuliebe, ein paar holzschnittartige Charakteristika zu – aber damit ist es auch gut. Ansonsten konzentriert sich seine "Fabel" weitgehend auf das, was auf seine zentralen Botschaften einzahlt.
Trotz der belehrenden Absicht ist der Text nicht in penetranter Weise didaktisch: Er beschreibt anschaulich, ziemlich realistisch und streckenweise sogar spannend die Diskussionen im Top-Management-Team eines aufstrebenden, aber unprofitablen Software-Unternehmens, dessen neue und branchenfremde Chefin sich daran macht, aus einem hochgradig dysfunktionalen Haufen an der Spitze einen Leitungskreis zu formen, der diese Bezeichnung wirklich verdient.
Dabei ist der Autor (und Inhaber einer einschlägigen Beratungsfirma) realistisch genug, um nicht eine lineare Entwicklung vom maroden Haufen zur Weltspitze zu beschreiben, sondern eine Achterbahn mit allen Höhen und Tiefen, die aber über die Zeit doch eine deutlich Entwicklung zum Besseren nimmt. Im Laufe der Fabel führt seine Heldin, die CEO, Lencionis Modell der "Five Dysfunctions of a Team" ein, das er auf den letzten 40 Seiten in einem "Overview of the Model" noch einmal ausführlicher erläutert.
Lencionis fünf Fehlfunktionen
Die Fabel nachzuerzählen, ist wenig sinnvoll. Sinnvoll scheint mir hingegen, die Pyramide dieser fünf "Dysfunctions" zusammenfassend darzustellen und zu kommentieren. Die grundlegendste aller Fehlfunktionen ist "Lack of Trust". Mangelndes Vertrauen führt zu "Invulnerability", sprich dazu, dass sich die Beteiligten unangreifbar machen und es sorgfältig vermeiden, sich in irgendeiner Weise zu exponieren, sich in die Karten schauen zu lassen oder gar Schwächen zu zeigen.
Die zweite Fehlfunktion, "Fear of Conflict", zieht "Artifical Harmony" nach sich. Die dritte nennt er "Lack of Commitment"; ihre Folge ist "Ambiguity", also Halbherzigkeit. Die vierte ist "Avoidance of Accountability" mit der Folge von "Low Standards", und die fünfte schließlich, "Inattention to Results", bringt er mit "Status and Ego" in Verbindung.
Die fünf Begriffspaare sind logisch nicht ganz konsistent. "Status and Ego" beispielsweise sind wohl weniger die Folge von "Inattention to Results" als deren Ursache: Wie Lencioni treffend feststellt, geben sich manche Manager nur allzu gern damit zufrieden, eine hohe Position und einen klangvollen Titel zu haben und wichtigen Gremien anzugehören; ihr Eifer gilt nicht unbedingt dem Ziel, in dieser Rolle auch noch Ergebnisse zu erzielen. (Mein ehemaliger BCG-Kollege Tihamer von Ghyczy verwendet für solche Führungskräfte die hübsche Bezeichnung "Würdenträger".)
Als Therapie für mangelhafte Ergebnisorientierung empfiehlt Lencioni erstens "Public Declaration of Results", zweitens "Result-Based Rewards" (S. 219). Für ihn ist es falsch, wenn Top-Manager hohe Boni einstreichen, auch wenn die Ergebnisse zu wünschen übrig lassen, nur weil sie hart gearbeitet haben. Dem kann ich nur zustimmen: Natürlich ist es bitter, wenn man nach einem arbeitsreichen Jahr keine Belohnung bekommt – aber es ist die logische Folge, wenn die harte Arbeit (noch?) nicht gefruchtet hat. Umgekehrt ist es definitiv das falsche Signal, etwas zu verteilen, was nicht erwirtschaftet worden ist.
Die Kategorien sind nicht immer trennscharf
Nicht immer trennscharf erscheinen mir auch Lencionis fünf Fehlfunktionen. Die "Avoidance of Accountability" und die mit ihr einhergehenden niedrigen Standards lässt sich kaum von der gerade beschriebenen "Inattention to Results" trennen. Entsprechend lesen sich für mich auch seine Therapieempfehlungen sehr ähnlich wie die zuvor genannten: "Publication of Goals and Standards", "Simple and Regular Process Reviews" und "Team Rewards" (S. 214f.) – letztere, um die Aufmerksamkeit auf das Gesamtergebnis zu lenken, und wohl auch, um einen gewissen Gruppendruck zu mobilisieren.
Sehr wichtig und wertvoll finde ich jedoch seinen Hinweis an die jeweiligen Vorgesetzten:
"One of the most difficult challenges for a leader who wants to instill accountability on a team is to encourage and allow the team to serve as the first and primary accountability mechanism. Sometimes strong leaders naturally create an accountability vacuum within the team, leaving themselves as the only source of discipline. This creates an environment where the team members assume that the the leader is holding the others accountable, and so they hold back even when they see that something isn't right." (S. 215)
Wie man diese "culture of accountability" (S. 215), um die es Lencioni hier geht, allerdings von der "(in)attention to results" trennen lässt, erklärt er nicht.
Klar ist hingegen die Abgrenzung von der dritten Fehlfunktion, dem "Lack of Commitment". Hier gehen die Berührungspunkte eher zu der vorausgehenden zweitens Stufe "Fear of Conflict". Denn wenn Dissens nicht offen diskutiert wird, nehmen die Beteiligten ihre Einwände, Vorbehalte und abweichenden Vorstellungen wieder mit nach Hause – was unweigerlich auch ihr Handeln bestimmt.
Allerdings ist eine offene, kontroverse Diskussion wohl nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Commitment: Es ist sehr wohl denkbar, dass ein Managementteam zwar kontrovers diskutiert, dass daraus aber kein Commitment entsteht, sondern nach dem Auseinandergehen doch jede in ihrem Verantwortungsbereich tut, was sie für richtig hält. Deshalb ist diese Unterscheidung gerechtfertigt und sinnvoll.
"In the context of a team, commitment is a function of two things: clarity and buy-in." (S. 207)
Die Klarheit kann nur aus einer offenen Diskussion entstehen; das Buy-In hingegen, also die persönliche Entscheidung zur Umsetzung der dort getroffenen Entscheidungen, ist auf der einen Seite eine Verabredung unter den Teammitgliedern, auf der anderen Seite auch eine persönliche Entscheidung einer jeden Einzelnen. Und zwar eine Entscheidung, die nötigenfalls von den anderen Teammitgliedern und der jeweiligen Vorgesetzten eingefordert werden muss. Denn wenn sich nicht alle blind verlassen können, dass jedes einzelne Teammitglied die getroffenen Entscheidungen auch umsetzt, können sie als Team einpacken.
Durch kontroverse Diskussionen zu verbindlichen Entscheidungen
Als Therapie für fehlendes Commitment empfiehlt Lencioni erstens, "a team should explicitly review the key decisions made during the meeting, and agree on what needs to be communicated to employees or other constituencies about those decisions" (S. 210). Zweitens sollten feste Termine für Entscheidungen und deren Umsetzung festgelegt werden. Auf Basis meiner Erfahrungen hätte ich noch das Formulieren klarer Erwartungen sowie das Treffen einer "einklagbaren" Verabredung hinzugekommen.
Mangelndes Commitment kann laut Lencioni auch daher rühren, dass ein Team Angst hat, sich festzulegen. Für diesen Fall empfiehlt er, die möglichen Folgen unterschiedlicher Entscheidungen zu durchdenken, einschließlich eines Worst-Case-Szenarios. Falls ein Team dazu neigt, immer neue Analysen und Untersuchungen in Auftrag zu geben, um keine Entscheidung treffen zu müssen, ist es sinnvoll, gemeinsam zu überlegen, wie sich die Entscheidung in Abhängigkeit von den voraussichtlich zu erwartenden Ergebnissen ändern würde. Falls nicht oder nicht wesentlich, braucht man auch keine weiteren Analysen mehr.
Lernen müssen Teams, dass ein gutes Team sich nicht durch immerwährende Harmonie auszeichnet, sondern durch die Fähigkeit, Konflikte produktiv auszutragen und leidenschaftlich um die beste Lösung zu streiten. Und zwar, bei allen Emotionen und Frustrationen, ohne Machtspielchen, verdeckte Interessen und persönliche Gemeinheiten – allein mit dem Ziel, die bestmögliche Lösung in der kürzestmöglichen Zeit hervorzubringen.
In konfliktscheuen Teams kann es sinnvoll sein, empfiehlt Lencioni, dass einzelnen Teammitglieder bei Bedarf die Rolle eines "miners of conflict" (S. 204) übernehmen, also die eines "Konfliktsuchers", der den Auftrag hat, verdeckte Konflikte zu entdecken und beim Namen zu nennen. Diese Rolle kann man einzelnen Teammitgliedern für die Dauer eines Meetings explizit zuweisen. Zusätzlich ist eine Verabredung hilfreich, an Konflikten dranzubleiben, bis sie wirklich gelöst sind.
Weiter rät er zu einer "Real-Time Permission": Wenn sich Teammitglieder in einer Kontroverse erkennbar unwohl zu fühlen beginnen, ist es sinnvoll, das Gespräch kurz zu unterbrechen und alle Beteiligten darauf hinzuweisen, dass das, was sie gerade tun, notwendig und richtig ist. So einfach und paternalistisch dies klingen mag, seine Erfahrung ist, dass dies Spannungen reduziert, das Gespräch versachlicht und den Beteiligten vor allem die Zuversicht gibt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Das Fundament ist wechselseitiges Vertrauen
Die Basis für all dies ist jedoch ein belastbares gegenseitiges Vertrauen innerhalb des Teams. Vertrauen definiert er wie folgt:
"Trust is the confidence among team members that their peers' intentions are good, and that there is no reason to be protective or careful around the group. In essence, teammates must get comfortable beeing vulnerable with one another." (S. 195)
Denn solange die Teammitglieder die Karten nicht auf den Tisch legen und mit ihrer wahren Meinung hinter dem Berg halten, kann man alle die zuvor genannten Punkte getrost vergessen. Wechselseitiges Vertrauen kann man nicht anordnen, und man kann sich auch nicht vom einen Tag auf den anderen dazu entscheiden. Trotzdem braucht Vertrauen nicht unbedingt Jahre, um zu wachsen – und nach Lencionis Erfahrung gibt es Möglichkeiten, sein Wachstum deutlich zu beschleunigen.
Als ersten Schritt dazu empfiehlt er ein "Personal Histories Exercise" (S. 198). Es besteht schlicht daraus, alle Teammitglieder zu bitten, ein paar (nicht zu persönliche) persönliche Fragen zu beantworten, wie etwa die nach der Zahl ihrer Geschwister, nach ihrem Heimatort, nach besonderen Herausforderungen in der Kindheit, nach ihrem größten Hobby oder nach ihrem ersten sowie nach ihrem schlimmsten Job.
Diese Übung macht die Menschen hinter den Fassaden sichtbar und schafft zugleich persönliche Anknüpfungspunkte. Das fördert Empathie und gegenseitiges Verstehen, und es wirkt oberflächlichen und falschen Vorurteilen entgegen. Insgesamt reicht nach seinen Worten eine halbe Stunde, um sich auf diese Weise deutlich besser kennenzulernen.
Darauf aufbauen kann ein "Team Effectiveness Exercise" (S. 198), das den Beteiligten etwas mehr Mut und Bekenntnis abverlangt, mit dem Lencioni aber auch in schlecht funktionierenden Teams gute Erfahrungen hat: Die Teammitglieder werden gebeten, für jedes einzelne Teammitglied anzugeben, was der wichtigste Beitrag ist, den die betreffende Person zu dem Team leistet, sowie das Merkmal, das sie im gemeinsamen Interesse des Teams entweder deutlich verbessern oder sich abgewöhnen sollten.
In ähnlicher Weise kann auch ein 360-Grad-Feedback genutzt werden, wobei Lencioni nachdrücklich darauf hinweist, dass solche Instrumente nur dann einen wirklichen Nutzen bringen, wenn man sie strikt von der Leistungsbeurteilung sowie von der Vergütung trennt. Anderenfalls werden sie sofort "politisch": Sie werden zum Werkzeug sowohl des Selbstmarketings als auch der internen Politik.
Ein weiteres Instrument, das zum Aufbau von Vertrauen genutzt werden kann, sind nach Lencioni "Personality and Behavioral Preference Profiles" (S. 199) wie MBTI oder DISG. Obwohl die psychodiagnostische Qualität solcher Instrumente fragwürdig ist, können sie den Teammitgliedern helfen, sowohl ihre eigene Persönlichkeit und ihre Präferenzen zu reflektieren als auch ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Teammitgliedern. Das hilft enorm, sich so gegenseitig besser zu verstehen und sich trotz bzw. gerade in seiner Unterschiedlichkeit zu respektieren.
Der größte Wert solcher Instrumente liegt nach meiner Beobachtung nicht in der Aussagekraft ihrer Einstufungen, sondern darin, dass sie den Teilnehmern eine Begriffswelt zu Verfügung stellen, um über ihre eigenen Besonderheiten sowie über die ihrer Kolleginnen nachzudenken. Bedenklich werden sie erst, wenn sie zur Personalauswahl bzw. als Grundlage für Karriereentscheidungen genutzt werden.
Klare Empfehlung
Insgesamt kann ich sowohl "The Five Dysfunctions of a Team" als auch seine praktische Nutzung zur Entwicklung von (Top-)Teams beinahe vorbehaltslos empfehlen. Insofern bin ich meinem Kollegen Markus Nonnast sehr dankbar, dass er mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat.
Die erwähnten kleinen Inkonsistenzen sind dafür kein Hinderungsgrund; viel wichtiger ist, dass es Managementteams und ihren Begleitern einen pragmatischen Denkrahmen zu Verfügung stellt, der ihnen hilft, ihre momentane Arbeits- und Leistungsfähigkeit als Team zu reflektieren, ohne in gegenseitige Kritik und Vorwürfe zu verfallen.
Das Buch ist unter dem sprachlich gewagten Titel "Die 5 Dysfunktionen eines Teams" auch auf Deutsch verfügbar (Wiley 2014). Wer aber im Englischen einigermaßen sattelfest ist, wird mit diesem gut geschriebenen und unterhaltsamen Buch auch im Original keine Probleme haben – und trainiert nebenbei seine Geläufigkeit im Lesen englischer Texte.
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