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Warum Anreizsysteme mehr schaden als nutzen

Kohn, Alfie (1993):

Why Incentive Plans Cannot Work

When reward systems fail, don't blame the program – look at the premises behind it

Harvard Business Review Sept./Oct. 1993; 7 S. (54 - 63)


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 10

Rezensent: Winfried Berner, 01.02.1994

Einer jener Artikel, die ein kleines Glücksgefühl auslösen: Wieder ein Stück weitergekommen, ein "Missing Link" gefunden, etwas auf den Punkt gebracht, was ich ähnlich empfand, aber nicht mit gleicher Radikalität und Konsequenz zu denken wagte.

"According to numerous studies in laboratories, workplaces, classrooms and other settings, rewards typically undermine the very processes they are intended to enhance. The findings suggest that the failure of any given incentive program is due less to a glitch in that program than to the inadequacy of the psychological assumptions that ground all such plans." (S. 54)

Anreize jeder Art erkaufen lediglich befristetes Commitment, schreibt Kohn; sobald die Belohnungen auslaufen, kehren Leute zu ihren alten Gepflogenheiten zurück: "Incentives, a version of what psychologists call extrinsic motivators, do not alter the attitudes that underlie old behaviors. They do not create an enduring commitment to any value or action. Rather, incentives merely – and temporarily – change what we do." (S. 55)

Was die Produktivität betrifft, hätten wenigstens zwei Dutzend Untersuchungen in den letzten drei Jahrzehnten klar gezeigt, dass Menschen, die eine Belohnung erwarten, schlechtere Ergebnisse abliefern als die, die keinerlei Belohnung erwarten. Dies gelte insbesondere für Aufgabenstellungen, die geistig anspruchsvoll sind und gedankliche Offenheit verlangen. Kohn referiert eine umfangreiche Metaanalyse von Richard A. Guzzo, der 330 Vergleiche aus 98 Untersuchungen auswertete und alles in allem keinen signifikanten Effekt fand. "What's more, financial incentives were virtually unrelated to the number of the workers who were absent or who quit their job over a period of time. By contrast, training and goal-setting programs had a far greater impact on productivity that did pay-for-performance plans." (S. 56)

Kohn nennt sechs Gründe, warum Incentives scheitern:

1. Geld ist kein Motivator (siehe die Argumentation von Herzberg).

2. Belohnungen bestrafen. Wie Bestrafungen sind auch Belohnungen manipulativ. Und das Gefühl, kontrolliert zu werden, kann auf Dauer bestrafende Qualität bekommen. "Further, not receiving a reward one had expected is also indistinguisable from being punished." (S.58)

3. Belohnungen zerstören Beziehungen. "The surest way to destroy cooperation and, therefore, organizational excellence, is to force people to compete for rewards or recognition or to rank them against each other." (S. 58) "Very few things threaten an organization as much as a hoard of incentive-driven indivuduals trying to curry favor with the incentive dispenser." (S. 59)

4. Belohnungen ignorieren Gründe. Dieses Argument verdient größte Aufmerksamkeit – gerade weil vordergründiges Achselzucken so naheliegt. Der markig-wurstige Ansatz "Mich interessieren nur Ergebnisse, nicht die Begründungen" ist bei genauerer Betrachtung der Verzicht auf frühzeitiges Reagieren auf Marktentwicklungen. "Relying on incentives to boost productivity does nothing to address possible underlying problems and bring about meaningful change. Moreover, managers often use incentive system as substitute for giving workers what they need to do a good job ... e.g., providing useful feedback, social support, and the room for self-determination."

5. Belohnungen reduzieren Risikobereitschaft. "Whenever people are encouraged to think about what they will get for engaging in a task, they become less inclined to take risks or explore possibilities, to play hunches or consider incidential stimuli. In a word, the number one casualty of rewards is creativity." Kohn zitiert John Condry: "Rewards are the 'enemies of exploration'". (S. 62)

6. Belohnungen untergraben das Interesse an der Sache selbst. "If our goal is excellence, no artificial incentive can ever match the power of intrinsic motivation. People who do exceptional work may be glad to be paid and even more glad to be well paid, but they do not work to collect a paycheck. They work because they love what they do. (...) The more a manager stresses what an employee will earn for good work, the less interested that employee will be in the work itself." (S. 62)

Kohn zitiert Untersuchungen von Jonathan L. Freedman, die erbracht haben "that the larger the incentives we are offered, the more negatively we will view the activity for which the bonus was received." (S. 62)

Alfie Kohn meint, die Theorie der Incentives basiere auf einer folgenschweren falschen Annahme, nämlich, dass intrinsische und extrinsische Motivation beliebig kombiniert werden könnten: "Motivation comes in two flavors, the logic goes, and both together must be better than either alone. But studies show that the real world works differently." (S. 63)
Der Rest sei eine klassische Self-fulfilling Prophecy: Wer mit Anreizen die intrinsische Motivation zerstört habe, könne nach einem Aussetzen der Incentives beobachten, dass Motivation und Leistung in sich zusammenfielen. Was in seinen Augen die Notwendigkeit von Incentives bestätige. (Allerdings hätten Untersuchungen gezeigt, dass sich die Leistungen nach dem Absetzen von Incentives relativ rasch wieder erholten.)

Das ist genau das, was Reinhard Sprengers populistischem "Mythos Motivation" fehlte: Eben nicht bloß ein "richtiges" Gefühl zu haben und den Mut, es auszusprechen, sondern auch saubere Begründungen. Nicht bloß wohlfeile Polemik, kurzschlüssige Rabulistik und markiges Anbiedern an die mutmaßliche Vorurteilsstruktur der Leserschaft, sondern schlüssige Argumentation, empirische Untersuchungen (die zum Teil etwas ausführlicher dokumentiert sein dürften – aber vielleicht leistet das ja das Buch, aus dem dieser Beitrag extrahiert ist) und der Eindruck intellektueller Redlichkeit – welch eine Wohltat!

Warum dann trotzdem nur Gesamtnote "9" und nicht "10" ? Zum einen, weil die zu summarische Wiedergabe der empirischen Befunde bei mir ein – nein, Unbehagen wäre zu viel – sagen wir, eine Restunsicherheit hinterlässt. Zum anderen wegen des zu wenig herausgearbeiteten "So What". Bei Kohn entsteht der Eindruck, als wäre die einzig mögliche Konsequenz aus seiner Kritik der Incentives das Festgehalt unabhängig von Leistung und Ergebnissen. Doch würde das nicht nur die Gründe ignorieren, die für die Abkehr von beamtenmäßigen leistungsunabhängigen Gehaltsstrukturen, die ja mit Incentives jedweder Art intendiert war, ausschlaggebend war.

Es ist auch keineswegs die einzig mögliche Konsequenz: Statt autoritär und manipulativ Belohnungen auszuloben, kann man sich ja auch entscheiden, Ergebnisse / Erfolge zu teilen: Wer zum gemeinsamen Erfolg der Einheit / Firma beigetragen hat, wird an den Erträgen beteiligt. Zwar eröffnet das die Diskussion über Verteilungsregeln / -mechanismen neu, doch dürfte es die Mühe wert sein.

Diese Unterscheidung zwischen Incentives und dem Teilen von Ergebnissen ist durchaus keine semantische Haarspalterei: Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob die Kriterien für Belohnungen einseitig von oben festgesetzt oder ob die erzielten Erfolge, statt sie stillschweigend zu vereinnahmen, partnerschaftlich mit denen, die dazu beigetragen haben, geteilt werden. (Was nicht notwendigerweise auf eine Gleichverteilung hinauslaufen muss – es ist völlig adäquat, dabei die unterschiedliche Bedeutung von Beiträgen, einschließlich des Kapitaleinsatzes, des Risikos, der Initiative und der erbrachten Vorleistungen.)

Dennoch – ein bahnbrechender Artikel im wortwörtlichsten Sinne: einer, der einer neuen Richtung des Denkens Bahn bricht.

Schlagworte:
Motivation, Anreizsysteme, Incentive Systeme, Leistungsmotivation, Psychologie, Führung

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