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Angst und Konkurrenzdruck sind gefährlich für die Performance

Schiedek, Steffen (2003):

Angst und Leistung im Rahmen der Katastrophentheorie

Untersuchung zum optimalen Erregungsniveau bei Fallschirmspringern

Göttingen 2003 (unveröffentlichte Dissertation); 196 S. (kann bei der Dt. Nationalbibliothek kostenlos heruntergeladen werden von http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=97206916X)


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 7

Rezensent: Winfried Berner, 23.11.2000

Diese Dissertation weckt massive Zweifel daran, ob Druck und Wettbewerb tatsächlich Motivation und Leistung steigern. Im Leistungssport jedenfalls wirkt ein hohes Maß an kognitiver Angst blockierend, während Selbstvertrauen leistungsförderlich ist.

Literatur zum Thema Stressmanagement gibt es wie Sand am Meer. So gut wie jede psychologische Schule hat sich daran versucht, dazu unzählige "Barfußdoktoren". Absolute Mangelware sind hingegen empirische Untersuchungen zu den Zusammenhängen zwischen Stress, Angst und beruflicher Leistung; allenfalls findet man Studien zu den Themen Schulangst, Prüfungsangst, Auftrittsangst und Wettbewerbsangst. Diese Forschungslücke ist äußerst unbefriedigend, denn sie trägt faktisch mit dazu bei, dass in vielen Berufsfeldern zuerst kontraproduktiver Stress erzeugt und dann aufwändig "gemanagt" wird. Viele Top Manager interessieren sich nur am Rande dafür, unter wie viel Stress ihre Mitarbeiter stehen, weil sie im Grunde ihres Herzens davon überzeugt sind, dass "ein bisschen Druck" durchaus leistungsfördernd sei. Kritische Hinweise von Mitarbeitern, Personalern und Betriebsräten werden leichthin abgetan: "Die sollen sich nicht so anstellen! Die fetten Zeiten sind nun einmal vorbei!" Auf diese Weise entsteht die absurde Situation, dass die einen Programme für Stress- und Gesundheitsmanagement auflegen, während die anderen den Druck schnell noch ein bisschen erhöhen und die interne Konkurrenz durch Rankings, Benchmarks und Wettbewerbe anstacheln.

Dabei gibt es gute Gründe anzunehmen, dass das in einem Unternehmen herrschende Stressniveau nicht nur für das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter eine Rolle spielt, sondern auch die Produktivität und die Qualität der erbrachten Leistungen beeinflusst. Schon das ehrwürdige "Yerkes-Dodson-Gesetz" aus dem Jahr 1908 besagt ja, dass zwar für einfache Tätigkeiten ein hohes Erregungsniveau optimal ist, dass aber bei anspruchsvollen und mittelschweren Aufgaben ein deutlich niedriges bzw. mittleres Stresslevel zu den besten Leistungen führt. Neuere Forschungen legen sogar die Vermutung nahe, dass die Leistung bei zu hohem Stress schlagartig zusammenbrechen kann; diese sogenannte "Katastrophentheorie" wird durch die Lebenserfahrung etwa mit Prüfungs- und Auftrittsängsten zumindest nicht widerlegt.

Angesichts der Tatsache, dass Top Manager, die selbst von den Kapitalmärkten unter massivstem Performance-Druck stehen, wäre es wohl naiv zu hoffen, dass sie ernstlich gegen Leistungsdruck einschreiten, bloß weil sie von wohlmeinenden Personalern hören, dass zu viel Stress nicht gut für das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ist. Selbst wenn sie einräumen, dass manche Mitarbeiter den Druck als recht hoch empfinden mögen (man beachte die unterschwellige Verwandlung des Problems in ein subjektives), packt sie doch die – durchaus nachvollziehbare – Angst, dass ihre Mannschaften in einem weniger von Druck und Wettbewerb geprägten Klima ihre Zahlen nicht mehr erreichen würden. Was sie schon eher nachdenklich stimmen könnte, wären harte Daten, die belegen, dass zu viel Druck und Wettbewerb schlecht für ihre eigenen Geschäftsergebnisse sind. Angesichts dieser Sachlage ist der riesige weiße Fleck, der an dieser Stelle auf der Forschungslandkarte klafft, nicht nur betrüblich, sondern ein Skandal.

In dieser desolaten Situation muss man für jede empirische Untersuchung dankbar sein, auch wenn sie aus einem nur entfernt angrenzenden Anwendungsgebiet stammt. Das veranlasst mich auch dazu, ausnahmsweise eine unveröffentlichte Dissertation zu besprechen. Da die Unterscheidung von (Berufs-)Arbeit und Leistungssport jedoch menschheitsgeschichtlich eine recht neue Erfindung ist, muss uns die Übertragbarkeit von Erkenntnissen, die aus dem Sport bzw. im speziellen Fall anhand des "Freifallformationsspringens" gewonnen wurden, auf berufliche Leistungssituationen weniger Sorgen machen als es auf den ersten Blick scheinen mag: Am Ende handelt es sich auch hier um eine Aufgabe, bei der unter hoher körperlicher und psychischer Anspannung eine komplexe Leistung erbracht werden muss.

Im theoretischen Teil seiner Dissertation gibt Steffen Schiedek zunächst einen Überblick über Angst, Angstmessung und den Zusammenhang mit sportlichen Leistungen. Dann kommt er zu der sogenannten "Katastrophentheorie", die das Fundament seiner Arbeit bildet. Der Begriff ist bei weitem nicht so dramatisch zu verstehen wie er umgangssprachlich belegt ist: In der Mathematik sind damit ganz nüchtern und wertneutral Diskontinuitäten in Funktionen gemeint, das heißt Stellen, "an denen man beim Zeichnen den Stift absetzen muss", wie Schiedek anschaulich erklärt (S. 50). Dahinter verbergen sich Polynome unterschiedlicher Ordnung, die dazu in der Lage sind, weitaus komplexere und abruptere Kurvenverläufe abzubilden als etwa die simple umgekehrte U-Form des Yerkes-Dodson-Gesetzes. Uns Nichtmathematiker tröstet Schiedek mit dem Hinweis, "dass sich für den Fall von maximal vier Kontrollvariablen insgesamt sieben verschiedene Arten von "Katastrophen" unterscheiden lassen; in keiner der Katastrophen sind dabei mehr als zwei Zustandsvariablen betroffen." (S. 51) Auf eine Nachprüfung dieser Aussage habe ich verzichtet. Insgesamt kann man die wesentlichen Aussagen der Dissertation aber verstehen, ohne in der höheren Mathematik zuhause zu sein.

Als Ausgangspunkt für seine eigene Untersuchung fasst der den derzeitigen Forschungsstand wie folgt zusammen: "Einen der wesentlichen Kritikpunkte an allen (...) vorgestellten Modellen zum Zusammenhang von Angst und sportlicher Leistung stellt der Verlauf der Leistung in dem Moment dar, in dem das postulierte optimale Erregungsniveau verlassen wird: So erwecken alle Modelle durch den umgekehrt U-förmigen Zusammenhang den Eindruck, dass die Leistung bei einer Überhöhung der Angst langsam (und, mathematisch ausgedrückt, stetig, also ohne Sprünge im Kurvenverlauf) wieder abnimmt und sich langsam vom Wert des Maximums entfernt. Viele Untersuchungen zeigen aber, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die Leistung im Falle der "Übererregung" plötzlich und schlagartig zusammenbricht." (S. 61) Nach solch einem Leistungskollaps geht erst einmal gar nichts mehr: "Kommt es bei hoher kognitiver Angst zu einem Zusammenbrechen der Leistung, so tritt Hysterese auf. Um wieder auf die höhere Leistungsebene zu gelangen, muss der Sportler seine physiologische Erregung deutlich reduzieren, und zwar erheblich über den Punkt hinaus, an dem der "Absturz" zu der unteren Leistungsfläche erfolgte. Dieser Effekt der Hysterese, der von HARDY et al. experimentell nachgewiesen wurde, taucht in den konventionellen Modellen als Messfehler oder Ungenauigkeit auf, da er von diesen Modellen nicht erklärt werden konnte." (S. 63)

Im empirischen Teil formuliert Schiedek acht Hypothesen, die er mittels umfangreicher Erhebungen an lebenden Fallschirmspringern allesamt bestätigen kann. (Streng genommen konnte er natürlich nur die seinen Hypothesen entgegengesetzten Nullhypothesen falsifizieren. Aber das ist ja auch schon was.) Seine für berufliche Zwecke wichtigsten Erkenntnisse sind erstens "die besondere Rolle der kognitiven Angstkomponente als die Kontrollgröße, die über das Eintreten von Katastropheneffekten entscheidet (...) Die kognitive Angstkomponente zeigte in dieser Untersuchung einen starken Zusammenhang mit der sportlichen Leistung; niedrige Werte dieser Angstkomponente sind anzustreben." (S. 142) Diese Schlüsselrolle der kognitiven Angst resultiert daraus, dass sie als sogenannter "spaltender Faktor" wirkt, das heißt als ein Faktor, der maßgeblich darüber entscheidet, ob die "Katastrophe" eintritt oder nicht: "Da der spaltende Faktor, wenn er klein genug ist, das Auftreten von Katastropheneffekten verhindern kann, sollte für ein optimales Erregungsniveau besonders die kognitive Angstkomponente gering sein." (S. 136) Infolgedessen "zeigt die Überprüfung (...), dass gute Leistungen nur mit niedrigen Werten der kognitiven Angstkomponente verknüpft sind." (S. 136)

Zweitens äußert Schiedek den "Verdacht, dass die kognitive Zustandsangst die einzige leicht zu manipulierende Größe ist, da die physiologische Erregung in der konkreten Situation des Fallschirmspringens durch die Hormonausschüttungen nicht kontrollierbar ist." (S. 142) Das scheint mir unmittelbar auf die berufliche Anwendung übertragbar zu sein: Da sich viele objektive Stressauslöser der Situation nicht oder nur in begrenztem Umfang beeinflussen lassen – etwa das Verhalten der Kunden gegenüber Vertriebsmitarbeitern oder die Höhe der Ziele, die sie erreichen müssen –, ist es umso wichtiger, die internen Rahmenbedingungen des Handelns so zu gestalten, dass sie keinen zusätzlichen Stress auslösen, sondern möglichst entlastend wirken: zum Beispiel durch ein kooperatives Klima, durch eine unterstützende und ermutigende Führung etc.

Als dritten wichtigen Aspekt fasst er zusammen: "Hohe Werte der Selbstwirksamkeitsüberzeugung beeinflussen die Leistung beim Freifallformationsspringen anscheinend positiv und können vor dem Eintreten von Katastropheneffekten schützen. Somit ist es sinnvoll, ein Gefühl der Selbstsicherheit schon in der Sprungvorbereitung zu provozieren. Sprünge sollten bereits unter dem Gesichtspunkt geplant werden, dass jeder Sportler in hohem Maße von seiner Fähigkeit überzeugt ist, die geplanten Bewegungen optimal ausführen zu können." (S. 142) Bereits bei der Darstellung der Befunde hatte er betont: "Für eine besondere Rolle der Selbstwirksamkeit sprechen die außerordentlich hohen Gütemaße, die in den Gruppen unterschiedlicher Eigenschaftsangst bei der Anpassung der Schmetterlingskatastrophen erzielt wurden." (S. 138)

Übertragen auf die betriebliche Praxis heißt das, dass es im Interesse des Unternehmens liegt, das Selbstvertrauen all jener Mitarbeiter zu stärken, die hohe oder höchste Leistungen erbringen sollen – zum Beispiel durch eine ausreichende fachliche und methodische Qualifizierung, durch einen schrittweisen Aufbau von Erfahrung statt des "Wurfs ins kalte Wasser", aber auch durch eine unterstützende und ermutigende Führung statt eines defizitorientierten Controllings. Auch dies wirft die Frage auf, ob interne Konkurrenz beispielsweise im Vertrieb tatsächlich das optimale Setting ist, um die "Selbstwirksamkeitsüberzeugung" der Mehrheit der Mitarbeiter zu steigern. Denn im Gegensatz zum Leistungssport geht es im Vertrieb ja nicht darum, welches Individuum als schnellstes durchs Ziel geht, sondern darum, wie hoch die kumulierte Geschwindigkeit des Gesamtfelds ist.
    

Schlagworte:
Leistung, Angst, Stress, Wettbewerb, Konkurrenz, Selbstvertrauen, Katastrophentheorie, Interne Konkurrenz

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