Ein Buch, das vermutlich nur gebürtige und gewordene Badenern und Schwaben interessieren wird. Denen jedoch bietet es einen mit hoher Sachkunde und unterhaltsam-erzählerischem Stil einen lesenswerten Einblick über die Kulturgeschichte ihrer Heimat.
Nur Ortsunkundige halten Baden-Württemberg für ein einheitliches, homogenes Bundesland – aber die verwechseln auch Bayern und Franken. Wer die Frontlinien der badisch-württembergischen Animositäten und ihre Hintergründe besser durchschauen will, könnte keinen kundigeren Führer finden als den gebürtigen Aalener Hermann Bausinger, einen emeritierten Tübinger Kulturwissenschaftler, der sich intensiv mit der Entwicklungsgeschichte des Südweststaats befasst hat und sie lebendig und facettenreich, aber keineswegs nur anekdotisch darzustellen versteht. Zugegeben, es gibt noch wichtigere Probleme im Universum als die kleinen Rest-Rangeleien zwischen Badenern und Schwaben, doch wenigstens für mich als badischen "Ex-Pat", der 1970 noch an der lange verschleppten Volksabstimmung in Baden über den dauerhaften Fortbestand des von den Alliierten zusammengeschlossenen "Südweststaats" teilgenommen hat (und mit 17 Prozent knapp unterlegen ist), war es amüsant und lehrreich zugleich, Bausingers völkerkundliche Studie zu lesen.
Die Friktionen zwischen Badenern und Württembergern sind etwas asymmetrisch. Die Badener reiben sich weitaus mehr an den "Schwoobe" als die Württemberger an den "Badensern". Aber das ist ja auch logisch, jedenfalls aus badischer Sicht: Wer könnte mit uns liberalen, weltoffenen, genussfreudigen Badenern schon ein Problem haben?! Doch wirklich niemand, nicht einmal die verbissenen, pingeligen, überehrgeizigen Schwaben. Lautet die badische Devise doch: "Lebe und lebe lasse!" Letzteres gilt sogar für Schwaben, und dass sie ersteres nicht können, ist zwar bedauerlich, aber nicht unsere Schuld. Dazu kommt, dass wir Badener uns von den cleveren Sau- äh, Schwaben immer ein Stück über den Tisch gezogen fühlen: Sitzen doch, wenigstens aus objektiv-badischer Wahrnehmung, die allermeisten Verwaltungsfunktionen des Südweststaats im Schwabenland, und die allermeisten öffentlichen Funktionen sind – natürlich! – auch mit Schwaben besetzt, weil die sich vor lauter Überehrgeiz wahrscheinlich schon morgens um 4 Uhr in die Schlange gestellt haben. Schon deshalb würden wir nie zugeben, dass der größere Teil der Wirtschaftsleistung des "Ländles" in Württemberg erbracht wird. Dafür haben wir den besseren Wein und die bessere Küche und die schönere Landschaft und die symbadischeren Menschen natürlich sowieso.
Angesichts dieser traditionellen baden-württembergischen ... – naja, "Feindschaft" wäre nun wirklich zu viel gesagt – nennen wir es binnenklimatischen Hypertonie überrascht es völlig, wenn Bausinger überzeugend darlegt, dass die strenge Unterscheidung zwischen Badenern und Schwaben nicht etwa auf uralte Volksstämme zurückgeht, die mindestens seit der Völkerwanderung, wahrscheinlich aber schon sehr viel länger bestehen und mindestens ebenso lange miteinander im Clinch liegen, sondern historisch relativ neuen Datums ist. Noch vor ein paar Jahrhunderten wäre offenbar kaum jemand auf die Idee gekommen, eine Zweiteilung zwischen Badenern und Schwaben zu machen; vielmehr wurde die Region von Außenstehenden meist als "Schwaben" adressiert, die Einwohner ebenfalls als "Schwaben" oder auch als "Alemannen" – was sprachgeschichtlich aber etwa das gleiche bedeutet wie ethnologischer Eintopf. (Die Geschichte ist auch nicht mehr das, was sie einmal war …)
Mit anderen Worten, die offenkundigen Unterschiede im "Volkscharakter", die heute jedem (Badener) ins Auge springen, sind, wenn nicht alles täuscht, eine neuzeitliche Erfindung – und damit eigentlich in ihrer Substanz zweifelhaft. Sie könnten ihren Ursprung in einer Auseinanderentwicklung der aufgeklärten badischen Fürstentümer von dem konservativen württembergischen Königreich haben. Allerdings unterstellt auch das eine sehr viel homogenere Entwicklung als es der geschichtlichen Realität entspricht: Die Landkarte des deutschen Südwestens war noch um 1800 herum ein unglaublicher Flickenteppich mit unzähligen kleinen Grafschaften, Fürstentümern und kirchlichen Besitzungen und nur wenigen größeren Einheiten. Vielleicht ist der scheinbar historisch gewachsene Unterschied in den Volkscharakteren auch ein Beispiel für kulturelle "Kontrastverstärkung": Dass nämlich kulturelle Unterschiede überall dort existieren (oder entstehen), wo eine größere Zahl von Menschen sich bewusst oder unbewusst entschließt, einen Unterschied sehen zu wollen.
In seinem Eifer, die eher gemeinsame als getrennte Geschichte Baden-Württembergs darzulegen, geht Bausinger streckenweise sehr tief ins Detail – und bringt den Leser damit in die Gefahr, erst den Faden zu verlieren und dann die Geduld. Trotz seines lebendigen und flüssigen Stils geraten die Ausführungen teilweise etwas lang; man beginnt zu ermüden und könnte ein paar Seiten später nur noch wenig von dem wiedergeben, was man da gelesen hat. Da mir auch beim zweiten Lesen so erging, war es offenbar keine Frage der Tagesform; es hat wohl auch damit zu tun, dass sich die Gliederung des Buches dem Leser nicht von selbst erschließt. Das spielt so lange keine Rolle, wie einen der plaudernden Tonfall Bausingers mitzieht und man mal überrascht, mal wiedererkennend und mal schmunzelnd seinen Schilderungen folgt. Aber irgendwann reißt dieser Fluss ab, und da würde etwas mehr (erkennbare) Struktur helfen, den Faden wiederzufinden und zu behalten.
Bausingers "Bessere Hälfte" folgt (dankenswerterweise!) keiner historischen Chronologie. Die Struktur beginnt – naheliegend – mit gefühlten "Differenzen", schlägt von da einen großen Bogen über die "Metamorphosen des Schwäbischen" und von dort zu "Die Vereinigung". Dann kommt doch ein nicht ganz kurzer Ausflug in die Geschichte, mit den Kapiteln "Die alten Länder" und "Das Ende des alten Reiches". Schließlich bilden "Integrationspolitik" und "Gemeinsamkeiten" den versöhnlichen Abschluss. Das ist nicht unlogisch und erst recht nicht unsinnig, aber so richtig selbsterklärend ist es auch nicht. Dazu kommt, dass Bausingers umfassende Sachkenntnis den weniger detailkundigen Leser zuweilen überfordert: Wer nicht jeden König, Grafen und Regierungspräsidenten persönlich kannte oder ihn wenigstens historisch einzuordnen vermag, dem wird bei Bausingers plaudernden Zeitsprüngen zuweilen schwindlig. Und bevor er sich erholt hat, folgten längst die nächsten beiden Zeitverschiebungen …
Dennoch ein liebens- und lohnenswertes Buch für "biographisch Vorbelastete". Und zugleich eines, das ihnen einen "Selbstversuch" in kultureller Identität ermöglicht: Da ich in Baden aufgewachsen bin und auch heute, nach mehr als 35 Jahren in Bayern, mein primäres Heimatgefühl dort verankert ist, ist für mich umso verblüffender, am eigenen Beispiel zu erleben, wie fest solche Gefühle von der Art "Wir (Badener) sind ein völlig anderer Menschenschlag als die (Schwoobe)" sitzen kann und wie wenig sie sich durch eine überzeugende historische Argumentation beirren lassen. Auch wenn der kluge Herr Bausinger – wie gesagt, selbst ein Schwabe – dreimal Recht haben mag mit seinen Argumenten: Rein gefühlsmäßig kann einem geborenen Badener doch keiner weismachen, dass es zwischen Schwaben und Badenern keinen Unterschied gibt!
Wenn ich von solchen regionalen Kabbeleien, die es wahrscheinlich überall auf der Welt gibt, einmal absehe und innerlich drei Schritte zurücktrete, ist das Ganze ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass auch aus falschen Fakten echte Gefühle entstehen können – und dass diese "trennenden Gefühle", wie die Individualpsychologie sie nennt, auch durch die nachträgliche Bekanntschaft mit den wahren Fakten kaum noch zu beeinflussen sind. Auch wenn ich keinerlei Zweifel an Bausingers Darstellung habe und nicht die geringste Absicht, ihm eine einseitige Auswahl der Fakten zu unterstellen, bleibt in meiner Realitätswahrnehmung hartnäckig das von Kindesbeinen an eingeübte Denken und Fühlen von "wir" und "die" bestehen. Und obwohl ich mittlerweile viele Schwaben kennen- und schätzen gelernt habe und einigen von ihnen freundschaftlich verbunden bin, sind es nur badische, nicht schwäbelnde Sprachklänge, die bei mir Heimatgefühle auslösen, und damit einen spontanen Vertrauensvorschuss. Möglicherweise gibt es hier tatsächlich so etwas wie eine frühe Prägephase, in der konstituiert wird, was wir für den Rest unseres Lebens als heimatlich empfinden. Beängstigend, wie schnell das in eine negativ getönte Abgrenzung gegenüber "denen" umschlägt.
|