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Methodenwahl muss sich an Art und Ausmaß des Konsens' orientieren

Christensen, Clayton M.; Marx, Matt; Stevenson, Howard H. (2006):

The Tools of Cooperation and Change



Harvard Business Review; October 2006; 8 S. (73 – 80)


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 06.11.2006

Trotz irritierender Nebentöne ein wichtiger Artikel, der schlüssige Kriterien für die Methodenwahl liefert, nämlich das vorhandene Ausmaß an Konsens (a) über die Ziele und (b) über Ursachen und Wirkungen und damit über das richtige Vorgehen.

Wer viel mit Veränderungsprozessen zu tun hat, kennt die Erfahrung, dass Methoden, die in dem einen Projekt wunderbar gegriffen haben, in einem anderen Umfeld wenig Anklang finden oder sogar völlig in die Hose gehen. Im ungünstigsten Fall verfehlen sie nicht nur ihren Zweck, sondern richten Schaden an, weil das Klima danach unfreundlicher und ablehnender ist als zuvor. Die meisten Change Manager dürften auch die Erfahrung kennen, dass man in einem konkreten Projekt bei der einen Methode ein gutes Gefühl hat und bei der anderen ein starkes Unbehagen – dass man aber in beiden Fällen Schwierigkeiten hat, diese Gefühle in nachvollziehbare Begründungen zu übersetzen, mit der Folge, dass am Ende Missverständnisse übrig bleiben à la: "Der Berner hat etwas gegen Unternehmenstheater!" – Nein, keineswegs generell, aber in der gegebenen Situation sehr stark. Aber warum genau?!

Dieser Artikel aus der Feder zweier Professoren und eines Doktoranden der Harvard Business School scheint mir einen Schlüssel zur Begründung solcher Gefühle zu liefern, die ja, wiewohl intuitiv, keineswegs ohne sachlichen Grund sind. Das ist eine erfreuliche Überraschung, nachdem der Vorspann des Artikels zunächst den Eindruck erweckt, die Autoren würden Change Management im Kern als ein Konditionierungsproblem ansehen: "Managers can use a variety of carrots and sticks to encourage people to work together and accomplish change. Their ability to get results depends on selecting tools that match with the circumstances they face." (S. 73) Karotten und Stücke, das sind die "Tools", mit denen man Esel dirigiert: positive und negative Verstärkungen. An welche Tools sie dabei denken, machen sie in der Einführung beispielhaft deutlich: "Managers have a wide variety of tools at their disposal, such as financial incentive, motivational speeches, training programs, and outright threats." (S. 74) Und das Problem, das sie mit ihrem Artikel lösen wollen, definieren sie so: "But although most competent managers have a good grasp of what cooperation tools are available, we've observed that they may be less sure about which to use. The effectiveness of a given tool depends on the organization's situation. In this article, (...) we explain how to choose the right tools and offer advice for managers contemplating change." (S. 74)

Doch nach diesem etwas gruseligen Einstieg machen die Autoren eine verblüffende Wendung, indem sie erklären: "The first step in any change initiative must be to assess the level of agreement in the organization along two critical dimensions. The first is the extent to which people agree on what they want: the results they seek from their participation in the enterprise; their values and priorities; and which tradeoffs they are willing to make in order to achieve those results. (...) The second dimension is the extent to which people agree on cause and effect: which actions will lead to the desired outcome. When people have a shared understanding of cause and effect, the will probably agree about which processes to adopt" (S. 74). Daraus ergibt sich eine "Agreement Matrix" mit vier idealtypischen Ausgangssituationen, in denen die Mitarbeiter und Management (a) nur in den Zielen, (b) nur in den Ursache-Wirkungs-Beziehungen, (c) in beidem oder (d) in keinem von beidem übereinstimmen. Die drei Harvard-Autoren behaupten nun, dass in diesen vier Situationen völlig unterschiedliche "Communication Tools" zum Einsatz kommen müssten. Was insofern überrascht, als man ja meinen könnte, dass die Werte und Überzeugungen der "Esel" allenfalls dafür wichtig sind, in wie heftigem Maße der Einsatz von Karotten und Stöcken erforderlich ist.

Diesen vier unterschiedlichen Ausprägungen von Konsens ordnen Christensen, Marx und Stevenson in einer zweiten Matrix mit den gleichen Achsen "Four Types of Cooperation Tools" zu. In Situationen, wo es einen hohen Konsens über die Ziele, aber keinen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gibt, halten sie "Leadership Tools" wie Charisma, Salesmanship und Role Modeling für indiziert; in Situationen, wo es zwar keinen Konsens über die Ziele, wohl aber über Ursachen und Wirkungen gibt, empfehlen sie "Management Tools" wie Transfer Pricing, Measurement Systems, Training und Standard Operation Procedures. Bei Konsens in beiden Dimensionen sind "Culture Tools" wie Rituals, Tradition, Folklore, Democracy (!) und Religion (!) für sie die Methoden der Wahl, während bei völlig fehlendem Konsens "Power Tools" wie Coercion, Threats, Fiat (Machtwort) und Role Definition erforderlich sind. Einige weitere Methoden wie zum Beispiel Vision, Negotiation, Financial Incentives und Apprenticeship ordnen sie dem Grenzbereich zwischen den Tool-Clustern zu.

Man kann über die Bezeichnung der Cluster wie auch über die Zuordnung der Einzelmethoden streiten, doch den Kerngedanken dieses Modells finde ich ebenso faszinierend wie überzeugend. Denn es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass Kommunikationsstrategien und -methoden sehr unterschiedlich aufgenommen werden, je nachdem, wie groß die Einigkeit im Unternehmen über Ziele und Wege ist. So können Methoden, die spielerisch und mit Humor arbeiten – wie zum Beispiel ein Unternehmenstheater –, ein absoluter Volltreffer sein, wenn ein belastbarer Grundkonsens vorhanden ist, aber übel aufstoßen, wenn die Stimmung gerade zwischen Beleidigt-Sein und Trotz pendelt und die Ziele des Managements heftig abgelehnt werden. Dies machen die Autoren deutlich, indem sie ihre vier Typen von Tools jeweils auf unterschiedliche Ausgangssituationen beziehen.

Die Wahl der Beispiele veranlasste mich allerdings zuweilen zum Kopfschütteln. So etwa die Erläuterung der Power Tools: "When members of an organization share little consensus on either dimension of agreement, the only tools that will elicit cooperation are 'power tools' such as fiat, force, coercion, and threats. Marshal Josip Broz Tito, the leader of Yugoslavia during must of the Cold War, wielded power tools effectively. He herded the disparate and antagonistic ethnic groups of the Balkan Peninsula into a more or less artificial nation an said, in effect, "I don't care whether you agree with me or with one another about what you want out of life or about how to get it. what I want is for you to look down this gun barrel and cooperate." (S. 75) Keine Frage, dass es im Change Management Situationen gibt, in denen der Einsatz von Macht die einzige Möglichkeit ist, Veränderungen voranzubringen. Aber wissen die Harvard-Autoren denn nicht, welchen Preis die Machtpolitik Titos nach dessen Tod hatte?!

Problematisch erscheint mir auch die allzu rasche Übertragung ihres Denkansatzes auf die Politik, wie er sich nicht nur in dem Tito-Beispiel äußert, sondern auch in dem Kasten "The Tools of Politics". Zwar ist es ein spannender Gedanke, dass Demokratie nur dort funktionieren kann, wo es einen Grundkonsens über Mittel und Wege und zumindest einen teilweisen Konsens über die Ziele gibt: "The very functioning of democracy depends upon the existence of strong cultural beliefs that are often rooted in the teachings of certain religions. The religious institutions at the root of these cultures have taught that people are meant to be free and that they should voluntarily be honest and respect the life, property, and equal opportunity of otheres." (S. 78) Dies hätte, falls der Gedanke trägt, grundlegende Konsequenzen für die (zum Teil recht hilflosen) Demokratisierungsbemühungen des Westens: Wenn das stimmt, was machen wir dann eigentlich in Afghanistan, im Irak, in Afrika, und so weiter? Doch so faszinierend dieser Denkansatz ist, es hätte doch zumindest erwähnt werden sollen, dass es einen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen dem Führen von Unternehmen, die man, wenigstens im Prinzip, jederzeit verlassen kann, wenn einem die dortigen Sitten und Gebräuche nicht passen, und Staaten, bei denen die Austrittsbarrieren doch sehr viel höher sind!

Recht scheinen mir Christensen, Marx und Stevenson hingegen mit ihrem Hinweis zu haben, dass es keine ideale Ausgangssituation gibt, sondern dass alle Konsens-Konstellationen ihre Vor- und Nachteile haben. Sie illustrieren dies am Beispiel Apple, deren starke Kultur – hoher Konsens über Ziele und Ursache-Wirkungs-Beziehungen – die Firma praktisch veränderungsresistent machte, was mehrere CEOs den Kopf kostete und verhinderte, dass Apple den Massenmarkt erobern konnte. Auch das Scheitern von Carly Fiorina beim Versuch, den "HP Way" zu ändern, belegt, dass Veränderungen gerade in starken Kulturen alles andere als ein Spaziergang sind und, noch wichtiger, dass an starken Kulturen viele Mittel und Methoden abprallen – interessanterweise einschließlich der "Power Tools"!

Da die Frage, welche Methode für welchen Zweck geeignet oder ungeeignet ist, in der Change Management-Praxis beinahe eine von Tod oder Leben, jedenfalls aber eine von Erfolg oder Fehlschlag ist, bewerte ich diesen Artikel trotz mancherlei sprachlicher und gedanklicher Irritationen als sehr wichtig und lesenswert.

Schlagworte:
Change Management, Methoden, Methodenwahl, Instrumente, Tools, Konsens, Veränderungsziele, Unternehmenskultur

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