Fünf nützliche Techniken zur Vorbereitung einer Verhandlungssstrategie, die auf der Basis der mathematischen Spieltheorie entwickelt wurden. Sie lassen sich erstaunlich gut auf die Vorbereitung von Veränderungsvorhaben (Kraftfeldanalyse) übertragen.
Dass erfolgreiches Verhandeln nicht nur eine Frage der sozialen Kompetenz ist, sondern auch eine der rationalen Analyse von Interessen und Kräfteverhältnissen, demonstrieren die beiden Londoner McKinsey-Berater Tera Allas und Nikos Georgiades. Ihr Ausgangspunkt ist die mathematische Spieltheorie, ein Forschungsgebiet, das "theoretisch" sehr viel mit Verhandlungen zu tun hat, in der Praxis der Verhandlungstechnik bislang aber weit weniger Spuren hinterlassen hat als denkbar und wohl auch wünschenswert wäre. Was Allas und Georgiades damit erklären, dass "few business leaders feel comfortable surrendering their personal judgment on such crucial issues to a 'black box'."
Sie versuchen daher, einen Mittelweg zu gehen und offerieren "a set of readily understood tools to help decision makers in complex multiparty negotiations. With the help of these tools, negotiators can develop strategies that are not only favorable to them but also palatable to the other parties. This method rests on the same logic as sophisticated simulation tools but doesn't require an elaborate computer model." Der Nutzen dieses Modells liegt nach ihren Worten darin, dass es hilft, im Vorfeld von Verhandlungen einige entscheidende Fragen zu beantworten: "Wo are a deal maker's true allies and enemies? What is the chance that a particular outcome will stick? Who is worth lobbying for support on particular issues? What bargaining chips can be traded for that support?"
Allas und Georgiades entwickeln ihre fünf Methoden am Beispiel einer Verhandlung, bei der ausgesprochen viel auf dem Spiel steht: Ein europäische Stromversorger bereitet seine Verhandlung mit dem staatlichen Regulierer vor, der eine Liberalisierung des Strommarkts durchsetzen soll. (Was uns demnächst ja auch in Deutschland bevorsteht.) Im Vorfeld jeder Verhandlung ist es zweckmäßig zu klären, was überhaupt die zur Verhandlung stehenden Themen sind und was das Spektrum der möglichen Ergebnisse ist. Denn in aller Regel geht es bei Verhandlungen nicht ausschließlich um das Hauptthema; fast immer kommen mehrere Zusatzaspekte und Nebenfragen dazu. Ebenso wichtig ist zu klären, welche Interessengruppen an der Verhandlung beteiligt sind und/oder im Hintergrund Einfluss auf sie ausüben können. Im konkreten Fall waren das 16 Parteien, zu denen neben den beiden Hauptbeteiligten das Wirtschafts- und das Finanzministerium, die Gewerkschaften, die Wettbewerber und etliche andere zählten.
Angesichts der sich hier abzeichnenden Komplexität ist die Aussage von Allas und Georgiades beruhigend, dass nur drei Informationen über jeden Stakeholder benötigt würden, um sein Verhalten vorherzusagen:
Position: "What is the stakeholder's preferred outcome on the issue" bzw., falls er sich dazu noch nicht geäußert hat, was wäre aus seiner Interessenlage heraus vernünftigerweise seine Position?
Bedeutung (salience): "How important is the issue to the stakeholder as compared with all other issues?"
Einfluss (clout): "As compared with the other players, how much power does the stakeholder have to influence the decision on the issue?"
Diese drei Einschätzungen bilden auch das Rohmaterial für die fünf "Tools", die Allas und Georgiades vorschlagen. Das erste ist ein "Ergebniskontinuum" (outcome continuum), auf dem die Positionen sämtlicher Interessengruppen zwischen den möglichen Extremen markiert werden. Eine Gewichtung der Positionen mit ihrer Bedeutung für die jeweilige Partei sowie deren Einfluss liefert einen Mittelwert, der als Prognose für eine reine Kompromissbildung dienen kann. Wie wahrscheinlich ein Kompromiss ist und wie belastbar er wäre, zeigt die "Stabilitätsanalyse" (stability analysis), die ermittelt, wie weit ein solcher Kompromiss von den Idealvorstellungen der einflussreichsten Parteien weg liegt: "If too many important players are dissatisfied with the outcome, it isn't likely to be stable."
Das dritte Tool ist eine Parteien-Klassifikation (stakeholder classification). Sie stuft jede Interessengruppe entweder als Verbündeten (ally), als Gegner (enemy) oder als Dazwischen-Stehenden (in-between) ein, und zwar nicht pauschal, sondern für jeden einzelnen Verhandlungsgegenstand. Die gleiche Partei kann also sehr wohl bei dem einen Thema Gegner und bei dem anderen Verbündeter sein. Diese Analyse hilft sowohl, gemeinsame Ziele und Interessen mit dem oder den Hauptgegnern zu finden, als auch, die "Großwetterlage" der Verhandlung abzuschätzen. Denn natürlich kann es schon einen Unterschied machen, ob das weitere Umfeld eher auf der eigenen Seite ist oder als auf der des Verhandlungsgegners.
Eine weitere wichtige Methode ist die Analyse der "Verhandlungslandschaft" (negotiation landscape). Sie sortiert die Parteien nach deren Einfluss und der Bedeutung des Verhandlungsgegenstands für sie: "Players with a lot at stake but little influence are 'followers'–-good to have on your side but not, given their lack of clout, worth much effort to win. The 'shapers,' by contrast, both care about the issue and can influence the outcome, so they are natural partners–-or very strong enemies. Just as important are the 'influencers,' who are not greatly concerned with the issue but have a good deal of influence over it. If you can persuade them to support your position, you are much more likely to win." Wichtig ist vor allem die Unterscheidung von "Followers" und "Influencers", denn die "Shapers" kennt man normalerweise auch so. Weil die Influencers erheblichen Einfluss auf das Ergebnis nehmen können, lohnt es sich, sich um ihre Unterstützung zu bemühen. Was sich nicht auf Lobbyarbeit beschränkt, denn manche Interessengruppen erwarten eine Gegenleistung für ihre Untersützung. Hier kann ein Blick auf die vorige Analyse Anhaltspunkte dafür liefern, wo "Geschäfte auf Gegenseitigkeit" möglich sein sollten.
Weitere Informationen über die Verhandlungsmasse liefert schließlich die "Beziehungsanalyse" (relationship analysis). Sie besteht darin, die Bedeutung jedes einzelnen Verhandlungsgegenstands sowohl für einen selbst als auch für die anderen Parteien in eine Matrix einzutragen. So werden die Themen deutlich(er), die für die anderen Parteien (oder zumindest einige von ihnen) deutlich wichtiger sind als für einen selbst. Diese "bargaining chips", wie Allas und Georgiades sie nennen, haben insofern besonderen Charme, als sie sich ideal aus "Tauschwährung" eignen – sofern man sich ihres Tauschwerts bewusst ist. Denn weil sie für einen selbst keinen hohen Stellenwert haben, kann man leicht übersehen, welch hohen Wert sie für andere Parteien haben können.
Natürlich sind auch diese fünf Methoden keine Garantie für einen sicheren Verhandlungserfolg. Doch sie können eine große Hilfe sein, die Ausgangssituation teffend einzuschätzen und eine Verhandlungsstrategie zu entwickeln, die diese Bezeichnung wirklich verdient. Dafür halte ich diese Tools für so nützlich, dass ich nicht daran herummäkeln will, dass ihr theoretischer Bezug zur Spieltheorie in dem Artikel etwas kurz kommt.
Umso besser gelungen ist die didaktische Aufbereitung der Materie: Wie erwähnt, entwickeln Allas und Georgiades ihre fünf Methoden am Beispiel des Energieversorgers; dabei zeigen sie Schritt für Schritt auf, welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sich aus ihnen ableiten lassen. Im zweiten Teil des Artikels wenden sie das Instrumentarium auf eine völlig andere Problemstellung an, nämlich auf die Vorbereitung einer komplexen M&A-Verhandlung, bei der ein junges, innovatives Unternehmen von einem Joint Venture übernommen werden soll, dessen einer Partner sich zurückzuziehen beabsichtigt. Dieser zweite Durchgang ist ausgesprochen hilfreich, weil er die Methodik auf eine ganz andere Art von Verhandlung anwendet und so nicht nur ihre breite Verwendbarkeit demonstriert, sondern dem Leser auch dabei hilft, sie auf anders geartete Verhandlungssituationen zu übertragen.
Für Change Manager scheinen mir diese Methoden aber noch aus einem anderen Grund von Interesse: Sie lassen sich nämlich fast unverändert auf die Vorbereitung von Veränderungsprojekten übertragen. Letztlich kann man Veränderungsvorhaben ja durchaus als eine groß angelegte Verhandlung betrachten: Ausgangspunkt ist, dass die Geschäftsleitung (oder sonstwer) bestimmte Veränderungsziele hat und sich entschließt, ein entsprechendes Projekt zu starten. Dabei ist die Realität natürlich nicht so, dass sie diese Veränderungsziele unverändert durchsetzt – auch wenn wir uns dies gern vormachen. De facto treten der Auftraggeber und seine Beauftragten in "Verhandlungen" mit zahlreichen innerbetrieblichen Parteien und Interessengruppen, deren Einfluss einerseits und deren Betroffenheit andererseits unterschiedlich groß ist, und es hängt stark von ihrem Geschick und ihrer Kreativität ab, ob das Ergebnis dieses Aushandelungsprozesses noch Ähnlichkeit mit den ursprünglichen Intentionen hat. Um hierfür die optimale Verhandlungsstrategie zu entwickeln, ist es klug, das Kräftefeld schon bei der Projektvorbereitung sorgfältig auszuleuchten (und dies in regelmäßigen Abständen zu wiederholen). Auch für eine solche Kraftfeldanalyse scheinen mir die fünf "Negotiation Tools" von Allas und Georgiades ein sehr nützliches Hilfsmittel zu sein.
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