Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Doch Max Otte liefert schlüssige Argumente, weshalb uns eine schwere Weltwirtschaftskrise bevorsteht, und er gibt bedenkenswerte Ratschläge zur persönlichen Vorbereitung.
Unheils- und Krisenpropheten hat es zu allen Zeiten gegeben, von der antiken Kassandra über Nostradamus bis zu den Euroskeptikern. Insofern ist es nicht weiter beunruhigend, wenn auch heute alle paar Jahre oder Monate neue Seher auftreten, die uns mit düsteren Vorhersagen vor dräuendem Unheil warnen – wie in diesem Falle vor dem drohenden Platzen der Globalisierungs- und Verschuldungsblasen. Beunruhigend an dieser "Wirtschaftsurologie" ist nur, mit welchen Fakten und Argumenten der Wormser Volkswirtschaftsprofessor Max Otte seine Prognose untermauert, dass uns eine Weltwirtschaftskrise bevorsteht, die "genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer wird als 1929." (S. 31)
Das schockierendste Faktum ist für mich die Überschuldung der USA. Ich wusste, dass die amerikanischen Verbraucher hochverschuldet sind, und ich wusste auch, dass die Bush-Krieger es geschafft haben, einen schuldenfrei von der Clinton-Regierung übernommenen Haushalt in einem Tempo und Ausmaß zu verschulden, die selbst den auf fremde Rechnung so spendierfreudigen europäischen Politikern fassungslose Bewunderung abnötigen muss. Aber dass die USA in Summe mit 443 Prozent des Inlandsproduktes verschuldet sind, das ist wahrhaft atemberaubend: Wenn man sich die Konsequenzen vor Augen führt, bleibt einem die Luft weg. Denn selbst bei einem moderaten Zinsniveau von 5 Prozent heißt das, dass über 22 Prozent des Inlandsproduktes für Zinszahlungen nötig sind. Bei 7 Prozent macht die Zinslast bereits 30 Prozent aus – ohne Tilgung! Das macht es in der Tat unwahrscheinlich, dass diese Schulden jemals zurückgezahlt werden.
Treiber dieser Verschuldung ist – neben dem "Krieg gegen den Terror" – die Tatsache, dass es in den USA möglich ist, Hypothekenzinsen von der Einkommenssteuer abzuziehen. Dat hat zwei Konsequenzen: Zum einen ist die Eigenkapitaldeckung von amerikanischen Häusern sehr gering, weil die steuerliche Abzugsfähigkeit wie eine staatliche Konsumsubvention wirkt. Zum anderen wurden die Häuser in einer Phase stark steigender Immobilienpreise immer höher belastet. Daraus entsteht das Risiko einer Kettenreaktion: Schon ein geringer Zinsanstieg kann bewirken, dass etliche Hausbesitzer zahlungsunfähig werden. Die Folge wären sinkende Immobilienpreise, welche wiederum die Überschuldung zahlreicher anderer Immobilien nach sich ziehen würde – und damit ein wachsender Anteil fauler Kredite bei den amerikanischen Hypothekenbanken.
Das könnte der Beginn einer ausgesprochen ungemütlichen Entwicklung werden: Ein Nachfrageeinbruch in den USA wäre die zwangsläufige Folge, und der wiederum würde die Weltwirtschaft – und vor allem die "Exportweltmeister" von Deutschland bis China – empfindlich treffen. Durch den gehäuften Ausfall von Krediten könnten auch Banken, die stark im Immobiliensektor engagiert sind, ins Straucheln geraten, und bei deren Ausfall auch deren Geschäftspartner, gleich ob Kunden oder verbundene Institute. Die mittlerweile sehr hohe Verflochtenheit der Weltwirtschaft, die in guten Zeiten durchaus eine friedenssichernde Funktion hat, erhöht die Ansteckungsgefahr im Krisenfall. Eine kleinere bis mittlere Krise in den USA (die leider allzu plausibel ist) könnte so einen Strudel auslösen, der die gesamte Weltwirtschaft mitreißt.
Auch andere Krisenszenarien sind denkbar – wenn auch kaum beruhigender. Beispielsweise wäre auch denkbar, dass sich über sinkende Preise eine deflationäre Krise entwickelt, welche die Weltwirtschaft auf Jahre hinaus in eine "Zombie-Ökonomie" verwandelt, wie sie Japan seit fast 15 Jahren erlebt. In diesem Fall wäre eine Reihe von kleinen und mittleren Crashs zu erwarten, weil sinkende Preise dazu führen, dass in großer Zahl Kredite faul werden, weil die mit ihnen bezahlten Investitionen an Wert verloren haben. Was bei entsprechender Häufung ebenfalls die finanzierenden Banken in Mitleidenschaft ziehen würde. Ein anderes Szenario ist, dass sich die überschuldeten USA eines Teils ihrer Auslandsschulden durch eine radikale Abwertung des Dollar entledigen – was vor allem für China und Japan ziemlich bitter wäre, die riesige Dollarreserven besitzen, aber auch für Südkorea, Europa und zahlreiche andere Länder. Otte nennt insgesamt neun Krisenszenarien, von denen manche wahrscheinlicher sind und andere unwahrscheinlicher, aber keines wirklich erfreulich ist.
Zum Turbolader der Krise werden die Finanzderivate, die der Investor Warren Buffett als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet. Sie machen es in der Tat wahrscheinlich, dass eine Krise noch härter würde als die Weltwirtschaftskrise von 1929. Denn Finanzderivate sind nichts anderes als Wetten auf zukünftige Entwicklungen, die mit extrem hohen Einsätzen gespielt werden und zu einem hohen Prozentsatz fremdfinanziert sind. Genau dieser "Hebel" bewirkt, dass sie den Risikokapitalgebern bei günstigem Verlauf unermessliche Erträge einspielen können. Aber er bedingt auch, dass sie im Misserfolgsfall nicht nur für die Kapitalgeber mit einem Totalverlust enden, sondern auch die finanzierenden Banken treffen. Schon ein herzhafter Rücksetzer könnte den Kollaps einiger größerer Private Equity- oder Hedgefonds infolge misslungener gleichartiger Spekulationen auslösen, und die wiederum könnte unser gesamtes Bankensystem an den Rand des Abgrunds oder noch einen entscheidenden Schritt weiter bringen.
Ich verstehe nicht genug von Volkswirtschaft, um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich es ist, dass es tatsächlich zu einem großen Crash kommt. Und an manchen Punkten hätte ich mir von Otte auch mehr Fakten und härtere Analysen und einen weniger "journalistischen" Stil gewünscht. Aber Ottes Argumente erscheinen mir überzeugend genug, um eine Weltwirtschaftskrise zumindest als eine reale Möglichkeit anzusehen, die nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon in den nächsten Jahren auf uns zukommen könnte. Grund genug also, sich auch in der eigenen Lebensplanung und im eigenen Vermögensmanagement auf diese Möglichkeit vorzubereiten – auch wenn es dabei bedauerlicherweise nicht um Millionenbeträge geht.
Aber was kann man als Privathaushalt überhaupt tun? Den leider begrenzten Möglichkeiten widmet sich Otte im zweiten Teil seines Buchs. Zunächst schlägt er darin ein "7-Punkte-Programm zur Vorbereitung auf die Krise" vor, das (noch) keine konkreten Tipps gbit, sondern dem Leser übergeordnete Handlungsstrategien ans Herz legt, wie etwa: "Ihre Geldanlagen sind 'Chefsache' – und zwar Ihre ganz persönliche" oder "Verschaffen Sie sich eine finanzielle Schwimmweste – oder besser noch ein Rettungsboot". Mit "Chefsache" ist gemeint, sich nicht auf die Empfehlung von Bankern und "Vermögensberatern" zu vertrauen, die alle nur unser Bestes wollen (und sich auch reichlich davon nehmen), sondern den Mut und die Hartnäckigkeit zu haben, selber zu denken und die eigene Strategie zu entwickeln. Die "Schwimmweste" soll die Basis dafür schaffen, in einer Krise wegbrechende Einnahmen zumindest drei Jahre zu überstehen, besser noch – das ist dann das "Rettungsboot" – zehn Jahre. Diese Tipps sind nicht spektakulär, sondern eher solides Handwerk, allerdings mit konsequentem Fokus auf Sicherheit: "Suchen Sie sich sichere Banken und Länder", "Sparen Sie sich unnötige Ausgaben" oder "Erstellen Sie Ihre persönliche Vermögensbilanz und schichten Sie von 'schlechtem' in 'gutes' Vermögen um". Doch so bieder sie scheinen mögen, ich bezweifle, dass viele Menschen ihr Vermögen (und damit ihre Alterssicherung) so managen.
Unter dem unscheinbaren Punkt 4 "Machen Sie sich ein Bild über die verschiedenen Vermögensklassen" macht Otte klar, dass es in einer großen Krise keine sicheren Anlagen gibt, sondern nur unterschiedliche Arten von Risiken. In einer Deflation gilt "Cash is king" – jedenfalls solange keine staatlichen Eingriffe erfolgen. In einer Inflation gewinnen Sachwerte. An Bankguthaben und Sparkonten ist bei einem Crash möglicherweise nur schwer heranzukommen: Man kann förmlich die Server der Direktbanken qualmen sehen. Anleihen unterliegen dem Insolvenzrisiko, das Otte im Falle einer schweren Krise auch für zahlreiche Banken mit mittlerer bis mäßiger Bonität sieht. Auch die Einlagensicherung der deutschen Banken böte im Falle des Falles keine absolute Garantie. Er warnt vor einem zu hohen Immobilienanteil am Vermögen, wie er in Deutschland verbreitet ist: "In großen Wirtschaftskrisen gingen Aktienkurse, Anleihenkurse und Immobilienpreise immer gleichzeitig herunter. Das hängt damit zusammen, dass alle drei Anlageklassen letztlich nach den Erträgen bewertet werden, die sie produzieren. (...) In der kommenden Krise schafft das Überengagement der Deutschen in Sachen Immobilien jedoch zusätzlichen Abgabedruck." (S. 222 f.) Erst recht gefährdet sieht er geschlossene Fonds, gleich ob Schiffsbeteiligungen, Filmfonds oder Windkraft: Sie wären unter den ersten Opfern, wenn die Globalisierungsblase platzt. Auch die in Deutschland so beliebten Kapitallebensversicherungen finden nicht seine Gnade: "Im Krisenfall ist Ihr Geld keinesfalls sicher, jedenfalls verzinst es sich miserabel." (S. 225)
Nach diesen grundsätzlichen Leitlinien gibt Offe im Kapitel "Kapitalanlagen für die Krise" konkrete Empfehlungen. Zur Vorsorge für die "normale" Krise empfiehlt er ein Portfolio, das sich zu je 20 Prozent aus Aktien und Immobilien, zu 25 Prozent aus Gold und Goldaktien und zu 15 Prozent aus Bargeld und Anleihen zusammensetzt. Zur Vorsorge für die "große" Krise rät er, Aktien und Immobilien auf je 20 Prozent zu reduzieren und die beiden anderen Vermögensklassen entsprechend hochzufahren. Allerdings muss man sich heute schon entscheiden, auf welches Szenario man sich vorbereitet, denn in der Krise ist es zu spät. Bei den konkreten Empfehlungen muss man sich sicherlich seine eigene Meinung bilden. Dass ein Bestand an Edelmetallen als Krisenreserve nützlich ist, leuchtet mir ein – weniger hingegen, als Privatperson Fremdwährungen wie Schweizer Franken, Norwegische Kronen oder Singapur-Dollar zu kaufen. Abgesehen von praktischen Problemen scheint mir auch unplausibel, dass die kleine Schweiz oder der extrem in die Weltwirtschaft verflochtene Stadtstaat Singapur in einem ernsthaften Crash wie ein Fels in der Brandung stehen sollten, statt mitgespült zu werden wie Steine beim Hochwasser.
Doch wichtiger als solche Details ist die grundlegende Aufforderung, die eigene Vermögens- und Alterssicherungsstrategie vor dem Hintergrund einer möglichen Weltwirtschaftskrise zu überdenken. Selbst wenn man eine solche Krise nicht für eine wahrscheinliche, sondern nur für eine denkbare Entwicklung hält, kann es doch sinnvoll sein, die eigene Finanzstrategie nicht nur auf Erträge und Steuerersparnisse zu optimieren, sondern auch auf den immerhin denkbaren Fall eines großen Crashs. Wer vor dieser Möglichkeit nicht völlig die Augen verschließen möchte, dem kann Max Ottes Buch nur nachdrücklich empfohlen werden. Eine spannende Frage, die Otte leider überhaupt nicht beleuchtet, ist, welche Wechselwirkungen es mit der globalen Klimakrise gibt: Ob sie die Weltwirtschaftskrise verstärkt, ob sie sie mildert – oder ob sie vielleicht zur Keimzelle eines neuen Kondratieff-Zyklus' wird.
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