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Tiefer Einblick in Strategien und Mechanismen der Beeinflussung

Cialdini, Robert B. (2004):

Die Psychologie des Überzeugens

Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen

Hans Huber (Bern, Göttingen u.a.) 1997, 3. überarb. Aufl. 2004; 367 S.; 26,95 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 10

Rezensent: Winfried Berner, 09.12.2005

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Sehr lohnende Übersicht über jene mentalen "Shortcuts", mit denen wir komplexe Entscheidungen vereinfachen – und uns damit anfällig für Manipulationen machen. Flüssig und amüsant geschrieben, viele Fallbeispiele, hoher Nutzwert für Theorie und Praxis

Der israelische Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman sagte einmal über jene typischen Denk- und Entscheidungsfallen, die er gemeinsam mit Amos Tversky und anderen über viele Jahre hinweg erforscht hat: "Immer, wenn wir glauben, ein Muster endgültig durchschaut zu haben, erwischt es uns auf dem nächsthöheren Niveau wieder!" Dieser Satz klang mir beim Lesen von Robert B. Cialdinis "Psychologie des Überzeugens" in den Ohren. So dachte ich, dass ich jenes Phänomen verstanden hätte, das Kahneman und Tversky "Framing" nennen, dass wir nämlich zu unterschiedlichen Entscheidungen tendieren, je nachdem wie das Problem formuliert ist. Doch beim Lesen musste ich mir eingestehen, dass ich zum Beispiel für ein Hemd und eine Krawatte deutlich mehr Geld ausgebe als sonst, wenn ich sie mir als Ergänzung zu einem zuvor erstandenen teuren Anzug kaufe. Vermutlich wissen das die Leute, die "nur an meinem Besten" interessiert sind, denn sie bieten mir die Accessoires immer erst nach dem Anzug oder Sakko an. Und verglichen mit dem Anzug ist so ein Hemd ja wirklich nicht teuer: Framing ist alles. Der wirtschaftliche Schaden hält sich im konkreten Fall in Grenzen, aber es beleidigt mich, mir eingestehen zu müssen, wie manipulierbar ich trotz all meines Wissens bin.

Der an der Arizona State University lehrende Robert Cialdini macht es seinen Lesern leicht, mit dieser "narzisstischen Kränkung" fertigzuwerden. Er tut das, indem er schon in der Einführung ein umfassendes Geständnis ablegt: "Mittlerweile stehe ich dazu: Ich bin schon immer allen möglichen Leuten auf den Leim gegangen. So lange ich denken kann, war ich immer eine ideale Zielscheibe für die Überredungskünste von Vertretern, Spendensammlern und allen möglichen Schlitzohren. (...) Wahrscheinlich ist dieser mir so vertraute Status als jemand, der immer wieder auf alle möglichen Tricks hereinfällt, verantwortlich für mein Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Überzeugungs- und Beeinflussungsprozessen." (S. 15) Na gut, sagt sich da der Leser aufatmend, wenn selbst ein Sozialpsychologe, der sich jahrelang mit diesen Phänomenen befasst hat ... – schon wieder hereingefallen: Auch das ist natürlich nur eine Variation über das Thema Framing oder, wie Cialdini es nennt, über das Kontrastprinzip. Wenn es dennoch irgendwie tröstlich ist, dass selbst ein leibhaftiger Psychologie-Professor auf solche Mechanismen anspricht, zeigt das, dass es uns manchmal wichtiger ist, im Reinen mit uns selbst zu sein, uns nicht "unserer Naivität schämen zu müssen", als, unserer Fehlbarkeit auf den Grund zu gehen und ihre "Feinmechanik" zu verstehen.

Im ersten Kapitel "Die Waffen der Einflussnahme" geht Cialdini der Frage nach, wie es überhaupt kommt, dass wir uns von bestimmten Mitteln und Methoden so stark beeinflussen lassen. Die erste Erklärung, die er dafür liefert, ist ein Phänomen, das er etwas Mickey-Maus-mäßig die "Klick-Surr-Reaktionen" nennt: Automatismen, die weitgehend mechanisch ablaufen ("surr"), sobald jemand den betreffenden Startknopf gedrückt hat ("klick"). Dabei verweist er auf die teils angeborenen, teils erlernten "Auslösemechanismen", welche die Verhaltensforschung entdeckt hat und die bei den unterschiedlichsten Tieren stereotype Verhaltensmuster aktivieren. Diese Erklärung erscheint mir allerdings etwas zweifelhaft, denn dass ausgerechnet das komplexe und stark kulturabhängige Sozialverhalten von AAMs und EAMs gesteuert sein sollte, würde ein hochkomplexes System von Auslösemechanismen voraussetzen, das überdies weitgehend unabhängig von kulturellen Einflüssen sein müsste. Immerhin bringt Cialdini aber ein Beispiel, in dem solch ein Schlüsselreiz tatsächlich nachweisbar ist: Es handelt sich dabei um das Wörtchen "weil" zur Begründung einer Bitte. Dieser "Auslösereiz" erhöht nach seinen Worten deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass einer Bitte entsprochen wird – und zwar auch dann, wenn hinter dem "weil" keine wirkliche Begründung folgt.

Trotzdem finde ich die zweite Begründung überzeugender, die uns Cialdini für unsere zuweilen allzu leichte Beeinflussbarkeit anbietet. Danach ist es schlicht unser Lebenstempo, das uns zwingt, in vielen Fällen Entscheidungen auf einer unzureichenden Datenbasis zu treffen. Angesichts der 1000 Themen, die täglich auf uns einstürmen, haben wir ganz einfach nicht die Zeit, uns eine fundierte Meinung zu all den Fragen zu bilden, die uns eine Stellungnahme abfordern. Das betrifft nicht nur gesellschaftliche und politische Themen wie etwa die Frage nach der wahren Lage der öffentlichen Haushalte oder nach dem tatsächlichen Ausmaß der Klimaveränderung, sondern auch grundlegende persönliche Entscheidungen wie die nach unserer eigenen Alterssicherung oder der Schulwahl für unsere Kinder.

Um einigermaßen handlungsfähig zu sein, verlassen wir uns bei Entscheidungen, für die wir nicht ausreichend kompetent sind, von der Geldanlage bis zur Mitarbeiterauswahl, auf sogenannte "Urteilsheuristiken". Das sind Handlungsregeln, die uns meist nicht voll bewusst sind, uns aber in vielen Fällen gute Dienste leisten und uns brauchbare Schnellsch(l)üsse ermöglichen – uns aber auch anfällig für Manipulationen machen. Ein Beispiel ist die simple Heuristik "teuer = gut". Sie ermöglicht uns durchaus eine vernünftige Orientierung, wenn wir, wie zum Beispiel beim Juwelier, beim Weinhändler oder beim "Vermögensberater", den wahren Wert der angebotenen Waren nicht beurteilen können. Doch wird diese einfache Heuristik zur Falle, wenn Anbieter unsere Heuristik durchschauen und skrupellos ausnutzen: "Durch diese Muster werden wir zur leichten Beute für jeden, der weiß, wie sie funktionieren." (S. 31) Da wir aber in einer Zeit leben, in der solche Mechanismen nicht bloß gelegentlich von kleinen Gaunern ausgenützt, sondern systematisch erforscht und strategisch eingesetzt werden, liegt es in unserem lebhaften Eigeninteresse, sie zu kennen und uns, so gut es eben geht, dagegen zu wappnen.

Ein gutes Beispiel für solche an sich nützlichen und dennoch übel ausnutzbaren Regeln ist die "Reziprozität", der sich Cialdini im zweiten Kapitel zuwendet – mit dem düsteren Untertitel: "Geben und nehmen – und nochmals nehmen". Nach seinen Worten ist es ein in allen Kulturen fest verankertes Prinzip, in sozialen Beziehungen auf die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen zu achten. Und in der Tat ist es plausibel, dass es zur Funktionsfähigkeit sozialer Strukturen beiträgt, wenn über einen ständigen Austausch von Vorleistungen und Gegenleistungen ein dichtes Netz an gegenseitigen Verpflichtungen entsteht. Solche Gesellschaften stehen in Summe wahrscheinlich besser da als wenn jeder nur eifersüchtig auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Doch das gute Prinzip lässt sich in geradezu erpresserischer Weise missbrauchen, indem man durch eine (oft relativ wertlose) Vorleistung eine (deutlich wertvollere) Gegenleistung erzwingt. Ein Beispiel hierfür sind all jene Bettelbriefe, denen ein paar Grußkarten oder andere "nette Beigaben" beigepackt sind – und die uns genau damit moralisch unter Druck setzen, eine "nicht kleinliche" Gegenleistung zu erbringen. Noch wirksamer ist dieser Mechanismus im persönlichen Kontakt, wenn das ahnungslose Opfer auf der Straße oder an der Haustür mit einem "kleinen Präsent" überrascht wird: Trotz heftigen Unbehagens entsteht das Gefühl, sich der unfreiwillig entstandenen Verpflichtung kaum entziehen zu können.

Anschaulich und nachvollziehbar behandelt Cialdini in den folgenden Kapiteln weitere Mechanismen des Entscheidungsprozesses: "Commitment und Konsistenz", "Soziale Bewährtheit", "Sympathie", "Autorität" und "Knappheit". Natürlich sind das keine neuen Themen, jedenfalls nicht für jemanden, der mit den Grundlagen der Sozialpsychologie vertraut ist. Doch die Art und Weise, wie Cialdini die "altbekannten" Prinzipien ausleuchtet und welche praktischen Implikationen er ihnen abgewinnt, bietet auch für den Kenner so manches (zuweilen erschreckende) Aha-Erlebnis. Da kommt es ganz gelegen, dass er in jedem Kapitel auch Abwehrstrategien nennt und am Schluss mit einer Zusammenfassung und einigen Übungsfragen zum vertieften Nachdenken anregt.

Im abschließenden 8. Kapitel "Das automatische Zeitalter" resümiert Cialdini: "Trotz der mit der Konzentration auf einen kleinen Teil der verfügbaren Daten verbundenen Anfälligkeit für Fehlentscheidungen sind wir aufgrund des Tempos unsere heutigen Lebens oft auf (vor)eilige Schlüsse, Faustregeln, auf Schnellverfahren (shortcuts) bei der Entscheidungsfindung angewiesen." (S. 337) Das macht uns anfällig für Manipulationen jener Schlüsselreize, und es stellt sich die beunruhigende Frage, ob wir auf diese Entwicklung ähnlich gut vorbereitet sind wie Igel auf das Überqueren von Bundesstraßen. Angesichts dieser Bedrohung wird Cialdini im Schlussabschnitt "Finger weg von unseren Faustregeln!" unerwartet politisch und ruft zum Protest und Boykott gegen diejenigen auf, die diese Mechanismen missbrauchen: "Ich betrachte mich nicht als streitsüchtigen Menschen, spreche mich aber aktiv für ein solch kämpferisches Vorgehen aus, da ich mich in gewisser Hinsicht im Krieg mit diesen Leuten befinde. Und nicht nur ich, wir alle sind an diesem Kampf beteiligt. (...) Wir wollen, dass diese Regeln so effektiv sind wie nur möglich. In dem Maß, in dem ihre Funktionstüchtigkeit ständig durch irgendwelche miesen Tricks eingeschränkt wird, sind wir gezwungen, auf ihren Gebrauch zu verzichten. Dadurch aber wären wir immer weniger in der Lage, effektiv die große Menge an Entscheidungssituationen unseres modernen Lebens zu bewältigen. Dies können wir nicht kampflos hinnehmen. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel." (S. 343 f.) – Ich bin mir nicht sicher, ob das naiv oder realistisch ist, aber eines macht diese Zuspitzung jedenfalls klar: Wir haben den Punkt längst überschritten, ab dem Sozialpsychologie "politisch wird".

Fazit: Hoher Nutzen für Theorie und Praxis, viele Fallbeispiele, flüssig und amüsant geschrieben – sehr lesenswert!

Schlagworte:
Überzeugen, Beeinflussung, Manipulation, Sozialpsychologie, Kommunikation, Entscheiden

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