Sehr instruktive Übersicht über die Managementprinzipien des erfolgreichen Großinvestors Warren Buffett, keineswegs nur für Investoren lesenswert, sondern auch für Aufsichtsräte und – für Change Manager, die sich für Führungskultur interessieren.
Da das Management von Investmentfonds Geld kostet und Fondsmanager oft das Bedürfnis haben, am Erfolg ihrer Fonds mitzuverdienen, muss ein Fonds mit seiner Strategie nicht bloß besser sein als der relevante Markt, sondern besser als der Index plus der Managementgebühren, die bei vielen Fonds immerhin 1,5 bis 2 Prozent pro Jahr betragen. An diesem anspruchsvollen, aber absolut fairen Maßstab scheitern die allermeisten Fonds. Kaum einer schlägt auf lange Sicht netto den Index, das heißt nach Abzug von Managementgebühren und Erfolgsprovisionen.
Eine der wenigen Ausnahmen ist der von Warren Buffett und Charlie Munger gemanagte Fonds Berkshire Hathaway. Seine Erfolgsgeschichte währt mittlerweile seit 1965; in diesen 43 Jahren hat er 37-mal den Index (S&P 500 einschließlich Dividenden) geschlagen und lag nur sechs Mal dahinter. Sein durchschnittliches jährliches Wachstum liegt bei 21,1 Prozent gegenüber 10,3 Prozent beim S&P 500. Eine Erklärung dieses außergewöhnlichen Erfolgs mit dem Zufall ist also selbst bei strengster Betrachtung unplausibel. Kein Wunder daher, dass Warren Buffett in der Zunft ein Ruf wie Donnerhall vorausgeht. Alleine die Nachricht, dass er in der momentanen Krise groß bei Goldman Sachs und General Electric eingestiegen ist, wirkte wie ein Ritterschlag und zog unzählige Nachahmer hinter sich her, mit der putzigen Folge, dass die Aktien alleine schon deswegen stiegen – und Buffetts Gurustatus abermals bestätigten.
Gescheiter als Warren Buffett nachzuäffen ist und ebenfalls Goldman Sachs zu kaufen, ist jedoch, zu versuchen, die Prinzipien seines Handelns zu verstehen. Das ist einfacher als man annehmen würde, denn Buffett macht überhaupt kein Geheimnis aus den Grundsätzen, nach denen er entscheidet; im Gegenteil: Er erläutert sowohl die Prinzipien seines Handelns als auch die Gründe seiner Investitionsentscheidungen sowie die Ursachen gelegentlicher Fehlentscheidungen sehr ausführlich in seinen jährlichen Aktionärsbriefen. Die sind keineswegs Insidern vorbehalten, sondern stehen allen Interessierten auf der Website http://www.berkeshirehathaway.com bis zurück ins Jahr 1977 kostenlos und öffentlich zu Verfügung. Um mit seinen Methoden vertraut zu werden, kann man sich also durch gut 30 Aktionärsbriefe zu je 50 – 100 Seiten arbeiten. Oder man kann das vorliegende Buch lesen, in dem Lawrence A. Cunningham die wichtigsten Gedanken Buffetts aus den Aktionärsbriefen extrahiert, systematisch geordnet und mit einem Vorwort versehen hat. Bereits dieses Vorwort ist eine exzellente Zusammenfassung von Buffetts zentralen Gedanken und alleine schon den Kauf des Buches wert.
Was sich dabei als Buffetts "Erfolgsgeheimnis" herauskristallisiert, ist erstaunlich einfach, schlüssig und auf eine wohltuende Weise "seriös". Buffett ist etwa der Auffassung, dass man nicht viel wissen muss, um ein erfolgreicher Investor zu sein; wichtig sei nur, ein sehr klares Bild davon zu haben, was die Grenzen des eigenen Wissens sind, und diese Grenzen nicht zu überschreiten. So weigert sich Buffett konsequent, in Geschäfte zu investieren, die er nicht versteht. Nicht wirklich aufregend, könnte man sagen, doch alleine dieser simple Grundsatz hätte manchen Banken und Investoren in den letzten Monaten mehrstellige Milliardenbeträge ersparen können. Aus diesem Grund investiert Buffett zum Beispiel nicht in Technologieunternehmen: Nicht, weil er ihnen keine Perspektive gäbe – im Gegenteil, er setzt sehr hohe Erwartungen in die Branche. Aber er sieht sich außerstande, auf diesem Feld langfristige Wettbewerbsvorteile klar genug erkennen und beurteilen zu können.
Ein weiteres seiner Prinzipien ist, Investitionen grundsätzlich unter einer Langfristperspektive zu betrachten: Wenn er ein Investment nicht langfristig besitzen möchte, dann will er es auch kurzfristig nicht haben. (Arbitragegeschäfte nimmt er von dieser Regel ausdrücklich aus.) Eine gute Langfristperspektive setzt nach seinem Verständnis zweierlei voraus: Erstens ein gutes Business und zweitens ein kompetentes und integres Management. Beide Punkte sind nach Buffetts Erfahrung unverzichtbar: "When a management with reputation for brilliance tackles a business with a reputation for bad economics, it is the reputation of the business that remains intact." (S. 105) Doch zugleich betont er immer wieder die Bedeutung der Qualität und Vertrauenswürdigkeit des Managements: "We've never succeeded in making a good deal with a bad person." (S. 106) Ich will gerne zugeben, dass es mich freut und sogar berührt, wenn dieser alte Mann als Summe seines langen und überaus erfolgreichen Lebens die Bedeutung von Vertrauenswürdigkeit und geschäftlichem Anstand hervorhebt (und dies im Management seiner eigenen Firma offenkundig auch lebt).
Da Berkshire Hathaway etliche Unternehmen selbst besitzt, hat sich Buffett auch über Fragen der Corporate Governance intensive Gedanken gemacht – und auch dabei die herkömmlichen Glaubenssätze kräftig gegen den Strich gebürstet. So hält er zum Beispiel überhaupt nichts von den in den USA und neuerdings auch bei uns so beliebten "Stock Options". Nach seiner Auffassung verführen sie Manager förmlich dazu, mit geringem persönlichen Risiko Strategien zu verfolgen, die hochriskant für die Eigentümer sind: Aktienoptionen schaffen asymmetrische Incentives, weil das Management viel gewinnen, aber wenig verlieren kann, während die Eigentümer zwar auch viel gewinnen, aber auch sehr viel – im äußersten Fall alles! – verlieren können. Keinen Gefallen findet er auch an der üblichen Form, wie Unternehmen Spenden für wohltätige Zwecke geben, indem sich das Management für seine Großzügigkeit mit fremdem Geld feiern lässt. Er empfiehlt und praktiziert "An Owner-Based Approach to Corporate Charity", bei dem nicht das Management, sondern die Eigentümer entscheiden, an welche Organisationen die steuerlich zulässigen Spenden des Unternehmens gehen.
Was mich an Warren Buffett zutiefst beeindruckt, ist sein klares, stringentes Denken, mit dem er den Dingen konsequent auf den Grund geht. Hinter seiner schlichten Sprache, die ohne jedes Experten-Kauderwelsch auskommt, und seinen plakativen Beispielen ist man in der Gefahr, das Gewicht seiner Gedanken zu unterschätzen: "A short quiz: If you plan to eat hamburgers throughout your life and are not a cattle producer, should you wish for higher or lower prices for beef? Likewise, if you are going to buy a car from time to time but are not an auto manufacturer, should you prefer higher or lower car prices? (…) But now for the final exam: If you expect to be a net saver during the next five years, should you hope for a higher or lower stock market during that period? Many investors get this wrong. Even though they are going to be net buyers fo stocks for many years to come, they are elated when stock prices rise and depressed when they fall." (S. 70f.)
Eindrucksvoll auch, wie er die "Efficient Market Theoy" (EMT) zertrümmert. Nach dieser Theorie ist der aktuelle Preis eines Wertpapiers immer der "richtige" Preis, weil der "effiziente Markt" sämtliche über das Investment verfügbaren Informationen längst eingepreist hat. Buffett verdeutlicht seine Sicht mit einer Metapher seines Lehrers Ben Graham, nämlich dem manisch-depressiven "Mr. Market". Der habe die freundliche Eigenschaft, jedes denkbare Wertpapier zu jedem beliebigen Zeitpunkt anzukaufen und zu verkaufen, allerdings zu einem von ihm festgelegten Preis. In euphorischen Phasen fordert und bietet Mr. Market Mondpreise, in depressiven vertickert er sie für Schleuderpreise. Der dümmste Fehler, den ein Investor machen kann, ist, sich von Mr. Markets Stimmungsschwankungen anstecken zu lassen. Denn dann kauft er zu Mondpreisen und verkauft zu Schleuderpreisen. Der Trick liegt für Buffett genau darin, gute Papiere zu kaufen, wenn die Preise niedrig sind, das heißt mit starken Abschlägen gegenüber ihrem tatsächlichen Wert gehandelt werden. Deshalb empfiehlt er auch mitten in der momentanen Finanzmarktkrise den Kauf von Aktien. Sarkastisch bedankt er sich bei den Verfechtern der Efficient Market Theory: "We are enormously indebted to those academics: what could be more advantegeous in an intellectual contest–-whether it be bridge, chess, or stock selection–-than to have opponents who have been taught that thinking is a waste of energy?" (S. 67) Seine dringende Warnung an alle Investoren lautet daher: "Mr. Market is there to serve you, not to guide you." (S. 68)
Insgesamt habe ich noch nie ein Buch über Finanzen, Geldanlage und Unternehmensführung mit so viel Vergnügen, innerer Zustimmung und so vielen Aha-Erlebnissen gelesen wie dieses: Wegen der ebenso originellen wie schlüssigen Gedankengänge, wegen des unmittelbaren praktischen Nutzens (keineswegs nur für Geldanlagefragen), aber auch wegen – sicher am überraschendsten von allem – der tiefen Redichkeit und der kooperativen Grundhaltung, die aus dem gesamten Text spricht.
"Wer immer noch nicht so recht glauben kann, dass man mit so einfachem, schlichten Denken zu erstaunlicher Weitsicht gelangen kann, lese noch ein letztes Zitat: "The banking business is no favorite of ours. When assets are twenty times equity–-a common ratio in this industry–-mistakes that involve only a small portion of assets can destroy a major portion of equity. And mistakes have been the rule rather than the exception at many major banks. Most have resulted from a managerial failing that we described last year when discussing the 'institutional imperative': the tendency of executives to mindlessly imitate the behavior of their peers, no matter how foolish it may be to do so. In their lending, many bankers played follow-the-leader with lemming-like zeal; now they are experiencing a lemming-like fate." (S. 109f.) Diese Sätze stammen aus Buffetts Aktionärsbrief von 1990, wurden also gut 17 Jahre vor dem aktuellen Finanzmarkt-Crash geschrieben.
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