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Der stille Staatsstreich und seine lebensnotwendige Korrektur

Johnson, Simon (2009):

The Quiet Coup



The Atlantic, May 2009 (online verfügbar unter http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2009/05/the-quiet-coup/7364/)


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 07.05.2010

Pflichtlektüre für alle, die sich freiwillig oder gezwungenermaßen für staatliche Finanzkrisen im Allgemeinen und die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft im Besonderen interessieren. Das Resümee: Anything too big to fail is too big to exist.

Aus seiner zeitweiligen Tätigkeit als Chefökonom des internationalen Währungsfonds (IMF) weiß Simon Johnson, heute Professor am Sloan Institute for Management (MIT), wie es zu Staatsbankrotten kommt. Trotz aller Besonderheiten des Einzelfalls, "to IMF officials, all of these crises look depressionly similar", schreibt er. "Typically, these countries are in a desperate economic situation for one reason – the powerful elites within them overreached in good times and took too many risks. Emerging-market governments and their private-sector allies form a tight-knit – and, most of the time, genteel – oligarchy, running the country rather like a profit-seeking company in which they are the controlling shareholders." (keine Seitenzahlen verfügbar) 

Das geht oft eine ganze Weile gut – "But inevitably, emerging-market oligarchs get carried away; they waste money and build massive business empires on a mountain of debt. Local banks, sometimes pressured by the government, become too willing to extend credit to the elite and to those who depend on them. Overborrowing always ends badly, whether for an individual, a company, or a country.Sooner or later, credit conditions become tighter and no one will lend you money on anything close to affordable terms. The downward spiral that follows is remarkably steep." Wenn das Kartenhaus zusammenbricht und alle anderen Rettungsversuche gescheitert sind, wenden sich die Regierenden in höchster Not an den Internationalen Währungsfond. 

Dass der IMF trotz seiner unbestrittenen Erfolge als Retter nicht beliebt ist, liegt daran, dass die Oligarchen wissen, was seine Forderungen sein werden: Vor allem wird er verlangen, den Oligarchen, die bislang von ihrer engen Verflechtung mit der Politik profitiert haben, harte Einschnitte zuzumuten. Was bei den Betroffenen verständlicherweise nicht gut ankommt. Doch bei dem beinahe unvermeidlichen Machtkampf ist der IMF in der stärkeren Position, weil die Zeit für ihn spielt: Wenn die Oligarchen zögern, ernsthafte Schnitte zu machen, braucht er nur zu waren, bis der Insolvenzdruck wächst. 

So weit, so gut. Dann kommt's: 

Unter der Zwischenüberschrift "Becoming a Banana Republic" zieht Johnson eine Parallele zum derzeitigen Zustand der USA: "In ist depth and suddenness, the U.S. economic and financial crisis is shockingly reminiscent of moments we have recently seen in emerging markets (and only in emerging markets) (…) In each of these cases, global investors, afraid that the country or ist financial sector wouldn't be able to pay off mountainous debt, suddenly stopped lending. And in each case, that fear became self-fulfilling, as banks that couldn't roll over their debt did, in fact, become unable to pay." (Was die Experten von www.moneyandmarkets.com übrigens seit Monaten für die USA vorhersagen.) 

Als ob das nicht ungemütlich genug wäre, fährt Johnson fort: "But there's a deeper and more disturbing similarity: elite business interests – financiers, in the case of the U.S. – played a central role in creating the crisis, making ever-larger gambles, with the implicit backing of the government, until they inevitably collapse. More alarming, they are now using their influence to prevent precisely the sort of reforms that are needed, and fast, to pull the economy out of ist nosedive. The government seems helpless, or unwilling, to act against them." 

Alle möglichen Dinge werden für die momentane Krise verantwortlich gemacht, schreibt Johnson, die Niedrigzinspolitik seit dem Platzen der Dotcom-Blase, die unterbewertete Währung Chinas, die politische Förderung des Hauseigentums in den USA. Doch all diese Faktoren, gleich ob sie klassisch den Demokraten oder den Republikanern zugerechnet werden, haben eines gemeinsam: "They all benefited the financial sector. Policy changes that might have forestalled the crisis but would have limited the financial sector's profits – such as Brooksley Born's now famous attempts to regulate credit-default swaps at the Commodity Futures Trading Commission, in 1998 – were ignored or swept aside."

 

Unmerklich ist die Finanzbranche in den letzten 25 Jahren (nicht nur in den USA) zu enormer Größe und Bedeutung angewachsen – was sich natürlich auch in politischen Einfluss übersetzt. Während die Branche bis Anfang der 80-er Jahre jeweils um die 12 Prozent der gesamten Unternehmensgewinne erzielte (was auch schon ziemlich reichlich ist für eine Branche, die nichts produziert, sondern nur Finanzdienste leistet), stieg ihr Anteil seitdem stark an und erreichte in den letzten Jahren 41 (!) Prozent. Ähnlich stark stiegen die Gehälter: Bis Anfang der 80-er Jahre auf vergleichbarem Niveau wie in der Industrie, lagen sie 2007 etwa 80 Prozent höher als in anderen Branchen. Was sich vermutlich nicht primär mit den Lohnzuwächsen für Sekretärinnen und Sachbearbeiter erklärt. 

Trotzdem sind die USA natürlich nicht mit einem Entwicklungs- oder Schwellenland vergleichbar: "Just as we have the world's most advanced economy, military, and technology, we also have its most advanced oligarchy." In primitiven politischen Systemen wird Macht durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt gesichert. In weiter entwickelten Gesellschaften wird Einfluss über Korruption, Schmiergelder und Auslandskonten ausgeübt. Anders in den USA: "The American financial industry gained political power by amassing a kind of cultural capital – a belief system." Während es früher geheißen hatte, "What was good for General Motors was good for the country" habe sich in den letzten Jahrzehnten die Auffassung breit gemacht, was gut für die Wall Street sei, sei gut für die Nation. 

Ein wichtiger Einflussfaktor ist hier der vielgepriesene intensive Personalaustausch zwischen (Finanz-)­Industrie und Politik, der sich nicht nur in Spitzenpolitikern wie Timothy Geithner, Henry Paulson, Robert Rubin spiegelt, sondern mindestens ebenso sehr auf den weniger prominenten Ebenen darunter. Aber die Wall Street ist auch der "Big Spender" für die Parteien – und bedenkt beide Seiten gleichermaßen. Mit an der Spitze dabei Goldman Sachs: Die Großbank überwies den Parteien, wie gerade im lesenswerten Blog von Markus Gärtner zu lesen war, im März 2010, als es im Kongress um die Regulierung des Finanzmarkts ging, und kurz vor der Klage der Börsenaufsicht SEC gegen Goldman, mehr Geld als im ganzen Jahr 2009 (http://markusgaertner.wordpress.com/2010/04/25/seltsame-goldman-geldstrome/). Ein Schuft, wer da Zusammenhänge vermutet. Die Folge dieser Verbandelung fasst Johnson so zusammen: "The principal characteristics of the government's response to the financial crisis have been delay, lack of transparency, and an unwillingness to upset the financial sector."

 Nicht zu unterschätzen auch die Verflechtung mit der Wissenschaft: "Wall Street's seductive power extended even (or especially) to finance and economic professors, historically confined to the cramped offices of universities in the pursuit of Nobel Price. (…) This migration gave the stamp of academic legitimity (and the intimidating aura of intellectual rigor) to the burgeoning world of high finance." Nicht zuletzt deshalb haben Lehrmeinungen, die der Wall Street zupass kommen, die Lufthoheit in der wirtschaftspolitischen Diskussion – und mittlerweile auch über vielen Stammtischen. Und zwar keineswegs nur in den USA. Die Folge war eine Flutwelle deregulatorischer Politik – wie etwa der Aufhebung der Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken, einer Errungenschaft der Great Depression 1929 – 1941, durch die Clinton-Regierung. Sie hat die Weltfinanzkrise wohl überhaupt erst möglich gemacht, jedenfalls maßgeblich zu ihr beigetragen.
 

Der einzige Ausweg ist in Johnsons Augen, diese verhängisvolle Verflechtung zu durchbrechen, und zwar durch eine drastische Verkleinerung der Großbanken. Er bringt das er auf die ebenso prägnante wie treffende Formel: "Anything that is too big to fail is too big to exist." Den Einwand, dass dies erhebliche Effizienznachteile mit sich brächte, lässt er nicht gelten: Wie wir gerade erleben, sind die Risiken und gesellschaftlichen Kosten der "Übergröße" um ein Vielfaches höher. Natürlich macht sich Johnson keine Illusion, dass sich die Oligarchen freiwillig auf solch einen Weg einlassen werden. Doch die weitere Entwicklung könnte die Politik zwingen, sie dazu zu zwingen. Denn "what we face now could, in fact, be worse than the Great Depression – because the world is now so much more interconnected and because the banking sector is too big."  

In seinem neu erschienenen Buch "13 Bankers: The Wall Street Takeover and the Next Financial Meltdown" vertieft er diese Themen. (Gutes Exzerpt hier: http://blogs.wsj.com/deals/2010/03/26/break-out-the-c-4-new-boook-say-lets-blow-up-wall-street/.)

Schlagworte:
Weltwirtschaftskrise, Weltfinanzkrise, Wirtschaftspolitik

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