Eine kompakte, trotz der Kompliziertheit der Materie gut lesbare Erklärung der derzeitigen Krise in den Finanzmärkten samt möglicher Szenarien, die die weitere Entwicklung nehmen könnte, und praktischer Ratschläge für Anleger.
Wer in diesen Zeiten seine Alterssicherung organisieren oder seine Ersparnisse managen muss, dem kommen die gegenwärtigen Turbulenzen in den weltweiten Finanzmärkten ausgesprochen ungelegen, zumal die meisten Banker und "Vermögensberater" die Lage kaum besser zu verstehen scheinen als wir Laien und, als ob nichts geschehen wäre, munter weiter Schiffsbeteiligungen, geschlossene Fonds und – zur Vermeidung der Abgeltungssteuer – überteuerte Dachfonds feilbieten. Wer sich nicht den dürftig untermauerten Glaubenssätzen solcher Berater ausliefern möchte, die noch dazu von eigenen Provisionsinteressen mitbestimmt sind, kommt kaum umhin, sich eine eigene Meinung zu bilden, auch wenn Makroökonomie bislang nicht sein Lieblingssport war.
Doch hat es wenig Sinn, über Strategien und Maßnahmen nachzudenken, solange man nicht verstanden hat, was eigentlich los ist in den Finanzmärkten, was die tieferen Ursachen der momentanen Verwerfungen sind, die mittlerweile zu langen Listen von Milliardenabschreibungen geführt haben, und was die möglichen Risiken und Nebenwirkungen der eingeleiteten "Therapie" sind. Dieses Buch ist auch und gerade für Nicht-Volkswirte eine große Hilfe, wenigstens in den Grundzügen zu verstehen, wie das ganze Schlamassel entstanden ist, in welche Richtungen es sich weiterentwickeln könnte und was der kleine Mann am PC tun kann, um nicht mit in den Strudel gerissen zu werden. Der Financial-Times-Kolumnist Wolfgang Münchau versteht es, hochkomplexe Zusammenhänge mit (relativ) einfachen Worten zu erklären, beschränkt sich dabei aufs Wesentliche, und er tut dies im Gegensatz zu anderen einschlägigen Büchern mit abgewogener Gelassenheit und ohne missionarischen Eifer.
Nachdem Münchau im ersten Kapitel den Verlauf der Krise bis Ende 2007 nachgezeichnet hat, verwendet er die folgenden drei darauf, deren Entstehung und Entwicklung zu analysieren. Im zweiten untersucht er, wie Finanzmärkte funktionieren, und zeigt an zwei historischen Beispielen, wie Blasen entstehen. Das dritte widmet sich den Instrumenten im Kreditmarkt, das heißt verschiedenen Arten von Derivaten, sowie den Akteuren, die mit ihrer Hilfe komplizierte und zum Teil ausgesprochen clevere Wetten eingehen. Dass dies alles – einschließlich der Blasenbildung – erst durch neue Entwicklungen der Finanzmathematik möglich wurde, erläutert er im vierten Kapitel. Kapitel 5 widmet sich dem ökonomischen Umfeld, in dem sich diese Entwicklung abspielt, insbesondere den globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichten, die mit der Kreditmarktkrise auf gefährliche Weise interagieren. Darauf aufbauend beschreibt Münchau im 6. Kapitel einige Szenarien, wie sich die Krise weiterentwickeln könnte, und leitet daraus im 7. Kapitel Strategien für Investoren ab. Welche politischen Lehren aus der Krise gezogen werden könnte, ist schließlich Gegenstand des 8. Kapitels, wobei er nicht glaubt, dass sich durch Regulierungen zukünftige Blasen verhindern lassen: "Menschen neigen zu Übertreibungen. Es ist Teil unserer Natur. Nach der Blase ist vor der Blase." (S. 5)
Ihren Ausgangspunkt nahm die gegenwärtige Krise mit einer legalen Umgehung von Regelungen, die als Konsequenz aus früheren Krisen eingeführt worden waren: Die Abkommen "Basel I" und "Basel II" sollten die Überschuldung von Banken verhindern, indem sie sie dazu verpflichteten, das Volumen ihrer ausgereichten Kredite in Abhängigkeit von deren Risiko und ihrem Eigenkapital zu begrenzen. Da sie dies aber Geschäft kostete, umschifften viele Banken diese Regelungen dadurch, dass sie Zweckgesellschaften gründeten (sogenannte SIVs = Special Investment Vehicles), die nicht den Baseler Regelungen unterliegen und an die sie Teile ihrer Kreditbestände weiterverkauften. Die SIVs verbrieften die eingekauften Kreditpakete, das heißt, sie wandelten sie in Wertpapiere um, sogenannte Asset bzw. Mortgage Based Securities (ABS / MBS), und verkauften sie in unterschiedlich risikohaltigen und entsprechend unterschiedlich verzinsten Tranchen an Anleger weiter.
Die Preise dieser Papiere bestimmten sich nicht über Angebot und Nachfrage, weil niemand wusste, wie man den Wert solcher Kreditpakettranchen hätte bestimmen sollen, sondern über komplexe finanzmathematische Modelle (welche sich später als untauglich erweisen sollten). Die Bonität der sichersten Tranchen wurde von den Ratingagenturen mit AAA bewertet, also auf dem Niveau von Bundesanleihen. Die nachrangigen Tranchen wurden zum Ausgleich exzellent verzinst und brachten um die 20%. Bald traten Käufer auf den Plan, die vor allem an den hohen Zinsen interessiert waren, die in anderen Märkten kaum zu erzielen sind, und die das Risiko ihrer Kreditpakete mit Leerverkäufen auf die sichereren Tranchen absicherten (Hedging) – oder es damit wenigstens zu hedgen glaubten. Ein verhängnisvoller Irrtum, wie sich später zeigte, als der Markt zusammenbrach und sich viele Papiere als zeitweise unverkäuflich erwiesen.
Manche institutionelle Investoren bildeten aus diesen Derivaten in Verbindung mit Swaps neue sogenannte "synthetische Collateralized Debt Obligations" (CDOs), also Derivate aus Derivaten, deren Risikohaltigkeit endgültig kaum noch bestimmbar war, die sich aber großer Beliebtheit erfreuten, weil sie scheinbar passgenau das Bedürfnis der Anleger nach relativ hoher Verzinsung bei gleichzeitig sehr guten Ratings zu erfüllen schienen. Wegen der hohen Nachfrage nach solchen Wertpapieren wurden immer mehr Subprime-Kredite ausgereicht, zunehmend sogenannte "Ninja-Kredite" ("no income – no job – no assets"); desgleichen wurden auch wackelige Unternehmen freigiebig mit Krediten bedient. Die Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner musste den ausgebenden Banken keine Sorgen machen, denn diese unverantwortlichen Kredite verschwanden unverzüglich in den SIVs, wo sie eine wundersame Verwandlung in hochverzinsliche und – ausweislich der Ratings – relativ sichere Wertpapiere erfuhren. Man beginnt zu ahnen, weshalb selbst ein Großinvestor wie Warren Buffett Derivate als "ökonomische Massenvernichtungswaffen" bezeichnet.
Dieses Hütchenspiel ging eine ganze Weile gut – bis die Zocker plötzlich begannen, sich gegenseitig zu misstrauen. Im August 2007 waren die Banken auf einmal nicht mehr bereit, sich untereinander kurzfristig und ohne Sicherheiten Geld zu leihen. Die EZB stellte damals in fast unbegrenzter Menge Liquidität zu Verfügung und verhinderte so einen möglichen Zusammenbruch des Systems. Doch waren die Spieler nun gezwungen, ihre Positionen aufzudecken – was indes gar nicht so einfach war, weil sie selbst den Wert und die Risiken ihrer Pakete nicht kannten und Monate brauchten, um ihren Wertberichtungsbedarf zu ermitteln (oder besser: zu schätzen). Danach begann die Saison der Milliardenabschreibungen. Besonders hart betroffen waren interessanterweise nicht die Hedgefonds, bei denen viele die größten Zeitbomben vermutet hatten, sondern einerseits aggressive Großbanken wie Citigroup und UBS, andererseits biedere deutsche Landesbanken von der Sachsen bis zur Bayern LB. Sie hatten spätestens mit der Einführung des Euro ihre Funktion verloren, suchten nun verzweifelt nach einer neuen Existenzberechtigung – und übernahmen sich dabei hoffnungslos.
Während bereits eingetretene Ereignisse sich gut vorhersagen lassen, ist es schwieriger vorherzusehen, wie die Entwicklung weitergehen wird. Konsequenterweise diskutiert Münchau verschiedene Szenarien. Dabei erweist sich als die große Unbekannte, ob die Erholung der Kreditmärkte, die einige Jahre benötigen wird, einigermaßen ungestört durch andere makroökonomische oder weltpolitische Turbulenzen verlaufen kann. In diesem Fall könnten wir mit einem blauen Auge und einer milden Rezession davonkommen. Falls aber zum Beispiel China und andere fernöstliche Exportnationen durch einen Einbruch der amerikanischen Nachfrage in eine ähnliche Krise geraten sollten wie Japan in den 90-er Jahren, oder falls neue Kriege oder Terroranschläge hinzukommen, könnte es auch zu weit größeren Verwerfungen kommen. Einen äußerst ungemütliches Szenario reißt Münchau als letztes an: "Wenn Osama bin Laden einen Hedgefonds gegründet hätte …" (S. 185ff.) Der Gedanke ist insofern beängstigend, als die stillschweigende Grundannahme des gesamten Finanzmarkts ja ist, dass sämtliche Mitspieler zwar rücksichtslos ihren eigenen Nutzen maximieren, aber niemand wie ein Selbstmordattentäter primär und radikal auf die Maximierung des Schadens für die übrigen Beteiligten (und Unbeteiligten) zielt.
Uns Privatanlegern bleiben in solchen Zeiten vor allem defensive Strategien, meint Münchau: "Caveat emptor" – der Käufer muss aufpassen. Große Sprünge traut er dem Aktienmarkt fürs erste nicht zu, obwohl er dort im Falle einer Niedrigzinspolitik eine neue Blase für möglich hält. Seine zusammengefasste Empfehlung: "Ein Portfolio bestehend aus Pfandbriefen, inflationsgeschützten Staatsanleihen, Gold und Immobilien wird Ihnen vielleicht eine Rendite von vier bis fünf Prozent einbringen. Darüber hinaus werden Sie gut schlafen können." (S. 199) Eine Chance für offensive Strategien eröffnet sich vor allem im Aufkauf von derzeit illiquiden Papieren, hinter denen ja nicht nur faule Kredite stehen, sondern zum großen Teil solche, die in Zukunft zurückgezahlt werden. Wer sich hier auskennt und einen langen Atem hat, kann mit einem "Vulture Fund" (Geierfonds) erheblich von dem Verkaufsdruck von Banken und Investoren profitieren, die sich verspekuliert haben. Aber das hört sich nicht unbedingt nach einem Geschäft für Laien an …
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