Nach den Arbeiten von John Kotter eher ein Rück- als ein Fortschritt: Unergiebige Auflistung von Taktiken, die Blickle dem Konstrukt "Beeinflussungskompetenz" zuordnet; weder erkennbar auf empirische Befunde noch auf eine zwingende Logik gestützt.
Forschung sollte uns in erster Linie mit neuen Erkenntnissen und empirisch abgesicherten Befunden versorgen; mit neuen Begriffen nur, wenn es wirklich wertschöpfend ist. Den neuen Begriff "Einflusskompetenz" will uns der Bonner Psychologie-Professor Gerhard Blickle schmackhaft machen. Darunter versteht er "diejenige Facette der soziale Kompetenzen, die durch die erfolgreiche Beeinflussung anderer zum Realisieren von Zielen und Plänen im Handlungskontext einer Organisation führt" (S. 58). Klingt mühsam, aber irgendwie unausweichlich. Doch bevor wir das neue Wort "kaufen", lassen Sie uns prüfen, was eigentlich die übrigen Facetten der sozialen Kompetenz(en) sind, von der Blickle seine "Beeinflussungskompetenz" abhebt.
Dient soziale Kompetenz nicht eigentlich immer der Beeinflussung? Wozu kommunizieren wir denn, wenn nicht, um andere zu beeinflussen? Wenn wir uns "nur so" mit jemanden unterhalten, Small-Talk betreiben, brauchen wir keine soziale Kompetenz – außer wir wollen den anderen dazu veranlassen, dass er sich auf unser Gesprächsangebot einlässt, Interesse zeigt, sich (ein bisschen) öffnet, uns interessant und angenehm findet: Das ist aber nichts anderes als Beeinflussung. Selbst eine simple Kontaktvergewisserung ("Hallo Schatz, geht's Dir gut?") dient letztlich der Beeinflussung, denn wir wollen ja kein Schweigen und keine Abfuhr ernten, sondern eine bestätigende Reaktion. Klar, die "Ziele und Pläne" sind in diesem Fall vielleicht weniger bewusst (?), relevant (?) und großartig (?) als im beruflichen Kontext, aber Ziele und Pläne sind es dennoch. Und Blickles Einschränkung auf den "Handlungskontext einer Organisation" ist vollends überflüssig. Oder sollte die ein- und dieselbe Beeinflussungstaktik beim privaten Gebrauchtwagenverkauf der sozialen Kompetenz zugerechnet werden, im Kontext einer Organisation aber der "Beeinflussungskompetenz"?
Auch ansonsten scheint Blickle eine Vorliebe für ungenaue Bläh- und Imponiervokabeln zu haben. Unter "Wirkmechanismen der Einflusstaktiken" führt er gleich als erstes auf: "Assertivität (Anweisungen geben, Forderungen stellen, Fristen setzen, auf Vorschriften, die Befolgung gebieten, pochen)" (S. 59). Für "Assertivität" hätte man statt des holzigen Anglizismus' ebenso gut "Selbstbewusst auftreten" können. Was Blickle aber ausweislich der Klammer wirklich zu meinen scheint, ist gar nicht "Selbstbewusst auftreten", sondern "Druck machen". Das ist nun ohne Zweifel eine Taktik der Beeinflussung (wenn auch eine, die im Kontext der längerfristigen Zusammenarbeit in einer Organisation durchaus zweischneidig ist), und für sie gibt es einen klaren, einfachen, eingeführten, leicht verständlichen deutschen Begriff, nämlich "Druck machen". Was also soll "Assertivität"?
Ich gebe zu, dass mich solche Sprachmätzchen ärgerlich stimmen, noch dazu, wenn sie, wie in beiden wiedergegebenen Fällen, mit sprachlicher und gedanklicher Ungenauigkeit einhergehen. Gerade deshalb gebe ich mir Mühe, den Beitrag fair und sachlich zu besprechen und nicht bloß meine nach wenigen Zeilen angewachsene Verstimmung auszuleben.
Doch Blickle macht es mir nicht einfach, nüchtern zu urteilen. Er listet ohne erkennbare Ordnung insgesamt 13 Einflusstaktiken auf, welche "die neuere Forschung in Feldstudien bei Arbeitern, Angestellten und Führungskräften (...) identifizieren konnte" (S. 59). Es sind dies: Blockieren, Sanktionen, Tauschangebot, Einschmeicheln, Rationalität, Koalitionsbildung, höhere Instanzen einschalten, inspirierende Appelle, Konsultation, Legitimation, persönliche Appelle und Eigenwerbung. Doch wirft diese Liste die Frage auf, ob Blickle das Wesen von Macht und Einfluss in sozialen Systemen wirklich verstanden hat. Der tatsächliche Einfluss eines Organisationsmitglieds ergibt sich eben nicht bloß, und nicht einmal in erster Linie aus den Techniken und Taktiken, die er in der aktuellen Situation zum Einsatz bringt. Wer je Entscheidungsprozesse in Organisationen miterlebt hat, kann doch nicht übersehen, dass es sehr häufig Organisationsmitglieder gibt, die kaum eine der klassischen Beeinflussungstaktiken zu beherrschen scheinen und dennoch erheblichen Einfluss auf das Ergebnis des Entscheidungsprozesses haben. Denn im Gegensatz zu einer Party, wo in erster Linie das aktuelle Auftreten zählt, spielt in Organisation die Vorgeschichte eine entscheidende Rolle: Welchen Ruf hat sich der Betreffende in der Vergangenheit erworben? Wie sind seine Beziehungen zu anderen Meinungsführern? Wie viel Gestaltungsmacht, wie viel Verhinderungsmacht hat er in der Vergangenheit bewiesen? Vor diesem Hintergrund wirkt die Auflistung einzelner Ad-hoc-Taktiken geradezu naiv.
Doch auch innerhalb dieser Taktiken verstört eine Oberflächlichkeit, die einem Psychologen eigentlich nicht passieren dürfte, der im Grundstudium etwas über die Funktionsweise von Emotionen und über die verschiedenen Ebenen der Kommunikation gelernt hat. So trennt Blicke zwischen "Rationalität (logische Argumente vorbringen, detaillierte schriftliche Ausarbeitungen vorlegen, unterstützende Informationen geben)" (S. 59) und "inspirierende Appelle (Appelle an Emotionen, Werte oder Ideale, um Begeisterung hervorzurufen)" (S. 60). Nun kann eine rationale Argumentation durchaus auf Einschüchterung zielen und damit auf Emotionen, etwa indem sie den Gegner unausgesprochen zur Aufgabe auffordert ("Mit meiner Sachkunde können Sie eh nicht mithalten!"); umgekehrt laufen auch Appelle an Emotionen oft auf dem Umweg über (tatsächliche oder vermeintliche) Sachargumente. Blickles Aufstellung vermengt also den Ansatzpunkt der Beeinflussung mit deren angestrebtem Ziel; insgesamt sind die aufgelisteten Punkte nicht auf der gleichen logischen Ebene.
Etwas verwirrend ist, dass Blickle, nachdem er seine 13 Einflusstaktiken ausführlich beschrieben hat, unter der Überschrift "Das Top Management überzeugen", zehn weitere Methoden – nun "Vorgehensweise" genannt – auflistet. Sie weist gewisse Überlappungen mit der vorigen Liste auf, doch noch bevor man herausgefunden hat, wie diese beiden Aufstellungen zueinander stehen, folgen auch der gleichen Seite acht weitere "Regeln (...), Entscheidungen in Organisationen zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen" (S. 66). Diese dritte Liste von Einflusstaktiken, bei der sich Blickle auf eine Veröffentlichung von March und Olson (1976) bezieht, ist von einem angenehmen, lebenserfahrenen Pragmatismus mit leicht zynischen Einschlägen geprägt: "Investiere Zeit!", "Ermögliche die Teilnahme der Gegner!", "Überlade das System!" (exzellent!), "Manage unauffällig!" (auch clever), "Interpretiere die Geschichte!" (sehr viel weniger anstrengend als sie zu gestalten).
Allein diese acht Punkte sind es wert, den Artikel aufzubewahren, auch wenn zumindest mir nicht klar wird, auf welche Weise sie sich in Blickles Darlegung einordnen. Doch Blickle scheint den Wert des Juwels, das er da ausgegraben hat, gar nicht zu erkennen; stattdessen eilt er zu weiteren Einflusstaktiken weiter und versucht sich nun etwas ungelenk in Machiavellismus: "Denn Machterhaltung erfordert auch die Fähigkeit, das eigene Verhalten für andere unvorhersagbar zu machen. Wer berechenbar und durchschaubar ist, kann von anderen leichter beherrscht werden. (...) Durch kalkulierte Vieldeutigkeit können verschiedene Personen mit unterschiedlichen Zielen gebunden werden. dabei werden Werte so allgemein formuliert, dass unterschiedliche Personen sie jeweils im Sinne ihrer Ziele interpretieren können..." (S. 68) Offen bleibt, wie man mit Unberechenbarkeit und "kalkulierter Vieldeutigkeit" ein soziales System erfolgreich führen soll, noch dazu in Zeiten großer Veränderungen.
Zum Schluss reißt Blickle noch kurz an, wie "Einflusskompetenz" entwickelt werden kann (wobei er neben Training besondere Hoffnung auf sogenannte "Mentor-Protégé-Beziehungen" setzt) und welche moralischen (bzw. genauer ethischen) Dilemmata dabei entstehen können. Doch auch dies wird nur angerissen und weder mit Forschungsbefunden hinterlegt noch zu einer schlüssigen Conclusio geführt.
Insgesamt ein enttäuschender Artikel, der gegenüber dem bereits vorhandenen Forschungsstand eher einen Rück- als einen Fortschritt bringt. Unverständlich insbesondere, weshalb Blickle die klugen, durchdachten und sehr praxisnahen Arbeiten von John Kotter (wie zum Beispiel "Power and Influence" und "Die Macht im Management"; siehe Rezensionen) nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl man auf sie doch eigentlich bei jeder ernsthaften Recherche zu diesem Thema stoßen müsste. Darauf hätte er aufbauen können und müssen, statt das Rad neu zu erfinden – und dabei so ein unrundes Produkt vorzulegen, dass an ein Rollen des Rades gar nicht zu denken ist.
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