Früher haben Landkinder in frühester Jugend gelernt, wie man mit der Sense mäht, und dabei reichlich Anleitung und praktische Tipps von den Älteren bekommen. Heute braucht man Bücher dafür, sich diese schöne alte Kunst anzueignen.
Wenn unser Nachbar, ein über 70-jähriger Bauer, mit der Sense herauskommt, um ein paar Flächen zu mähen, an die sein Sohn mit dem großen Traktor nicht herankommt, stehe ich oft mit großen Augen am Fenster und schaue ihm zu. Obwohl der alte Mann gesundheitlich angeschlagen und von lebenslanger harter Arbeit steif geworden ist, ist es ein Genuss, ihm beim Mähen zuzuschauen: So viel Leichtigkeit, Eleganz und scheinbare Mühelosigkeit, dass ich den Blick gar nicht mehr abwenden mag. Das sieht aus, als könne das Mähen mit der Sense so schwierig nicht sein – am liebsten möchte man gleich anfangen.
Wenn man das erste Mal selber eine Sense in der Hand hat, ist plötzlich nichts mehr so leicht wie es aussah. Man weiß weder, wo und wie anfangen, noch, wo und wie man weitermachen soll. Und das Gras, das beim Nachbarn noch so bereitwillig dahinsank, scheint plötzlich hart und störrisch geworden. Von Eleganz keine Rede mehr – stattdessen ein wildes Gehacke und Gerupfe, bei dem einem alsbald die Lust vergeht. Zeit für ein wenig Nachhilfeunterricht.
Ein Buch über das Mähen mit der Sense ist letztlich so nützlich wie ein Buch über das Skifahren: Wie es wirklich geht, lernt man entweder in der Praxis oder gar nicht. Die motorischen Abläufe und Fertigkeiten kann es einem natürlich nicht vermitteln, aber es kann doch nützliche Tipps etwa zur Stellungen und Bewegungsabläufen geben. Und natürlich kann es bei Fragen helfen, auf die man sonst keine Antwort findet.
Natürlich ist es dann immer noch ein ganzes Stück Arbeit, dieses abstrakte Prinzip auf die Arbeit am Dengelamboss zu übertragen. Trotzdem hilft es enorm, das Prinzip verstanden zu haben, bevor man den Hammer in die Hand nimmt und ebenso ziel- wie nutzlos auf das unschuldige Sensenblatt einklopft. Auch für andere praktische Fragen des angehenden Sensenmanns gibt das Büchlein pragmatische Hinweise, etwa für die, was für Sensen es überhaupt gibt und wie man eine geeignete auswählt, oder, wie man sie montiert und richtig "anstellt".
Wenn es etwa um das Dengeln geht, lachen die Nachbarn doch eher verlegen: Nein, selber machen sie das schon lange nicht mehr; ich sollte mal den Schmied fragen. Erst aus dem Buch von Lehnert habe ich verstanden, worum es beim Dengeln überhaupt geht: Nämlich darum, "den Dangl auszutreiben" – was nichts mit altem heidnischen Brauchtum zu tun hat, sondern damit, die Schneide des Sensenblatts (den "Dangl") durch Kaltverformung – vulgo: geordnete Hammerschläge – sowohl zu schärfen als auch zu härten. Dazu wird die Schneide mit ziehenden Schlägen "ausgetrieben", das heißt gedehnt.
Wenn man die knapp 80 Seiten gelesen und die zahlreichen guten Fotos und Zeichnungen studiert hat, kann man zwar immer noch nicht mähen, darf sich aber sehr viel besser darauf vorbereitet fühlen: Man hat dann ein wesentlich besseres Grundverständnis, weiß viele Dinge, die einem heute kaum noch jemand erklären kann – und hat damit einen wesentlich besseren Einstieg in diese schöne alte Kunst als wenn man es, wie ich vor 12 Jahren, auf eigene Faust probiert und dabei kaum einen Fehler auslässt. Mittlerweile mache ich, wie ich Lehnerts Büchlein entnehmen konnte, zumindest nicht mehr alles falsch. Und die alte Bäuerin meinte vor einer Weile: "Das geht doch schon ganz gut!" – Was Hänschen nicht lernt, lernt der alte Hans also doch noch!
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