Dies ist weniger eine Rezension als ein Warnhinweis: Wer nicht sehr, sehr viel Zeit investieren will, mit durchaus fraglichem Nutzen, sollte wohl besser seine Finger von diesem kaum verständlichen Buch lassen.
Wer dieses Buch "Über die Kultur des Unternehmens" in die Hand nimmt in der Hoffnung, es "einfach so" lesen zu können, dabei von der Klugheit, Stringenz und umfassenden Bildung des emeritierten Philosophieprofessors, Jesuiten und Managementtrainers Rupert Lay zu profitieren und neue Einsichten in das Thema Unternehmenskultur zu gewinnen, wird in geradezu verstörender Weise enttäuscht. Dass Lays Bücher meist ein hartes Brot sind und sich nicht als Zerstreuungsliteratur für nächtliche Flüge eignen, wissen Insider von seinen anderen Werken (siehe auch Rezension "Kommunikation für Manager"). Aber wohl noch nie in meinem Leben bin ich an einem Buch derartig nachhaltig und vernichtend gescheitert wie an diesem.
Woran dies liegt, soll ein willkürlich herausgegriffenes Zitat illustrieren: "Es darf niemals vergessen werden, dass die strategische Negation von Negationen niemals zu einer im vorhinein definierbaren Position führt." (S. 31) Immerhin eine vierfache Verneinung oder, wenn man "vergessen" als Negation von "behalten" versteht, eine fünffache. Ihr Sinn, so er denn existiert, wird mir wohl auf ewig verborgen bleiben, zumal die zentrale Prämisse unerklärt bleibt, weshalb eine Strategie die "Negation von Negationen" sein sollte. Der sorgfältige analytische Denker Lay wird seine Gründe dafür haben, aber er teilt sie dem Leser nicht mit. Stattdessen erläutert er danach die formalen Folgen einer doppelten Negation und bringt für uns einfachere Gemüter sogar ein Beispiel: "Die Negation kennt prinzipiell verschiedene Positionen als Ausgänge. Die Ausnahme, über die Negation von Negationen (der kapitalistischen Wirtschaftsform) könne eine bestimmte Position (der Sozialismus) erreicht werden, war der entscheidende Irrtum des Karl Marx. Man sollte ihm darin nicht unbedingt folgen wollen." (S. 31) Haben Sie es jetzt verstanden? Ich auch nicht. (Vermutlich ist das Wort "Ausnahme" in obigem Satz ein Tippfehler und müsste eigentlich "Annahme" lauten. Aber auch der Lektor hatte wohl seine Not.)
Wie unnötig kompliziert und manchmal geradezu demonstrativ unverständlich Lay formuliert, springt besonders bei Begriffen ins Auge, die einem bereits vertraut sind. Ein Beispiel: "'Null-Hypothese' bezeichnet in der Sprache der Statistik jene Annahme, nach der die einer Stichprobe zugrunde liegende Verteilungsfunktion eine spezielle Eigenschaft hat, über deren Vorliegen mithilfe der Stichprobe entschieden werden soll." (S. 37, Fußnote) Wer bereits weiß, was eine Nullhypothese ist, kann mit etwas Anstrengung nachvollziehen, dass man es, wenn man unbedingt möchte, auch so ausdrücken kann. Wer es nicht weiß, bekommt durch diesen Satz, der sich als beiläufige Erläuterung einer Selbstverständlichkeit geriert, demütigend unter die Nase gerieben, dass sein kärglicher Bildungsstand für das Verstehen von Lays "vereinfachender Darstellung" leider nicht ausreicht: Setzen, ungenügend! Da dieses Muster in Lays Text(en) mit einiger Regelmäßigkeit wiederkehrt, aber angesichts seiner Eloquenz kaum Ausdruck einer professoralen Unfähigkeit zur allgemeinverständlichen Sprache ist, komme ich nicht umhin, hinter dieser wiederkehrenden Demütigung seiner Leser eine bewusste oder unbewusste Absicht zu vermuten.
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass das Buch auch Passagen hat, die relativ gut zu lesen und auch wirklich lesenswert sind. Etwa den Abschnitt im 3. Kapitel, der vom "Sinn des Unternehmens" handelt. Da führt Lay zum Beispiel den Zusammenhang von Sinn und Verstehen aus: "Im Verstehen spielt also Sinn. Ich habe einen Satz verstanden, wenn ich seinen Sinn kenne. Verstehen ist dabei keine Funktion unseres Erkenntnisvermögens, sondern ein Vollzug, in dem sich plötzlich die Wahrnehmung von Sinn einstellt. Verstehen setzt keine Wissensvermutung, sondern eine Sinnvermutung voraus. (...) Verstehen bedeutet, dass ich etwas mit den von meinem Erkenntnisvermögen produzierten Konstruktionen (...) verbinden kann." (S. 80) Dabei trennt Lay zwischen dem Zweck und dem Sinn eines Unternehmens. Zweck ist, was er "die Produktion disponiblen Kapitals" (S. 84) nennt, Sinn hingegen ergibt sich aus "ethischen Zielvorgaben" (S. 85). "Es gbt Menschen, die nicht die Kraft haben, den Kompass ihres Lebens zu norden, sie treiben ziellos auf dem Meer der Unsinnigkeiten herum. Das Verdrängen der Frage nach dem 'Was soll das denn eigentlich alles?' wird zur lieben Gewohnheit (...) Ähnlich treiben nicht wenige Unternehmen auf dem Ozean von Sinnlosigkeiten hin und her. Allenfalls der unsichere und schnellwechselnde Gradient der Nachfrage bestimmt die Werte des Unternehmens, nicht aber Werte, die aus Idealen kommen, denen Ethik nicht fremd ist." (S. 86)
Dennoch: Um Lays Traktat "Über die Kultur des Unternehmens" wirklich zu verstehen, müsste man sich wohl die Mühe einer aufwändigen Exegese machen. Dieser Aufwand wäre freilich nur dann eine sinnvolle Investition, wenn es Grund zu der Annahme gäbe, dass diese Mühsal durch tiefe Einsichten belohnt würde, die auf anderem Wege kaum zu gewinnen sind. Diese Hoffnung jedoch ist wenigstens bei mir in meinem vielstündigen Versuch, diesem Buch wenigstens einige erinnernswerte Erkenntnisse abzutrotzen, nicht entstanden. Eher entstand der Eindruck, dass sich Lay diesmal auf ein Terrain begeben hat, zu dem er zwar die Literatur kennt, zu dem ihm aber die praktische Erfahrung weitgehend fehlt. Das stellt die analytische Richtigkeit seiner Überlegungen keinesfalls in Frage – schließlich ist die Schlüssigkeit einer Theorie nicht durch den Hinweis zu widerlegen, dass es keine zu ihr passende Realität gibt. Es mindert lediglich ihren praktischen Wert. Für einfache Leute wie mich, die primär daran interessiert sind, real existierende Unternehmenskulturen zu verstehen und in sinnvoller Weise weiterzuentwickeln, verspricht eine tiefere Exegese keinen attraktiven Return on Investment.
Um hartnäckigen Interessenten dennoch wenigstens einen Überblick über den Inhalt zu geben, sind hier die Kapitelüberschriften und Themenschwerpunkte wiedergegeben, allerdings – "mangels Masse" – ohne Kommentierung:
Kapitel 1: Zwischen IST und SOLL (Zwischen einem vorgegebenen IST und einem geplanten SOLL / Sein und Bewusstsein als Elemente der Unternehmensidentität)
Kapitel 2: Formal und materiale Normen (Materiale Normen / Formale Normen / Der Vorteil formaler vor materialen Normen)
Kapitel 3: Unternehmensphilosophie (Zielvorgabe und Randbedingungen / Zielfelder / Der Sinn des Unternehmens)
Kapitel 4: Unternehmenskultur (Einige Vorbemerkungen / Wichtige Postulate einer brauchbaren Unternehmenskultur / Wie kann eine neue Unternehmenskultur aufgebaut werden?)
Kapitel 5: Unternehmensverfassung (Grundrechte und Grundpflichten als Ausdruck und Folge einer Unternehmenskultur / Die Unternehmensorganisation als Ausdruck und Folge einer Unternehmenskultur)
Kapitel 6: Führungsrichtlinien (Was heißt "Führen"? / Eigenschaften des Führenden / Die Kommunikationsfähigkeit des Führenden / Führungsrichtlinien / Ethik des Führens)
Wie diese Gliederung zeigt, ist Lay an so praktischen Fragestellungen, wie sich Unternehmenskultur auf ihre Tauglichkeit bzw. auf ihre Schwachpunkte analysieren und wie sie sich verändern lässt, nur am Rande interessiert. Ihn interessiert offenkundig mehr die normative Seite, also die Frage, wie Unternehmen aus ethischen oder auch moraltheologischen Gesichtspunkten sein sollten. Dazu entwickelt er u.a. 24 "Postulate einer jeden wirksamen Unternehmenskultur" – wobei er Postulat definiert als "eine notwendige Bedingung, die erfüllt sein muss, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen." (S. 98) Auch das ist eine interessante, möglicherweise sogar eine wichtige Fragestellung. Schade daher, dass Lay uns normale Sterbliche bei seinen Gedankengängen nicht mitnimmt.
|