Ein gescheiterter Versuch, die Systemtheorie von Niklas Luhmann über eine Art szenischen Dialog zu vermitteln, in dem "alles, was im Text geschieht, eben diese Theorie zugleich illustriert". Ich jedenfalls habe aus diesem Text rein gar nichts gelernt
Muss man als Rezensent ein Buch zu Ende lesen, wenn man nach der Hälfte der Seiten immer noch keinen bemerkenswerten Gedanken vorgefunden, noch keine erinnerungsfähige Einsicht gewonnen hat? Wahrscheinlich müsste man es, denn es könnte ja sein, dass in der zweiten Hälfte oder im letzten Drittel... Ich bekenne, dass ich soweit nicht gekommen bin. Denn ich bin nicht (mehr) bereit, mich durch ebenso end- wie belanglose "Dialoge der Eigentlichkeit" zu bemühen, die zuweilen durchaus ein paar Pointen bieten, über weite Strecken aber bloß anstrengend, nervig und vor allem furchtbar erkenntnisarm sind. Mein Urteil basiert also auf einer unvollständigen Lektüre, und wer mag, darf es gerne anzweifeln – und muss zur Strafe auch die zweite Hälfte lesen.
Meine ständige Begleiterin bei der Lektüre war die Assoziation an das Buch "Eleganter Unsinn", in dem Alan Sokal und Jean Bricmont das aufgeblasene Geschwätz der sogenannten "Postmoderne" bloßstellen. Wobei ich den Vorwurf der Eleganz nur teilweise aufrechterhalten kann: Zuweilen haben die fiktiven Dialoge des Buchs zwar durchaus eine slapstickhafte Komik, doch ansonsten trifft eher der englische Titel von Sokal / Bricmont den Kern: "Fashionable Nonsense".
Worum geht es überhaupt? An sich um eine gute Idee, nämlich, eine Einführung in die vielzitierte Systemtheorie nach Niklas Luhmann, die nach einhelliger Aussage "sehr schwierig" zu verstehen und zu vermitteln ist, einmal nicht in Form eines Lehrbuchs zu versuchen, sondern in Form eines ... – ja, was eigentlich? – am ehesten wohl eines szenischen Dialogs. Doch jedes Wagnis beinhaltet auch das Risiko des Scheiterns. Die erklärte Absicht der Autoren war, wie sie im Vorwort schreiben, "jenen alten Trick ein weiteres Mal einzusetzen, über eine abstrakte Theorie so zu schreiben, dass alles, was im Text geschieht, ebendiese Theorie zugleich illustriert." (S. 10) Ob den Autoren dies gelungen ist, vermag ich nicht zu beurteilen, weil ich zwar das Bemühen um diese "Doppelbödigkeit" permanent verspürt, die Theorie aber nicht ansatzweise verstanden habe.
Das Setting: Drei alte Bekannte treffen sich in einer Espresso-Bar am Hamburger Hauptbahnhof, um zu einer gemeinsamen Reise aufzubrechen. Unglücklicherweise ist einer davon – genannt Martin T. Siebenschwan; man beachte das "T.", das ihn von allen Martin A. Siebenschwans bis Martin Z. Siebenschwans dieser Welt abhebt – Privatdozent für Soziologie und Systemtheorie. Bei dem zweiten handelt es sich um seinen Schulfreund, der als Professor an einer süddeutschen Hochschule, Bauingenieur und promovierter Philosoph vorgestellt wird; die Dritte im Bunde ist eine ehemalige Studentin des Erstgenannten und laut Text "selbständige Unternehmensberaterin, gesegnet mit einem Hausmann" (S. 13). Wen angesichts dieses Settings eine ungute Vorahnung beschleicht, wird Recht behalten: Gemeinsam reisen die drei quer durch Deutsch- und das westliche Ausland, begegnen dabei allerlei Personen, die vorzugsweise erst einmal in einer Maskerade auftreten und sich in das Gespräch einschalten, dann aber nach ihrer Identifizierung bis zu ihrem Abgang relativ selbstidentisch bleiben. Auf ihrem Weg entlang diverser Bahnlinien reden sie in wechselnder Besetzung ungeheuer schlau und geschwollen daher.
Eine Leseprobe (S. 158):
"Siebenschwan: Sie reden aus Ihrer eigenen Sinnprovinz heraus. Sie sind sozusagen angeschlossen an eine eigentümliche Zettelbewirtschaftungsmaschine, die nur spezifische Sinne durchlässt.
Beeltz: Zettelbewirtschaftungsmaschine ... die Religion! Das ist köstlich.
Siebenschwan: Und Kunst und Wirtschaft und Recht und Wissenschaft und Politik und Sport und so weiter...
Beben: Die Frage nach der Ethik haben Sie damit nicht beantwortet.
Siebenschwan: Soll ich das? Ich habe doch nur das Problem auf ein silbernes Tablett gelegt. Wer sich nicht mit Ethik befasst, wird sich, wenn er nicht auf eine Mythologie der Individualität aufschlagen will, mit jenen Zettelbewirtschaftsmaschinen befassen müssen, mit autonomen Funktionssystemen. Da müssten wir uns dann verzetteln."
Das soll wohl wie ein intelligenter Diskurs wirken. Und wer daran Freude hat, dem sei es neidlos gegönnt. Auf mich wirkt es über weite Strecken eher wie eine pseudointellektuelle Rechthaberei mit ausgeprägten Beimischungen von Dominanzkämpfen, die in Gestalt rhetorischer Rangeleien um die für den Leser mäßig bedeutsame Frage kreisen: "Wer hat den größten (Intellekt)?" Entsprechend "angenehm" ist auch das Klima innerhalb dieser seltsamen Reisegesellschaft. Beim Lesen erging es mir wie bei manchen Theaterstücken: Nach einer Weile war ich heilfroh, nicht Teil dieses Sozialsystems zu sein, sondern durch einfaches Zuklappen des Buchs aussteigen zu können. Was hiermit für immer geschehen sein möge.
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