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Die Verlässlichkeit von Signalen wird durch ihre "Kosten" gesichert

Zahavi, Amotz; Zahavi, Avishag (1998):

Signale der Verständigung

Das Handicap-Prinzip

Insel (Frankfurt); 431 S. (derzeit vergriffen)


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 18.10.2009

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Das Eingehen von Handicaps dient in der Kommunikation dazu, den eigenen Botschaften Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Die wichtigste Erweiterung der Evolutionstheorie seit der Entdeckung, dass die Selektion auch und vor allem am Verhalten ansetzt.

Auf den ersten Blick wirkt die zentrale These dieses Buchs wie eine völlig durchgeknallte Idee: Dass sich nämlich Tiere aufwändige und damit "teure" Handicaps auferlegten, um auf diese Weise sowohl Feinden als auch Rivalen als auch Geschlechtspartnern ihre besondere Leistungsfähigkeit und Fitness zu signalisieren. Doch so bizarr dieser Gedanke zunächst anmutet, er bietet eine sehr elegante Erklärung für eine Vielzahl von Phänomenen, die sich mit dem klassischen Gedanken der optimalen Anpassung an den jeweiligen Lebensraum kaum vereinen lassen und daher wie Gegenbeispiele zur Evolutionstheorie wirken: Das Geweih von Hirschen ist alles andere als eine optimale Anpassung an ein schnelles Fortkommen im Dickicht; die auffällige Färbung vieler Vögel (genauer: Vogelmännchen) macht Feinde auf sie aufmerksam; dasselbe Risiko bergen Warnrufe, laute Gesänge und Balzlaufe, vom Quaken der Frösche über den Vogelgesang bis zum Lockruf von Rehen. Und auch manch andere adaptive Seltsamkeiten wie das Rad des Pfaus oder das auffällige Herumspringen von Prellböcken bei der Annäherung von Feinden lassen sich beim besten Willen nicht mit funktionaler Effizienz oder optimaler Tarnung erklären.

Auf den zweiten Blick gewinnt die närrische Idee der israelischen Ornithologen Amotz und Avishag Zahavi erstaunliche Überzeugungs- und Erklärungskraft. Und sie liefert tatsächlich, wie der englische Untertitel kühn behauptet, "A Missing Piece in Darwin's Puzzle": In meinen Augen ist das Handicap-Prinzip die wichtigste Erweiterung der Evolutionstheorie seit der Soziobiologie, die ins Blickfeld gerückt hat, dass die Evolution nicht nur an Anatomie und Physiologie ansetzt, sondern auch und vor allem am Verhalten. Es löst das Problem, wie sich durch Mutation und Selektionen Merkmale und Verhaltensweisen herausbilden können, die für das betreffende Individuum nachteilig sind
 
Aus welchem vernünftigen Grund beispielsweise schlagen Pfauen Räder, und weshalb wenden sich Pfauenhennen ausgerechnet jenen Hähnen zu, die gerade wegen ihres prächtigen Rades besonders schlecht getarnt und wegen der Größe ihres Schwanzes bei der Flucht vor Beutegreifern gehandicapt sind? Wieso gehen sie durch eine Paarung mit diesen Prachthähnen das Risiko ein, dass ihre Nachkommen in ähnlicher Weise gehandicapt sind und damit leichter das Opfer von Feinden werden? Wieso haben Mutation und Selektion nicht schon längst bewirkt, dass dieser offenkundig unproduktive Aufwand verschwunden ist? Ein älterer Erklärungsansatz, dass die Evolution hier noch nicht fertig mit ihrer Arbeit sei, ist unelegant und wenig überzeugend: Wenn man dieses Argument zulässt, wird alles und jedes "erklärbar", allerdings um den Preis des Verlustes jeglicher Erklärungskraft. Auch das moderne Argument, dass sexuelle Attraktivität per se ein entscheidender Selektionsfaktor sei, ist bei genauerer Betrachtung keine Erklärung, sondern eine verkappte Tautologie. Außerdem würde es die sexuelle Attraktivität von der Fitness abkoppeln und sie zu einem Zufallsprozess ohne Sinn, Zweck und Nutzen erklären – und damit dem Gedanken der Selektion widersprechen.
 
Evolutionsbiologisch plausibel wird die Wahl der Pfauenhennen nur dann, wenn ihnen die prächtigen Räder eine wichtige Information über der konkurrierenden Hähne übermittelt, die sie auf anderem Wege nicht bekommen könnte, nämlich über ihre "Fitness" und ihre Fähigkeit, vitale und erfolgreiche Nachkommen zu zeugen und damit auch die Erbinformationen der Henne besodners erfolgreich zu verbreiten. Aber warum sollte das Rad des Pfaus, und sei es auch noch so prächtig, hierüber eine Information vermitteln? Die gescheite Antwort der Zahavis lautet: Gerade weil es so aufwändig ist, dass nur die fittesten Hähne ein solches Wunderwerk hervorbringen können, ist es ein glaubwürdiges und verlässliches Signal für die Leistungsfähigkeit seiner Träger. Denn nur sehr starke Exemplare können sich den doppelten Luxus leisten, erst einen so aufwändigen Schwanz hervorzubringen und dann noch die ganze Zeit mit diesem Handicap herumzulaufen. Genau die immensen Kosten (das "Handicap") werden so zum Beweis der Glaubwürdigkeit: Je teurer ein Signal ist, desto "fälschungssicherer" ist es. Das Handicap und der dafür erforderliche Mehraufwand werden auf diese Weise zum Garantiesiegel für die Zuverlässigkeit der Information – ein ebenso provokanter wie spannender Gedanke!
 
Der zentrale Gedanke ist damit formuliert – der Rest des Buches ist eine systematische Sammlung von Beispielen und Anwendungsfällen, in denen das Handicap-Prinzip verhaltensökologische Phänomene nach Auffassung der Autoren besser erklärt als die bisherigen Erklärungsmodelle. Welchen biologischen Sinn hat es zum Beispiel, dass Warnrufe in vielen Fällen wesentlich lauter sind als erforderlich, um die in unmittelbarer Nähe befindliche Horde über eine drohende Gefahr zu informieren? Ist diese übertriebene Lautstärke, die mögliche Feinde oft überhaupt erst auf ihre Anwesenheit aufmerksam macht (wie etwa bei Eichelhähern oder Murmeltieren), nur eine Panne der Evolution, oder hat sie einen biologischen Nutzen – und zwar für das Individuum, das den Warnruf ausstößt? Das Handicap-Prinzip bietet eine verblüffende Erklärung: Danach ist es kein Versehen, sondern Zweck des Warnrufs, den Fressfeind auf sich aufmerksam zu machen, um ihm so zu signalisieren, dass er entdeckt ist. Und wo ist hier das Handicap? Ganz einfach: Einen Feind auf sich aufmerksam zu machen, ist nur dann ratsam, wenn sich das betreffende Individuum sehr sicher ist, ihm entkommen zu können, falls er eine weitere Annäherung versuchen sollte. Genau durch das eingegangene Risiko signalisiert es dem Fressfeind, dass er sich den Energieeinsatz für eine Jagd sparen kann – und den Artgenossen, was für ein waches und selbstbewusstes Kerlchen es ist. Wenn der Räuber sich davon beeindrucken lässt – was er in vielen Fällen tut –, erspart ihm das den Energieaufwand einer Flucht und bringt ihm unter Umständen zusätzliches Prestige bei Rivalen und potenziellen Geschlechtspartnern.
 
Die unzähligen Beispiele und Aspekte muss man nicht alle im Detail lesen. Nach den einführenden Kapiteln kann man kann sich einzelne Kapitel herausgreifen, die einen besonders interessieren, wie etwa  "Die Rolle der Farbe bei der Zurschaustellung" (Kap. 8), "Wie Bindungen auf die Probe gestellt werden" (Kap. 10) oder "Eltern und Kinder" (Kap. 11). Einzelne aufgeführte Anwendungsfälle scheinen mir nicht so überzeugend, etwa die Erklärung, weshalb Arbeiterinnen bei staatenbildenden Insekten die Brut ihrer Königin versorgen, statt eigene Nachkommen zu haben. Hier scheint mir die vorliegende soziobiologische Theorie plausibel und hinreichend, die dies einfach damit erklärt, dass das Produkt aus Verwandtschaftsgrad und Überlebenswahrscheinlichkeit der Nachkommen im Szenario "Mitarbeit" besser ist als im Szenario "Eigener Nachwuchs". Aber das ist kein grundsätzlicher Einwand: Jede neue Theorie muss die Grenzen ihrer Reichweite ausloten, indem sie sie zu überschreiten versucht.
 
Unbedingt lesenswert sind aus meiner Sicht die Kapitel 12 über den Altruismus und 18 über das Handicap-Prinzip beim Menschen. Altruismus ist generell ein Phänomen, das darwinistische Erklärungsmodelle vor erhebliche Herausforderungen stellt, weil sie der Maximierung der eigenen Fitness zu widersprechen scheint. Recht gut soziobiologisch erklärbar ist noch der Altruismus zugunsten von Verwandten, weil er indirekt, abgestuft nach Verwandtschaftsgrad, zur Verbreitung der eigenen Gene beiträgt. Die Kinder von Geschwistern zu unterstützen, ist nach dieser Argumentation dann biologisch sinnvoll, wenn die dort eingesetzten Ressourcen mindestens einen doppelt so hohen Grenznutzen bringen wie bei den eigenen Kindern. Für Altruismus gegenüber Fremden scheidet diese Erklärung aus, selbst wenn sie Angehörige der eigenen Horde sind. Die Idee der Gruppenselektion – Gruppen, die sich gegenseitig unterstützen, sind insgesamt erfolgreicher – kann wegen theoretischer Mängel kaum als Erklärungsmodell herangezogen werden. Bleibt noch die Theorie des reziproken Altruismus, das heißt eines Altruismus auf Gegenseitigkeit. Sie erklärt temporäre wie längerfristige Kooperationen und macht auch plausibel, weshalb wir so großen Wert darauf, gerecht behandelt zu werden, und Betrüger, Schnorrer und Trittbrettfahrer moralisch ächten.
                          
Doch so schlüssig dieses Modell ist, es deckt nicht alle Fälle von Altruismus ab. Manche empirischen Beobachtungen vermag es nicht zu erklären, wie etwa, dass es bei manchen gesellig lebenden Arten (wie etwa bei den von den Zahavis intensiv erforschten Graudrosslingen) eine Konkurrenz um die Wache – also eine altruistische Dienstleistung – gibt. Oder dass ihr Altruismus keineswegs den Bedürftigsten gilt, sondern denen, die im Rang genau unter ihnen stehen. Hier liefert das Handicap-Prinzip in der Tat eine plausible Erklärung: Futter zu verschenken oder – im Falle der Wache – wertvolle Zeit für die Futtersuche, heißt, ein Handicap auf sich zu nehmen und damit Leistungsfähigkeit zu demonstrieren. Der direkte Nutzen ist ein Prestigegewinn, der dazu beiträgt, sowohl die eigene Rangposition zu festigen als auch das Ansehen zu mehren – und damit letztlich die Fortpflanzungschancen. Bei dieser Form des Altruismus geht es also nicht primär um den Empfänger, sondern um die Reputation des "edlen Spenders" – ein Schelm, wem hier an menschliche Beispiele denkt.
 
Im 18. und letzten Kapitel geht es dann auch offiziell um den Menschen. Hier liefert das Handicap-Prinzip zum Beispiel die plausibelste mir bekannte Erklärung für Luxus und Verschwendung: Sie sind eine augenfällige Demonstration von Reichtum und (mutmaßlich) guten Genen (oder gut gewählten Eltern). In ähnlicher Weise bekommen auch Moden eine unerwartete soziobiologische Plausibilität: Wer es sich leisten kann, immer mit der neuesten Mode zu gehen, zeigt damit, dass er sowohl wirtschaftlich als auch gesundheitlich belastbar ist. Solche Themen regen natürlich zu eigenen Gedanken und Beobachtungen an. Wenn man die Logik des Handicap-Prinzips einmal begriffen hat, dann kann man kaum noch umhin, im Alltag ständig neue Beispiele dafür zu finden. Weshalb zwängen sich Männer zum Beispiel bevorzugt in enge Sportwagen, die ebenso teuer wie unbequem sind, keinen brauchbaren Kofferraum haben, bei hohem Spritverbrauch im Normalbetrieb maximal 10 Prozent ihrer Motorleistung ausschöpfen und sie im Stau dazu zwingen, zu jedem Golf- und Nissanfahrer aufzublicken? Jetzt haben wir eine Erklärung, die ohne tiefenpsychologische Deutungen auskommt. Sie hat den Charme, beiläufig auch noch mitzuerklären, warum in diesen Fahrzeugen die Aufkleber der Mietwagenfirmen immer so sorgfältig entfernt werden.

Schlagworte:
Kommunikation, Handicap-Prinzip, Evolution, Soziobiologie, Verhaltensökologie, Ansehen, Prestige

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