Zwei Briten, die Deutschland und die Deutschen gut kennen, beschreiben in anekdotischer Form, worüber sie auch nach vielen Jahren immer noch staunen und stolpern. Dazu Resultate einer Befragung, welche Eigenschaften Deutsche sich selber zuschreiben.
Um die eigene Kultur – und damit letzten Endes sich selbst – besser kennenzulernen, gibt es kaum etwas Nützlicheres als die Reflexion von Menschen, die diese Kultur gut kennen, aber nicht originärer Teil von ihr sind. Vor allem, wenn sie sich trotz ihrer langen "teilnehmenden Beobachtung" die Fähigkeit bewahrt haben, nicht alles für selbstverständlich nehmen zu müssen, sondern sich noch wundern zu können.
Die beiden Briten Paul Smith und Ken Taylor erfüllen diese Anforderung in geradezu idealer Weise: Paul Smith lebt seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Deutschland, Ken Taylor hatte neben langjährigen Aufenthalten in Ostasien und Skandinavien auch reichlich Gelegenheit, sich mit deutschen Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen. Und beide besitzen nicht nur eine trainierte Beobachtungsgabe, einen scharfen Verstand und eine hoch entwickelte Eloquenz; sie hatten als Trainer, Moderatoren und Berater auch reichlich Gelegenheit, eine so große Stichprobe von Deutschen live in Aktion zu beobachten, dass sie nicht in Gefahr sind, bloße Zufallseindrücke zu generalisieren.
Sie tun das in diesem Buch auf eher anekdotische Weise, indem sie ihre Beobachtungen, Impressionen und Kommentare zu rund 70 Stichworten – von "Achtung to Zeitgeist" – wiedergeben, die ihnen beim Umgang mit uns Deutschen besonders ins Auge gesprungen sind oder die einfach – very british – eine originelle, witzige oder kauzige Perspektive hergeben. Darunter sind so naheliegende wie "Beer", "Humour", "Oktoberfest" und "Sauerkraut", oder auch so unerwartete wie "Beate Uhse", "Dinner for One" und "Facial Hair". Schon die Auswahl dieser Stichwörter gibt einen reizvollen Einblick, worüber Ausländer – oder genauer: international erfahrene Briten – bei uns stolpern.
Man darf diese Impressionen und Reflexionen nicht ernster nehmen als sie gemeint sind. Wohl aus der – selbstverständlich völlig unbegründeten – Sorge, manche Leser könnten ihr Augenzwinkern nicht bemerken und die Texte bierernst (woher kommt eigentlich dieses Wort?!) nehmen, warnen Smith und Taylor in ihrem Covertext ausdrücklich: "Be warned! This is not a travel guide. Nor is it a cross-cultural manual for business people. And it is certainly not a deep psychological treatise on the German psyche." Nein, es sind amüsante, pointierte Glossen, die eher gehobene Unterhaltung sein wollen als wissenschaftliche Analyse, die Anlass zum Schmunzeln (und manchmal auch zum Knurren) geben – und gerade damit auch britisch-diplomatische Impulse zur Selbstreflexion liefern.
Etwas isoliert steht daneben der zweite Teil, der die Resultate einer Befragung wiedergibt, wie Deutsche sich selber sehen. Über 2000 deutschsprachige Personen haben sich im September 2009 an einer Online-Befragung beteiligt, in der sie auf einer sechsstufigen Skala ihre Zustimmung oder Nicht-Zustimmung zu zwölf Eigenschaften zum Ausdruck bringen konnten. Die stärkste Zustimmung fanden "Punctual" (96%), "Reliable" (94%), "Perfectionistic" (92%), "Bureaucratic" (92%) und "Hard-working" (91%). Die geringste Zustimmung fanden "Reserved" (50%), "Lacking Humour" (53%) und "Arrogant" (58%), knapp vor "Sensitive concerning matters related World War II" (65%).
Die Frage ist bei solchen Befragungen immer, was man aus ihnen lernen kann. Denn aus der Tatsache, dass sich die Deutschen so sehen, folgt ja nicht zwingend etwas über die Realität. Wer Deutschland als bürokratisch bezeichnet, hat vermutlich noch nie mit einer süd- oder osteuropäischen Verwaltung zu tun gehabt (und seine letzte Anreise in die USA verdrängt) – aber vielleicht sind wir hier besonders empfindlich, weil Bürokratie unseren hohen Effizienzanspruch beleidigt. Eine Schlussfolgerung ist wohl trotzdem möglich: Die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Fremdbild scheint nicht so groß zu sein, dass daraus größere Konfliktpotenziale resultieren.
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