Zahlreiche Gedanken, die das Verständnis von Kreativität und Innovation erweitern und vertiefen, viele praktische Tipps und Anregungen, wobei die Substanz leider unter einer etwas zu lärmigen Darstellung fast bis zur Unkenntlichkeit versteckt ist.
Kreativität ist insofern ein spannendes Thema, als es sich der klassischen Management-Logik mit Maßnahmen- und Zeitplänen, grünen, gelben und roten Ampeln etc. zu entziehen scheint. Kreativität, so scheint es, ist nicht disziplinierbar; sie kommt oder bleibt aus, wie es ihr passt, und sie lässt sich auch durch noch so massiven Druck nicht herbeizwingen. Nach gängiger Lehrmeinung ist das Einzige, was man tun kann, um sie hervorzulocken und ihr zur Blüte zu verhelfen, dem freien Fluss der Ideen möglichst günstige Bedingungen zu verschaffen, wie zum Beispiel die Trennung von Ideenfindung und Ideenbewertung im klassischen Brainstorming oder das Beiseiteräumen jeglicher wirtschaftlicher und gedanklicher Restriktionen.
Kein Wunder, dass gerade Unternehmen, die sich besonders durch preußische – oder schwäbische – Umsetzungsdisziplin auszeichnen, oft ein Problem mit Kreativität und Innovation haben. So räumen bei einem bekannten Stuttgarter Großunternehmen Insider offen ein, dass sie zwar sehr gut darin seien, zugekaufte Innovationen zur Marktreife zu perfektionieren, aber ziemlich schwach darin, wirkliche Innovationen selbst hervorzubringen. Was bis hinein in die strategische Diskussion führt, ob es nicht klüger wäre, die unzweifelhaft vorhandene Kultur der Perfektionierung zu hegen und zu pflegen, statt eine dem Konzern wesensfremde "Innovationskultur" in einem ebenso verzweifelten wie nutzlosen Kraftakt implementieren zu wollen.
Und nun kommt da ein junger Mann daher, geheißen Jens-Uwe Meyer, der behauptet, dass Kreativität weit mehr mit Disziplin und Methodik und weit weniger mit Genialität und restriktionsfreiem Denken zu tun habe als gemeinhin angenommen wird. Er beruft sich dabei heftig auf Thomas Alva Edison (1847 – 1931), der keineswegs nur die Glühlampe erfunden hat, sondern nebenbei auch das zugehörige Stromnetz, den Telegrafen und unzählige weitere Dinge. Ob Edison das Edison-Prinzip gekannt hat, das uns Meyer hier schmackhaft machen will, darf indes bezweifelt werden – aber der Altmeister der Innovation kann sich ja nicht mehr wehren gegen die Unterstellung, er sei vor allem deshalb so kreativ gewesen, weil er sich strikt an das "Edison-Prinzip" gehalten hätte.
Immerhin scheinen biographische Quellen zu belegen, dass Edison sein Erfindungsgeschäft tatsächlich mit großer Professionalität, Systematik und Disziplin betrieben hat. Und vielleicht hätte er sich in Meyers Edison-Prinzip ja sogar wiedergefunden, wenn es ihm rechtzeitig bekannt geworden wäre. Denn die sechs Buchstaben seines Namens stehen als Akronyme tatsächlich für einen sehr systematischen Prozess, der – was vielleicht das Wichtigste ist – deutlich über die bloße Ideenfindung hinausgeht:
E Erfolgschancen erkennen: Sehen Sie, was andere übersehen
D Denkautobahn verlassen: Weichen Sie dem Ideenstau aus
I Inspirationen suchen: Betreten Sie kreatives Neuland
S Spannung erzeugen: Wenn Geistesblitze zum kreativen Gewitter werden
O Ordnen und optimieren: Entwickeln Sie einen Goldriecher
N Nutzen maximieren: Werden Sie zum Ideenverkäufer
Diese sechs Schritte beschreibt Meyer im ersten Teil des Buches detailliert und anschaulich, nur leider auch etwas arg marktschreierisch und zuweilen platt. Man gewinnt den Eindruck, dass er es in seinen Seminaren darauf anlegt, die Gruppe bei bester Laune zu halten – und dass er seine Teilnehmer dabei vom Niveau her keinesfalls überfordern will. Mag sein, dass das "live" durchaus seinen Unterhaltungswert hat; in gedruckter Form wirken diese routinierten Sprüche und Späße auf die Dauer etwas nervig und verleiten dazu, die Substanz, die dieses Buch sehr wohl zu bieten hat, mit dem Bade auszuschütten. Man kommt in die Gefahr, die inhaltlichen Hinweise nicht mehr ganz ernst zu nehmen, wenn sie allzu schrill und lärmig daherkommen – und das wäre eigentlich schade.
Vielleicht sollten Autor und Verlag überlegen, für eine Neuauflage, die dem Buch zu wünschen ist, etwas wegzugehen vom Management-Entertainment auf einfachem Niveau und etwas Seriosität zuzulegen, ohne dabei auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit zu verzichten. Zwischendurch blitzt immer mal wieder durch, dass dieser Autor durchaus dazu in der Lage ist, beispielsweise die eine oder andere wissenschaftliche Erkenntnis zur Untermauerung seiner Empfehlungen (verständlich!) wiederzugeben und geordnete Argumente statt plakativer Sprüche vorzutragen. Wenn er davon mehr Gebrauch machen würde, würde das Buch an Überzeugungskraft gewinnen.
Nach dem "Edison-Prinzip" lässt Meyer im zweiten Teil des Buches "Edisons sieben Gesetze der Kreativität" folgen, welche lauten:
1. Das Gesetz der kreativen Unzufriedenheit: "Unzufriedenheit ist die erste Voraussetzung für Fortschritt"
2. Das Gesetz des kreativen Drucks: "Eine kleine Erfindung alle zehn Tage, eine große Sache alles sechs Monate"
3. Das Gesetz der kreativen Vision: "Um zu erfinden, brauchen Sie eine gute Vorstellungskraft"
4. Das Gesetz des Scheiterns: "Für eine großartige Idee brauchen Sie eines: viele Ideen"
5. Das Gesetz des kreativen Umfelds: "Es gibt hier keine Regeln. Wir versuchen, etwas zu erreichen!"
6. Das Gesetz der kreativen Inseln: "Die besten Gedanken kommen in der Abgeschiedenheit"
7. Das Gesetz der kreativen Leidenschaft: "Ich habe nicht einen Tag meines Lebens gearbeitet. Es war alles Spaß"
Man merkt schon an diesen Überschriften, dass hier etwas verkrampft versucht wird, plakativ und witzig zu sein. Dabei kommt der größter Mehrwert des Buches unter die Räder, nämlich, dass es ein durchaus anderes Bild von Kreativität und Innovation vermittelt als man es üblicherweise liest: Zum einen beschreibt Meyer den Nährboden für das Entstehen kreativer Ideen ganz anders als man es schon Tausend Mal gelesen hat. Nach seiner – plausiblen – Botschaft erwachsen sie nicht aus unbegrenzten Freiräumen, sondern im Gegenteil aus konkreten Herausforderungen und Restriktionen. Das alleine ist schon ein Hinweis, für den sich der Kauf des Buches gelohnt hat. Zum anderen beschreibt er Kreativität und Innovation – in meinen Worten – als Wertschöpfungsprozess.
Demnach besteht Kreativität nicht darin, eine wehrlose Leinwand mit möglichst wilden Klecksen zu füllen oder auf andere Weise seine Persönlichkeit so "schöpferisch" wie möglich "auszudrücken", sondern sie besteht im Kern darin, Nutzen zu schaffen und real existierende Probleme besser zu lösen als es dem derzeitigen "State of the Art" entspricht. Deshalb besteht der erste wichtige Schritt für Meyer nicht im Generieren von Ideen, sondern im Erkennen von Problemen, für die eine bessere Lösung wünschenswert und – ökonomisch, gesellschaftlich oder persönlich – nützlich wäre. Und der letzte Schritt besteht nicht darin, sich für seine Kreativität bewundern zu lassen und die Drecksarbeit der Realisierung an andere zu delegieren, sondern er besteht darin, die gefundenen Lösungen zur Marktreife zu entwickeln, die Bedingungen für ihren Erfolg zu schaffen und sie so eindrucksvoll zu präsentieren, dass sie sich auch verkaufen. Denn eine nicht akzeptierte Idee war am Ende, gleich wie "kreativ" sie war, eine nutzlose Idee. Das sind wichtige und wertvolle Gedanken – doppelt schade daher, dass Meyer sie in einer allzu schrillen Verpackung bis fast zur Unkenntlichkeit versteckt.
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