Ein ideales Buch für Leser, die sich schon ein Stück weit mit der Gewaltfreien Kommunikation vertraut gemacht haben. Die kundige Interviewerin entlockt dem Meister immer wieder Aspekte, die in einer systematischen Darstellung kaum auftauchen würden.
Interviewbände haben zuweilen einen Schuss Peinlichkeit, vor allem wenn ein beflissener Schüler seinen Guru interviewt und dabei zwischen Ergriffenheit und Anbiederung pendelt, während der Meister voller Selbstgefälligkeit tiefe Weisheiten enthüllt. Nichts davon in diesem Marathon-Interview, das sich, wie Gabriele Seils im Vorwort schreibt, über sieben aufeinanderfolgende Abende erstreckte. Sie ist gut mit der Materie vertraut, sodass es Rosenberg erspart bleibt, die "Basics" zu erklären, spürbar engagiert am Ringen, die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation in ihr eigenes Leben zu integrieren, wahrt aber bei aller spürbaren Sympathie für den Meister und seine Lehren dennoch die professionelle Distanz, die das Interview von jedem Beigeschmack von Hofberichterstattung bewahrt. Seils beschreibt das so: "Im Gespräch bin ich darum in verschiedene Rollen geschlüpft, die alle auch ein Teil von mir sind: die neugierig Fragende und skeptisch Nachhakende. Die konfrontative Journalistin und jemand, der in konkreten Konflikten feststeckt. Die Schülerin, die schon tief in die Materie eingestiegen ist und die Trainerin, die selber Seminare zur Gewaltfreien Kommunikation gibt und es genießt, noch einmal ganz genau nachfragen zu können." (S. 8)
Und Rosenberg, bei dem ich das Prädikat "Meister" ohne Ironie verwende, nimmt dieses Angebot auf und antwortet mit einer Offenheit, Authentizität und oft auch Nachdenklichkeit, die erkennen lässt, dass er sich nicht mit dem Rekapitulieren ewiger Wahrheiten zufrieden gibt, sondern weiter darum ringt, den Dingen – bzw. speziell dem Wesen menschlicher Kommunikation, Bedürfnisse und Verbundenheit – wirklich auf den Grund zu gehen, und dem es zugleich sehr wichtig ist, jedem Interessierten seine Methodik und seine Erkenntnisse bestmöglich zu vermitteln.
Das Interview gliedert sich in zwölf Kapitel bzw. Gesprächsschwerpunkte: - Was ist Gewaltfreie Kommunikation?
- Die Logik der Gefühle
- Die Sprache der Bedürfnisse
- Die Philosophie der Fülle
- Die Macht der Empathie
- Im Herzen des Feindes
- Ausgleich zwischen Tätern und Opfern
- Liebesbeziehungen als Konfliktschule
- Kinder gewaltfrei erziehen
- Gewaltfreie Kommunikation in der Schule
- Die Welt verändern – jetzt!
- Dankbarkeit ausdrücken und annehmen
Diese Gliederung gibt dem Interview Struktur und verhindert, dass die Themen allzu sehr ineinander verfließen. Denn das Gespräch selbst verläuft, wie Gespräche halt so sind: assoziativ. Das macht in meinen Augen sogar die Stärke dieses Buchs aus. Gabriele Seils ist gut vorbereitet und weiß, was sie wissen will, aber sie arbeitet erkennbar keinen rigiden Interviewleitfaden ab, sondern folgt den Gedanken Rosenbergs und vertieft sie mit Zusatzfragen weiter. Das gibt dem Gespräch große Lebendigkeit, sodass sich der Text sehr gut lies, auch in nicht mehr voll konzentrationsfähigem Zustand, und es eröffnet immer wieder überraschende Perspektiven und unerwartete Einsichten. Aber es hat auch zur Folge, dass man zuweilen den roten Faden verliert.
Wer also eine klare Struktur und Systematik sucht, ist mit Rosenbergs Einführung "Gewaltfreie Kommunikation" besser bedient (siehe Rezension). Wer hingegen schon ein bisschen mit den Grundgedanken der Gewaltfreien Kommunikation vertraut ist und lieber dem Fluss eines sehr lebendigen Gesprächs folgen mag als einer strengen Systematik, ist mit diesem Interviewband bestens bedient.
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