Zu Recht das Standardwerk zum Change Management. Es vermittelt nicht nur Konzepte, Methoden und Werkzeuge, sondern sowohl explizit als auch implizit ein fundiertes Verständnis über die Umsetzung von Veränderungen in komplexen sozialen Systemen.
Wenn ein Buch zum Change Management in acht Jahren die zehnte Auflage erreicht, während andere kaum die erste verkauft bekommen, muss dies Gründe haben. Es ist nicht allein damit zu erklären, dass "Change Management" genau rechtzeitig für die erste große Welle des Interesses an diesem Thema erschien und einer der ersten Titel zu diesem Thema auf dem deutschsprachigen Markt war – auch wenn eine alte Marketing-Regel besagt, dass der Zeitpunkt der Einführung großen Einfluss auf den Marktanteil hat. Doch dfass das Buch mittlerweile auch in mehreren fremdsprachigen Ausgaben erschienen ist, spricht dafür, dass der Erfolg nicht allein an dem Zeitvorsprung liegt – das muss wohl mit dem Inhalt zu tun haben. Entscheidenden Anteil daran hat der umfangreiche praktische Teil, wie die Autoren im Vorwort zur 10. Auflage bestätigen: "Die Reaktionen zeigen, dass besonders Teil III, Blick in die Werkstatt, für die Praxis als nützlich betrachtet wird." (S. 17)
Der Teil I "Zukunfts-Szenarium" ist zwar alles andere als uninteressant, aber er enthält wenige Punkte, die man nicht so oder so ähnlich auch anderswo lesen kann und konnte. Doppler und Lauterburg beschreiben darin aus der Vogelperspektive, wie sich Unternehmensführung über die Jahre verändert und dass das Management von Veränderungen zu einer zentralen Führungsaufgabe geworden ist – was auch die Anforderungen an Führungskräfte nachhaltig verschoben hat. Anregend finde ich hier vor allem die fünf veränderten "Rahmenbedingungen", die die Autoren gleich eingangs benennen; insbesondere die Verknappung der Ressourcen Zeit und Geld sowie der wachsenden Komplexität, zu der sicherlich auch die "Interkulturelle Zusammenarbeit in einer globalen Ökonomie" beiträgt.
Hervorhebenswert ist indes auch, was Doppler und Lauterburg in diesem "Prolog im Himmel" nicht schreiben: Sie ersparen dem Leser dankenswerterweise jenes Schwadronieren über Chaostheorie, Selbstorganisation, Paradigmenwechsel, Wirklichkeitskonstruktionen, Neue Zeitalter et cetera, was viele einschlägige Veröffentlichungen so ermüdend macht – und dann doch meistens ohne greibare Konsequenzen im Niemandsland endet. Das ist wohl ein weiterer Grund für den Erfolg des Buchs: Was Doppler und Lauterburg schreiben, hat soliden Bodenkontakt; es ist nicht, wie so vieles andere, abgehoben, bedeutungsschwanger und folgenlos. Was keineswegs heißt, dass die Autoren sich und ihren Lesern die Anstrengung des abstrakten Denkens ersparen und in einen aktionistischen Pragmatismus verfallen; vielmehr liegt die große Stärke ihres Buchs darin, dass sie es schaffen, theoretische Reflexionen und das Ausleuchten von Hintergründen auf eine sehr schlüssige Weise mit praktischen Handlungskonsequenzen zu verbinden.
Im Teil II kommen Doppler und Lauterburg dann zur Sache: "Den Wandel gestalten: Grundsätze des Vorgehens" ist dieser Abschnitt überschrieben und fasst auf 85 Seiten wichtige Leitgedanken des Change Management zusammen. Auch wer es eilig hat und nur nach einem ganz konkreten Werkzeug sucht, sollte diesen Teil zumindest überfliegen, denn die besten "Tools" nützen nichts, wenn sie in einer Fehleinschätzung der Lage und/oder der Zusammenhänge eingesetzt werden. Im Gegenteil: Je wirksamer ein Instrument ist, desto effizienter kann mit ihm auch Schaden anrichten. Natürlich ahne ich, dass dieser Appell ähnlich wirksam ist wie die Mahnung: "Fahr vorsichtig!" Doch dieser Teil hilft wirklich, ein fundiertes Verständnis von Veränderungsprozessen, ihren Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten zu ihrer Steuerung aufzubauen, und wo bekommt man das sonst auf 85 Seiten?!
Das 1. Kapitel dieses Abschnitts beschreibt in Anspielung auf Dietrich Dörners Buch "Die Psycho-Logik des Misslingens", also die Gründe, weshalb Veränderungsprozesse oftmals in Schwierigkeiten geraten, und setzt darauf im 2. Kapitel "Schlüsselfaktoren erfolgreichen Vorgehens". Dann geht es um "Führung im Wandel" und um "Hierarchie und Macht", die Doppler und Lauterburg zu Recht entdämonisieren: "Große Organisation sind ohne den Einsatz von Macht gar nicht steuerbar." (S. 145) Ihr Fazit zu diesem Punkt kann ich nur dick unterstreichen: "Wir können den Führungskräften, gleich welcher Ebene, nur herzlich empfehlen, sich mit den Mechanismen der Machtbildung eingehend zu befassen. Die Beschäftigung mit diesem Thema ist nicht nur außerordentlich spannend, sondern von größtem Nutzen für den praktischen Alltag. Wer ein Profi sein will, muss die Instrumente beherrschen, auf denen er spielen will. Die Entscheidung, welche Melodie gespielt wird, ist dem Einzelnen damit noch lange nicht abgenommen." (S. 145)
Aus all diesen Überlegungen entwickeln sie im 5. Kapitel eine "Charta des Managements von Veränderungen", die aus acht wichtigen Grundsätzen besteht – und an der man allenfalls bemängeln kann, dass die Harmlosigkeit, mit der die Überschriften daherkommen ("Ganzheitliches Denken und Handeln", "Beteiligung der Betroffenen", "Lebendige Kommunikation"), zuweilen die Tragweite dieser Grundsätze verschleiert.
Der Teil III ist jener "Blick in die Werkstatt", der mit 348 Seiten nicht nur den Löwenanteil des Buchs ausmacht, sondern auch den großen Vorsprung dieses Buchs vor allen mir bekannten konkurrierenden Veröffentlichungen wenigstens im deutschsprachigen Markt. Er ist in der 10. Auflage auf 18 Kapitel angewachsen und hat sich damit gegenüber der ersten Auflage fast verdoppelt. Vergleicht man den "historischen Kern" des Buchs mit den Themen, die im Laufe der Jahre eingefügt wurden, erhält man so etwas wie eine kleine Geschichte der Organisationsentwicklung. Ursprünglich war die "Werkstatt" hauptsächlich von den klassischen Instrumenten der Gruppendynamik geprägt, erweitert in Richtung OE: Organisationsdiagnose, Widerstand, Workshops, Konflikt-Management ... Bei der ersten großen Überarbeitung für die 4. Auflage 1995 wurden hauptsächlich diese gruppen- und organisationsdynamischen Themen vervollständigt: "Persönliches Feedback", "Moderation", "Coaching" und "Führen durch Zielvereinbarung" – wobei das letztgenannte aus gruppendynamischer Warte schon die Integration eines "Fremdkörpers" war.
Doch die wirkliche Revolution kam mit der 10. Auflage. Neben Weiterentwicklungen des Bisherigen –wie Teamentwicklung und interkulturelles Management – hielten nun eine Reihe von Themen Einzug in die Werkstatt, die nicht mehr aus der "Psycho-Ecke" kommen, sondern aus der ökonomischen Welt: Strategieentwicklung, Fusionen und Akquisitionen, Informationstechnik, Geschäftsprozessoptimierung. So positiv daran der Mut ist, sich auch auf neuartige Aspekte einzulassen, so deutlich wird in der Neuauflage, wie wenig diese Themen mit dem klassischen Werkzeugkasten der Veränderung zusammenpassen. Wenn zwischen "Gestaltung der Kommunikation" (Kap. 9) und "Die Kunst der Gestaltung von Workshops" (Kap. 11) plötzlich und unerwartet ein Kapitel 10 "Fusionen und Akquisitionen: Integration als Herausforderung" auftaucht, oder wenn sich zwischen die klassischen Themen "Teamentwicklung" (Kap. 13) und "Coaching" (Kap. 16) nun "Veränderung der Unternehmenskultur" (Kap. 14) und "Ergebnisverbesserung durch Geschäftsprozessoptimierung" (Kap. 15) drängen, dann sind das logische Brüche, die erkennen lassen, dass diese neuen Aspekte noch nicht ganz in das Gesamtkonzept integriert wurden.
Hier vermengen sich die Mikro- und die Makroebene: Einerseits Instrumente, Methoden, "Werkzeuge" des Change Management – wie der Abschnitt wohl ursprünglich angelegt war –, andererseits unterschiedliche Arten (oder Typen) von Veränderungsprozessen, die jeweils eigene Rahmenbedingungen setzen und für die unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten.
Auch die Durchdringung hat bei diesen neuen Themen nicht immer die gleiche Tiefe wie bei dem klassischen OE-Instrumentarium. Ein Thema wie "Fusionen und Integrationen" ist einfach zu komplex, als dass es sich auf 14 Seiten befriedigend abhandeln ließe. Und es ist sehr viel leichter, festzustellen, was bei Integrationsprozessen üblicherweise so alles schief läuft, als eine schlüssige Strategie für deren Management vorzulegen. Auch die Kapitel über Unternehmenskultur und Reengineering sind (noch) nicht wirklich ausgereift; sie bleiben zu sehr im Betrachten und Beschreiben und lassen das überlegte, zupackende Gestalten vermissen, das dieses Buch ansonsten auszeichnet. Aber so ist es halt, wenn man auf Neuland vordringt: Dort ist man zunächst noch nicht zuhause ...
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