Eher eine Gesamtdarstellung aus der Vogelperspektive als wirklich ein Coaching-Lehrbuch. Dennoch bietet vor allem der umfangreiche zweite Teil viele wertvolle Hinweise und Anregungen sowohl für angehende als auch für praktizierende Coaches.
Astrid Schreyögg ist freie Psychotherapeutin, Supervisorin und Organisationsberaterin, und man merkt ihrem Buch, vor allem aber den zahlreichen eingestreuten Praxisausschnitten, an, dass sie ihr Geschäft wirklich versteht. Ihr Buch erscheint mittlerweile in der 6. Auflage, was wohl auch damit zusammenhängt, dass Schreyögg sich seit Jahren auch in der Coaching-Ausbildung engagiert. (Diese Besprechung basiert auf der 3. Auflage 1998.) Wenn meine Beurteilung trotz ihrer unzweifelhaft hohen Kompetenz nicht noch besser ausfällt, dann liegt das an der eigenartigen Perspektive, aus der sie das Buch abgefasst hat. Obwohl der Untertitel "Eine Einführung für Praxis und Ausbildung" verspricht und der Klappentext beansprucht, "ein Leitfaden für alle, die diese neue Form der Personalentwicklung praktizieren oder praktizieren wollen", zu sein, wendet sie sich nicht direkt an ihre Zielgruppe und erklärt ihr, worauf es aus ihrer Sicht beim Coaching ankommt, sondern erläutert im Stile eines ausführlichen Gutachtens gewissermaßen aus der Vogelperspektive, was Coaching ist, was seine Anlässe und Themen sind und wie ein Coaching-Konzept aussehen könnte oder sollte.
Natürlich sind das keine völlig getrennten Welten – und dennoch macht es einen Unterschied im Nutzen für den lernwilligen Leser, welche Perspektive der Autor bzw. die Autorin wählt. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Wenn Schreyögg im dritten Kapitel "Die Anlässe von Coaching" abhandelt und dabei einerseits individuelle und kollektive Krisen, andererseits "Die Suche nach Verbesserungen als Anlass für Coaching" identifiziert, so kann man fast jedem ihrer Worte zustimmen. Doch es fehlt das "So What": Was bedeutet das für mich als Coach? Wie wichtig ist es, schon zu Beginn eines Coachings zu unterscheiden, ob es sich um eine individuelle oder kollektive Krise oder um die Suche nach Verbesserungen handelt? Welche Konsequenzen hat das für das Vorgehen; worauf muss ich achten? Was sollte ich im einen, was im anderen Fall tun oder unterlassen? Oder sind das alles nur akademische Unterscheidungen? Als halbwegs erfahrener Coach hat man dazu natürlich seine eigenen Vorstellungen – aber das hilft ja nichts: Man liest solch ein Buch ja nicht, um im eigenen Saft zu schmoren, sondern um von den Gedanken und Erfahrungen der Autorin zu lernen. Und auf Anfänger dürften solche Unterscheidungen ohne Conclusio einschüchternd wirken: Sie wissen dann, dass es da einen Unterschied gibt, aber nicht, was sie damit machen sollen.
Das Buch ist in drei große Teile gegliedert. Im ersten "Coaching als professionelle Managementberatung" befassen sich fünf Kapitel mit "Management, Sozialmanagement und Selbstmanagement", weiter mit den Funktionen, den Anlässen und Themen von Coaching sowie schließlich mit den Anforderungen an einen Coach. Der zweite Teil "Ein Coaching-Konzept" ist nicht nur vom Umfang her (182 Seiten), sondern auch inhaltlich das eigentliche Herzstück des Buchs. (Mehr dazu gleich.) Neu hinzugekommen ist bei der Erweiterung ein Teil III "Die Lehre vom Coaching"; darin behandeln zwei neue Kapitel zum einen die "Ziele und Inhalte der Lehre" sowie "Die lernorganisatorische Struktur, das didaktische Konzept und die Lernzielkontrollen". Diese Erweiterung unterstreicht obige Kritik, denn auch diese Themen sind weniger für angehende und praktizierende Coaches wichtig als für Coaching-Ausbilder. Damit bewegt sich Schreyögg weiter in Richtung einer Coaching-Gesamtdarstellung, nicht in Richtung eines Lehr- und Lernbuchs für die Zielgruppe Coaches. Ebenfalls neu ist in der 6. Auflage ein Anhang, der "zwei Beispiele für Strukturpapiere", "zwei Beispiele für Fallstudien" und "ein Beispiel für ein vorbereitetes Rollenspiel" enthält.
Die 130 Seiten von Teil I sind mehr ein Gutachten über die Anwendungsfelder und Rahmenbedingungen von Coaching als eine Denk- und Handlungsanleitung für angehende oder praktizierende Coaches. Für die meisten Aussagen dieser Kapitel gilt, was ich oben am Beispiel der "Anlässe von Coaching" gesagt habe: deskriptiv, zutreffend, aber weitgehend folgenlos. Da dieser Teil jedoch seit der Überarbeitung mit "Coaching als professionelle Managementberatung" überschrieben ist, verwundert es ein wenig, dass Schreyögg nichts darüber sagt, was sie eigentlich unter Professionalität versteht und welche Handlungs- und Unterlassungsregeln sie daraus für "professionelle Managementberater" ableitet. Mäßig hilfreich fand ich auch das Managementverständnis, das sie im ersten Kapitel formuliert. Als "klassische Managementfunktionen" beschreibt sie da Planung, Organisation, Personaleinsatz, Führung und Kontrolle. Ja, das steht so oder so ähnlich in vielen Lehrbüchern, und etliches davon kommt auch tatsächlich in der Managementpraxis vor. Doch die wirklichen Konfliktfelder, die ich im Coaching erlebe, haben weniger mit diesen "bürokratischen" Aufgaben zu tun als mit den vielfältigen Abhängigkeiten, die Führungskräfte heute stecken und die sie managen müssen, um ihre Aufgaben erfolgreich zu bewältigen – ein Themenkomplex, den John Kotter in "Power and Influence" (1985) brillant analysiert hat.
Spannender und nutzbringender wird es im Teil II, wo Schreyögg "Ein Coaching-Konzept" präsentiert. In Kapitel 6 arbeitet sie die "Ziele von Coaching" heraus, nämlich einerseits die "Steigerung der beruflichen Qualifikation", der sie neben der "Steigerung der beruflichen Effizienz" auch die "Steigerung der Humanität im Beruf" zuordnet; andererseits die "Entwicklung menschlicher Gestaltungspotenziale im Beruf". Kapitel 7 widmet sich dem "konzeptionelle(n) Rahmen zur Anwendung von Methoden im Coaching". Das klingt kompliziert und ist es auch, weil sich jedenfalls für mich nicht erschließt, aus welchen Elementen sich ein "Konzept" nach dem Verständnis der Autorin zusammensetzen sollte und weshalb. Sie führt drei auf: erstens die "Rekonstruktionen", das heißt "die Präzisierung des Anliegens, das der Klient in die Beratung hineinträgt" (S. 165), zweitens die beabsichtigten "Wirkungen von Coaching" – hier nennt sie die "Erweiterung von Deutungsmustern", die "Umstrukturierung von Deutungs- und Handlungsmustern" und die "Erweiterung von Handlungsmustern" – und drittens der "Interaktionsstil beim Coaching". Auch das bleibt noch überwiegend deskriptiv, doch dann wird es von Kapitel zu Kapitel handfester.
Kapitel 8 behandelt "Die Rolle des Coach und die äußere Anordnung von Coaching". Darin geht Schreyögg auf die "Rollen von externem und internem Coach" ein und erläutert "Settings von Coaching", nämlich Einzel-, Gruppen- und Team-Coaching. Kapitel 9 befasst sich mit dem "Gespräch im Coaching". Das beginnt mit dem äußeren Gesprächsrahmen, wo sie – endlich! – handfeste Hinweise zum Beispiel zur Sitzanordnung, zum Mobiliar und zu dem ewigen Thema "Tische oder keine Tische" gibt. Weiter arbeitet sie vier Funktionen des Gesprächs im Coaching heraus, nämlich die "Feststellung des Anliegens", das "Feststellen der persönlichen Involviertheit", das "Feststellen von Optionen" und "Der Coach als Modell für die Gesprächsführung". Unter "diagnostische Zugänge zum Verstehen sprachlicher Kommunikation" referiert sie zunächst Schulz von Thuns vier Aspekte von Botschaften und wendet sich dann der "Zweiseitigkeit sprachlicher Kommunikation" zu. Noch praktischer wird es, wenn es im folgenden Abschnitt um "Das professionelle Handwerkszeug des Coach im Gespräch" geht. Dort erläutert sie vier Werkzeuge, nämlich "Feedback geben", "Varianten des Zuhörens", "Fragen stellen" und "Eigene Standorte benennen". Schließlich geht sie auf "Modifikationen des Handwerkszeugs in Kleingruppen-Settings" ein. Das ist alles nützlich, aber auch ein wenig konventionell. Vermisst habe ich das analytische Zuhören im Sinne von Rupert Lay, das ich gerade im Gespräch mit Top Managern als sehr nützlich empfinde und das der logischen Struktur von Aussagen und insbesondere deren stillschweigenden Prämissen nachspürt, sowie detailliertere Aussagen über die Techniken von Konfrontation und Provokation, die im Unterabschnitt "Eigene Standorte benennen" nur allzu dezent angedeutet werden.
Am wertvollsten empfand ich persönlich die Kapitel 10 "Methodische Anleihen bei erlebnis- und handlungsorientierten Psychotherapieverfahren für das Coaching" und 11 "Methodische Anleihen im 'Kinderzimmer' – Die Arbeit mit Materialien im Coaching". Als Leihgeber bei den Therapieverfahren dienen ihr einerseits die (eher kognitiv orientierte) Gestalttherapie, andererseits das expressiv-handlungsorientierte Psychodrama, was sich bei geringen Überlappungen sehr gut ergänzt. Aus der Gestalttherapie borgt Schreyögg sich (bzw. uns) fünf Interventionstechniken, nämlich Awareness-Übungen, imaginative Rollenspiele, Sprachspiele, Experimente und Hausaufgaben. Aus dem Psychodrama sind es sechs, nämlich Imaginationsübungen, Zukunftsexplorationen, Spiegeln, Rollentausch, Rollenwechsel und der bekannte und beliebte Doppelgänger. Jede dieser Techniken stellt sie auf ein bis zwei Seiten nach einem einheitlichen Schema vor: zuerst das Konzept, dann die Einsatzmöglichkeiten und schließlich die Effekte; illustriert wird das jeweils durch ein kurzes Anwendungsbeispiel. Handlungsanleitungen gibt sie leider auch hier nicht, was in meinen Augen den Nutzwert des Buches spürbar mindert, denn gerade bei den "Dos und Don'ts" hätte der Leser von Schreyöggs umfangreicher Erfahrung viel profitieren können.
Ähnliches gilt für Kapitel 11, wobei hier auch die sorgfältige Einführung in "Die generelle Bedeutung von Materialien im Coaching" und die "Kriterien für eine differenzierte Anwendung von Materialien im Coaching" sehr lesenswert sind – besonders für Coaches, die nicht aus einem psychotherapeutischen oder heilpädagogischen Werdegang kommen, sondern aus einem industriellen oder beratenden. Denn manchmal gibt es wirklich Situationen, in denen es Klient und Coach kaum gelingt, allein über das Reden einen hinreichen konkreten Zugang zu der Problemlage zu finden. Da können Materialien eine wertvolle Hilfe sein – sofern sich der Klient darauf einlässt und sie nicht als unangemessen empfindet, und sofern der Coach hinreichend sicher mit ihnen umgeht. Deshalb ordnet Schreyögg sie nach der "subjektiven Kompativilität zur Führungsberatung" (S. 290): Beginnend mit Zeichen- und Malutensilien über Bau- und Magnetsteine, Puppen und Collagen bis hin zu Ton, Musikinstrumente und Masken. Sicher kein Zufall, dass ihre Fallbeispiele bei den "schwierigeren" Materialien hauptsächlich aus dem Sozialbereich kommen. Sehr hilfreich, dass sie hier auch ganz "banale" handwerkliche Hinweise gibt wie zum Beispiel: "Manche Medienarbeiten wie Tonen oder der Maskenbau erfordern einen breiteren zeitlichen Rahmen (....) So lassen sich manche Medien nur bei mehrtägigen Veranstaltungen, wie es bei Gruppen- oder Team-Coachings gelegentlich vorkommt, nutzen." (S. 282)
Das letzte Kapitel von Teil II heißt lapidar "Der Coaching-Prozess" und behandelt einige wichtige operative Dinge: Zunächst "Die Eingangsdiagnostik im Coaching", dann "Coaching-Kontrakte" (wo sie zwischen formalen Kontrakten und sozialen Kontrakten unterscheidet), weiter "Coaching-Verläufe" und schließlich – sehr sinnvoll und alles andere als trivial – "Die Beendigung von Coaching". Ein solches Kapitel hätte ich mir schon weit früher in dem Buch gewünscht, einfach weil es die organisatorischen Rahmenbedingungen einer Coaching-Beziehung absteckt und damit all die inhaltlichen Ausführungen einordnen hilft. Doch auch wenn es spät kommt, kommt es nicht zu spät.
Die Sprache des Buchs ist über weite Strecken klar und verständlich; nur gelegentlich gleitet die Autorin in formelhaften "Psycho-Sprech" ab: "... und desto weniger aktualisiert sich 'Resistance to Change'." (S. 195) – "Häufig reichen solche Erkenntnisakte schon aus, um bei den Klienten ein verändertes Handeln zu mobilisieren." (S. 254) – "Berufliche Erfahrungen werden bei den Klienten bewusstseinsmäßig fokussiert." (S. 267) Die Highlights sind immer wieder die eingestreuten Fallbeispiele: sehr anschaulich, präzise und illustrativ.
Insgesamt ein gutes Buch über Coaching, aber leider nicht das überragende Coaching-Lehrbuch, das ich als Standardwerk empfehlen könnte. Das ist umso bedauerlicher, als man beim Lesen ständig spürt, dass die Autorin weit mehr weiß und kann als sie im Text "rüberbringt". Da ihr Buch bestimmt noch weitere Auflagen erleben wird, bleibt zu hoffen, dass sich Schreyögg bei der nächsten Überarbeitung ein Herz fasst und nach jeder deskriptiven Aussage die Frage beantwortet: "Und was heißt das für mich als Coach konkret?" Die Einarbeitung handfester Handlungs- und Unterlassungsempfehlungen würde den Nutzwert dieses Buchs noch einmal deutlich erhöhen und wäre der Attraktivität ihrer Seminare sicher nicht abträglich – im Gegenteil: Am Ende stellt sich der ernsthaft Interessierte ja doch die Frage: "Und wie setze ich das in der Praxis um?"
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