Dieses Buch gehört in die Handbibliothek jedes Projektleiters, Beraters und Change Managers: Zahlreiche Anregungen für die Gestaltung von Workshops jeder Art, die man in die eigene Arbeit integrieren kann, ohne zum Methodik-Freak werden zu müssen.
"Das große Workshop-Buch" trägt seinen Titel zu Recht. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man mit dem Thema Workshops 300 Seiten füllen kann, auch wenn man "Klausuren, Besprechungen und Seminare" dazurechnet. Aber man kann – und man kann es, wie das Beispiel zeigt, auf informative, amüsante und anregende Weise, ohne in lähmende Redundanzen und ohne in quälende Detailhuberei zu verfallen. Wenn man kann. Ulrich Lipp und Hermann Will können es. Beide – Pädagoge und Lehrer der eine, Pädagoge und Psychologe der andere – sind offenkundig altgediente und krisengestählte Moderatoren, doch sie scheinen in all den Jahren ihre Freude am kreativen Gestalten von Workshops und an deren passgenauem Zuschnitt auf den jeweiligen Bedarf nicht verloren zu haben. (Wohl die intelligenteste Art, trotz Alltagsroutine die eigene Lebendigkeit zu bewahren...)
In, rechnet man die Einführung "Workshop-Philosophie" und das Literatur- und Adressverzeichnis mit, 16 Kapiteln handeln Lipp und Will so ziemlich alle Aspekte ab, die einem zum Thema Workshop in den Sinn kommen könnten, und auch einige weitere. Ihr Buch deckt sowohl die Gesamt-Dramaturgie von Workshops ab als auch methodische Einzelaspekte wie "Informieren, ohne zu erschlagen", "Zuruflisten, Blitzlicht, Mind-Mapping" oder "Arbeiten in Kleingruppen". Weiter gehen sie ausführlich auf das "Vorher und Drumherum" ein, behandeln aber auch spezielle Herausforderungen wie "Umsetzung anschieben", "Krisenmanagement" und "Workshop-Exoten". Schließlich präsentieren sie in einem ausführlichen 15. Kapitel eine Reihe eigener Beispiele – mit bemerkenswert wenig Eitelkeit, aber durchaus "persönlicher Note".
Im (lobenswert kurzen) Vorwort stellen die Autoren ihr Werk ausdrücklich als "Schmökerbuch" dar und machen Mut zum unorthodoxen Lesen: "Wir blättern nämlich selber gerne, lesen selten ein Buch diszipliniert von vorne bis hinten. Die einzelnen Kapitel und deren Teile, Unterkapitel und Kästen sind weitgehend unabhängig voneinander zu verstehen. Sie können also überall einsteigen und sich die Stellen Ihrer Wahl herauspicken." (S. 9) Dazu lädt das Buch tatsächlich ein und wird so, wie Lipp und Will schreiben, zum "Werkzeugkasten, in dem für die verschiedensten Aufgaben und Fragestellungen das passende Werkzeug bzw. die richtige Besprechungstechnik mit Bedienungsanleitung beiliegt." (S. 9) Das alles ist auch noch garniert mit zahlreichen Karikaturen – schon beachtlich, in welchem Ausmaß Workshops die zeichnende Zunft zu milde ironischen Zwischenrufen angeregt haben. Angesichts der urheberrechtlichen Skrupellosigkeit der Szene – gemäß dem hübschen Satz von Danny Kane: "Originalität ist die Kunst, sich Bonmots zu merken, und dann zu vergessen, wo man sie gelesen hat" – dürften etliche dieser Grafiken mittlerweile in allen möglichen Seminaren und Workshops kursieren.
Natürlich gibt es in solch einem "Sammelwerk" immer auch Aspekte, mit denen man als Leser oder Rezensent nicht einverstanden ist. Beispielsweise hätte ich mir in dem Kapitel "Bewerten und Entscheiden" eine deutlichere Differenzierung von rationalem und emotionalem Konsens gewünscht, der dem messerscharfen Satz von Michael Löhner Rechnung trägt: "Das Glücksgefühl beim Betrachten der gemeinsam beklebten Pinnwände ist leider keine Garantie für Realitätsdichte." Tatsächlich steuern ja die meisten Moderationsmethoden (und auch die allermeisten Moderatoren) auf einen emotionalen Konsens hin, also darauf, dass sich die Teilnehmergruppe am Schluss einig ist und dass sich niemand als Verlierer fühlen muss. Doch so beglückend Harmonie und die "Geborgenheit in der Gemeinschaft" sein mögen, sie sind trügerisch, wenn man die Rechnung ohne den Wirt bzw. ohne Markt, Wettbewerb und interne Realitäten macht. Gerade kritische Minderheitenmeinungen – gleich ob sie die Außensicht oder heikle interne Themen repräsentieren – werden über Punktegewichtungen und ähnliche Verfahren leicht weggebügelt. Zudem ist emotionaler Konsens schwer transferierbar: Meist sind die Gründe, die letztlich für Entscheidungen ausschlaggebend waren, später trotz Fotoprotokollen nicht mehr rekonstruierbar – was in peinlicher Weise deutlich wird, wenn Vorgesetzte oder auch die eigenen Mitarbeiter fragen: "Und aus welchen Gründen habt Ihr Euch für diese Lösung entschieden?" Auch die Beteiligten selbst wissen oft nach einigen Wochen nicht mehr so recht, weshalb sie damals eigentlich so begeistert von der gefundenen Lösung waren.
Doch solche oder ähnliche Kritikpunkte wird man in einem so umfangreichen Werk immer finden; sie tun der Über-Alles-Qualität des "Großen Workshop-Buchs" keinen Abbruch. Wobei durchaus auch alte Hasen daraus Nutzen ziehen können: Für mich persönlich war die Lektüre wie eine erfrischende Dusche mit einer Mischung aus alten, aber halbvergessenen und neuen, erprobenswerten Anregungen und Ideen, von denen meine nächsten Workshops mit Sicherheit profitieren werden. Auch wenn das gesamte Buch das Lesen wert ist (und dem Durcharbeiten bemerkenswert wenig Widerstand entgegensetzt), möchte ich doch zwei Kapitel besonders hervorheben, nämlich "Umsetzung anschieben" und "Krisenmanagement". Denn wer nicht bloß als "Miet-Moderator" Workshops durchführt und dann wieder seiner Wege zieht, ist ja darauf angewiesen, dass seine Veranstaltungen nicht nur "ein gutes Gefühl" hinterlassen, sondern dass ihnen auch Taten folgen. Es ist daher klug, die Umsetzung bei der gesamten Gestaltung im Blick zu haben, statt erst in der letzten halben Stunde des Workshops darüber nachzudenken. Ähnliches gilt für Workshop-Krisen: Wer ihre Chancen erschließen will, darf sie nicht vorschnell als persönliches Versagen des Moderators oder gar als "Beinahe-Katastrophen" ansehen, sondern sollte sie als Klärungsbedarf in der Gruppe verstehen (und manchmal auch als Klärungsbedarf mit dem Moderator bzw. seinem Auftrag). Was ohne Zweifel einen Schuss Gelassenheit voraussetzt, aber auch das nötige Handwerkszeug...
Neu hinzugekommen ist bei der Überarbeitung ein 16-seitiges Kapitel "Arbeiten mit Großgruppen". Das ist ein bisschen wenig Platz, um einem so vielschichtigen Thema gerecht zu werden, und so werden Lipp und Will hier auch sehr viel weniger konkret und "praktisch" als in den übrigen Kapiteln –der Raum reicht gerade zu einer groben Vorstellung einiger Methoden. Schon in der ersten Unterüberschrift klingt auch ein Schuss Skepsis an: "Warum sich mit großen Gruppen herumschlagen?" Sehr treffend scheint mir jedoch, dass sie vor einer Rekordjagd bei der Teilnehmerzahl warnen: "Nicht immer ist 'big' auch 'beautiful'." (S. 219) Richtig gut fand ich den Kasten: "Von Open Space lernen, ohne Open Space zu machen" (S. 225). Vor allem den Gedanken, das "Prinzip der zwei Füße" auch auf normale Workshop-Gruppenarbeiten zu übertragen, finde ich wirklich erprobenswert.
Ausgesprochen lesenswert sind auch die beiden abschließenden Kapitel "Workshop-Exoten" und "Das haben wir so gemacht: Beispiele" – gerade für erfahrene (und möglicherweise etwas eingefahrene) Moderatoren und Berater. Hier stellen Lipp und Will insgesamt 15 beispielhafte Workshops (eines ist der Überarbeitung zum Opfer gefallen) im Detail vor, wobei das "beispielhaft" weniger im Sinne von mustergültig zu verstehen ist als im Sinne von illustrierend. Das ist insofern spannend, als es zeigt, wie sich die vorgestellten Instrumente und Methoden in den Kontext einer Gesamtdramaturgie einfügen, und man ansatzweise erfährt, welche Wirkungen sie auslös(t)en. Dies verstärkt, wenigstens bei mir, den Impuls, auch in den eigenen Veranstaltungen einmal den einen oder anderen Schritt anders zu machen als er sich über die Jahre zur professionellen, aber auch etwas langweiligen Routine verfestigt hat. Und was könnte man Lobenderes über ein Buch sagen als dass es Einfluss auf das eigene Handeln haben wird?!
Insgesamt ein Werk, das nicht nur professionellen Moderatoren und solchen, die es werden wollen, sehr zu empfehlen ist. Ausdrücklich ans Herz legen möchte ich es auch allen Beratern, Projektleitern und Prozessmanagern, für die das Moderieren von Workshops zwar nicht ihr Kerngeschäft ist, die aber in Ausübung desselben zwangsläufig immer wieder Workshops zu leiten haben. Gerade weil Workshops für sie nur Mittel zum Zweck sind, sind sie in der Gefahr, bei deren Gestaltung in phantasielose Routine zu verfallen: Präsentation – Arbeitsgruppen – Plenumsdiskussion – Entscheidung / Vertagung – Präsentation – Arbeitsgruppen ... Sie können sich in diesem Workshop-Buch zahlreiche Anregungen holen, ohne deswegen zu den "Methodik-Freaks" konvertieren zu müssen. Ein Buch, das in die Handbibliothek jedes Projektleiters, Beraters und Change Managers gehört.
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