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Grundwissen über Alkoholismus

Feuerlein, Wilhelm (2002):

Alkoholismus

Warnsignale, Vorbeugung, Therapie

Beck (München) 1996, 4. neubearb. Aufl. 2002; 119 S.; 7,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 20.01.2005

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Gut verständliches Grundwissen über Alkoholismus sowie dessen Verlauf und Behandlung aus der Feder eines ausgewiesenen Experten. Für medizinische Laien – aber ohne praktische Empfehlungen für Betroffene, Angehörige oder Vorgesetzte.

Wenn Feuerlein Recht hat – und es ist zu befürchten, dass er Recht hat –, gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Alkoholiker. Berücksichtigt man weiter, dass vorwiegend die berufstätigen Jahrgänge betroffen sind, heißt das, dass man auf 30 Beschäftigte einen Alkoholiker rechnen muss – bei einer überwiegend männlichen Belegschaft noch mehr, bei überwiegend Frauen etwas weniger. Auf ein Unternehmen wie die BASF mit rund 49.000 Beschäftigten (in Deutschland) kämen damit etwa 1.600 Alkoholiker, auf DaimlerChrysler mit ca. 183.000 (Deutschland) entfielen mehr als 6.000. Keine Rede also von Einzelfällen, die durch die Personalabteilung diskret entsorgt – Verzeihung: betreut werden könnten. Jede Führungskraft muss darauf gefasst sein, in ihrer Abteilung früher oder später (mindestens) einen Alkoholiker zu haben – mit all den Folgen, die das für Produktivität und Teamklima hat, und mit all den Ambivalenzen, welche dies mit sich bringt: zwischen Wegschauen und Konfrontation, zwischen Mitgefühl und Abscheu, zwischen harter Linie und Solidarität. Ein bisschen Grundwissen dürfte da nicht schaden.

Wilhelm Feuerlein zählt zu den führenden Experten für Alkoholismus und Suchtkrankheiten. Bis zu seiner Emeritierung war er Leiter der Psychiatrischen Poliklinik des Max Planck Instituts für Psychiatrie in München. Sein Buch ist genauso nüchtern wie sein Titel: Es liefert die Fakten – und nichts sonst. Hochkompetent, abgewogen, ohne falschen Eifer und ohne voreilige Resignation. Doch obwohl Nüchternheit gerade bei diesem Thema ein unbestreitbares Plus ist, wird das Bändchen jene enttäuschen, die sich konkreten Rat erwartet haben. Es bietet weder Empfehlungen noch Ratschläge, weder für Betroffene noch für Angehörige noch für Vorgesetzte oder Kollegen, sondern lässt die Leser im wahrsten Sinne rat-los zurück. Wer immer noch meint, dass Ratschläge auch Schläge seien, mag das begrüßen; wer dringend nach Rat sucht, wird es weniger goutieren. Doch kann man dem Autor nicht vorwerfen, dass er nicht liefert, was er nicht versprochen hat – Interessenten sollten nur wissen, was sie (nicht) zu erwarten haben.

Feuerlein gibt in neun Kapiteln einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand: von Wirkzusammenhängen und alkoholbedingten Folgeschäden über Erkennung, Formen und Verlauf des Alkoholismus und "Epidemiologie" (Häufigkeit und Erscheinungsformen in der Bevölkerung) bis hin zu Behandlung und Prävention. Trotz des engen Bezugs zur Forschung ist das Buch in einer klaren, einfachen und gut verständlichen Sprache abgefasst. Feuerlein besitzt offenbar nicht nur die fachliche Meisterschaft, um sich auf das für interessierte Laien Wesentlichste beschränken zu können, sondern auch die persönliche Souveränität, auf Kompliziertheit verzichten zu können. Und so lässt sich das schmale Bändchen leicht an einem Abend lesen.

Im Kapitel über die Behandlung zerstört Feuerlein zunächst die Hoffnung, dass das "kontrollierte Trinken", welches er als den "geheimen Wunsch der meisten Alkoholiker" (S. 89) charakterisiert, ein realistisches Therapieziel ist. Dagegen spricht, ist, dass "das kontrollierte Trinken (...) nur von den wenigsten alkoholabhängigen Personen über Jahre hinweg durchgehalten werden kann (etwa 2 - 5%). Die meisten von ihnen verfallen wieder in ihre alten Trinkgewohnheiten oder entschließen sich endgültig, abstinent zu bleiben. Der Versuch des kontrollierten Trinkens gelingt eher bei Personen, die noch nicht abhängig geworden sind." (S. 89)

Hilfreich für den Umgang mit Betroffenen finde ich eine differenzierte Betrachtung der Therapiemotivation: Feuerlein schlägt vor, sie nicht dichotom zu sehen, sondern in Stufen. Das reicht vom "Erkennen der Notwendigkeit zu einer Änderung" über das "Anerkennen der Hilfsbedürftigkeit" und das "Akzeptieren der angebotenen Hilfe" bis hin zur "Anerkennung des Abhängigenstatus" und des Abstinenzgebots und schließlich zur "Anerkennung des Ziels der allgemeinen Verhaltensänderung" (S: 91f.) Entsprechend gliedert sich auch die Behandlung in verschiedene Phasen, wobei offenbar die letzte, die er etwas diffus als "Weiterbehandlungs-, Nachsorge- und Rehabilitationsphase" (S. 93) bezeichnet, die gefährlichste und rückfallgefährdetste ist. Ausführlich geht Feuerlein in diesem Zusammenhang auch auf die verschiedenen Selbsthilfegruppen und ihre Hintergründe ein. Leider gar nicht erwähnt werden hingegen der Jugend- und der Altersalkoholismus.

Die Forschungsbefunde zu den Behandlungsergebnissen liefern keinen Grund zur Resignation, aber auch keinen zu übertriebener Hoffnung. Eine Metaanalyse von 265 englischsprachigen Studien fasst Feuerlein so zusammen: "Je ein Drittel der behandelten Patienten waren abstinent, gebessert oder völlig ungebessert." (S. 105) Nach einer deutschen Studie an immerhin 4.000 stationär behandelten Alkoholikern waren "nach einem Jahr 51% der Patienten abstinent geblieben"; nach einer anderen deutschen Studie an 1.410 Alkoholikern waren "nach 6 Monaten 67% der Patienten, nach 4 Jahren immerhin noch 43% durchgehend abstinent geblieben." (S. 105) Dagegen war das "kontrollierte Trinken" nach 4 Jahren gerade einmal 3% der Patienten gelungen. Sehr weit gehen die Ergebnisse zur ambulanten Behandlung auseinander: "In einer Übersicht über 3.650 Patienten aus 27 Untersuchungen zeigt sich eine durchschnittliche Besserungsrate von 37%. Dabei wurden als Besserung Abstinenz und Reduzierung des Alkoholkonsums zusammengefasst. Allerdings schwankten die Besserungsraten zwischen 8% und 88%." (S. 106)

Daraus könnte man schließen, dass eine stationäre Therapie überlegen sei. Doch "beim Vergleich zwischen den Ergebnissen ambulanter (einschl. teilstationärer) und stationärer Behandlung ergab sich in 7 Studien kein Unterschied zwischen beiden Therapieformen, in 5 Studien erwies sich die stationäre Therapie als etwas erfolgreicher, in 2 Studien war es umgekehrt" (S. 106).

Nicht sonderlich ermutigend sind schließlich Feuerleins Aussagen zur Prävention. Zeitliche und örtliche Restriktionen des Alkoholvertriebs sowie Preiserhöhungen haben zwar nachweisliche Effekte: "Eine Verringerung der Zahl der Verkaufsstellen hatte eine Reduktion der Konsummenge, der Zirrhose-Mortalität und der Zahl der Verkehrsunfälle zur Folge. (...) Es zeigte sich ferner, dass neben einer Senkung der Promille-Grenze eine (demonstrative!) Vermehrung der Verkehrskontrollen zu einer deutlichen Verringerung nächtlicher Verkehrsunfälle führte." (S. 110) Doch Überlegungen, etwa den Verkauf von Alkoholika an Tankstellen (!) zu verbieten, scheitern sehr rasch an wirtschaftlichen Interessen. Und die tatsächliche Häufigkeit nächtlicher Alkoholkontrollen wenigstens in Bayern muss man wohl eher als Ermutigung verstehen, das mit der Promillegrenze nicht so eng zu sehen.

Schlagworte:
Alkohol, Alkoholismus, Sucht

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