Wachstum ist für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens erheblich wichtiger als Ertragsstärke, jedenfalls nach dieser McK-Studie, für die die 100 größten US-Konzerne über einen 20-Jahres-Zeitraum analysiert wurden.
Dass Wachstum für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wichtiger sein soll als Ertragsstärke, ist wenigstens für mich eine überraschende und kontraintuitive Aussage; hätte ich doch angenommen, dass Ertragsstärke das beste Fundament für eine erfolgreiche Zukunft ist, während jeder Narr ein starkes Wachstum auf Kosten der Profitabilität erzielen kann – sei es durch waghalsige Akquisitionen oder durch kurzsichtiges Kostenmanagement oder durch aggressive Preisgestaltung. Umso gespannter darf man auf die Begründung sein. Denn dass das renommierte McKinsey Quarterly solche Behauptungen nur um des spektakulären Effekts willen veröffentlicht, kann man wohl ausschließen.
Aber die Zahlen, die Smit, Thompson und Viguerie vorlegen, lassen in der Tat kaum einen anderen Schluss zu. Die drei McKinsey-Berater aus Amsterdam und Atlanta untersuchten die Performance der 100 größten amerikanischen Unternehmen im Zeitraum von 1984 – 1993 und stellten dem ihre Leistung im Zeitraum 1994 – 2003 gegenüber. Sie segmentieren die Performance in der ersten Periode in vier Kategorien: Die "Growth Giants" waren diejenigen, die überdurchschnittlich wuchsen und überdurchschnittlich ertragsstark waren; die "TRS Performers" optimierten den "total return to shareholders" (TRS), wuchsen aber unterdurchschnittlich, die "Unrewarded" wuchsen, lagen aber im Ertrag zurück, und die "Challenged" hatten in beiden Dimensionen Probleme.
Interessant nun, was aus diesen Segmenten wurde: Ende 2003 waren 5% der "Growth Giants" und 8% der "Unrewarded" aus dem Wettbewerb ausgeschieden, aber jeweils 32% der "Challenged" und der "TRS Performers". Umgekehrt lag der Anteil der Firmen, die fortbestanden und den S&P 500-Index schlugen, bei den "Growth Giants" bei 65%, bei den "Unrewarded" immer noch bei respektablen 58%, hingegen nur bei 35% bei den "Challenged" und bei kläglichen 10% der "TRS Performers". Firmen, die in erster Linie den Ertrag (TRS) optimieren, aber nicht oder nur unterdurchschnittlich wuchsen, können zwar kurzfristig sehr lukrativ sein, haben aber mittel- bis langfristig ein Problem: "The correlation between the future survival of a company and its past revenue growth–but not its TRS–was striking. A company whose revenue was growing more slowly than GDP did was five times more likely to succumb, usually through acquisition, than a company that expanded more rapidly. Past TRS performance, by contrast, was a surprisingly poor indicator of corporate survival." (S. 3)
Mit der zweiten Überraschung warten Smit, Thompson und Viguerie auf, als es um die Frage geht, wodurch ein starkes Wachstum zustande kommt. Kurz und trocken: "Where to compete is just as important as how." Nach ihren Befunden kamen 90 Prozent der 1994 – 2003 überdurchschnittlich stark gewachsenen Firmen aus nur vier Branchen: "financial services, health care, high tech, and retailing." Nun kann man einwenden, dass dies eine mäßig hilfreiche Erkenntnis ist, ist es doch gerade für die untersuchten Großkonzerne kurzfristig kaum zu beeinflussen, in welcher Branche sie zum Wettbewerb antreten. Aber dadurch wird die Erkenntnis ja nicht falsch. Und vermutlich gilt sogar auch innerhalb jeder einzelnen Branche, dass es wichtiger ist, in der richtigen Arena anzutreten, als, das hergebrachte Geschäft ultraeffizient zu betreiben.
Das Resümee der McKinsey-Autoren klingt beinahe nach Understatement: "Our analysis of the 32 growth giants in the 1994-2003 sample reveals a sobering reality: Good execution is required, but being in the right business at the right time is almost always a prerequisite as well." (S. 4) Nun kann man argumentieren, dass es keine Kunst ist, erfolgreich zu sein, wenn man von einem starken Rückenwind getragen wird. In der Tat besteht die Kunst wohl eher darin, dafür zu sorgen, dass man sich in einem Geschäft befindet, das von einem starken Rückenwind getragen wird: "The experience of the large companies that we followed across the 1984-1993 and 1994-2003 business cycle shows how difficult it is to grow without a tailwind." (S. 5)
Die beiden Kernaussagen dieses Artikels sind von erheblicher strategischer Bedeutung: Die Einsicht, dass ein zu enger Schwerpunkt auf die Optimierung des Shareholder Value die Zukunft des Unternehmens gefährdet, müsste viele Unternehmensführer eigentlich schockieren. Und die Erkenntnis, dass es für das Wachstum wichtiger ist, an dem richtigen Spiel teilzunehmen, als, im bestehenden Geschäft zu optimieren, unterstreicht zusätzlich die Bedeutung der Unternehmensstrategie im klassischen Sinne, also der Entscheidung, auf welche Handlungsfelder die Energie eines Unternehmens konzentriert werden sollen. Angesichts der großen Tragweite dieser Aussagen wäre es wichtig, die Studie in anderen Märkten, in anderen Zeiträumen und für andere Unternehmensgrößen zu überprüfen. Denn bei der vorliegenden Untersuchung, so wertvoll und denkanstoßend sie ist, lässt sich nicht völlig ausschließen, dass entweder die Untersuchungszeiträume oder die Konzentration auf die 100 größten US-Konzerne das Ergebnis verfälscht haben. Das jedoch ist kein Einwand gegen diesen Artikel; es unterstreicht nur den Stellenwert seiner Aussagen.
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