Leider mangelt es dieser Einführung in die Konfliktmoderation an einer klaren Struktur, an Systematik und an didaktischer Aufbereitung. Und so liefert sie zwar Denkimpulse und "Bauelemente", aber kein abgerundetes Gesamtbild.
Für Einsteiger bietet dieses Buch wahrscheinlich zu wenig "Führung", zu wenig klare und leicht verdauliche Aufgliederung der Gedanken. Für erfahren Konfliktmanager ist es wohl zu "basic", zu sehr an der Vermittlung grundlegenden Denk- und Handwerkszeugs orientiert. Ihnen bietet es zwar einzelne interessante Gedanken und nutzbare "Bauelemente" für die eigene Arbeit, aber keine grundlegenden neuen Einsichten. "Stuck in the middle" also, im Niemandsland zwischen den Zielgruppen verlorengegangen? Ja, das ist mein Eindruck – und dennoch würde ich dieses Buch mit gewissen Einschränkungen empfehlen, und zwar vor allem für fortgeschrittene Anfänger und für noch nicht allzu weit fortgeschrittene Fortgeschrittene. Recht brauchbar erscheint es mir zum Beispiel als Ergänzung zu Christoph Thomanns "Klärungshilfe 2" (siehe eigene Besprechung), wobei mein Rat eindeutig wäre, zunächst den Thomann durchzuarbeiten und sich erst dann mit Redlich Mühe zu geben.
Zu dem Eindruck von Unübersichtlichkeit und mangelnder Gliederung trägt sicherlich auch bei, dass das Buch insgesamt nur aus drei überlangen Kapiteln besteht. Diesem "harten Kern" geht ein Fallbeispiel "Konflikt im Elternrat" voraus; vier weitere Fallbeispiele (ohne Lösungsvorschläge) sowie eine Art Schlusswort mit der Überschrift "Sechs Leitsätze und zwei Einstellungen" schließen das Buch ab.
Im umfangreichen ersten Kapitel "Konfliktmoderation" stellt der Hamburger Psychologe und Verhaltenstherapie-Ausbilder Alexander Redlich ausführlich ein fünfphasiges Modell der Konfliktmoderation vor. Es beginnt mit einer (vorläufigen) Auftragsklärung mit der verantwortlichen Führungskraft. Daran schließt sich zu Beginn der eigentlichen Konfliktmoderation naheliegenderweise das Stiften von zwischenmenschlichem Kontakt an, bevor mit dem Sammeln der Konfliktthemen begonnen werden kann. Darauf folgen die beiden Herzstücke der Moderation, nämlich das Klären der Sichtweise der Konfliktparteien und das "Verhandeln, (um) Positionen in Bewegung (zu) bringen". Wer eine klare, übersichtliche Struktur dieses Kapitels sucht, findet sie, wenn er sie findet – im Anhang.
Wie aus diesem Modell zu ersehen, hat Redlich in allererster Linie Teamkonflikte im Auge, die unter Anleitung eines (in der Regel externen) Moderators bearbeitet und bewältigt werden sollen. Eine sehr sinnvolle Beschränkung des Themas, denn als Vorgesetzter der streitenden Parteien oder auch als betroffene Konfliktpartei selbst steht man vor ganz anderen Fragen, und ein Versuch, sie auf dem gleichen Raum mit abzudecken, liefe Gefahr, Tiefe durch Breite zu substituieren.
Das zweite mit 77 Seiten ebenfalls überlange Kapitel "Konzepte zur Schärfung der Wahrnehmung" enthält drei Unterkapitel. In "Quellen der Macht in Gruppen" legt Redlich dar, welche Auswirkungen Machtstrukturen auf Konflikte und ihre Moderation haben. Das ist ein spannender und wichtiger Aspekt – schade daher, dass er sich dabei weitgehend auf die Analyse beschränkt und wenig darüber sagt, welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen sich daraus für Moderatoren ergeben. Ebenfalls anregend das folgende Unterkapitel "Beziehungsstörungen: 'Innere Teams' prallen aufeinander". Die Metapher des "Inneren Teams" (Schulz von Thun) veranschaulicht unterdrückte und verleugnete Persönlichkeitsanteile als die widerstreitenden Mitglieder eines inneren Teams. Dieses griffige Bild kann Moderatoren helfen, sowohl die intra-psychischen Konflikte besser zu verstehen, welche die Konfliktdynamik anheizen, als auch, mit dieser Metapher die Selbstreflexion und Selbsteinsicht der Konfliktparteien zu unterstützen. Hier bietet der Autor auch "Leitlinien für den Moderator" an – unter anderem eine sehr bedenkenswerte Infragestellung des Dogmas "Beziehungsklärung vor Sacharbeit!"
Das dritte Unterkapitel "Die soziale Architektur von Gruppen" erstreckt sich alleine über 54 Seiten und beginnt mit einem umfangreichen Exkurs über die "Grundlegende(n) Dimensionen menschlicher Eigenschaften", also letztlich über Charakterkunde, dem Redlich den Satz voranstellt: "Wem das zu 'wissenschaftlich' ist, der möge direkt zu Seite 131 übergehen." Was man meiner Meinung nach in der Tat tun kann, ohne seiner Fähigkeit zur Konfliktmoderation bleibenden Schaden zuzufügen. Schwierig ist nur, auf Seite 131 wieder einzusetzen, denn was dort folgt, nimmt explizit Bezug auf ein Denkmodell, das auf den übersprungenen Seiten eingeführt wurde. Insgesamt habe ich mir mit diesem Abschnitt schwer getan: Es ist mit nicht gelungen, in den vielen und zum Teil durchaus interessanten Einzelgedanken und Facetten einen roten Faden zu erkennen. Insgesamt hinterlässt der Abschnitt bei mir eher ein Gefühl von Verwirrung und Ratlosigkeit.
Das dritte und letzte Kapitel befasst sich dann etwas überraschend mit "Kommunikative(n) Basiskompetenzen". Da mag man sich als angewirrter Leser fragen, ob man das vielleicht schon gelesen haben müsste, um die vorausgegangenen Abschnitte richtig verstehen zu können. Was dort folgt, hat aber durchaus Hand und Fuß: Redlich unterscheidet vier Basiskompetenzen für Moderatoren, nämlich Strukturieren, Aktives Zuhören, Lösungen entwickeln und Entpolarisieren. Hinter dem "Entpolarisieren" verbirgt sich die für Konfliktmoderatoren äußerst wichtige Fähigkeit, sprachlichen Fouls zu begegnen und Fairness zu fördern. Zu allen vier Kompetenzen bietet Redlich auch "Anleitungen zum Selbsttraining" bzw. Übungen in Kleingruppen an, die helfen sollen, das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern und es vor allem bewusster zu machen. Auch wenn sich die Kompetenz zur Lösungsentwicklung auf das klassische (und etwas abgedroschene) Brainstorming beschränkt, zählt dieses Kapitel für mich zu den nützlichsten Teilen des Buches, insbesondere für die Zielgruppe "fortgeschrittene Anfänger".
Nach diesen drei Kapiteln folgen noch "sechs Leitsätze und zwei Einstellungen" – wobei mir rätselhaft bleibt, wieso die Leitsätze erst am Schluss genannt werden, wo sie doch eigentlich leiten sollten. Und ein bisschen mehr "Leitung" hätte dem Buch durchaus gut getan. Unklar bleibt auch, in welcher Beziehung sie zu dem vorausgegangenen Buchinhalt stehen; sie sind kein Resümee, sondern wirken eher wie: "Was ich sonst noch sagen wollte, aber in meiner Gliederung nicht untergebracht habe." Das gilt auch für die beiden "Einstellungen" – auch wenn es mir fern liegt, ihnen inhaltlich zu widersprechen. Nach dem Schluss folgen noch vier Fallbeispiele. Allerdings handelt es sich wirklich um nackte Fallbeispiele, also um die reine Beschreibung von vier Konflikten, ohne Analyse und ohne Vorschläge für die Moderation. Lediglich ein paar Leitfragen werden den Lesern als Arbeitsaufgaben angeboten; ob die erarbeiteten Lösungsansätze aber in die richtige Richtung gehen oder "voll daneben" sind, darüber erhält der lernwillige Leser kein Feedback. Auch hier erschließt sich der didaktische Sinn des Vorgehens für mich nicht.
Obwohl das Buch mittlerweile die 6. Auflage erreicht hat, hinterlässt es bei mir einen zwiespältigen Eindruck: Es bietet ohne Zweifel mancherlei nützliche Anregungen und kommt von einem Autor, der offenkundig etwas von seinem Sachgebiet versteht. Doch hätte das Ganze eine klarere Strukturierung und eine bessere didaktische Aufbereitung verdient gehabt. Auch was die gedankliche Klarheit betrifft, bleibt es klar hinter dem exzellenten Werk von Christoph Thomann zurück. Wenig Freude macht schließlich auch die editorische Seite. Die vom Windmühle-Verlag gerne und auch hier verwendete Stanzheftung der Seiten mit Plastikbinderücken wirkt für ein 50-Mark-Buch doch ein wenig arg improvisiert und erinnert an die Frühzeit von Berater-Präsentationen (die allerdings zugegebenermaßen noch deutlich teurer waren).
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