Auf knapp 1000 Seiten gibt dieses angesehene Lehrbuch einen breiten, nahezu umfassenden Überblick über die Volkswirtschaftslehre. Dass einige wichtige Zukunftsthemen ausgespart bleiben, sagt wohl mindestens so viel über das Fach wie über dieses Buch.
Volkswirtschaft ist zu wichtig, um sie allein den Volkswirten zu überlassen. Wie wir gerade schmerzhaft zu lernen beginnen, beeinflusst das, was in den Volkswirtschaften dieser Welt vor sich geht, in erheblichem Ausmaß unser Schicksal, auch wenn es sich zunächst einmal nur in dessen materiellen Rahmenbedingungen niederschlägt. Das betrifft etwa die persönliche Lebensplanung: Sollte man sich auf einen langen Niedergang der Weltwirtschaft einstellen, der möglicherweise größere Dimensionen erreicht als die "Great Depression", oder sollte man jetzt in den Aktienmarkt einsteigen, weil die Preise am Boden sind? Sollte, wer kann, sich eine Immobilie kaufen, um einer drohenden Inflation mit Sachwerten zu entgehen, oder sollte er unbedingt warten, weil in der Krise auch die Immobilienpreise in den Keller gehen werden? Sollte man einen Teil seines Vermögens in Gold anlegen, oder gilt in der heutigen Zeit die Devise "Cash is King"? So schwierig schon diese Fragen zu entscheiden sind, es sind Luxusprobleme im Vergleich zu den Millionen von Menschen, für deren Überleben die Entwicklung ihrer Volkswirtschaft von existenzieller Bedeutung ist.
Das große VWL-Lehrbuch des Harvard-Professors N[icholas] Gregory Mankiw ist in 14 Teile und 37 Kapitel gegliedert. Sie aufzulisten, würde den Rahmen einer Rezension sprengen; das Inhaltsverzeichnis sowie eine Leseprobe können jedoch von der Website des Verlags heruntergeladen werden. Mankiw und sein in dieser Ausgabe neu aufgenommener Koautor Mark P. Taylor (über dessen Person und Rolle das Buch keinerlei Informationen gibt) arbeiten die ganze klassische Themenpalette der Volkswirtschaftslehre ab, beginnend mit Grundlagen wie der Funktion von Märkten über Mikro- bis hin zur Makroökonomie wie dem monetären System, dem internationalen Handel und – neu in dieser 4. Auflage – der Europäischen Währungsunion.
Besonders bemerkenswert erscheinen mir Anfang und Ende dieses Lehrbuchs: Mankiw und Taylor beginnen mit "Zehn volkswirtschaftliche[n] Regeln", die streng genommen keine "Regeln" im Sinne von Vorschriften oder Empfehlungen sind, sondern Regelbehauptungen – sozusagen der Grundaxiomatik der Ökonomie, auf die sie im weiteren Verlauf immer wieder Bezug nehmen. Die ersten Kapitel dienen dazu, den Leser mit volkswirtschaftlichem Denken vertraut zu machen: Neben den zehn Regeln geht es darin um die Methodik der Volkswirtschaft sowie – als ein weiteres wichtiges Prinzip – um die "komparativen Vorteile". Danach hat Handel nicht nur für diejenigen Nutzen, die ein Gut nicht selbst herstellen können, sondern auch für die, die es eigentlich könnten. Auch sie fahren noch besser, wenn sie sich auf das konzentrieren, was sie besonders gut können, was sehr schön und plakativ auf den Punkt gebracht wird mit der Frage: "Soll Dirk Nowitzi seinen Rasen selbst mähen?"
Schon im 2. Kapitel taucht auch die Frage auf, "Warum Ökonomen uneins sind". Im 37. und letzten Kapitel knüpft das Buch mit "Fünf Streitgespräche[n] über gesamtwirtschaftliche Politik" daran wieder an und schlägt vor, "jeweils selbst eine der beiden Positionen zu wählen. Zumindest werden Sie beim Lesen verstehen, warum es so schwer fällt, sich zwischen den beiden Seiten zu entscheiden." (S. 953) Eine merkwürdige Wissenschaft scheint das zu sein, die uns nicht zu gesicherten Erkenntnissen führt, sondern im Streit endet – und bei der für eine empirische Wissenschaft geradezu grotesken Empfehlung, "eine Position zu wählen". Aber beim Lesen wird klarer, warum das so ist – und es ist fair, dass die Autoren die Strittigkeit vieler Themen offenlegen, statt dem Leser ihre eigene Sichtweise als die einzige reine Lehre vorzuspiegeln. Das ist zwar ernüchternd für Leser, die sich klare Antworten erhofft hatten, aber es schafft klare Verhältnisse: Man weiß von Anfang an, was man von der Volkswirtschaftslehre und diesem Lehrbuch erwarten kann und was nicht. Allerdings schwindet damit leider auch die Hoffnung dahin, von dieser Disziplin eine verlässliche Orientierung für die Analyse und Prognose der derzeitigen Weltwirtschaftskrise zu erhalten, geschweige denn für eine belastbare Beurteilung, was sinnvolle und was weniger sinnvolle Maßnahmen zu deren Bewältigung wären.
Beim Durcharbeiten des Buchs fällt auf, dass es zahlreiche aus theoretischen Überlegungen abgeleitete Funktionen enthält, aber nur manchmal empirische Befunde zur Untermauerung der postulierten Zusammenhänge. Für Leser, die in empirischer Forschung geschult sind, ist das befremdlich, wären doch viele der behaupteten Zusammenhänge einer empirischen Überprüfung durchaus zugänglich. Ohne diese empirische Untermauerung sind diese Zusammenhänge zwar in der Regel plausibel, aber deswegen noch lange nicht erwiesen. Trotz aller Plausibilität könnte es immer sein, dass die Realität ganz anders aussieht – nicht, weil die theoretischen Überlegungen falsch wären, sondern weil vielleicht nur eine einzige explizit oder implizit gemachte Prämisse nicht zutrifft oder weil eine Randbedingung hinzu kommt, die in das Modell nicht eingeflossen ist. Das jedoch scheint mir kein Manko dieses Lehrbuchs zu sein, sondern ein genereller Schwachpunkt der Volkswirtschaftslehre. Was eigentlich eine etwas dünne Basis für eine Wissenschaft ist. Denn was nützen uns die ganzen Angebots-, Nachfrage- und sonstigen Funktionen, wenn sie letzten Endes nur in Formalsprache übersetzte Glaubenslehren sind? Und warum sollen wir glauben, wo wir doch "gucken" könnten?!
Nach beinahe 1000 Seiten Volkswirtschaftslehre, auf denen der ganze klassische Kanon der Disziplin abgearbeitet wurde, habe ich viel gelernt und fühle mich dazu in der Lage, in vielen ökonomischen Fragen geordneter zu denken. Die über weite Strecken klare, anschauliche und leicht verständliche Sprache des Lehrbuchs hat dazu ebenso beigetragen wie die Tatsache, dass es – ausgesprochen bemerkenswert für ein amerikanisches Lehrbuch! – nicht nur in den verwendeten Beispielen auf Deutschland und Europa zugeschnitten ist, sondern sich sogar ausführlich mit rein europäischen Themen wie etwa der Europäischen Währungsunion befasst. Dass ich dennoch nicht völlig zufrieden bin, liegt vermutlich weniger an dem Buch selbst als an der Disziplin, die es repräsentiert. Mich irritiert stark, an einigen volkswirtschaftlichen Themen nicht vorbeigenommen zu sein, die ich für die Zukunft unserer Welt für absolut zentral halte. Die Grundidee der gesamten Nationalökonomie ist ja, dass ein effizientes Wirtschaftssystem deswegen anzustreben ist, weil durch ein stetiges Wachsen der Produktivität eine Mehrung des Wohlstands "für die vielen" zu erreichen sei. Doch genau an dieser Stelle sind in den letzten Jahrzehnten Fragezeichen aufgetaucht, die uns bereits heute sowohl theoretische als auch praktische Probleme bereiten und uns in Zukunft wohl noch größere Schwierigkeiten bringen werden. Die drei aus meiner Sicht wichtigsten will ich kurz skizzieren:
Erstes Problemfeld: Auch dank der Effizienz unseres Wirtschaftssystems sind wir an einem Punkt angelangt, der eigentlich ein in der Menschheitsgeschichte nie dagewesener Erfolg ist: Dass wir nämlich erstmals nicht mehr (fast) die gesamte Arbeitskraft der Menschheit brauchen, um unser Überleben zu sichern. Dieser bemerkenswerte Erfolg jedoch hat uns statt der erhofften "Befreiung vom Joch der Erwerbsarbeit" nichts als Probleme gebracht: Nun bleiben reihenweise Menschen übrig, die für die Produktion des Notwendigen und zunehmend auch für die des Überflüssigen nicht mehr benötigt werden. Und die wir infolgedessen auch gar nicht oder nur schlecht bezahlen, was wiederum zur Folge hat, dass immer mehr Menschen als Konsumenten ausfallen – was auf die Dauer auch für die Produzenten schlecht ist, weil es ihnen an der Nachfrage fehlt. Umgekehrt scheint es so zu sein, dass diejenigen, die Arbeit haben, nicht nur immer mehr arbeiten, sondern dabei auch unter immer größerem Druck stehen. Die Frage, wie Arbeit und Kaufkraft optimal verteilt werden sollten, ist natürlich eine politische Frage, sie ist aber auch eine, auf die sich wohl nur mit dem Know-how der Volkswirtschaftslehre(n) eine tragfähige Antwort finden lässt. Und dafür wäre es erforderlich, dass sich die besten Köpfe des Fachs dieser Frage stellen und dass sie auch zu einem Standardthema von Lehrbüchern und Vorlesungen gemacht wird.
Zweites Problemfeld: Schon seit langem ist klar, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben kann. An der Volkswirtschaftslehre, jedenfalls aber an diesem Lehrbuch, scheint diese Diskussion spurlos vorbeigegangen zu sein: Ohne die Folgen zu hinterfragen, setzt die Zunft weiterhin auf Effizienzsteigerung und Wachstum. Dabei mündet selbst ein moderates Wachstum von 2 oder 3 Prozent über die Zeit in eine Exponentialfunktion, weil "moderaten Steigerungen" auf Basis eines immer höheren Ausgangswerts zustande kommen. Im 18. und 19. Jahrhundert und vielleicht auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte die Nationalökonomie die "Grenzen des Wachstums" – die in Wirklichkeit die Begrenztheit einer endlichen Welt sind – ungestraft ignorieren, doch spätestens seit den 80-er Jahren wird immer deutlicher, dass die Begrenztheit der Welt nicht nur ein theoretisches Problem darstellt, sondern ein zunehmend praktisches. Umso befremdlicher, dass auch ein gutes und renommiertes Lehrbuch diese Problematik nicht einmal erwähnt, geschweige denn einen Ausweg aufzeigt. Im Grunde ist es unverantwortlich, dass angehende Volkswirte ebenso wie interessierte Laien auf diese Weise dazu erzogen werden, die Endlichkeit aller Wachstumsmöglichkeiten zu ignorieren.
Drittes Problemfeld: Obwohl die "Tragödie der Allmende" ein ökonomischer Ladenhüter ist, lernen wir in diesem Lehrbuch wenig darüber, wie öffentliche Güter, die nicht in beliebigem Umfang verfügbar und auch nicht beliebig vermehrbar sind, vor einer Übernutzung geschützt werden können. Zwar wird im Kapitel 10 eine Ineffizienz der Märkte bei den sogenannten "Externalitäten" konstatiert: Ungeregelte Märkte sind nicht dazu in der Lage, negative Folgewirkungen zu berücksichtigen, die nicht die miteinander handelnden Parteien direkt treffen, sondern Dritte oder die Allgemeinheit. Also werden diverse Möglichkeiten vorgestellt, diese externen Effekte in den Griff zu bekommen. Diese Modelle gehen jedoch von einem Bild des Staates aus, das mit der Realität längst nichts mehr zu tun hat, jedenfalls nicht, soweit Großunternehmen im Spiel sind. Beispiele wie Emissionshandel und Umweltauflagen zeigen, dass die Staaten nur noch begrenzt dazu in der Lage sind, schädliche externe Effekte über Steuern oder Vorschriften zu begrenzen. Wenn ihnen die Auflagen zu restriktiv werden, drohen die Konzerne damit, ihre Produktion in Länder zu verlagern, die – freiwillig oder unfreiwillig – Öko- und Sozialdumping betreiben. Infolgedessen werden gerade die größten CO2-Produzenten wie etwa die Aluminiumindustrie entweder ganz vom Emissionshandel befreit oder deutlich begünstigt. Das heißt aber nichts anderes als dass der gesamte volkswirtschaftliche Regelungsmechanismus für Externalitäten nicht mehr funktioniert, jedenfalls nicht für die großen, übergeordneten Themen. Und das soll kein Thema für die Volkswirtschaftslehre sein?!
Die Ausklammerung solcher Aspekte macht das Fach zu einer Art Sandkastenökonomie, die zwar eine Analyse von Volkswirtschaften unter störungsfreien Normalbedingungen zulässt, sich aber den wirklichen ökonomischen und wirtschaftspolitischen Fragen verweigert. Doch gerade für deren Lösung wäre volkswirtschaftlicher Sachverstand dringend erforderlich, trotz all seiner Unvollkommenheit, und es kann nicht nur von Spezialistenzirkeln, sondern auch schon von einführenden Lehrbüchern verlangt werden, dass sie solche Fragen zumindest thematisieren.
|