Wenn dieses Buch eines nicht ist, dann eine Gebrauchsanweisung. Viel eher ist es ein liebenswertes, gesprächiges, anekdotisches, zuweilen auch langatmiges Fallbeispiel dafür, wie Tschechen sind bzw. sein können.
Die Amazon-Leserrezensionen zu diesem Buch sind nicht gerade schmeichelhaft. Sie werfen seinem Autor, dem Schriftsteller und Politiker Jíøí Gruša, vor, dass er zu wenig harte Fakten liefere, zu viel mit Insider-Andeutungen und Anspielungen operiere, und überhaupt, dass er nicht zum Punkt komme. Das stimmt auch alles – und trotzdem mag ich dieses Buch. Es scheint mir gerade in seinem völlig uneiligen, abschweifenden, verspielten, erzählerischen Duktus ein, soweit mein Verständnis reicht, sehr tschechisches Buch zu sein. Freilich, das muss man mögen. Wer einen schnellen Überblick, klare Strukturen, handfeste Tipps sucht, der sollte sich ein anderes Buch kaufen – etwa "Perfekt geplant oder genial improvisiert?" von Sylvia Schroll-Machl und Ivan Nový (siehe Rezension). Wer es noch knapper mag, sollte die 4 Seiten über die Tschechische Republik in Richard Lewis' "When Cultures Collide" lesen (siehe Rezension).
Wer sich hingegen damit anfreunden kann, sich – am besten auf mehrere Abende verteilt – gewissermaßen am lebenden Beispiel in die tschechische Mentalität einzulesen und einzufühlen, wer den Bezügen zwischen tschechischer Geschichte, Geschichten und (intellektuellem) Lebensgefühl nachzuspüren Lust hat, wer Freude an überraschenden sprachlichen und orthographischen Spielereien (wie Èechnforšr) empfindet, wer darauf vertraut, dass aus vielen assoziativen Details ein mindestens ebenso gutes Bild entsteht wie aus den "großen Linien", der sollte sich von den kritischen Kommentaren nicht abschrecken lassen. Wissen muss man nur, was einen erwartet – und was nicht. Eine "Gebrauchsanweisung" ist Grušas Text gewiss nicht, und ebensowenig ein Ratgeber – eher handelt es sich um ein "Einfühlungstraining". Gruša liefert keine Konstruktionszeichnung, sondern eher ein pointillistisches Gemälde – und vermittelt vielleicht gerade deshalb mehr vom Geist der tschechischen Kultur als manche hochstrukturierte und dezimalsystematische Beschreibung.
Weniger als bei den meisten anderen Büchern könnte ich nach der Lektüre angeben, was ich genau gelernt habe. Und dennoch habe ich das Gefühl: Wenn ich das nächste Mal drüben bei den fremden Nachbarn bin, werde ich sie besser verstehen: geschäftlich wie persönlich (was in den slawischen Ländern ohnehin eine viel weniger scharfe Trennlinie ist als bei uns). Ihre Denkweise, ihre Realitätswahrnehmung, ihr Lebensstil sind mir jetzt ein bisschen vertrauter. Verständlicher wurden auch manche Merkmale der tschechischen Kultur, die Schroll-Machl und Nový beschreiben – etwa eine anfängliche Unsicherheit und ein Mangel an Selbstvertrauen. Das ist offenbar nicht nur die Unsicherheit gegenüber den Kulturtechniken der Marktwirtschaft, sondern reicht weiter zurück: Einerseits ist es wohl eine Folge der vielen politischen Stürme, die über dieses kleine Land im Herzen Europas gebraust sind, und der daraus entstandenen reflektorischen Frage, welchen Spielregeln man sich jetzt gerade anpassen muss; andererseits scheint es auch eine tiefsitzende Unsicherheit zu reflektieren, was den Wert und das Gewicht der eigenen kulturellen Leistungen betrifft.
Weniger als bei anderen Büchern macht deshalb auch eine Inhaltsangabe Sinn. Stattdessen einige Kapitelüberschriften, die Stil und "Spirit" vermutlich besser übermitteln als Zusammenfassungen: "Tschechy – eine Landschaft wie ein Stilleben" – "Die Schöne und der dumme Hans" – "Bienen, Ameisen und Räuber" – "Das Lob der Vorurteile" – "Die Knödelleier" – "Rauschwald" – "Gasthaus und Gotteshaus" – "Das graue Prag" – "... und golden" – "Die Wahrheit singt". Sagt Ihnen das etwas? Wenn ja, dann schauen Sie doch mal rein. Wenn nein, dann lassen Sie es lieber.
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