Eines der wichtigsten Bücher zum Thema Unternehmenskultur – jedenfalls, wenn Sie Kultur nicht nur beschreiben, sondern auch verändern wollen. Allerdings sollte man besser das englische Original lesen, denn die deutsche Übersetzung ist missglückt.
Peter Scott-Morgan, Direktor der Unternehmensberatung Arthur D. Little, hat seine eigene Methodik entwickelt, Unternehmenskultur zu analysieren. Sie hebt sich deutlich und vorteilhaft von den sonst gebräuchlichen Ansätzen ab: Scott-Morgan will nicht bloß eine Beschreibung der jeweiligen Kultur liefern, sondern vor allem Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge herausarbeiten, das Verhalten der Organisationsmitglieder also erklären. Denn dies sieht er – meines Erachtens zu Recht – als zwingende Voraussetzung für zielgerichtete Interventionen zur Kulturveränderung an. Denn solange man nicht versteht, aus welchen Gründen sich die Mitarbeiter und/oder Führungskräfte so verhalten, wie sie sich verhalten, wie soll man da gezielt eingreifen, um ihr Verhalten zu verändern?
Dass man die innere Logik des Verhaltens verstehen muss, um zielgerichtet intervenieren zu können, klingt so naheliegend, dass man sich fragen könnte, was daran überhaupt erwähnenswert ist. Aber die gebräuchlichen Denkansätze und Methoden zum Thema Unternehmenskultur sind stark geprägt von der Ethnologie, die ja eine lange Tradition darin, Kulturen zu beschreiben und zu analysieren. Doch hat sie keinerlei Interesse daran, Kultur zu verändern – sie ist im Gegenteil daran interessiert, die Kulturen jener selten gewordenen Naturvölker, die vom Aussterben oder der Akkulturation an die moderne Gesellschaft bedroht sind, zu bewahren und zu erhalten. Infolgedessen streben Ethnologen eine möglichst neutrale und detailgetreue Beschreibung dieser Kulturen an, und zwar idealerweise in allen Aspekten des Lebens, von der Kindererziehung über die Nahrungsbeschaffung bis hin zu religiösen oder kultischen Handlungen. An den Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen hinter den beobachteten Sitten und Gebräuchen haben sie hingegen nur ein sehr begrenztes Interesse.
Was sich für die Ethnologie als fruchtbarer Ansatz erwiesen hat, entpuppt sich beim Thema Unternehmenskultur jedoch als Sackgasse. Denn dieses deskriptive Vorgehen liefert zwar eine Menge an Daten und Erkenntnissen, aber keinerlei Ansatzpunkte für Interventionen. Infolgedessen bewirken Veränderungsansätze, die hauptsächlich auf einer umfassenden Kulturbeschreibung aufbauen, in der Regel relativ wenig. Sie setzen meistens an genau jenem Element an, das vermutlich am allerwenigsten zu beeinflussen ist, nämlich an der Motivation und den Einstellungen der Mitarbeiter. So versuchen sie zum Beispiel mit Visionen, Leitbildern oder Führungsgrundsätzen, die Einstellungen und das Verhalten der Mitarbeiter zu verändern. Was meistens ziemlich enttäuschend und frustrierend endet.
Wer eine Kultur wirklich verändern möchte, muss nicht all ihre Facetten erfassen (und sollte dies auch gar nicht erst versuchen, weil er damit niemals fertig würde). Er braucht in ersten Linie ein Verständnis davon, was sich in den untersuchten Unternehmen eigentlich abspielt und welche Gründe hinter den dort herrschenden Sitten und Gebräuchen stecken: "What is vital is the ability to uncover the links between the unwritten rules and the unintended side effects that are showing themselves as business problem. (...) The secret that everyone knows, but which few have thought through, is not the existence of the unwritten rules; it is not even the detail of what those rules happen to be. The real secret is that there is a chain of logical cause and effect that can be traced from specific business problems via the unwritten rules all the way back to the written rules and management actions that drive the company. And that means you can do something about them." (S. 27)
Scott-Morgan bietet dafür ein einfaches, aber griffiges Modell an: Erstens gibt es bestimmte Ziele, die die Mitglieder einer Organisation erreichen oder vermeiden wollen ("motivators"). Diese Ziele und Motive sind, wie er psychologisch korrekt feststellt, durch das Handeln des Unternehmens kaum beeinflussbar. Zweitens gibt es Personen und Systeme, die darüber entscheiden, ob die Mitarbeiter und Führungskräfte diese ihre Ziele erreichen ("enablers"), und drittens gibt es Kriterien, von denen dies abhängt ("triggers"). Mit diesem simplen Modell – heute würde man es vermutlich einen "systemischen Ansatz" nennen – lässt sich ziemlich gut erklären und verstehen, weshalb die Menschen in einem Unternehmen nicht das tun, was offiziell von ihnen gefordert wird, sondern das, was aus ihren eigenen Rahmenbedingungen heraus für sie sinnvoll ist. Wenn das Top Management zum Beispiel bereichsübergreifendes Denken fordert, die Mitarbeiter aber wissen, dass für ihre Karriere und ihren Jahresbonus entscheidend ist, sich mit ihrem unmittelbaren Chef sowie dessen Chef gut zu stellen, welche wiederum ausschließlich an den Ergebnissen ihres Bereichs gemessen werden, dann bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass die Appelle des Top Managements heftige Lippenbekenntnisse auslösen, ansonsten aber unerhört verklingen werden.
Aufbauend auf diesem Modell entwickelt Scott-Morgan eine innovative Typologie von neun Veränderungskonflikten. Wenn neue Veränderungsvorhaben mit den "Motivators", den "Enablers" bzw. den "Triggers" kollidieren, ergeben sich charakteristische Konfliktmuster, die sie danach unterscheiden sich, ob der Druck, der aus der neuen Initiative entsteht, schwächer, stärker oder gleich stark ist wie die ungeschriebenen Regeln, mit denen sie kollidiert. Dass sich Veränderungsvorhaben im Widerstand aufreiben, wenn sie nicht genügend Unterstützung erfahren, entspricht dabei der allgemeinen Erfahrung. Dass es aber durchaus nicht die bessere Alternative ist, sie mit Macht durchzudrücken, habe ich noch nirgendwo so prägnant gelesen wie bei Scott-Morgan: "Yet most interesting of all, if you push still harder, if you really try to ram the new initiative home ... the resistence goes undercover. It does not disappear at all, although it seems to. The old unwritten rules don't realign with the new initiative, although they may appear to. The new initiative does not get implemented in a sustainable way, even though the risks for the future are often all too well hidden." (S. 41) Aus dieser Warte habe ich noch nie über Veränderungskonflikte nachgedacht, doch ich finde dieses Modell ausgesprochen anregend und auch von den abgeleiteten Vorhersagen durchaus treffend.
Im weiteren Verlauf folgen acht kurze Fallstudien, in denen er die Wirkungsweise der ungeschriebenen Regeln illustriert. Leider sind die Beispiele großteils zu kurz, um sie wirklich nachvollziehen zu können. Daran schließen unter der Überschrift "Twentieth-Century Flops" fünf generische Studien an, in denen er häufige Konfliktmuster und -entwicklungen darstellt. Die letzten gut 80 Seiten des Buches umfasst "The Rulebuster's Guide To Understanding Unwritten Rules", eine ausführliche praktische Anleitung für die Analyse der ungeschriebenen Regeln samt eines detailliert (40 S.) dokumentierten Beispiels. Trotz der etwas beunruhigenden Unterüberschrift "Don't panic!" vermittelt er eine brauchbare praktische Anleitung – und sicherlich ein gutes Bild, wie eine solche Analyse in der Praxis aussieht.
Allerdings macht es Scott-Morgan seinen Lesern nicht leicht, sich von ihm in die Geheimnisse eines "Rulebusters" einweihen zu lassen. Er schreibt ein glänzendes Upper-Class-English, voll von Sprachwitz, Wortspielen und Andeutungen, mit eleganten Formulierungen, kreativen Sprachbildern und klassisch-formalen rhetorischen Figuren; sein Stil verbindet in bewundernswerter (und bewunderungsheischender) Weise gedankliche Genauigkeit und überraschende, amüsante und zum Teil milde schockierende Ausdrucksweisen – so etwa, wenn er das erste Kapitel "How to Fail In A Major Way" eröffnet mit einem "Shortcut to a Coronary" und es über "Jack the Ripper Hits New Wave" zum "Flight of the Culture Vultures" führt. Oder wenn er im Kapitel "The Voyeur's Guide to the Real World" die zehn Unterabschnitte mit Schlagzeilen überschreibt wie "From Paranoia to Panic", "From Isolation to Impotence" oder "From Sabotage to Suicide". Ich bin mir sicher, dass er damit seiner eigentlichen Zielgruppe, dem in Cambridge und Oxford geschulten britischen Top Management viel Vergnügen bereitet, und dass er damit zugleich auch den Stallgeruch als einer der ihren verbreitet. Wer dem sprachlich gewachsen ist, darf meine Bewertung der Lesbarkeit gerne auf volle 10 Punkte hochstufen.
Für Leser, deren Muttersprache nicht Englisch ist, tut er damit freilich des Guten zuviel. Er überfordert sie nicht nur vom Wortschatz her, sondern führt sie auch mit seinem verspielten britischen Stil in die Irre, weil der sich sehr viel leichter, unverbindlicher und "unernster" geriert als die Aussagen eigentlich gemeint sind. Wer sehr sorgfältig liest und intensiv mitdenkt, merkt, dass etwa die zitierten Kapitelüberschriften nicht bloß kesse und zuweilen gewollt-witzige Sprüche sind, sondern dass die jeweiligen Begriffe Scott-Morgans zentrale Aussagen prägnant wiedergeben. Wer weniger sorgfältig liest oder in dieser eloquenten Beiläufigkeit nicht eine Variante der britischen Neigung zum Understatement erkennt, schmunzelt vielleicht über die Formulierungen, aber er verliert einen wesentlichen Teil des Inhalts. Auf diese Weise hat Scott-Morgan auch den deutschen Übersetzer ("Die heimlichen Spielregeln"; siehe Besprechung) gefoppt, der sich durch diese scheinbare Leichtigkeit zu dem Versuch animieren ließ, es dem Autor gleichzutun – und dabei allzu oft am eigentlichen Kern der Aussagen vorbei übersetzte.
Das bedeutet auch: Wer ernsthaft an der Analyse und vor allem der Veränderung von Unternehmenskultur interessiert ist, kommt trotz der mutmaßlichen Überforderung kaum umhin, sich durch das (derzeit vergriffene) englische Original zu kämpfen. Oder er legt sich, wie ich es streckenweise getan habe, nicht ein Wörterbuch, sondern die geschmähte deutsche Übersetzung neben das Original und pendelt beim Lesen abschnittsweise zwischen den beiden – was aber wenigstens auf Reisen auch nicht wirklich praktisch ist. Meine ausdrückliche Empfehlung hat in diesem Fall also auch etwas von einer Warnung: Ein harter Brocken, aber für ernsthafte Adepten der Anstrengung wert.
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